22Bs229/23x – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Strafsache gegen A* B* wegen § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Berufungen der Staatsanwaltschaft Wien und der Angeklagten wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe sowie jener der Privatbeteiligten Republik Österreich gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 10. Mai 2023, GZ 017 Hv 53/22v-39, nach der am 16. Jänner 2024 unter dem Vorsitz der Senatspräsidentin Mag. Mathes, im Beisein der Richter Mag. Hahn und Mag. Trebuch, LL.M. als weitere Senatsmitglieder, in Gegenwart der Oberstaatsanwältin HR Mag. Riener und des Privatbeteiligtenvertreters Mag. C* sowie in Anwesenheit des Verteidigers Mag. Röhsner, LL.M., jedoch in Abwesenheit der Angeklagten durchgeführten Berufungsverhandlung zu Recht erkannt:
Spruch
Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen der Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde die am ** geborene A* B* des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 und 4 StGB schuldig erkannt und hiefür nach § 288 Abs 1 StGB zu einer unter Bestimmung dreijähriger Probezeit bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt.
Unter einem wurde die Privatbeteiligte Republik Österreich gemäß § 366 Abs 2 StPO mit ihren Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesen.
Der Schuldspruch erfolgte, weil die Angeklagte am 4. Dezember 2021 in ** als Zeugin bei ihrer förmlichen Vernehmung zur Sache in einem Ermittlungsverfahren nach der Strafprozessordnung, nämlich jenem gegen D* E*, vor der Kriminalpolizei durch die wahrheitswidrige Behauptung, er habe ihr mit dem Fuß in den Bauch getreten, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt schwanger gewesen sei, wodurch sie ein Hämatom auf der rechten Seite des Bauchs erlitten habe, falsch aus.
Nach den wesentlichen erstgerichtlichen Feststellungen fand am 3. Dezember 2021 in der Wohnung der Angeklagten eine Party statt. Nach den Sachverhaltserhebungen der einschreitenden Polizeibeamten soll D* E* der Angeklagten in den Bauch getreten haben, woraufhin die Angeklagte in den frühen Morgenstunden des Folgetags nach ihrer Einwilligung von Polizisten abgeholt und zur Polizeiinspektion gebracht wurde, wo sie von einem Beamten des F* förmlich als Zeugin vernommen wurde. Nach Belehrung über Wahrheitspflicht und Opferrechte sagte B* unter anderem aus „… Währenddessen kamen G* und H* und gingen zwischen uns. D* war dann in voller Rage, trat mit seinem Fuß zwischen G* und H* in der Mitte hindurch und genau auf die rechte Seite meines Bauches … Ich habe Blutergüsse an beiden Unterarmen sowie einen blauen Fleck auf der rechten Seite meines Bauches.“ Anschließend an diese Aussage gab sie neuerlich an, sich in dieser Nacht nicht mehr untersuchen lassen zu wollen und führte erstmalig als Begründung an, dass sie aufgrund der Einnahme der Medikamente Tritico, Seroquel und Quetiapin „zu müde und zu kaputt“ sei. Zum Zeitpunkt ihrer Aussage war B* vernehmungsfähig. Sie befand sich weder in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustand noch in einem durch den Genuss von Alkohol oder den Gebrauch eines anderen berauschenden Mittels die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand. Sie war zu diesem Zeitpunkt auch in der Lage die Wahrheit anzugeben.
Daraufhin wurde das Ermittlungsverfahren gegen E*, der aufgrund auch dieser Vorwürfe in Untersuchungshaft angehalten wurde, fortgeführt. In der am 17. Februar 2022 vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien zu AZ 125 Hv 154/21i durchgeführten Hauptverhandlung entkräftete B* die von ihr erhobenen Vorwürfe insofern, als sie insbesondere deponierte, dass E* sie im Zuge des Gerangels „dann wahrscheinlich mit der Hand gestreift“ habe. Sie könne nicht sagen, ob es der Fuß gewesen sei und bestätigte abschließend, dass sie weder wisse, ob das Hämatom auf ihrem Bauch von einem Fuß oder einer Hand stammte, noch, wer ihr dieses zugefügt habe.
Bei ihrer Aussage vor der Kriminalpolizei wusste B* um ihre Pflichten als Zeugin, hielt es aber ernstlich für möglich und fand sich damit ab, dass sie im zuvor beschriebenen Sinn nicht ihre gesicherte Erinnerung kundtat und damit falsch aussagte.
Vom Erstgericht nicht festgestellt werden konnte der Umstand, dass sie wusste, dass die Verdächtigung des E* tatsächlich falsch war.
Zu diesen Feststellungen gelangte der Tatrichter im Wesentlichen aufgrund der vorliegenden Strafakten, der Depositionen der Angeklagten und des Gutachtens des Sachverständigen Dr. I* J* vom 10. November 2022 (ON 23), erörtert in der Hauptverhandlung vom 10. Mai 2023. Davon ausgehend gelangte er zu dem Schluss, dass die Angeklagte mit dem dafür notwendigen bedingten Vorsatz falsch aussagte, nicht jedoch, dass sie E* wissentlich einer Straftat falsch beschuldigen wollte. Die Feststellungen zur inneren Tatseite erschloss er aus dem objektiven Tatgeschehen, insbesondere dem Aussageverhalten der B*.
