29Ns4/24s – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Die Präsidentin des Oberlandesgerichts Wien Mag. Lehmayer fasst über den im Verfahren ** Bs 375/23h des Oberlandesgerichts Wien gestellten Antrag des Angeklagten Mag. A* vom 2. Februar 2024 auf Ablehnung der Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Wien Dr. B* den
Beschluss:
Spruch
Die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Wien Dr. B* ist nicht ausgeschlossen.
Text
Begründung:
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 27. Juli 2022, GZ 124 Hv 3/22b 687 wurde unter anderen Mag. A* des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, Abs 3, 148 zweiter Fall StGB und des Verbrechens der Geldwäscherei nach § 165 Abs 1 Z 1, Abs 4 erster Fall StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Jahren sowie zur Zahlung von in Summe siebenstelligen Eurobeträgen an diverse Privatbeteiligte verurteilt, wogegen sich seine Berufung (ON 781) richtet, die nach Zurückweisung der von ihm auch erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 23. November 2023 zu GZ 12 Os 41/23f 8 dem Oberlandesgericht Wien zur Entscheidung zugeleitet wurde und dem Senat ** (als Wiederläufer im Sinne der Geschäftsverteilung des Oberlandesgerichts Wien, S 4) anfiel. Präsidentin dieses Senats ist Dr. B*, weitere Mitglieder sind Mag. C*, LL.M. und Dr. D* (als Berichterstatterin).
Mit Antrag vom 2. Februar 2024 lehnte Mag. A* Senatspräsidentin Dr. B* ab. Mit Beschluss vom 18. November 2021 zu GZ* * Bs 317/21a sei durch den Senat ** unter dem Vorsitz von Dr. B* der Beschluss der Haftrichterin des Landesgerichts für Strafsachen Wien zu 33 HR 251/21p (ON 30 im Urteilsakt) bezüglich der Aufhebung der Untersuchungshaft von Mag. A* aufgehoben und dem Gericht die neuerliche Entscheidung unter Berücksichtigung etwaiger Änderungen aufgetragen worden, wobei explizit die von der Haftrichterin ausführlich dargelegte Anwendung des § 209a StPO (Anm.: „Kronzeugenregelung“) als nicht entscheidungsrelevant für die Festnahme bezeichnet worden sei. Dadurch sei im Ergebnis eine Fortsetzung des Ermittlungsverfahrens angeordnet worden. Dies impliziere eine intensive, über die Haftfrage hinausgehende Befassung des Senats mit dem Verfahren, weshalb der Vorsitzenden, die bereits im Ermittlungsverfahren durch eine Entscheidung ein Verfolgungshindernis ausgeschlossen habe, die objektive Unparteilichkeit hinsichtlich der Strafbemessung abzusprechen sei, weil sie bereits in der Sache selbst entschieden und sich nun mit Fragen zu befassen habe, die jenen aus einem früheren Rechtsgang ähnlich seien. Erkennbar stützt er seinen Antrag somit auf §§ 43 Abs 1 Z 3, Abs 2 und Abs 3 StPO.
Rechtliche Beurteilung
Der Antrag ist nicht berechtigt.
Nach § 43 Abs 1 Z 3 StPO ist ein Richter dann vom gesamten Verfahren ausgeschlossen, wenn andere als die in Z 1 und 2 leg.cit. genannten Gründe vorliegen, die geeignet sind, seine volle Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit in Zweifel zu ziehen.
Vorliegend konnte der Antragsteller keine konkreten Tatumstände geltend machen, die bei einem verständig würdigenden Beurteiler naheliegende Zweifel an der unvoreingenommenen und unparteilichen Dienstverrichtung durch die Senatspräsidentin wecken könnten (Lässig, WK-StPO § 43 Rz 9 f; RIS-Justiz RS0097082).
