5R91/23y – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Schrott-Mader als Vorsitzende sowie die Richter Mag. Jelinek und Mag. Böhm in der Rechtssache der klagenden Partei A* , geb. **, **, vertreten durch die Freudemann Vaptsarova Rechtsanwäl tinnen GmbH in Wien, wider die beklagten Parteien 1. F* OG, FN **, **, 2. H*, geb. **, **, und 3. I*, geb. **, **, alle vertreten durch Mag. Mehmet Munar, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 16.253,62 sA und Feststellung (Streitwert: EUR 5.000; Gesamtstreitwert: EUR 21.253,62), über den Rekurs der erst- und zweitbeklagten Partei gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 21.4.2023, GZ 34 Cg 42/22s-27, in nicht öffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs der erstbeklagten Partei wird nicht Folge gegeben.
Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.
Text
Begründung:
Der Kläger brachte beim Erstgericht am 23.12.2022 eine auf Schadenersatz gestützte Leistungs- und Feststellungsklage ein. Das Erstgericht stellte die Klage den Beklagten zur Klagebeantwortung zu. Nachdem innerhalb offener Frist keine Klagebeantwortung erstattet worden war, erließ es über Antrag des Klägers am 8.2.2023 ein Versäumungsurteil über das Klagebegehren (ON 6).
Der Zweit- und der Drittbeklagte sind die unbeschränkt haftenden Gesellschafter der Erstbeklagten. An die Erstbeklagte und den Zweitbeklagten wurde eine Ausfertigung des Versäumungsurteils mit nachstehendem Inhalt elektronisch abgefertigt, aus der sich insbesondere die gegenständliche Rechtssache nicht erschloss:
Mit Beschluss vom 9.2.2023 (ON 7) berichtigte das Erstgericht die Ausfertigungen des Versäumungsurteils dahin, dass es diese um die Rechtssache ergänzte und die Beklagten zur ungeteilten Hand zu den vom Kläger begehrten Leistungen und zur Zahlung der Prozesskosten verurteilte. An die Erst- und den Zweitbeklagten wurde sodann eine Ausfertigung des im Sinne des Beschlusses vom 9.2.2023 berichtigten Versäumungsurteils mit nachstehendem Inhalt elektronisch abgefertigt:
Am 14.2.2023 fasste das Erstgericht folgenden weiteren Berichtigungsbeschluss (ON 11):
„Die Ausfertigungen des Versäumungsurteiles vom 8. Februar 2023 (ON 6) werden dahingehend berichtigt, dass der Spruch insgesamt zu lauten hat:
» 1. Die beklagten Parteien sind solidarisch zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei EUR 16.253,62 samt 4 % p.a. seit 7.5.2021 zu bezahlen.
2. Es wird zwischen der klagenden Partei und den beklagten Parteien festgestellt, dass die beklagten Parteien der klagenden Partei gegenüber für sämtliche zukünftige, derzeit nicht bekannte Folgen und Schäden aus dem Sturz der klagenden Partei vom 17.2.2021 vor dem Wohnhaus in **, vollumfänglich haften.
Die beklagten Parteien sind solidarisch zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen zu Handen des Klagevertreters die mit EUR 2.911,72 (darin enthalten EUR 910 Barauslagen, EUR 333,48 USt) bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.« “
Dieser Berichtigungsbeschluss wurde an die Erstbeklagte und den Zweitbeklagten elektronisch abgefertigt. Im elektronischen Akt und im VJ-Register wurde für beide Beklagten dazu als Zustellnachweis Folgendes erfasst:
„Zustellungszeitpunkt gemäß § 35 ZustG, elektronisch hinterlegt: 20.02.2023“.
Vom Erstgericht wurde zwar eine im Sinne des Berichtigungsbeschlusses ON 11 berichtigte Ausfertigung des Versäumungsurteils hergestellt (diese findet sich im elektronischen Akt im Ordner „Ausfertigungen“). Nach dem Akteninhalt wurde diese berichtigte Ausfertigung an die Parteien aber nicht abgefertigt.
