JudikaturOLG Wien

22Bs8/22w – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
18. Januar 2024

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat durch die Senatspräsidentin Mag. Mathes als Vorsitzende sowie die Richter Mag. Hahn und Mag. Gruber als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache der Europäischen Staatsanwaltschaft (AZ I.000080/2021 [AZ 1 HSt 5/21s des Delegierten Europäischen Staatsanwalts in Österreich]) gegen A* B* und weitere Beschuldigte wegen Artikel 3 Abs 2 lit a und c der Richtlinie 2017/1371; § 370 Abs 1 Nr. 1, Abs 2 Nr. 3 und § 373 Abs 1 und 2 Nr. 3 der deutschen Abgabenordnung; § 129 deutsches Strafgesetzbuch, über die Beschwerden von A* B* , C* D* und der E* F* G* GmbH gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg vom 20. Oktober 2021, AZ 404 HR 239/21k-13, jenen des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 15. November 2021, GZ 354 HR 300/21y-17, des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 20. Oktober 2021, GZ 32 HR 224/21x-15, und jenen des Landesgerichts Krems an der Donau vom 16. November 2021, GZ 18 HR 226/21i-14, sowie die jeweils damit verbundenen Einsprüche wegen Rechtsverletzung in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Den Beschwerden wird nicht Folge gegeben.

2. Das Oberlandesgericht Wien ist zur Entscheidung über Einsprüche wegen Rechtsverletzung betreffend Sicherstellungsanordnungen und deren Durchführung nicht berufen.

Text

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Die Europäische Staatsanwaltschaft führt zu AZ I.000080/2021 durch den betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt in der Bundesrepublik Deutschland (München) ein Ermittlungsverfahren – unter anderem – gegen die Beschwerdeführer wegen Artikel 3 Abs 2 lit a und c der Richtlinie 2017/1371; § 370 Abs 1 Nr. 1, Abs 2 Nr. 3 und § 373 Abs 1 und 2 Nr. 3 der deutschen Abgabenordnung; § 129 deutsches Strafgesetzbuch (S 9 ff in ON 2 [Übersetzung]). Die Beschuldigten stehen dabei in Verdacht, durch falsche Angaben beim Import von Biodiesel (mit US amerikanischer Herkunft) in die Europäische Union Zollvorschriften umgangen und so einen Gesamtschaden von rund EUR 1,295.000,-- verursacht zu haben.

Am 9. November 2021 erließ der österreichische Delegierte Europäische Staatsanwalt im Rahmen der Unterstützung dieser Ermittlungen gemäß Artikel 31 der Verordnung (EU) 2017/1939 des Rates vom 12. Oktober 2017 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit zur Errichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft („EUStA-VO“) unter Punkt I./ die Anordnung der Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume des beschuldigten Unternehmens und der Beschuldigten B* und D*, wobei zur Vermeidung von Wiederholungen auf die bezughabenden Entscheidungen verwiesen wird (ON 13 [Landesgericht Korneuburg]; ON 14 [Landesgericht Krems an der Donau]; ON 15 [Landesgericht Wiener Neustadt] und ON 17 [Landesgericht für Strafsachen Wien]), beantragte beim jeweils zuständigen Einzelrichter der angeführten Landesgerichte deren Bewilligung und ordnete unter Punkt II./ die Sicherstellung von Bestell- und Auftragsbelegen, Kontoaufzeichnungen, Korrespondenzen und entsprechender Hardware bzw. Datenträgern etc., an.

Mit den im Spruch angeführten Beschlüssen bewilligten die jeweils zuständigen Einzelrichter die Anordnungen des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts unter Hinweis auf die jeweils gleichlautenden Anordnungen zu Punkt I./ aus den dort angeführten Gründen.

Die tatsächliche Durchführung der Hausdurchsuchungen wurde vom unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt angeordnet (S 9 in ON 13, 14, 15 und 17) und in weiterer Folge durch die zuständige Finanzbehörde umgesetzt (Bericht vom 13. Dezember 2021 [ON 24]).

