JudikaturOLG Wien

32Bs254/23x – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
23. Januar 2024

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Strafsache gegen A* und einen anderen Angeklagten wegen des Vergehens nach § 83 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Berufung des B* wegen Nichtigkeit sowie des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe, gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau vom 22. August 2023, GZ 36 Hv 4/23y 29, nach der unter dem Vorsitz der Senatspräsidentin Mag. Seidl, im Beisein der Richterin Dr. Vetter und des Richters Dr. Farkas als weitere Senatsmitglieder, in Gegenwart der Oberstaatsanwältin Mag. Wallenschewski sowie in Anwesenheit des Angeklagten B* und seiner Verteidigerin Mag. Claudia Fessler durchgeführten öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung am 23. Jänner 2024 zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld wird nicht, hingegen jener wegen Strafe dahin Folge gegeben, dass die verhängte Freiheitsstrafe auf 16 Monate herabgesetzt wird.

Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Mit dem angefochtenen - auch einen in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruch des A* wegen § 83 Abs 1 StGB (1./) enthaltenden - Urteil wurde B* des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB (2./) schuldig erkannt und hiefür nach dem zweiten Strafsatz des § 297 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren verurteilt.

Demnach hat

1./ A* am 9. Jänner 2022 in C* B* am Körper verletzt, indem er auf diesen einschlug, wodurch dieser eine Kopfprellung sowie eine linksseitig am Kopf befindliche Schürfwunde mit mittiger Prellmarke erlitt;

2./ B* am 16. März 2022 in D* den A* dadurch der behördlichen Verfolgung ausgesetzt, dass er ihn einer von Amts wegen zu verfolgenden mit Strafe bedrohten Handlung, wobei die fälschlich angelastete Handlung mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist, nämlich des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs 4 StGB, falsch verdächtigt, obwohl er wusste (§ 5 Abs 3 StGB), dass die Verdächtigung falsch ist und zwar dadurch, dass er im Rahmen der Beschuldigtenvernehmung zu den unter I./ angeführten Handlungen angab, dass A* ein Stanleymesser bzw dessen Klinge aus seiner Jackentasche genommen und versucht habe, ihn damit zu stechen, was er jedoch abwehren hätte können, wodurch er links am Kopf getroffen worden sei.

Bei der Strafbemessung wertete der Tatrichter keinen Umstand als erschwerend, mildernd hingegen die nicht vom Angeklagten oder seinem Verteidiger zu vertretende unverhältnismäßig lange Verfahrensdauer, der mit einer Reduktion der Strafe im Ausmaß von zwei Monaten Rechnung getragen wurde. Im Rahmen allgemeiner Strafzumessungserwägungen nach § 32 Abs 3 StGB wertete der Erstrichter die Tatbegehung während des Strafvollzugs als schulderhöhend.

Gegen dieses Urteil richtet sich die unmittelbar nach Entscheidungsverkündung angemeldete (ON 28 S 11), zu ON 33 fristgemäß ausgeführte Berufung des B* wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe.

Der Berufung wegen Schuld ist vorauszuschicken, dass die freie Beweiswürdigung ein kritisch-psychologischer Vorgang ist, bei dem durch die Subsumierung der Gesamtheit der durchgeführten Beweise in ihrem Zusammenhang unter allgemeine Erfahrungssätze Schlussfolgerungen zu gewinnen sind ( Fabrizy/Kirchbacher , StPO 14 § 258 Rz 8). Auch die Frage der Glaubwürdigkeit von Angeklagten und Zeugen sowie der Beweiskraft ihrer Aussage ist der freien richterlichen Beweiswürdigung vorbehalten, wobei das Gericht nur zu einer gedrängten Darlegung seiner Gründe, nicht jedoch dazu verhalten ist, jedes Verfahrensergebnis im Einzelnen zu analysieren (RIS Justiz RS0104976). Wenn aus den vom Erstgericht aus den vorliegenden Beweisergebnissen folgerichtig abgeleiteten Urteilsannahmen auch andere, für den Angeklagten günstigere Schlussfolgerungen möglich sind, so tut dies nichts zur Sache. Der Grundsatz „in dubio pro reo“ stellt nämlich keine negative Beweisregel dar, die das erkennende Gericht - im Falle mehrerer denkbarer Schlussfolgerungen - verpflichten würde, sich durchwegs für die dem Angeklagten günstigste Variante zu entscheiden, es kann sich vielmehr jede Meinung bilden, die den Denkgesetzen und der Lebenserfahrung nicht widerspricht ( Mayerhofer , StPO 6 § 258 E 65; RIS Justiz RS0098336).