Nach mehreren erfolglosen Zustellversuchen konnte die im Sinne des Berichtigungsbeschlusses vom 14.2.2023 berichtigte Ausfertigung des Versäumungsurteils dem Dritt beklagten schließlich am 29.3.2023 zugestellt werden.
Am 11.4.2023 erhoben alle Beklagten Widerspruch gegen das Versäumungsurteil und führten dazu aus, dieses sei ihnen am 29.3.2022 zugestellt worden, sodass die 14-tägige Frist zur Erhebung des Widerspruchs noch offen stehe.
Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht den Widerspruch der Erst - und des Zweit beklagten gemäß § 397a Abs 3 ZPO zurück. Dazu führte es (zusammengefasst) aus, dass mit dem Berichtigungsbeschluss ON 11 das Versäumungsurteil erneut berichtigt worden sei. Dieser Beschluss sei der Erst- und dem Zweitbeklagten am 20.2.2023 durch elektronische Hinterlegung zugestellt worden. Der somit erst nach Ablauf der 14-tägigen Frist erhobene Widerspruch sei daher verspätet.
Dagegen richtet sich der Rekurs der Erst- und des Zweitbeklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass dem Widerspruch stattgegeben und dem Erstgericht aufgetragen werde, eine vorbereitende Tagsatzung anzuberaumen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Mit Beschluss des Rekursgerichtes vom 27.11.2023, 5 R 91/23y, wurde das aufgrund der Eröffnung des Konkursverfahrens zu 3 S 76/23f des Handelsgerichts Wien hinsichtlich der Erstbeklagten unterbrochene Rekursverfahren fortgesetzt.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs der Erstbeklagten ist nicht berechtigt.
1. Die Erstbeklagte hält der Rechtsansicht des Erstgerichts im Rekurs im Wesentlichen entgegen, dass der von ihr und dem Zweitbeklagten erhobene Widerspruch aufgrund eines Zustellmangels betreffend den Berichtigungsbeschluss ON 11 nicht verspätet sei.
2. Für die Klärung der Frage, ob der Widerspruch der Erstbeklagten gegen das Versäumungsurteil rechtzeitig war, ist aufgrund der im vorliegenden Fall erfolgten Berichtigungen des Versäumungsurteils zunächst zu klären, ob die maßgebliche Widerspruchsfrist – trotz erfolgter Berichtigungen – bereits durch die Zustellung des unberichtigten Versäumungsurteils ON 6 zu laufen begann, oder ob infolge der Berichtigungen neue Widerspruchsfristen ausgelöst wurden.
3. Dem Gesetz fehlt eine Regelung, welche Wirkung die Berichtigung eines Urteils auf den Lauf der Rechtsmittelfrist hat. Nach stRsp beginnen die Rechtsmittelfristen im Fall einer Berichtigung eines Urteils (§ 419 ZPO) im Regelfall erst mit Zustellung der berichtigten Ausfertigung zu laufen (RS0041797). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Parteien erst durch die Berichtigung einer Entscheidung volle Klarheit über deren Inhalt erlangen (RS0041797 [T27, T52]). Kombinationen aus dem Akteninhalt und auch aus dem Inhalt der Entscheidung muss eine Partei nicht anstellen, um dadurch zum richtigen Verständnis einer richterlichen Entscheidung zu gelangen (RS0041797 [T28]; 9 Ob 22/20f). Dieser Grundsatz erfährt jedoch in ebenfalls stRsp eine wesentliche Einschränkung dahin, dass die Zustellung des Berichtigungsbeschlusses bzw der korrigierten Urteilsausfertigung auf den Fristenlauf für die Einbringung eines Rechtsmittels dann keinen Einfluss nimmt, wenn auch ohne Berichtigung für den Rechtsmittelwerber über den wirklichen Inhalt der Entscheidung kein Zweifel bestehen konnte (9 Ob 33/05a mwN; RS0041797 [T1, T34, T36, T45, T49]). Diese Grundsätze gelten auch für die Frist zur Erhebung des Widerspruchs gegen ein Versäumungsurteil (vgl RS0041797 [T26]).