Zufolge der - mit Ausnahme des Untersuchungsorts und der betroffenen Personen inhaltlich identen - staatsanwaltschaftlichen Anordnungen, deren Begründung sich die Erstrichter zu Punkt I./ jeweils durch Verweis auf diese zu Eigen machten (RIS-Justiz RS0124017), liegt folgender Tatverdacht vor:

„Die Europäische Staatsanwaltschaft führt zu 1.000080/2021 durch Ihren Delegierten Europäischen Staatsanwalt in Deutschland ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der fortgesetzten Steuerhinterziehung im großen Ausmaß und der Mitgliedschaft in einer auf Steuerhinterziehung ausgerichteten kriminellen Vereinigung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 3 und 373 Abs. 1 und 2 Nr. 3 der deutschen Abgabenordnung sowie § 129 des deutschen Strafgesetzbuches. Nach der bisherigen Verdachtslage hat eine organisierte kriminelle Gruppe ein breites System zum Import von Biodiesel aus H* und I* in die EU aufgebaut, der angeblich aus gebrauchtem Speiseöl des lokalen Unternehmens J* K*. hergestellt wurde. Dieses „gebrauchte Speiseöl" wurde vorgeblich zuvor aus den USA nach H* und I* importiert. In Wirklichkeit war dieser Biodiesel bereits in den USA ohne zwischenzeitliche Verarbeitungs- oder Produktionsschritte in H* und I* hergestellt worden. In vielen Fällen (siehe unten) waren Unternehmen der E* F* M* vertragliche Bindungen mit J* K* zum Kauf und Import von Biodiesel „hergestellt in H* und I*" eingegangen und hat sich die besagte Group in ihrem Webauftritt mit ihren europaweiten Geschäftsaktivitäten, einschließlich der Sammlung und des Handels von gebrauchtem Speiseöl in ganz Europa sowie der Produktion und des Handels von Biodiesel gerühmt. In mindestens 40 Fällen wurden insgesamt circa 1.000 Tonnen dieses mutmaßlich in H* und I* hergestellten Kraftstoffes daraufhin auf dem Landweg über Kroatien und Österreich nach Deutschland im Rahmen des Versandverfahrens (Tl) transportiert und in O* zur Zollanmeldung vorgelegt, um dem lokalen Unternehmen P* GmbH (Geschäftsführer Q* R*) im Namen des österreichischen Unternehmens E* F* G* GmbH (Geschäftsführer C* D* und A* B*), das der Vertragspartner des Exporteurs J* K* war, zugestellt zu werden. In 62 weiteren Fällen wurden insgesamt circa 1.500 Tonnen desselben Biodiesels auf dem Landweg über Kroatien nach Österreich transportiert und in N*, Österreich, zur Zollanmeldung vorgelegt, um dem lokalen Unternehmen E* F* G* GmbH mit Sitz in **, Österreich, unter der Leitung von Geschäftsführer C* D*, zugestellt zu werden. Bei den für beide Lieferungen ausgewählten Incoterms und den zugrunde liegenden Verträgen handelte es sich um „DAR (Delivered at Place / Geliefert benannter Ort)", was bedeutet, dass eine Lieferung in Deutschland/Österreich von J* durchgeführt werden sollte, während das Einfuhrverfahren, einschließlich Zollanmeldungen, der E* F* G* GmbH unterlag, weshalb dieses Unternehmen gemäß Artikel 77 des Zollkodex der Union das verantwortliche abgabepflichtige Unternehmen war, obwohl es von den Diensten eines spezialisierten Transportunternehmens Gebrauch machte (Artikel 77 Abs 3).