In Ansehung dieser Prämissen bestehen keine Zweifel an der überzeugenden Beweiswürdigung des Erstgerichts. Der Tatrichter stellte - unter ersichtlicher Einbeziehung des von den Angeklagten A* und B* und dem Zeugen BezInsp. E* in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks - den Geschehensablauf in einleuchtender und nachvollziehbarer Weise dar und gelangte nach Durchführung des Beweisverfahrens mit lebensnaher Argumentation zur Überzeugung, dass der Berufungswerber, die dem Schuldspruch zugrunde gelegte Tathandlung in objektiver und subjektiver Hinsicht begangen hat.

Soweit der Berufungswerber seiner eigenen Verantwortung mit Hinweis auf die Aggressivität und Gewaltbereitschaft des A* zum Durchbruch verhelfen will, zumal bei einem praktisch aus dem Nichts erfolgten Aggressionsverhalten es auch durchaus glaubwürdig sei, dass dieser ein Stanleymesser verwendet habe, stellt er lediglich eigene beweiswürdigende Erwägungen an, die nicht geeignet sind, die sorgfältige Beweiswürdigung des Erstgerichts zu erschüttern, zumal etwa völlig übergangen wird, dass seine eigenen Angaben mit nachvollziehbarer Begründung als widersprüchlich und vollkommen unglaubwürdig verworfen wurden (US 5).

Auch mit dem Vorbringen, es sei aufgrund der Angaben des Zeugen BezInsp. E*, der sich weder an die Verwendung eines Messers, noch an das Auffinden eines solchen erinnern habe können, nicht mit Sicherheit auszuschließen, dass A* kein (gemeint: ein) Stanleymesser eingesetzt habe, werden nur eigene beweiswürdigende Erwägungen angestellt, die aber nicht geeignet sind, die aus den Aussagen des Zeugen BezInsp. E* - mit nicht zu beanstandender Begründung - andere Schlüsse ableitenden Erwägungen des Erstgerichts (US 5), in Frage zu stellen.

Das Vorliegen der subjektiven Tatseite hat das Erstgerichts empirisch einwandfrei aus dem (zuvor dargestellten) äußeren Tatgeschehen abgeleitet, wobei der Schluss von einem gezeigten Verhalten auf ein zugrunde liegendes Wollen oder Wissen bei einem wie hier leugnenden Angeklagten rechtsstaatlich vertretbar und in der Regel methodisch gar nicht zu ersetzen ist (RIS Justiz RS0116882, RS0098671; Ratz , WK StPO § 281 Rz 452).

Da auch das Rechtsmittelgericht bei der im Rahmen der Schuldberufung anzustellenden Gesamtbetrachtung keine Bedenken gegen die erstgerichtliche Lösung der Schuldfrage hegt, war der Schuldberufung ein Erfolg zu versagen.

Der Subsumtionsrüge (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) ist voranzustellen, dass die gesetzmäßige Ausführung eines materiell rechtlichen Nichtigkeitsgrundes das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass das Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist, zur Voraussetzung hat. Gegenstand der Subsumtionsrüge ist also der Vergleich des zur Anwendung gebrachten materiellen Rechts, einschließlich prozessualer Verfolgungsvoraussetzungen, mit dem festgestellten Sachverhalt. Den tatsächlichen Bezugspunkt bildet dabei die Gesamtheit der in den Entscheidungsgründen getroffenen Feststellungen, zu deren Verdeutlichung das Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) herangezogen werden kann (Hager/Meller/Hetlinger, Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung 4 S 73 Erl 7).