3.1. Der zuletzt genannte Ausnahmefall liegt hier nicht vor: Der Entscheidungswille des Erstgerichts bei Erlassung des (unberichtigten) Versäumungsurteils ON 6 war zweifellos darauf gerichtet, die Beklagten im Sinne des vom Kläger erhobenen Klagebegehrens zu verpflichten. Das unberichtigte Versäumungsurteil ON 6 umfasste in seinem Spruch zunächst jedoch nur „die beklagte Partei“ (es blieb also unklar, ob alle Beklagten oder nur einzelne Beklagte, bzw welche erfasst sein sollten). Zudem fehlte die Erwähnung einer solidarischen Haftung mehrerer Beklagter ebenso wie eine Bezugnahme auf das Feststellungsbegehren. Das im Sinne des Beschlusses vom 9.2.2023 berichtigte Versäumungsurteil erfasste dann zwar alle Beklagten und sah eine Verpflichtung zur ungeteilten Hand vor; diese richtete sich aber wiederum nicht auf das Feststellungsbegehren. Erst der Spruch des im Sinne des Beschlusses vom 14.2.2023 (ON 11) berichtigten Versäumungsurteils umfasste schließlich auch das vom Kläger gestellte Feststellungsbegehren und entsprach zur Gänze dem Klagebegehren.
3.2. Vor diesem Hintergrund bestand aber für die Parteien weder durch das Versäumungsurteil ON 6 noch durch dessen Berichtigung am 9.2.2023 Klarheit darüber, dass der Entscheidungswille des Erstgerichts auf den später mit dem Beschluss ON 11 neuerlich berichtigten Inhalt gerichtet war. Daraus folgt, dass die Berichtigung des Versäumungsurteils mit Beschluss vom 14.2.2023 jedenfalls eine neue Widerspruchsfrist für die Parteien zur Folge hatte.
4. Daher stellt sich im vorliegenden Fall – in dem nur der Berichtigungsbeschluss vom 14.2.2023, nicht jedoch die im Sinne dieses Beschlusses berichtigte Ausfertigung des Versäumungsurteils an die Erst- und den Zweitbeklagten abgefertigt wurde – die weitere Frage, ob die Widerspruchsfrist bereits durch die Zustellung des Berichtigungsbeschlusses ON 11 neuerlich in Gang gesetzt wird, oder ob dies erst durch die Zustellung des berichtigten Versäumungsurteils erfolgt. Bei Abstellen auf letzteren Zeitpunkt wäre der Widerspruch der Erstbeklagten jedenfalls rechtzeitig, weil ein berichtigtes Versäumungsurteil in der letztgültigen Fassung schon mangels Abfertigung nie zugestellt worden sein konnte. Nur wenn die neue Widerspruchsfrist bereits mit der Zustellung des Berichtigungsbeschlusses ON 11 zu laufen begonnen hätte, stellt sich die im Rekurs angesprochene Frage nach der Wirksamkeit der elektronischen Zustellung dieses Beschlusses.
4.1. Der OGH hat zu 1 Ob 59/02m darauf hingewiesen, dass diese Frage in der höchstgerichtlichen Rsp unterschiedlich gelöst wurde: Nach einer Leitlinie soll die Frist erst durch die Zustellung einer Ausfertigung der berichtigten Entscheidung beginnen (2 Ob 61/00k; 5 Ob 560/93). Nach einer anderen Leitlinie soll bereits die Zustellung des Berichtigungsbeschlusses den Fristenlauf auslösen (1 Ob 121/99x; 1 Ob 392/97x; ähnlich 9 Ob 58/01x). In der angesprochenen Entscheidung hat der OGH diese Divergenz – mangels Relevanz für den damaligen Anlassfall – allerdings nicht aufgelöst.