Da sich die betreffende Zollanmeldung jedoch fälschlicherweise auf einen nicht präferenziellen Ursprung in H* und I* und einen TARIC-Code bezog, wodurch der Biokraftstoff von Antidumpingzöllen und Ausgleichszöllen befreit gewesen wäre, auch wenn dessen wahrer Erzeugungsort (USA) wahrheitsgemäß erklärt worden wäre, wurde von der zuständigen Zollbehörde nur Mehrwertsteuer auf den Import in Rechnung gestellt. Dies ergab einen Schaden von mindestens 1,295.151,11 € (445.151,11 € an nicht eingezogenen Abgaben in Deutschland und 850.000 € in Österreich). Ein 25 %-Anteil der Gesellschaft P* GmbH befindet sich im Besitz der slowakischen Gesellschaft E* F* G* s.r.o. co KS (Geschäftsführer C* D*, österreichischer Staatsbürger), die selbst auch die Muttergesellschaft der österreichischen Gesellschaft E* F* G* GmbH (Geschäftsführer ebenso C* D* sowie der österreichische Staatsbürger A* B*) ist. E* F* G* s.r.o. co KS wurde manchmal von A* B* vertreten, obwohl seine offizielle Funktion ausschließlich in der E* F* G* GmbH lag. E* F* G* GmbH selbst war sowohl die Vertragspartnerin des angeblichen Herstellungsunternehmens J* K*. in H* und I* und verantwortlich für die Zollerklärung in O* als auch die Empfängerin für manche der Waren, die in O* angemeldet wurden, obwohl diese danach zurück nach Österreich transportiert werden mussten, um den Warenempfänger zu erreichen. Weiters gibt es Hinweise darauf, dass dieselbe Art von Vereinbarung ebenso mit anderen Empfängergesellschaften in Deutschland durchgeführt wurde und schlussendlich war E* F* G* GmbH Empfängerin dieser in Österreich deklarierten Lieferungen.

Der Geschäftsführer der P* GmbH (Empfängerin in den meisten Fällen, in denen Biodiesel in O*/Deutschland verzollt wurde), Q* R*, war ursprünglich der Gründer und alleiniger Inhaber des besagten Unternehmens, das Biodiesel herstellen sollte und mit EU-Geldern subventioniert wurde. Letztendlich aufgrund von Marktentwicklungen war dieses wirtschaftlich instabil geworden, was R* dazu bewog, an einem System teilzuhaben, das die Unterschiede zwischen nationalen Steuergesetzen ausnützt, um Mineralöldiesel herzustellen und als „Schmiermittel" an osteuropäische Empfänger zu verkaufen und somit Energiesteuer und Mehrwertsteuer von ungefähr 73 Millionen € (Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Frankfurt/Main Aktenzeichen 7550 Js 216177/15 vom 31. Juli 2018) hinterzog.

Im Jahr 2018 wurde infolge dieser Entwicklungen ein 25 %-Anteil am P* GmbH von der slowakischen Gesellschaft E* F* G* s.r.o. co KS (Geschäftsführer S. L.) gekauft. Diese Gesellschaft ist die alleinige Inhaberin von E* F* G* GmbH (Geschäftsführer ebenso S. L.).

Die US-Staatsbürger U* und V* sind Inhaber der Gesellschaft J* K*., die wiederum ebenso im Besitz der US amerikanischen Lieferanten des vorgefertigten Biodiesels (W* und X* LLC), die J* K*. unter dem Deckmantel „gebrauchtes Speiseöl" belieferten, was nachfolgend an die EU als „in H* und I*" hergestellter Biodiesel reexportiert wurde. J* K*. ist selbst eine Tochtergesellschaft von W*.

All dies führt zum Beschuldigten R*, der versuchte, mit den wirtschaftlichen Schwierigkeiten seines Unternehmens umzugehen, indem er an einem illegalen System zur Begehung groß angelegter Zoll- und Steuerbetrügereien teilnahm und sich mit den weiteren Beschuldigten in einer kriminellen Organisation, die sich solchen Tätigkeiten zum Nachteil der EU und deren Mitgliedsstaaten widmet, verbündete, und dadurch künstlich „vergünstigten" Kraftstoff an den gemeinsamen Markt brachte.

Zwischenzeitig wurde durch die österreichischen Zollbehörden im Amtshilfeweg zwar eine Bestätigung der „Echtheit" des Ursprungszertifikates aus Bosnien beigeschafft. Da diese jedoch vom offenkundig in die Tathandlungen involvierten Unternehmen J* K*. selbst ausgestellt worden war, ist dieses Verfahrensergebnis nicht geeignet die übrigen Beweisergebnisse zu widerlegen.

