JudikaturOLG Wien

32Bs10/24s – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
19. Januar 2024

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat durch die Senatspräsidentin Mag. Seidl als Vorsitzende sowie die Richterin Dr. Vetter und den Richter Dr. Farkas als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A* wegen des Vergehens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB über die Beschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom 5. Jänner 2024, GZ 19 Hv 74/23y-108, nichtöffentlich den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Die über A* verhängte Untersuchungshaft wird aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 3 lit b und c StPO fortgesetzt.

Die Wirksamkeit dieses Beschlusses ist durch eine Haftfrist nicht mehr begrenzt.

Text

Begründung:

Mit (nicht rechtskräftigem) Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 18. September 2023, GZ 19 Hv 74/23y-82.5, wurde A* des Vergehens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB schuldig erkannt und hierfür nach dem ersten Strafsatz des § 133 Abs 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 19 Monaten verurteilt.

Inhaltlich des Schuldspruchs hat er sich an einem nicht mehr festzustellenden Ort in Österreich ein ihm anvertrautes Gut in einem 5.000 Euro übersteigenden Wert, nämlich einen zuvor bei der B* GmbH erworbenen, jedoch noch nicht bezahlten, Traubenvollernter im Wert von 124.950 Euro, den er nach Abschluss eines „Sale-and-Mietkauf-back“-Vertrags mit der C* GmbH übereignet erhielt, zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 2022 mit dem Vorsatz zugeeignet, sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, und zwar dadurch, dass er diese Maschine für sich behielt, in sein Vermögen überführte und erklärte, sie sei von Mitarbeitern der D* abgeholt worden.

Mit am 27. Dezember 2023 beim Landesgericht St. Pölten eingelangter Eingabe begehrte der Angeklagte seine Enthaftung, in eventu die Fortsetzung der Untersuchungshaft in Form des elektronisch überwachten Hausarrests (ON 103).

Im Rahmen der am 5. Jänner 2024 durchgeführten Haftverhandlung (ON 107) setzte das Erstgericht die über A* mit Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom 4. Juni 2023 (ON 14) verhängte, zuletzt mit Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 18. Juli 2023 zu AZ 32 Bs 150/23b (ON 50.1) fortgesetzte Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit b und c StPO – unter impliziter Abweisung des Antrags auf Fortsetzung der Untersuchungshaft in Form des elektronisch überwachten Hausarrests - fort (ON 108).

Dagegen richtet sich die in der Haftverhandlung angemeldete sowie zugleich ausgeführte Haftbeschwerde des A* (ON 107 S 3), der unter Verweis auf das Nichtvorliegen eines dringenden Tatverdachts und des Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr die Aufhebung der Untersuchungshaft beantragt. Mit Blick auf die „kurze verbleibende Reststrafe“ begehrt er hilfsweise die Fortsetzung der Untersuchungshaft in Form des elektronisch überwachten Hausarrests gemäß § 173a Abs 1 StPO.

Rechtliche Beurteilung

Die Beschwerde ist nicht berechtigt.

Die Dringlichkeit des Tatverdachts ist nach Fällung des Urteils in erster Instanz nicht mehr zu überprüfen (RIS-Justiz RS0061107; Kirchbacher/Rami , WK-StPO § 173 Rz 4). Die (ohnehin bloß unsubstantiiert gebliebenen) Ausführungen des Beschwerdeführers zum Fehlen eines dringenden Tatverdachts konnten solcherart auf sich beruhen.

Dieser Tatverdacht begründet das Vergehen der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB. Den dringenden Tatverdacht entkräftende, nach dem Urteil erster Instanz hervorgekommene Beweismittel liegen nicht vor.

Ferner ist auch der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit b und c StPO weiterhin gegeben. Der Angeklagte weist insgesamt fünf einschlägige Vorstrafen wegen Vermögensdelinquenz auf. Aufgrund seiner durch die Vorabstrafungen dokumentierten Bereitschaft, strafbare Handlungen (auch) gegen fremdes Vermögen zu begehen, der bisherigen Wirkungslosigkeit sowohl appellierender (durch Gewährung [teil-]bedingter Strafnachsichten, einer Probezeitverlängerung und einer bedingten Entlassung) als auch repressiver (durch den Vollzug von Haftstrafen) Sanktionen (zur Relevanz von Charaktereigenschaften und Wesenszügen Kirchbacher/Rami , WK-StPO § 173 Rz 28) und seiner prekären finanziellen Situation (vgl hiezu die Vielzahl der gegen ihn alleine seit dem Jahr 2020 anhängigen Exekutionsverfahren [die VJ weist seit 2020 38 neue Eintragungen auf] und seine Kreditverbindlichkeiten in Höhe von 300.000 Euro – ON 82.5 S 3) besteht weiterhin die konkrete Gefahr, der Angeklagte werde auf freiem Fuß ungeachtet des aktuell wegen einer mit mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe bedrohten Straftat gegen ihn geführten Strafverfahrens weitere gegen dasselbe Rechtsgut (fremdes Vermögen) gerichtete strafbare Handlungen mit einer Strafdrohung von mehr als sechsmonatiger Freiheitsstrafe und mit nicht bloß leichten Folgen begehen, wie die ihm nunmehr angelastete Straftat (gegen fremdes Vermögen), wobei er wegen einer solchen Straftat bereits mehrfach verurteilt worden ist.