4.2. Nach stRsp kann ein neuer Fristenlauf aber auch dann beginnen, wenn das Gericht innerhalb offener Rechtsmittelfrist die den Parteien zugestellten Urteilsausfertigungen von Amts wegen zur Berichtigung wieder abverlangt. In diesen Fällen kommt es darauf an, ob die Parteien - etwa aufgrund einer entsprechenden Mitteilung des Gerichts oder eines bereits ergangenen, ihnen zugestellten Berichtigungsbeschlusses - vom Umfang der (beabsichtigten) Berichtigung in Kenntnis gesetzt worden sind. Bleibt für die Parteien ungewiss, in welche Richtung die Berichtigung erfolgen wird, so beginnt die Rechtsmittelfrist gegen das Urteil auch dann erst mit der Zustellung der berichtigten Ausfertigung, wenn die Berichtigung schließlich einen für die Ausführung des Rechtsmittels unerheblichen Teil der Entscheidung betrifft (2 Ob 179/09a = RS0041797 [T54]; vgl auch RS0041797 [T11, T14, T41]).
4.3. Daraus folgt, dass es für den Beginn der Rechtsmittelfristen (oder hier: der Widerspruchsfrist gegen ein Versäumungsurteil) im Fall einer Berichtigung nur auf den Zeitpunkt ankommen kann, ab dem für die Parteien volle Klarheit über den Inhalt der Entscheidung besteht (RS0041797 [T27, T52]; vgl 1 Ob 7/93). Dies kann je nach dem konkreten Einzelfall etwa auch bereits aufgrund des Inhalts des Berichtigungsbeschlusses der Fall sein, wenn die Parteien schon dadurch keine Zweifel mehr über den Umfang der in den Ausfertigungen vorzunehmenden Korrekturen haben konnten (vgl 9 Ob 58/01x zu einem Fall, in dem die Berufungsfrist nach Berichtigung bereits mit Zustellung des Berichtigungsbeschlusses selbst neu zu laufen begann).
4.4. Dies trifft auch hier zu: Das Erstgericht hat in den Berichtigungsbeschluss ON 11 den gesamten – bereits berichtigten – Spruch des Versäumungsurteils aufgenommen. Damit war den Parteien aber der Inhalt des – damit berichtigten – Versäumungsurteils vollumfänglich bekannt. Die Widerspruchsfrist für die Erstbeklagte gegen das Versäumungsurteil begann daher bereits mit Zustellung dieses Berichtigungsbeschlusses an sie neu zu laufen, weil sie schon mit dieser volle Klarheit über den Inhalt jener Entscheidung erlangt hat, die mit dem Beschluss berichtigt wurde (1 Ob 392/97x; 1 Ob 121/99x).
5. Damit ist für die Frage der Rechtzeitigkeit des gegenständlichen Widerspruchs entscheidend, ob und (wenn ja) wann der Berichtigungsbeschluss ON 11 an die Erstbeklagte wirksam zugestellt wurde:
5.1. Die Zustellung an die Erstbeklagte erfolgte gemäß § 89a Abs 3 GOG nach den Bestimmungen des 3. Abschnitts des ZustG, in denen die sogenannte „elektronische Zustellung“ geregelt ist (§§ 28 ff ZustG). Diese ermöglicht Zustellungen gemäß ZustG an einen der zugelassenen Zustelldienste, der die Weiterleitung an die bei ihm registrierten Benutzer vornimmt. Die Zustellung mit Zustellnachweis durch einen Zustelldienst wird in § 35 ZustG geregelt.
5.2. Nach § 35 Abs 1 ZustG hat der Zustelldienst den Empfänger unverzüglich davon zu verständigen, dass ein Dokument für ihn zur Abholung bereitliegt. Diese Verständigung ist an die dem Zustelldienst bekanntgegebene elektronische Adresse (E-Mail-Adresse) des Empfängers zu versenden. Die Verständigung hat unter anderem die Internetadresse zu enthalten, unter der das zuzustellende Dokument zur Abholung bereitliegt (§ 35 Abs 1 Z 2 ZustG). Wird das Dokument nicht innerhalb von 48 Stunden nach der Verständigung abgeholt, hat eine zweite Verständigung zu erfolgen (§ 35 Abs 2 ZustG). Der Zustelldienst hat das Dokument zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten (§ 35 Abs 4 ZustG). In einem solchen Fall wird den Gerichten als Zustellinformation im VJ-Register der Status „elektronisch hinterlegt“ angezeigt (VJ- Info 45/2014). Die Zustellung derart „hinterlegter“ Dokumente gilt am ersten Werktag nach der Versendung der ersten elektronischen Verständigung als bewirkt. Sie gilt als nicht bewirkt, wenn sich ergibt, dass die elektronischen Verständigungen nicht beim Empfänger eingelangt waren (§ 35 Abs 6 ZustG). Nach § 35 Abs 5 ZustG gilt ein zur Abholung bereitgehaltenes Dokument aber jedenfalls mit seiner Abholung als zugestellt.