Aufgrund des geschilderten Sachverhalts stehen die beschuldigten natürlichen und juristischen Personen im Verdacht, Straftaten, die in die Zuständigkeit der Europäischen Staatsanwaltschaft nach Artikel 22 Abs. 1 der EUStA-Verordnung iVm Artikel 3 Abs. 2 lit a c der Richtlinie 2017/1371 („PIF-Richtlinie") fallen, begangen zu haben. Die Strafbarkeit ist in Deutschland nach § 370 Abs. 1 Nr. l, Abs. 2 Nr. 3 und 373 Abs. 1 und 2 Nr. 3 deutsche Abgabenordnung § 129 deutsches StGB. In Österreich [ist sie] nach §§ 35 Abs. 2, 39 Abs. 1 lit a FinStrG, § 278 StGB gegeben.

Zu Erforderlichkeit und Rechtmäßigkeit der angeordneten Maßnahmen wurde Folgendes ausgeführt:

Bei den von der Anordnung betroffenen Adressen handelt es sich entweder um Geschäftsadressen des beschuldigten Verbandes und/oder der beschuldigten natürlichen Personen.

Aufgrund des gegen sie bestehenden Tatverdachts ist davon auszugehen, dass die Sicherstellung der unter Punkt II. angeführten Gegenstände aus Beweisgründen (§ 110 Abs. 1 Z 1 StPO) erforderlich ist, weil auf diese Weise verlässlich Rückschlüsse darüber gezogen werden können, ob es sich tatsächlich um inhaltlich unrichtige oder gefälschte Rechnungen handelte und ob diese dazu dienten, einen zu niedrigen Warenwert zum Zweck der Hinterziehung von Eingangsabgaben vorzutäuschen.

Die Anordnung der Durchsuchung ist zur Aufklärung der Straftaten erforderlich, weil im Hinblick auf den gegen die Beschuldigten bestehenden Tatverdacht nur dadurch gewährleistet werden kann, dass die gesuchten Unterlagen vollständig, ohne Verzögerung und ohne Gefährdung der Ermittlungen sichergestellt werden können.

Die Maßnahmen stehen zur Bedeutung der Sache angesichts der Strafdrohung nicht außer Verhältnis.“

Gegen die gerichtlichen Bewilligungen der Durchsuchungsanordnungen (Hausdurchsuchungen) richten sich die jeweils rechtzeitig eingebrachten und inhaltlich gleichlautenden Beschwerden der E* F* G* GmbH, des A* B* und des C* D* vom 1. Dezember 2021 (GZ 404 HR 239/21k-22 des Landesgerichts Korneuburg; GZ 354 HR 300/21y-21 des Landesgerichts für Strafsachen Wien; GZ 32 HR 224/21x-21 des Landesgerichts Wiener Neustadt; GZ 18 HR 226/21i-21 des Landesgerichts Krems an der Donau), worin – verkürzt dargestellt – das Fehlen eines Tatverdachts bzw. einer grob mangelhaften Begründung desselben, einer unzulässig weiten zeitlichen Abgrenzung der sicherzustellenden Beweisgegenstände und ein Verstoß gegen Artikel 8 MRK (Verletzung des Vertrauensverhältnisses zwischen Rechtsanwalt und Klient) moniert werden und Einspruch wegen Rechtsverletzung gegen die Anordnung und Durchführung der Sicherstellung erhoben wird. Letztlich wird auch „Widerspruch“ gegen die Weiterleitung der sichergestellten Unterlagen an die deutschen Behörden bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Beschwerden und die Einsprüche erklärt.