Auch die bisherige Haftdauer und das Verspüren des Haftübels beseitigen die Tatbegehungsgefahr zufolge der dokumentierten (nach wie vor gegebenen) prekären finanziellen Situation des Angeklagten nicht. Die Ankündigung, er habe die Möglichkeit, auf freiem Fuß Geld zu verdienen, vermag am Vorliegen des genannten Haftgrundes ebenso wenig etwas zu ändern, verfügte er doch auch im mutmaßlichen Tatzeitraum über ein monatliches Einkommen (vgl ON 82.5 S 3).

Der angezogene Haftgrund ist - unter Bedachtnahme auf obige Ausführungen - als derart gewichtig anzusehen, dass er durch gelindere Mittel des § 173 Abs 5 StPO nicht wirksam substituiert werden kann.

Die Fortsetzung der Untersuchungshaft steht in Anbetracht der bisherigen Haftdauer (etwa siebeneinhalb Monate – vgl auch ON 44) aktuell weder zur Bedeutung der Sache noch zu der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis, wobei hier von der Strafe, die in erster Instanz bereits verhängt wurde (19 Monate Freiheitsstrafe), auszugehen ist (RIS-Justiz RS0108401; Kirchbacher/Rami , WK-StPO § 173 Rz 10). Ohne Bedeutung für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit ist, ob zu erwarten ist, dass A* bedingt entlassen werden wird ( Kirchbacher/Rami , WK-StPO § 173 Rz 14 mwN; vgl ON 108 S 3).

Hausarrest nach § 173a Abs 1 StPO ist unter anderem dann zulässig, wenn die Zwecke der Untersuchungshaft (§ 182 Abs 1 StPO) auch durch diese Vollzugsform erreicht werden können, wobei der Haftzweck einer auf Tatbegehungsgefahr gestützten Untersuchungshaft in der Vermeidung künftiger Straftaten liegt (§ 173a Abs 1 zweiter Satz StPO; Kirchbacher/Rami , WK-StPO Vor §§ 170 bis 189 Rz 7/1, § 173a Rz 3).

Zutreffend ging das Erstgericht – im Rahmen seiner Erwägungen zur impliziten Abweisung des gemäß § 173a Abs 1 StPO gestellten Antrags (ON 108 S 2 f) - davon aus, dass dem durch gelindere Mittel nicht substituierbaren Haftgrund der Tatbegehungsgefahr mit einer im elektronischen Hausarrest vollzogenen Untersuchungshaft nicht wirksam begegnet werden kann.

Im gegenständlichen Fall ist nämlich aufgrund der prekären finanziellen Situation des Angeklagten und der sich aus seinen einschlägigen Vorstrafen ergebenden Rückfallsgefahr nicht anzunehmen, dass er im Hausarrest durch die zeitliche Beschränkung seiner Aufenthalte außerhalb seiner Unterkunft und unter dem Eindruck der Überwachung von weiteren (Vermögens-)Straftaten abgehalten würde. Der fallspezifisch ausgeprägten Tatbegehungsgefahr kann solcherart nicht vorgebeugt werden, weil die ohne Haft als wahrscheinlich zu befürchtenden Prognosetaten in dieser Vollzugsform auch bei einer sich bietenden Gelegenheit im Rahmen zulässigen Aufenthalts und Verkehrs in der Öffentlichkeit (vgl § 156b Abs 1 StVG) oder im Wege des Internet begangen werden können.

Damit bedarf es (auch) zum Zeitpunkt dieser Beschwerdeentscheidung des Vollzuges der Untersuchungshaft in der Justizanstalt, um den genannten Haftzweck zu erreichen.

Der Entfall der Haftfrist ergibt sich aus § 175 Abs 5 StPO.

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