Der bloße Umstand, dass sich die Rechtsansicht eines Richters nicht mit jener einer Prozesspartei (oder eines anderen Entscheidungsorgans) deckt, ist per se ebenso wenig wie die – auch durch das Treffen von Ermessensentscheidungen vorgenommene – gesetzeskonforme Erfüllung von Dienstpflichten, wie etwa die Abweisung eines Parteienantrages oder die Verurteilung in einer anderen Strafsache oder der Umstand, dass sich ein Richter vor der Entscheidungsfindung mit einer Strafsache auseinandergesetzt hat, geeignet, eine Ausgeschlossenheit iSd § 43 Abs 1 Z 3 StPO zu begründen (Lässig aao Rz 12 mwN). So kommt insbesondere auch in der Haftfrage getroffenen Entscheidungen keine Eignung, die Ausschließung nach Z 3 leg.cit. zu begründen, zu (Lässig aao Rz 15 mwN).
Zuletzt – wenngleich auf gegenständlichen Fall ohnedies nicht anzuwenden - ist auf die Erkenntnisse des Obersten Gerichtshof vom 6. Juni 2016, AZ 17 Os 4/16s (5/16p, 11/16w), vom 4. März 2019, AZ 12 Os 11/19p, sowie vom 29. Mai 2019, 15 Os 56/19b, (siehe RIS-Justiz RS0126921; RS0130814) zu verweisen, wonach Richter eines Rechtsmittelgerichts nach Urteilsaufhebung im nachfolgenden Rechtsgang ausgeschlossen sein können, wenn einzelfallbezogen sowie unter Berücksichtigung des äußeren Anscheins Umstände vorliegen, die objektiv gerechtfertigte Zweifel an deren unvoreingenommenen und unparteilichen Dienstverrichtung wecken könnten, die sich auch aus der Vorbefasstheit von Richtern eines Rechtsmittelgerichts in der Schuldfrage ergeben (Lässig aao Rz 13 ff und 31a mwN). Wird weder die Tatfrage in voller Kognitionsbefugnis beurteilt noch in den Entscheidungsgründen beweiswürdigend Stellung bezogen, so ist keine Ausgeschlossenheit anzunehmen.
Nach dem weiters angeführten § 43 Abs 3 StPO ist ein Richter eines Rechtsmittelgerichts ausgeschlossen, wenn er selbst oder einer seiner Angehörigen im Verfahren als Richter der ersten Instanz tätig gewesen ist, was vorliegend nicht der Fall ist, zumal Dr. B* seit über 20 Jahren Richterin des Oberlandesgerichts Wien ist. Der im Antrag des Angeklagten zitierte Rechtssatz findet in casu keine Anwendung, wonach ein Hofrat des Obersten Gerichtshofs, der als Senatsmitglied des Oberlandesgerichts an einer mit Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes angefochtenen Entscheidung beteiligt war, im Verfahren über diese Nichtigkeitsbeschwerde ausgeschlossen und somit § 43 Abs 3 StPO auch im Verfahren zur Entscheidung über Rechtsbehelfe gegen Rechtsmittelentscheidungen anzuwenden ist.
§ 43 Abs 2 StPO wiederum normiert, dass ein Richter vom Hauptverfahren ausgeschlossen ist, wenn er (unter anderem) an einer Entscheidung über die Fortführung des Verfahrens mitgewirkt hat. Damit sind in concreto ausschließlich Entscheidungen über die Fortführung des Ermittlungsverfahrens (§ 196 Abs 2 StPO) ausschlussbegründend für die Mitwirkung und Entscheidung im Hauptverfahren (Lässig aao Rz 17).
Da somit weder eine Ausgeschlossenheit nach § 43 Abs 2 oder 3 StPO noch eine Befangenheit im Sinne des § 43 Abs 1 Z 3 StPO vorliegt, und jetzt auch keine Beurteilung der Tatfrage, sondern nur eine Entscheidung über die Strafberufung ansteht (vgl idS Oberlandesgericht Wien zu GZ 130 Ns 20/18b, 130 Ns 37/18b), war dem Antrag des Mag. A* nicht Folge zu geben und nicht auf Ausschließung der Senatspräsidentin Dr. B* zu erkennen.
Gegen diesen Beschluss steht ein selbstständiges Rechtsmittel nicht zu (§ 45 Abs 3 StPO).