Der österreichische unterstützende Delegierte Europäische Staatsanwalt erklärte in seiner Stellungnahme vom 15. Februar 2022 dazu, dass den Beschwerden nicht Folge zu geben wäre, weil - zusammengefasst - die materiellen Beschwerdepunkte versagen würden, zumal durch die EUStA-VO ein neuartiger Rechtsrahmen grenzüberschreitender Ermittlungsmaßnahmen geschaffen worden wäre, der sich zwar vom bisherigen Fall der Rechtshilfe zwischen zwei Behörden unterschiedlicher Mitgliedstaaten unterschied, der Sache nach aber um eine Weiterentwicklung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung in Strafsachen darstellte, weshalb in Anlehnung an die Richtlinie über die Europäische Ermittlungsanordnung sachliche Gründe für die Ermittlungsmaßen nur im Ausstellungsstaat überprüft werden könnten. Demnach sollten die Zulässigkeitsvoraussetzungen, die nach dem Recht des betrauten (=fallführenden) Delegierten Europäischen Staatsanwalts (Artikel 28 Abs 1 und 2 EUStA-VO) zu beurteilen wären, nur durch Gerichte des dortigen Staats geprüft werden. Dies gelte auch für eine Klärung der Zuständigkeitsausübung durch die Europäische Staatsanwaltschaft. Im Mitgliedstaat des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts sollte lediglich das dortige formelle Recht bei der Durchführung der Ermittlungsmaßnahmen geprüft werden, nicht jedoch materiellrechtliche Gesichtspunkte. Fallbezogen wäre darauf hinzuweisen, dass der entsprechende Tatverdacht in der Bundesrepublik Deutschland bereits durch den zuständigen Ermittlungsrichter beim Amtsgericht München geprüft worden wäre. Dem Rechtsmittel wäre daher keine Folge zu geben.

Die Beschwerdeführer traten dem entgegen und führten im Wesentlichen aus, dass nach ihrer Ansicht in Österreich keine Straftat vorliegen bzw. ein hinreichender Anfangsverdacht gegen die genannten Beschuldigten fehlen würde, weshalb die österreichische Zollbehörde zu Recht auf eine „Problematik für eine strafrechtliche Beweis- und Nachvollziehbarkeit“ hingewiesen hätte. Ausgehend davon mangle es aber jedenfalls an Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit der angeordneten Durchsuchungen (Äußerung vom 14. März 2022).

Im Hinblick auf den nicht eindeutigen Regelungsinhalt der bezughabenden Normen legte das Beschwerdegericht dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Artikel 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:

1. Ist das Unionsrecht, insbesondere Artikel 31 Abs 3 Unterabsatz 1 und Artikel 32 der Verordnung (EU) 2017/1939 des Rates vom 12. Oktober 2017 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit zur Errichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA), so auszulegen, dass bei grenzüberschreitenden Ermittlungen im Falle notwendiger gerichtlicher Genehmigung einer im Mitgliedstaat des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts durchzuführenden Maßnahme eine Prüfung sämtlicher materieller Gesichtspunkte, wie gerichtliche Strafbarkeit, Tatverdacht, Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit, stattzufinden hat?

2. Ist bei der Prüfung zu berücksichtigen, ob die Zulässigkeit der Maßnahme bereits im Mitgliedstaat des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts von einem Gericht nach dem Recht dieses Mitgliedstaats geprüft wurde?

3. Für den Fall, dass die erste Frage verneint bzw. die zweite Frage bejaht wird, in welchem Umfang hat eine gerichtliche Prüfung im Mitgliedstaat des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts stattzufinden?

In seiner Entscheidung vom 21. Dezember 2023, AZ C-281/22, erkannte der Gerichtshof der Europäischen Union (Große Kammer) dass Artikel 31 und 32 der Verordnung (EU) 2017/1939 des Rates vom 12. Oktober 2017 dahin auszulegen sind, dass sich die Kontrolle, die in dem Fall, dass für eine zugewiesene Ermittlungsmaßnahme eine richterliche Genehmigung nach dem Recht des Mitgliedstaats des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts erforderlich ist, in diesem Mitgliedstaat vorgenommen wird, nur auf Gesichtspunkte der Vollstreckung dieser Maßnahme beziehen darf, nicht aber auf Gesichtspunkte der Begründung und Anordnung der Maßnahme, die, wenn es um einen schwerwiegenden Eingriff in die durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantierten Rechte der betroffenen Person geht, einer vorherigen Kontrolle im Mitgliedstaat des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts unterliegen müssen.

