JudikaturOLG Wien

17Bs276/23x – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
24. Januar 2024

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht im Verfahren zur Unterbringung des A* in einem forensisch therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 1 StGB über die Berufung des Genannten gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Schöffengericht vom 25. April 2023, GZ 45 Hv 41/22h 76a, nach der am 24. Jänner 2023 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten Dr. Röggla, im Beisein der Richterin Mag. Schneider Reich und des Richters Ing.Mag. Kaml als weitere Senatsmitglieder, in Gegenwart der Oberstaatsanwältin Dr. Lechner, des Betroffenen A* sowie seines Verteidigers Mag. Dominik Wittich durchgeführten öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde die Unterbringung des am ** geborenen ungarischen Staatsangehörigen A* in einem forensisch therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 1 StGB angeordnet.

Danach hat er unter dem maßgeblichen Einfluss einer die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden (§ 11 StGB) schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung, nämlich einer anhaltend wahnhaften Störung,

I/ in **, in der Absicht, dass dieser seine Ankündigungen weitergeleitet würden, B* gefährlich mit dem Tod bedroht, um diese in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er in Briefen an seine und Telefonaten mit seiner Mutter C* zunächst wiederholt äußerte, in der Justizanstalt Eisenstadt befinde sich die „Creme de la Creme“ der ukrainischen Mafia, er habe mit dieser bereits Kontakte hergestellt, eine Ukrainerin geheiratet, weshalb die ukrainische Mafia nun „alles für ihn tun“ würde, alle Personen, die ihm etwas angetan hätten, würden zur Rechenschaft gezogen, und sodann unter Verweis darauf am 1. Mai 2022 (Punkt a) mitteilte, er werde B* umbringen sowie am 3. Mai 2023 (Punkt b), er habe die ukrainische Mafia in Gang gesetzt und diese beauftragt, B* umzubringen, es werde so aussehen wie ein Unfall;

II/ am 6. Oktober 2022 in ** den Justizwachebeamten D* mit Gewalt, indem er seinen Fuß in die Tür des Haftraums stellte und mit seiner Hand in Richtung dessen Kopfes schlug, an seiner Einschließung im Haftraum nach einem Arztbesuch, mithin an einer Amtshandlung, zu hindern versucht,

somit Taten begangen, die als Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 erster Fall StGB (I) und des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB (II) jeweils mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind.

Zur Gefährlichkeitsprognose stellte das Erstgericht – gründend auf den schriftlichen Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Univ.Doz.Dr. E* vom 30. November 2022 und vom 15. Februar 2023 (ON 50.2 und ON 62.2), welche er in der Hauptverhandlung am 25. April 2023 (ON 76.3,39 bis 45) aufrecht hielt und nachvollziehbar erörterte - fest:

Aufgrund der unbehandelten eskalierenden Wahndynamik des sich verfolgt und ungerecht behandelt fühlenden Betroffenen mit damit auch verbundenen, tiefgreifenden emotionalen Spannungen und Kränkungen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis der Betroffene auch zu tätlich aggressiven Übergriffen übergeht. Gerade querulatorische Entwicklungen wie die gegenständliche Dynamik führen oftmals zu einem enormen inneren Spannungsdruck und in weiterer Folge zu entsprechenden, schwerwiegenden strafbaren Handlungen bis hin zu Kapitaldelikten. Der Betroffene zeigt sich bezüglich seiner Störung weder krankheits- noch behandlungseinsichtig. Demnach besteht sohin die dringende Befürchtung, A* werde in absehbarer Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit ohne weitere, gezieltere Behandlung im Rahmen einer stationären Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum unter dem Einfluss der schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung Prognosetaten, mithin Straftaten gegen Leib und Leben, welche mit mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind und schwere Folgen nach sich ziehen, wie etwa schwere und absichtlich schwere Körperverletzungen (ON 76.3,44), begehen.

Ein vorläufiges Absehen vom Vollzug der Unterbringung im Sinne des § 434g Abs 5 StPO (§ 157a StVG) kam nach dem festgestellten Sachverhalt insbesondere der Krankheitsuneinsichtigkeit nicht in Frage.

Rechtliche Beurteilung

Nach Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 24. Oktober 2023, GZ 14 Os 81/23b 4, ist nunmehr über dessen Berufung (ON 83) zu entscheiden, der keine Berechtigung zukommt.

§ 21 Abs 1 StGB in der seit 1. März 2023 geltenden Fassung (Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz 2022, BGBl I Nr 223/2022) setzt für die (nunmehr:) strafrechtliche Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum neben der Begehung einer mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedrohten Anlasstat im Sinn des Abs 3 leg cit unter dem maßgeblichen Einfluss einer im Zeitpunkt der Tat die Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB) bedingenden schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung eine ungünstige Prognose dahingehend voraus, dass der Rechtsbrecher nach seiner Person, nach seinem Zustand und nach der Art der Tat mit hoher Wahrscheinlichkeit sonst in absehbarer Zukunft unter dem maßgeblichen Einfluss seiner psychischen Störung eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde. Eine rechtsrichtig vorgenommene Beurteilung hat zwingend auf allen der genannten Sachverhaltskriterien zu basieren ( Ratz in WK 2 StGB § 21 Rz 24). Als relevante in der Person des Rechtsbrechers gelegene Umstände kommen neben Eigenschaften des Täters sein früheres Verhalten im Krankheitszustand und die Motive für die Begehung zurückliegender Delikte in Betracht. Das Krankheitsbild und die Krankheitseinsicht des Betroffenen sind aktuell zum Urteilszeitpunkt zu beurteilen. Die vom Gesetz verlangten schweren Folgen müssen aus einer einzigen Tat resultieren, wobei nicht nur die tatbestandsmäßigen Folgen, sondern darüber hinaus alle konkreten Tatauswirkungen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit, somit Art, Ausmaß und Wichtigkeit aller effektiven Nachteile sowohl für den betroffenen Einzelnen als auch die Gesellschaft im Ganzen, der gesellschaftliche Störwert einschließlich der Eignung, umfangreiche und kostspielige Abwehrmaßnahmen auszulösen und weitreichende Beunruhigung und Besorgnisse herbeizuführen, zu berücksichtigen sind ( Ratz in WK 2 StGB § 21 Rz 25 ff; RIS-Justiz RS0108487).