Bei der Strafbemessung wertete er keinen Umstand als erschwerend, mildernd demgegenüber den bisher ordentlichen Lebenswandel und erachtete davon ausgehend eine siebenmonatige Freiheitsstrafe als schuldangemessen und dem Unrechtsgehalt der Tat entsprechend, wobei im Hinblick auf das bisher unbescholtene Vorleben eine bedingte Nachsicht der Sanktion ausreichend sei. Ein Vorgehen nach dem 11. Hauptstück der Strafprozessordnung bzw. die Verhängung einer Geldstrafe gemäß § 37 Abs 1 StGB scheitere an spezialpräventiven Gesichtspunkten.
Die Verweisung der Privatbeteiligten Republik Österreich sei vorzunehmen, weil die Ergebnisse des Strafverfahrens nicht ausreichen würden, um verlässlich über Umfang und Berechtigung der Ersatzansprüche urteilen zu können.
Gegen dieses Urteil richten sich die jeweils rechtzeitig angemeldeten (ON 43 bis ON 45) und fristgerecht ausgeführten Berufungen der Angeklagten wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 4 und Z 9 lit a StPO), Schuld und Strafe (ON 48), der Anklagebehörde wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO), Schuld und Strafe (ON 47), sowie jene der Privatbeteiligten gegen die Verweisung auf den Zivilrechtsweg (ON 46).
Rechtliche Beurteilung
Den Rechtsmitteln kommt keine Berechtigung zu.
Was die Reihenfolge der Behandlung der Berufungspunkte und Nichtigkeitsgründe anbelangt, geht eine wegen des Ausspruchs über die Schuld erhobene Berufung einer Rüge wegen der Z 9 bis 10a des § 281 Abs 1 (§ 468 Abs 1 Z 4) StPO vor, jener wegen formeller Nichtigkeitsgründe jedoch nach (vgl. Ratz, WK-StPO § 476 Rz 9).
Entgegen der Verfahrensrüge der Angeklagten (§ 281 Abs 1 Z 4 StPO) verletzt die Abweisung des Antrags auf „Entbindung des Sachverständigen Dr. J* wegen Befangenheit und auf Bestellung eines neuen Sachverständigen“ (S 13 in ON 31) keine Verteidigungsrechte, weil die für die Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen notwendigen Voraussetzungen im Sinne des § 127 Abs 3 StPO nicht vorlagen.
Abgesehen davon stellt der Beweisantrag nicht hinreichend dar, welche konkreten Anhaltspunkte für die Annahme sprechen, dass die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens ein anderes Ergebnis erbringen würde. Das den Beweisantrag ergänzende Vorbringen in der Berufung wegen Nichtigkeit ist angesichts des sich aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrunds ergebenden Neuerungsverbots jedenfalls unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099618).
Die Mängelrüge der Staatsanwaltschaft Wien im Sinne des § 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO verschlägt, weil sich das Erstgericht sehr wohl mit den Angaben der Angeklagten auseinandersetzte (US 5 ff), mithin vielmehr eine Kritik an der Beweiswürdigung des Erstrichters nach Art einer Schuldberufung vorliegt (RIS Justiz RS0106588 [insbesondere T13]), weshalb ihr kein Erfolg beschieden sein konnte.
Zur Schuldberufung der Angeklagten hinsichtlich des Vorwurfs der falschen Beweisaussage ist auszuführen, dass es ihr nicht gelingt, die dazu vorgenommene Beweiswürdigung des Erstrichters, der sich einen persönlichen Eindruck der beteiligten Personen verschafft hatte, in relevantem Umfang in Frage zu stellen.
Vor allem konnte der Tatrichter anhand der abweichenden Aussagen der Angeklagten, insbesondere der ersten Vernehmung durch die Polizeibeamten, wo sie einen konkreten Fußtritt bei ihrer damals angenommenen Schwangerschaft schilderte, diesen Vorwurf aber im Laufe des Verfahrens immer mehr abschwächte, schlüssig darlegen, wieso er davon ausging, dass die Angeklagte bei ihrer ersten Vernehmung vor der Polizei insofern unrichtig ausgesagt, als sie den Tritt als gesicherte Erinnerung dargestellt hatte, obwohl eine solche nach ihren eigenen Angaben - nicht vorlag. Insbesondere die Passage „Da habe ich in Rage gesagt, er hat mich getreten. Ich weiß ganz genau, dass ich mich nicht erinnern kann, dass er mich getreten hat, das habe ich auch gesagt“ (S 6 in ON 18), lässt eindeutig darauf schließen, dass B* bei ihrer ersten Vernehmung einen Tritt des E* gegen ihren Bauch schilderte, was in Anbetracht der damals angenommenen Schwangerschaft auch einen besonderen Eindruck bei den Beamten, aber auch dem zuständigen Haftrichter, hinterließ.