Soweit der Berufungswerber die rechtsirrige Annahme der Qualifikation des § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB geltend macht, da es sich bei der von ihm geschilderten Verletzung nur um eine leichte gehandelt und er A* daher keine mit über einjähriger Freiheitsstrafe bedrohte Tat angelastet habe, übergeht er, dass der Tatbestand der in Rede stehenden, mit über einjähriger Freiheitsstrafe bedrohten strafbaren Handlung nach §§ 15, 84 Abs 4 StGB voraussetzt, dass der Täter versucht einen anderen schwer am Körper zu verletzen oder iSd § 84 Abs 1 StGB an der Gesundheit zu schädigen. Entgegen der Rechtsansicht des Berufungswerbers ist es somit nicht von Belang, dass die tatsächlich erlittene Verletzung leichten Grades war. Ausgehend von den Feststellungen zum angedichteten Tatgeschehen (US 4) hat vielmehr auch die angenommene Qualifikation Bestand.

Die Berufung wegen des Strafausspruchs ist im Recht.

Der vom Berufungswerber monierte Milderungsgrund nach § 34 Abs 1 Z 18 StGB liegt mit Blick auf die am 16. März 2022 gesetzte Tathandlung und den Umstand, dass von einem Wohlverhalten durch längere Zeit hindurch nur gesprochen werden kann, wenn der Zeitraum etwa der Rückfallsverjährung (§ 39 Abs 2 StGB: fünf Jahre) entspricht (RIS-Justiz RS0108563), nicht vor.

Die vom Berufungswerber behauptete gute Führung in der Justizanstalt begründet keinen mildernden Umstand.

Soweit der Angeklagte die Freiheitsstrafe mit Blick auf die über A* verhängte Freiheitsstrafe von sechs Monaten als überhöht erachtet, ist er darauf zu verweisen, dass von dem in § 32 Abs 1 StGB normierten Grundsatz der Einzeltatschuld und des konkret verwirklichten Tatunrechts als Grundlage der Strafbemessung auszugehen ist (vgl Fabrizy / Michel Kwapinski/Oshidari , StGB 14 § 32 Rz 2; RIS Justiz RS0090678, RS0090917). Im Übrigen übergeht er, dass das Erstgericht bei A* nach § 83 Abs 1 StGB lediglich einen Strafrahmen von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen zur Verfügung hatte und diesem seine geständige Verantwortung als mildernd anzurechnen war.

Bei rechtbesehener Abwägung der vom Erstgericht zutreffend zur Darstellung gebrachten Strafzumessungslage erweist sich bei einem zur Verfügung stehenden Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe die vom Erstgericht gefundene Strafe jedoch als überhöht. Unter Berücksichtigung der zur Tat führenden Vorgeschichte, wonach der Berufungswerber am 9. Jänner 2022 in seinem Haftraum ohne Vorwarnung von A* attackiert und auch tatsächlich verletzt wurde, aber auch mit Blick darauf, dass keine Erschwerungsgründe vorliegen, konnte mit einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von 18 Monaten das Auslangen gefunden werden. Mit Blick auf die bereits vom Erstgericht zutreffend anerkannte überlange Verfahrensdauer (US 8) war diese Strafe um weitere zwei Monate zu reduzieren.

Eine bedingte oder teilbedingte Strafnachsicht kommt nicht in Betracht, weil schon angesichts der Tatbegehung während anhängigem Strafvollzug nicht davon auszugehen ist, dass die bloße Androhung der Vollziehung der Strafe oder eines Teils der Strafe ausreichen werde, um den Berufungswerber von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abzuhalten.

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