5.3. Nach § 35 Abs 3 letzter Satz ZustG hat der Zustelldienst alle Daten über die Verständigungen gemäß Abs 1 und 2 und die Abholung des Dokuments zu protokollieren und dem Absender unverzüglich zu übermitteln; die Gesamtheit dieser Daten bilden den Zustellnachweis. Das BRZ teilte über Erhebung des Rekursgerichts mit, dass bei der Erst beklagten der 8.3.2023 als „Annahmezeitpunkt“ des Berichtigungsbeschlusses ON 11 erfasst sei. Beim „Annahmezeitpunkt“ handle es sich um jenen Zeitpunkt, an dem die Nachricht durch Login des Empfängers in „meinPostkorb“ dem Empfänger angezeigt wird. Mit diesem Zeitpunkt gelte die Zustellung laut Zustellgesetz als bewirkt.
5.4. Der Erst beklagten wurde vom Rekursgericht mit Beschluss vom 27.11.2023, 5 R 91/23y, zur Wahrung ihres rechtlichen Gehörs freigestellt, sich zu den Ergebnissen der durchgeführten Erhebungen zu den Zustellvorgängen betreffend das Versäumungsurteil vom 8.2.2023 und den Berichtigungsbeschluss vom 14.2.2023 binnen 14 Tagen schriftlich zu äußern, zu denen sie sich bislang nicht äußern konnte (vgl RS0086612; RS0041857). Davon machte sie mit ihrer fristgerechten Stellungnahme vom 18.12.2023 Gebrauch. Darin verweist sie zum einen – wie bereits im Rekurs – darauf, dass sie und der Zweitbeklagte keine Abfragemöglichkeit für elektronische Zustellungen gehabt hätten, und stellt zum anderen (erstmals) die Behauptung auf, der (bei der Erstbeklagten allein zur Abfrage elektronischer Zustellungen fähige) Zweitbeklagte sei „zum Zeitpunkt der Zustellungen“ an die Erstbeklagte ortsabwesend im Ausland gewesen und sei erst nach der Einbringung des Widerspruchs aus dem Ausland zur Abgabestelle zurückgekehrt.
5.5. Dass der Zweit beklagte über keine gültige elektronische Signatur und über kein gültiges Ausweisdokument verfügte und daher auch die Erst beklagte keine Abfragemöglichkeit für elektronische Zustellungen hatte, könnte nur eine „Abholung“ des zuzustellenden Dokuments iSd § 35 Abs 5 ZustG verhindern, weil der Zustelldienst Vorsorge zu tragen hat, dass nur der Empfänger bzw die von diesem bevollmächtigte Person das Dokument vom Server abrufen kann (vgl Bumberger/Schmid , Praxiskommentar zum Zustellgesetz § 35 K18). Eine wirksame Zustellung des Berichtigungsbeschlusses ON 11 an die Erstbeklagte nach § 35 Abs 5 ZustG scheitert im vorliegenden Fall – entgegen den „Rechts“ausführungen des BRZ zum „Annahmezeitpunkt“ – aber ohnehin daran, dass für eine „Abholung“ der Abruf des Dokuments vom Server (durch Öffnen, Download, Versenden oder Ausdruck des Dokuments) erforderlich wäre ( Bumberger/Schmid , Praxiskommentar zum Zustellgesetz § 31), was sich aus der Mitteilung des BRZ aber gerade nicht ergibt. Eine – in weiterer Folge zu prüfende – wirksame Zustellung nach § 35 Abs 6 ZustG verhindert das Fehlen einer gültigen elektronischen Signatur dagegen nicht.