Was die Schuldberufung der Anklagebehörde hinsichtlich der (fehlenden) Wissentlichkeit einer Verleumdung anbelangt, ist sie, genauso wie die Angeklagte, auf die ausführliche Beweiswürdigung des Erstrichters zu verweisen.
Selbst die Staatsanwaltschaft Wien gelangt in ihrem Rechtsmittel (S 3 und 5 in ON 47) zur gewünschten Feststellung, dass die Angeklagte tatsächlich nicht wusste, ob und von wem sie überhaupt getreten worden sei bzw. wodurch sie den blauen Fleck tatsächlich erlitt. Genau daraus erhellt aber, dass sie einen Fußtritt auch durch E* nicht ausschloss. Daraus ist jedoch abzuleiten, dass aus ihrer persönlichen Sicht eine wissentlich falsche Anschuldigung nicht vorlag, weil sie einen Tritt durch E* für möglich gehalten hatte.
Somit ist der reklamierte Mangel in der Beweiswürdigung des Erstrichters aber nicht zu erkennen.
Den Berufungen wegen Schuld war daher insgesamt ein Erfolg zu versagen.
Letztlich scheitert auch die Rechtsrüge der Angeklagten im Sinne des § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO, weil das Erstgericht aufbauend auf den vorliegenden Feststellungen eine zutreffende Subsumtion unter § 288 Abs 1 und Abs 4 StGB vornahm. Richtig wird zwar ausgeführt, dass eine Beweisaussage falsch ist, wenn der Aussageinhalt mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt (RIS-Justiz RS0096001), jedoch ist dieser Fall auch dann gegeben, wenn die Bezeichnung einer Aussage als sicher dargestellt wird, obgleich sich der Zeuge tatsächlich an den Vorgang nicht mehr erinnern kann ( Plöchl in WK² StGB § 288 Rz 28). Genau solche Umstände wurden aber vom Tatrichter festgestellt (US 4 f), sodass der Rechtsrüge ein Erfolg versagt bleiben musste.
Die Strafberufungen sind ebenfalls nicht berechtigt.
Der Angeklagten ist zunächst zwar zu Gute zu halten, dass sie die Tat im Rahmen mehrerer psychischer Erkrankungen beging und durch ihr geändertes Aussageverhalten in der Hauptverhandlung gegen E* maßgeblich zu dessen Freispruch beitrug (§ 34 Abs 1 Z 1 und Z 15 StGB), sie übersieht jedoch, dass der von ihr zunächst bewirkte Erfolgsunwert alles andere als minimal ist, weil ihre erste und teilweise unrichtige Aussage wesentlich dazu beitrug, dass E* mehrere Wochen in Untersuchungshaft angehalten wurde. Ob sie davon wusste oder nicht, ist ohne Belang.
Unbesonnenheit im Sinne des § 34 Abs 1 Z 7 StGB ist auszuschließen, weil B* mehrere Stunden nach dem Vorfall eigens abgeholt und zur Polizeiinspektion gebracht wurde, ihre Aussage daher nicht mehr unter unmittelbarer Einwirkung des Geschehenen und nach ausdrücklicher Belehrung über ihre Rechte und Pflichten stattfand.
Insgesamt erweist sich die vom Erstgericht mit weniger als einem Drittel der Höchststrafdrohung und zur Gänze bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe somit einer Reduktion nicht zugänglich.
Aber auch das Begehren der Anklagebehörde auf Aggravierung der Unrechtsfolge dringt nicht durch, weil es ihr nicht gelingt, weitere Erschwerungsgründe ins Treffen zu führen. Insbesondere in Anbetracht der Persönlichkeit der bislang unbescholtenen Angeklagten sollte eine mehrmonatige Freiheitsstrafe hinreichen, um spezial- aber auch generalpräventiven Aspekten Genüge zu tun.
Zuletzt verschlägt auch die Berufung der Privatbeteiligten gegen die Verweisung auf den Zivilrechtsweg, weil aus der Formulierung des Gesetzes (insbesondere §§ 67 Abs 1, 69 Abs 1 StPO) erhellt, dass zum Anschluss als Privatbeteiligter nur berechtigt ist, wer durch die Straftat in seinen Privatrechten verletzt wurde.
Privatbeteiligter kann somit nur sein, wer Opfer (§ 65 Z 1 lit c) der den Gegenstand des Verfahrens bildenden Straftat ist (Spenling, WK-StPO Vor §§ 366 379 Rz 25, 31).
Die Privatbeteiligte Republik Österreich leitet ihren Anspruch aber nicht aus einer eigenen direkten Schädigung bzw. eines ihrer Organe, sondern dem von ihr aufgrund des StEG geleisteten Entschädigungsbetrags ab, der konkret aber auf die Haftverhängung durch den zuständigen Einzelrichter – und nicht direkt das Aussageverhalten der Angeklagten - zurückzuführen ist. Die Verweisung auf den Zivilrechtsweg war daher zumindest im Ergebnis berechtigt.