JudikaturOLG Wien

32Bs4/24h – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
25. Januar 2024

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Strafsache gegen A* wegen § 84 Abs 4 StGB über die Berufung der Staatsanwaltschaft wegen Nichtigkeit gegen das (Abwesenheits ) Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau vom 13. Dezember 2023, GZ 35 Hv 29/23t 45.5, durch die Senatspräsidentin Mag. Seidl als Vorsitzende sowie die Richterin Dr. Vetter und den Richter Dr. Farkas als weitere Senatsmitglieder gemäß §§ 470 Z 3, 489 Abs 1 StPO nichtöffentlich zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 3 StPO) wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Strafsache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde A* des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach (richtig:) § 84 Abs 4 StGB schuldig erkannt und hiefür nach dieser Gesetzesstelle zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt, deren Vollzug gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Gemäß § 369 Abs 1 StPO wurde er weiters schuldig erkannt, dem Privatbeteiligten B* 3.500 Euro binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat A* am 9. April 2023 in ** B* am Körper verletzt und dadurch, wenn auch nur fahrlässig, eine schwere Körperverletzung, nämlich einen verschobenen Nasenbeinbruch, der operativ repositioniert werden musste, sowie eine Schmelzfraktur von zwei Zähnen, herbeigeführt, indem er B* einen wuchtigen Schlag ins Gesicht versetzte.

Bei der Strafbemessung wertete das Erstgericht den bisher ordentlichen Lebenswandel als mildernd, erschwerend hingegen keinen Umstand.

Gegen dieses Urteil richtet sich die rechtzeitig angemeldete (ON 1.55) und fristgerecht ausgeführte Berufung der Staatsanwaltschaft wegen Nichtigkeit, mit der moniert wird, dass A* in Abwesenheit wegen des Verbrechens nach §§ „83 Abs 1“, 84 Abs 4 StGB verurteilt wurde, obwohl ein solches Vorgehen nur bei einem Vergehen zulässig sei (ON 47).

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist im Recht.

Gemäß § 427 Abs 1 StPO ist ein Abwesenheitsverfahren nur dann zulässig, wenn (kumulativ) es sich bei der abgeurteilten Tat um ein Vergehen handelt, der erwachsene Angeklagte bereits gemäß §§ 164 oder 165 StPO zum Anklagevorwurf vernommen wurde, ihm die Ladung zur Hauptverhandlung persönlich zugestellt wurde (Abs 1), der Vorsitzende (Einzelrichter) die Anwesenheit des Angeklagten zur umfassenden Beurteilung des Anklagevorwurfs nicht für erforderlich hält (Abs 2) und auch kein Anlass zur Annahme besteht, der Angeklagte könnte durch ein unabwendbares Hindernis abgehalten worden sein, in der Hauptverhandlung zu erscheinen (Abs 3; vgl auch Bauer, WK-StPO § 427 Rz 6; RIS-Justiz RS0101569).

Beurteilungskriterium der Z 3 des § 281 Abs 1 StPO ist nicht das bloß objektive Vorliegen eines Sachverhalts, sondern ob das erkennende Gericht seine Pflicht zur Beobachtung der genannten Vorschrift (hier des § 427 Abs 1 StPO) hinreichend wahrgenommen hat. War das Fehlen einer in § 427 Abs 1 StPO genannten Voraussetzung für das Gericht daher bei pflichtgemäßer Aufmerksamkeit erkennbar, ist das ungeachtet dessen gefällte Abwesenheitsurteil mit Nichtigkeit behaftet (vgl Bauer aaO Rz 20, Ratz, WK-StPO § 281 Rz 37, RIS-Justiz RS0120127).

Ein Abwesenheitsurteil im Sinn des § 427 StPO liegt vor, wenn der Angeklagte zwischen Aufruf der Sache (§ 239 erster Satz StPO) und Schluss der Verhandlung (§ 257 StPO) nicht persönlich anwesend war, das Gericht also (zumindest teilweise) in seiner Abwesenheit verhandelt hat. Soll die Anwendung der Bestimmungen über das Abwesenheitsverfahren vermieden werden, muss der Angeklagte während der gesamten Hauptverhandlung anwesend sein. Die Vertretung durch einen (frei gewählten oder bestellten) Verteidiger genügt ebenso wenig wie das Einverständnis (bloß) des Verteidigers zur Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten. Kein Abwesenheitsurteil liegt nur dann vor, wenn der Angeklagte persönlich und unmissverständlich der Verhandlung in seiner Abwesenheit zustimmt (vgl Bauer aaO Rz 2).

Ist für das Gericht ersichtlich, dass dem Angeklagten ein Erscheinen bei Gericht infolge eines „unabweisbaren Hindernisses“ verwehrt ist, kommt ein Verfahren in Abwesenheit von vornherein nicht in Betracht, wobei ein solches Hindernis beispielsweise ein Naturereignis, ein Unfall oder eine Erkrankung des Angeklagten selbst sein kann (vgl Bauer aaO Rz 14 und Rz 19).