5.6. Der Rechtssatz, wonach ein Rechtsmittel bis zur sicheren Widerlegung von Zweifeln die Vermutung der Rechtzeitigkeit für sich habe, ist nicht auf Fälle anzuwenden, in denen bereits eine öffentliche Urkunde über den Zustellvorgang existiert (RS0006957). Nach § 22 Abs 1 ZustG ist die Zustellung vom Zusteller auf dem Zustellnachweis (Zustellschein, Rückschein) zu beurkunden. Diese Zustellnachweise sind öffentliche Urkunden, die den Beweis erbringen, dass die Zustellung vorschriftsmäßig erfolgt ist, wenn der Zustellnachweis die gehörige äußere Form aufweist (RS0040471). Der elektronische Zustellnachweis nach § 35 Abs 3 letzter Satz ZustG ist mit dem Zustellnachweis nach § 22 ZustG vergleichbar. Die Behörde benötigt im Falle einer elektronischen Zustellung die darin enthaltenen Daten, um den Zustellzeitpunkt – der sich nach § 35 Abs 5 und 6 ZustG bestimmt – festzustellen. Aufgrund der Daten des elektronischen Zustellnachweises kann allenfalls von einer gesetzlichen Vermutung der Zustellung ausgegangen werden (vgl Bumberger/Schmid , Praxiskommentar zum Zustellgesetz § 35 K23; zur Vergleichbarkeit des elektronischen Zustellnachweises mit dem Zustellnachweis nach § 22 ZustG siehe bereits 10 ObS 7/11v [1.2.2011]).
5.7. Daher macht auch der elektronische Zustellnachweis im vorliegenden Fall grundsätzlich vollen Beweis darüber, dass die sich aus den darin enthaltenen Daten ergebenden Zustellvorgänge eingehalten wurden. Dem Empfänger steht zwar der „Gegenbeweis“ nach § 292 ZPO offen. Dazu bedarf es aber konkreter Darlegungen über den Zustellmangel und einer entsprechenden Bescheinigung. Die Zustellmängel müssen vom Adressaten zumindest glaubhaft gemacht werden (RS0040471 [T9, T13]; 2 Ob 96/07t mwN aus der Rsp).
5.8. Die Erstbeklagte bringt im Rekurs vor, das „Versäumungsurteil“ sei nur dem Drittbeklagten am 29.3.2023 zugestellt worden. Sie habe davon nur durch die Zustellung an den Drittbeklagten Kenntnis erlangt. Sie sei nie über die elektronische Hinterlegung „informiert“ worden. Damit vermag sie aber die in den übermittelten Daten protokollierte Versendung der ersten Verständigung am 17.2.2023 nicht zu widerlegen. Sofern sie mit ihrem Vorbringen meint, die erste Verständigung sei bei ihr nicht iSd § 35 Abs 6 ZustG „ eingelangt “, reicht diese pauschale Behauptung im Hinblick auf das dokumentierte Versenden der Verständigung nicht aus, um die durch den elektronischen Zustellnachweis begründete Vermutung der vorschriftsmäßigen Zustellung zu widerlegen. Abgesehen davon, dass beim Versenden der Verständigung keine Fehler iSv Bouncing Mails protokolliert wurden, führt die Erstbeklagte – und zwar auch in ihrer Stellungnahme vom 18.12.2023 – keine Gründe an, die aus ihrer Sicht dazu führen konnten, dass die Verständigung im konkreten Fall trotz feststehender Versendung nicht bei ihr einlangte. Vor diesem Hintergrund löste die pauschale Behauptung der Erstbeklagten, über die elektronische Hinterlegung nicht informiert worden zu sein, keine weiteren amtswegigen Erhebungen darüber aus, ob die laut elektronischem Zustellnachweis am 17.2.2023 versendete erste Verständigung bei ihr auch tatsächlich eingelangt ist.