Zu den Beschwerden:

Gemäß § 119 Abs 1 StPO ist die Durchsuchung von Orten oder Gegenständen zulässig, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sich dort eine Person verbirgt, die einer Straftat verdächtig ist, oder Gegenstände oder Spuren befinden, die sicherzustellen oder auszuwerten sind. Sicherstellung kommen nach den Verfahrensvorschriften unter anderen aus Beweisgründen in Betracht (§ 110 Abs 1 Z 2 StPO).

Die gerichtliche Zuständigkeit für Ermittlungsverfahren der EUStA obliegt – gegenständlich von Relevanz - gemäß § 10 EUStA-VO dem Landesgericht, an dessen Sitz sich die Staatsanwaltschaft befindet, die für das Strafverfahren nach den §§ 20a, 25 bis 27 StPO und nach den §§ 197 und 198 des Finanzstrafgesetzes zuständig wäre. §§ 36 Abs 2 und 38 StPO sind anzuwenden.

In Heranziehung der oben angeführten Entscheidung der EuGH sind fallbezogen jedoch nur Gesichtspunkte der Vollstreckung der Maßnahme(n) zu prüfen, nicht hingegen jene der Begründung und Anordnung derselben.

Demgemäß gehen die Beschwerdeausführungen in punkto Tatverdacht samt Begründung desselben, Strafbarkeit und Verhältnismäßigkeit ins Leere, weil diese nach dem Recht des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts in dessen Staat, mithin in der BRD nach deutschem Recht, zu prüfen sind, wo auch eine entsprechende Grundrechtsprüfung stattzufinden hat.

Dass - wie von den Rechtsmittelwerbern zuletzt releviert – nach dem vorliegenden Akteninhalt, der nicht sämtliche deutschen Unterlagen enthält, eine umfassende Prüfung des für Österreich relevanten Sachverhalts in der BRD nicht erfolgte, ist nicht eindeutig bzw. ohne Belang, weil eine eventuelle Grundrechtsverletzung dort geltend gemacht werden muss, zumal die Prüfung der Anordnung nach deutschem Recht im Staat des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts zu erfolgen hat.

Der im Akt ersichtliche Umfang der von den deutschen Justizbehörden durchgeführten Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen war dem EuGH auch bekannt (Klarstellung des Oberlandesgerichts Wien vom 31. Jänner 2023), jedoch hielt dieser eindeutig fest, dass die Wahrung der Grundrechte nach der GRC Sache des Mitgliedstaats des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts ist (Rz 73) und die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den Ländern des betrauten und unterstützenden Delegierten Europäischem Staatsanwalts davon unberührt bleibt (Rz 74). Auch bei sensiblen Ermittlungsmaßen, wie der Durchsuchung von Privatwohnungen, „obliegt es dem Mitgliedstaat, zu dem der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt gehört, im nationalen Recht angemessene und ausreichende Garantien wie eine gerichtliche Kontrolle vorzusehen, um die Rechtmäßigkeit und Erforderlichkeit solcher Maßnahmen sicherzustellen “ (Rz 75).

Dies deckt sich im Wesentlichen mit dem Schlussantrag der Generalanwältin beim EuGH (S*) vom 22. Juni 2023 (Ergebnis Punkt 2.), worin ausgeführt wird, dass die Anerkennung der Maßnahme unabhängig davon sein müsse, ob diese durch eine vorherige richterliche Genehmigung durch das Gericht im Mitgliedstaat des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt gedeckt sei oder nicht.

Der anderslautenden Rechtsansicht der Rechtsmittelwerber in ihrer Äußerung zum Urteil des EuGH vom 9. Jänner 2024, die österreichische Vollstreckungsbehörde hätte die Maßnahme vorliegend an den Anordnungsstaat (BRD) wegen mangelhafter Bewilligung bzw. Kontrolle „zurückgeben“ müssen, kann somit nicht gefolgt werden, weil dies im Ergebnis wiederum zu einer nicht vorgesehenen Prüfung der Anordnung im Staat des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwaltes führen würde.