Die Urteilsfällung nach Durchführung (auch nur eines Teils) der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten ist bei sonstiger Nichtigkeit an die Vorgaben des § 427 StPO gebunden, wobei dieser Umstand – soweit hier interessierend - mit Nichtigkeitsbeschwerde geltend gemacht werden kann (vgl Bauer aaO Rz 24). Zuletzt ist zu beachten, dass nach § 281 Abs 3 StPO der Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 3 StPO jedoch dann nicht geltend gemacht werden kann, wenn unzweifelhaft erkennbar ist, dass die Formverletzung keinen dem Angeklagten nachteiligen Einfluss üben konnte (§ 281 Abs 3 StPO).

Fallkonkret wurde vom Erstgericht zunächst am 21. Juli 2023 eine Hauptverhandlung in Anwesenheit des Angeklagten A* durchgeführt (ON 16). Aufgrund der Überschreitung der Zwei Monatsfrist erging in der Hauptverhandlung vom 20. Oktober 2023 ein Beschluss auf Neudurchführung der Verhandlung, wobei einverständlich auf die tatsächliche Neudurchführung verzichtet und an die Verfahrensergebnisse angeknüpft wurde, auch das Hauptverhandlungsprotokoll ON 16 kam zur Verlesung. Diese Hauptverhandlung wurde auf unbestimmte Zeit vertagt (ON 34.4 S 1 und 37). Die Hauptverhandlung wurde am 24. November 2023 fortgesetzt (ON 40), wobei es neuerlich zu einer Vertagung auf unbestimmte Zeit kam (ON 40.1 S 7). Zur letztlich am 13. Dezember 2023 fortgesetzten Hauptverhandlung (ON 45.1) erschien der Angeklagte A* nicht. Nach Aufruf der Sache wurde festgehalten, dass die Zustellung der Ladung durch polizeiliche Zustellung am 6. Dezember 2023 ausgewiesen sei. Sein Verteidiger gab bekannt, dass der Angeklagte wegen Erkrankung nicht anwesend sein könne und legte eine Arbeitsunfähigkeitsmeldung vor (ON 45.4). Daraufhin fasste das Erstgericht gemäß § 427 StPO den Beschluss auf Durchführung der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten. Nach Vernehmung des Zeugen C*, Abweisung eines Beweisantrags des Angeklagten und erörterndem Vortrag des Akteninhalts gemäß § 252 Abs 2a StPO fällte das Erstgericht das eingangs dargestellte Urteil (ON 45.3). Mit Aktenvermerk vom 13. Dezember 2023 hielt das Erstgericht fest, dass der Verteidiger um Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten ersucht habe (ON 45.2).

In der Urteilsausfertigung verweist das Erstgericht darauf, eine Voraussetzung des § 427 StPO übersehen zu haben.

Zunächst ist nach dem dargestellten Sachverhalt die Verhinderung des Angeklagten als bescheinigt anzusehen. Mit Blick auf die Vernehmung des Zeugen C* und die Abweisung eines Beweisantrags sowie den Vortrag von Aktenbestandteilen gemäß § 252 Abs 2a StPO in Abwesenheit des Angeklagten ist nicht unzweifelhaft erkennbar, dass die Formverletzung auf die Entscheidung keinen dem Angeklagten nachteiligen Einfluss üben konnte. Im Übrigen stellt die Durchführung der Hauptverhandlung über ein Verbrechen in Abwesenheit des Angeklagten grundsätzlich einen wesentlichen Nachteil dar ( Fabrizy/Kirchbacher , StPO 14 § 281 Rz 117).

Zwar ist es grundsätzlich nämlich in einem auf den Schutzzweck des § 427 StPO abgestimmten Bereich zulässig, dass der Angeklagte persönlich auf seine Anwesenheit bei Teilen der Hauptverhandlung selbst wegen eines Verbrechens verzichtet (RIS-Justiz RS0115797; Bauer aaO Rz 15), diese Zustimmung muss allerdings persönlich und unmissverständlich erklärt werden (RIS-Justiz RS0115797 [T2], Bauer aaO), wovon gegenständlich keine Rede sein kann.

Da solcherart vor der öffentlichen Verhandlung über die Berufung feststand, dass das Urteil aufzuheben und die Verhandlung in erster Instanz zu wiederholen ist, war das Urteil daher bereits nichtöffentlich gemäß §§ 470 Z 3, 489 Abs 1 StPO aufzuheben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Im fortgesetzten Verfahren wird unter Wahrung des rechtlichen Gehörs des Angeklagten die Verhandlung neuerlich durchzuführen sein.

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