5.9. Zutreffend ist, dass die Zustellung auch dann als nicht bewirkt gilt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger von den elektronischen Verständigungen keine Kenntnis hatte (§ 35 Abs 7 Z 1 ZustG). Dieser von der Erstbeklagten im Rekurs angesprochene Fall kann aber durch die behauptete ungültige elektronische Signatur nicht verwirklicht werden, war es zur Erlangung der Kenntnis von den Verständigungen doch nur erforderlich, dass Einsicht in das E-Mail-Postfach der Erstbeklagten betreffend die von ihr bekanntgegebene E-Mail-Adresse genommen wird, an die die Verständigung versendet wurde. Im Übrigen erfasst § 35 Abs 7 Z 1 ZustG nur Umstände, aufgrund derer der Empfänger keine (technische) Zugriffsmöglichkeit auf seine Empfangsgeräte hat, die er gegenüber dem Zustelldienst als elektronische Zustelladresse angegeben hat (zB defektes Handy; längerfristig kein Empfang; ua), nicht dagegen die selbst verursachte Unkenntnis mangels regelmäßiger Nachschau des Empfängers auf seinen Empfangsgeräten ( Bumberger/Schmid , Praxiskommentar zum Zustellgesetz § 35 K43, K45). Dass solche Umstände vorgelegen wären, hat die Erstbeklagte mit ihren Behauptungen, nie über die elektronische Hinterlegung „informiert“ worden zu sein, und – wegen des selbst verschuldeten Fehlens einer digitalen Signatur des Zweitbeklagten – über keine Abfragemöglichkeit zu verfügen, nicht konkret behauptet. Somit wurden auch keine konkreten Nachforschungspflichten des Gerichts darüber ausgelöst, ob sie tatsächlich keine Kenntnis von den elektronischen Verständigungen hatte.
Die der Stellungnahme vom 18.12.2023 zu entnehmende und auf § 35 Abs 7 Z 2 ZustG abzielende bloße Behauptung einer „Ortsabwesenheit“ im Ausland „zum Zeitpunkt der Zustellungen an die Erstbeklagte“ bis „nach dem eingebrachten Widerspruch“ reicht zur Darlegung der Vorschriftswidrigkeit des Zustellvorganges nicht aus (vgl 2 Ob 96/07t mwN aus der Rsp zum vergleichbaren Fall der Wirksamkeit einer Zustellung durch Hinterlegung nach § 17 Abs 3 ZustG). Solche allgemeinen Behauptungen, die im vorliegenden Fall auch durch die Ausführungen in der der Stellungnahme angeschlossenen „eidesstättigen Erklärung“ ./5 nicht näher konkretisiert werden, sind auch nicht geeignet, im Rekursverfahren die amtswegige Prüfung des Zustellvorgangs durch Anordnung von (weiteren) Erhebungen auszulösen. Maßgeblich bleibt daher der Akteninhalt im Sinne der im elektronischen Zustellnachweis enthaltenen Daten (vgl 3 Ob 60/04a; 6 Ob 181/11b). Im Übrigen geht die Erstbeklagte mit dieser Behauptung über eine bloße Stellungnahme zu den vom BRZ erhobenen Zustelldaten hinaus und bringt eine neue Tatsachenbehauptung für die Unwirksamkeit der Zustellung vor, womit sie gegen den Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels verstößt (vgl RS0041666).
5.10. Ausgehend vom maßgeblichen Akteninhalt (3 Ob 60/04a) – und damit den im elektronischen Zustellnachweis enthaltenen Daten – gilt die Zustellung des Berichtigungsbeschlusses ON 11 an die Erst beklagte daher im vorliegenden Fall als mit 20.2.2023 (erster Werktag nach der Versendung der ersten elektronischen Verständigung; § 35 Abs 6 ZustG) als bewirkt. Die weiteren Mitteilungen über den Sanierungsplan und seine Auswirkungen in der Stellungnahme vom 18.12.2023 sind für diese Frage ohne Belang.
6. Zusammengefasst ist daher ausgehend von den oben ermittelten Zustellzeitpunkten der am 11.4.2023 beim Erstgericht eingelangte Widerspruch der Erst beklagten verspätet, sodass dessen Zurückweisung durch das Erstgericht zu Recht erfolgte. Dem Rekurs war somit der Erfolg zu versagen.
7. Über die Kosten des Klägers für seine Rekursbeantwortung und seine Äußerung vom 11.8.2023 wurde bereits mit Beschluss vom 26.9.2023 erkannt.
8. Der Zulässigkeitsausspruch gründet sich auf § 528 Abs 2 Z 2 ZPO.