Wenn - wie vorliegend - die angedrohte Freiheitsstrafe der Anlasstat drei Jahre nicht übersteigt, muss sich die Befürchtung (nach § 21 Abs 1 StGB) auf eine gegen Leib und Leben gerichtete, mit mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe bedrohte Handlung oder auf eine gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung gerichtete, mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedrohte Handlung beziehen (§ 21 Abs 3 zweiter Satz StGB).

Im Verfahren nach § 21 Abs 1 StGB ist ausschließlich die Gefährlichkeitsprognose als Ermessensentscheidung Bezugspunkt der Berufung (RIS-Justiz RS0113980 [T1], RS0090341). An das (hier) Vorliegen der gesetzlichen Unterbringungsvoraussetzungen des auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruhenden Zustands und dessen Einflusses auf die begangene Anlasstat ist das Oberlandesgericht gebunden (§ 295 Abs 1 StPO; vgl RIS-Justiz RS0090341 [T12]).

Gegenständlich leitete das Erstgericht das Vorliegen der Gefährlichkeitsprognose zutreffend aus dem schlüssigen, in der Hauptverhandlung aktualisierten Gutachten des Sachverständigen Univ.Doz.Dr. E* (ON 50.2, ON 62.2 und ON 76.3, 39-45) ab. Davon ausgehend besteht in Zusammenschau mit der Art der Anlasstaten sowie der nach den Ergebnissen der Berufungsverhandlung nach wie vor nicht vorhandenen Krankheitseinsicht weiterhin die real-konkrete Befürchtung, dass der Betroffene unter dem maßgeblichen Einfluss einer nach wie vor bestehenden schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung (hier: anhaltend wahnhafte Störung, ICD 10, F22) mit hoher Wahrscheinlichkeit (in absehbarer Zukunft) gegen Leib und Leben gerichtete, mit mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe bedrohte Handlungen (mit schweren Folgen), nämlich insbesondere an sich schwere Körperverletzungen iSd § 84 Abs 4 StGB oder absichtliche schwere Körperverletzungen iSd § 87 Abs 1 StGB begehen wird (zu den Kriterien der Prognosetat Ratz in WK 2 StGB § 21 Rz 28; vgl auch RIS-Justiz RS0090401).

In seiner Berufung bringt der Betroffene lediglich vor, er sei hinsichtlich sämtlicher Vorwürfe nicht geständig, bei Zulassung der von ihm gestellten Beweisanträge (Beischaffung diverser Akten) hätte bewiesen werden können, dass er in diesen Verfahren (ebenso wie hier) zu Unrecht belastet worden sei.

Dem ist einerseits der Beschluss des Obersten Gerichtshofs entgegenzuhalten, der die Verfahrensrüge desselben Inhalts mit der Begründung zurückgewiesen hatte, dass das entsprechende Antragsvorbringen konkrete Hinweise darauf nennen müsste, dass die Zeuginnen in Bezug auf entscheidende Tatsachen die Unwahrheit gesagt hätten, was jedoch nicht der Fall gewesen sei. Andererseits verfehlt das Vorbringen den Bezugspunkt der (Straf )Berufung.

Einem (in der Berufung nicht explizit beantragten) vorläufigen Absehen vom Vollzug der Unterbringung stand ebenso die Expertise des Gerichtssachverständigen entgegen.

Ein seit Entfall der Vorgängerbestimmung (§ 45 Abs 1 StGB) mit Wirksamkeit des Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetzes 2022 in § 157a StVG geregeltes vorläufiges Absehen vom Vollzug einer strafrechtlichen Unterbringung ist nur dann möglich, wenn und solange der Betroffene außerhalb eines forensisch-therapeutischen Zentrums behandelt und betreut werden kann sowie durch allfällige weitere Maßnahmen der Gefahr, der die strafrechtliche Unterbringung entgegenwirken soll (§ 21 StGB), begegnet werden kann. Dabei sind insbesondere die Person des Betroffenen, sein Vorleben, Art und Schwere der Anlasstat, sein Gesundheitszustand und die daraus resultierende Gefährlichkeit, der bisher erzielte Behandlungserfolg sowie die Möglichkeiten und Notwendigkeiten einer angemessenen Betreuung und die Aussichten auf das redliche Fortkommen zu berücksichtigen (Abs 1 leg cit).

Der nach wie vor gegebenen Gefährlichkeit des A* kann sohin durch ein vorläufiges Absehen vom Vollzug derzeit nicht ausreichend entgegengetreten werden.

Da dem Erstgericht sohin kein Ermessensfehler (vgl RIS Justiz RS0113980, RS0090341) unterlaufen ist, seit dem Urteil erster Instanz auch keine wesentliche Änderung der Umstände eingetreten ist, war der Berufung des Betroffenen ein Erfolg zu versagen.

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