Dazu kann auch auf die Regelungen über die Europäische Ermittlungsanordnung (EEA) verwiesen werden, wonach – wie auch im Urteil des EuGH (Rz 63 und 64) festgehalten – die Beurteilung, ob die für den Erlass einer EEA erforderlichen materiellen Voraussetzungen erfüllt sind, der vollstreckenden Justizbehörde nicht zukommt (C-724/19, EU:C:C:2021:1020, Rn 53).

Somit lag der für die in Rede stehende Maßnahme einer Hausdurchsuchung notwendige einfache Tatverdacht in Ansehung der vorliegenden Anordnung der EUStA vor und wurden die österreichischen formellen Vorschriften im Hinblick auf die sachliche und örtliche Zuständigkeit – von den Beschwerdeführern nicht kritisiert – eingehalten. Auch eine Überschreitung der Anordnung wurde nicht releviert bzw. ist eine solche dem Akt nicht zu entnehmen.

Da auch keine weniger eingriffsintensive Maßnahme erkennbar ist, die zum gewünschten Erfolg geführt hätte (vgl. zur EEA § 55b Abs 1 Z 2 EU-JZG), liegt kein Grund für eine Korrektur der erstgerichtlichen Entscheidungen vor.

Eine Verletzung des Umgehungsverbots nach § 144 Abs 2 StPO ist nicht erkennbar, weil zum Zeitpunkt der Bewilligung der Hausdurchsuchungen (ex-ante-Perspektive; RIS-Justiz RS0131252) keine Tatsachen darauf hinwiesen, dass sich an den zu durchsuchenden Orten überhaupt einem Berufsgeheimnisschutz unterliegende Gegenstände befinden sollten, zumal insbesondere keine Hausdurchsuchung bei einem Rechtsanwalt angeordnet wurde.

Den Beschwerden war daher ein Erfolg zu versagen.

Zu den Einsprüchen gegen die Sicherstellungsanordnungen:

Gemäß § 106 Abs 1 Z 2 StPO steht jeder Person, die behauptet, im Ermittlungsverfahren durch (die) Staatsanwaltschaft in einem subjektiven Recht verletzt worden zu sein, weil eine Ermittlungs- oder Zwangsmaßnahme unter Verletzung von Bestimmungen dieses Gesetzes angeordnet oder durchgeführt wurde, Einspruch wegen Rechtsverletzung an das Gericht zu. Entspricht die Anklagebehörde dem Begehren nicht binnen vier Wochen oder verlangt der Einspruchswerber ausdrücklich eine Entscheidung des Gerichts, hat die Staatsanwaltschaft den bei ihr einzubringenden Einspruch mit einer allfälligen Stellungnahme dem Gericht (Einzelrichter des Landesgerichts gemäß § 31 Abs 1 Z 3 StPO) zur Entscheidung vorzulegen (Pilnacek/Stricker, WK-StPO § 106 Rz 28). Nur wenn gegen die (gerichtliche) Bewilligung einer Ermittlungsmaßnahme Beschwerde erhoben wird, ist ein Einspruch gegen deren Anordnung oder Durchführung mit der Beschwerde zu verbinden und entscheidet hierüber auch das Beschwerdegericht (§ 106 Abs 2 StPO).

Da es sich bei den beeinspruchten Sicherstellungsanordnungen gegenständlich aber um eigenständige Anordnungen der EUStA handelt, die nicht der Anordnung oder Durchführung der von den Erstgerichten bewilligten Ermittlungsmaßnahmen dienen, mithin auch nach dem Recht des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts keiner gerichtlichen Bewilligung bedürfen, ist das Beschwerdegericht zur inhaltlichen Entscheidung über die diese betreffenden Einsprüche wegen Rechtsverletzung nicht berufen.

Da die oben erläuterten Ausführungen des EuGH aber natürlich auch für die Sicherstellungsanordnung des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts gelten, beschränkt sich die Prüfungskompetenz des Einzelrichters beim jeweils zuständigen Landesgericht ebenfalls bloß auf Gesichtspunkte der Vollstreckung der Maßnahme (z.B. Überschreitung der Anordnung durch die ausführenden Organe bzw. übertriebene Gewaltausübung letzterer), nicht aber die Begründung und Anordnung derselben.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel zulässig (§ 89 Abs 6 StPO).

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