JudikaturOLG Wien

18Bs288/23v – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
07. Dezember 2023

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Strafsache gegen A* wegen § 107 Abs 1 StGB über die Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 24. August 2023, GZ 051 Hv 40/23h-16.1, sowie über dessen Beschwerde gegen den gleichzeitig gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO iVm § 53 Abs 1 StGB gefassten Beschluss nach der am 7. Dezember 2023 unter dem Vorsitz der Senatspräsidentin Mag. Frohner, im Beisein der Richterinnen Mag. Heindl und Mag. Primer als weitere Senatsmitglieder, in Gegenwart der Staatsanwältin Mag. Sandra Wangner, LL.M., des Angeklagten A* sowie seines Verteidigers Mag. Florian Kuch, durchgeführten öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung

I./ zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last;

II./ den

Beschluss

gefasst:

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit dem angefochtenen – auch einen rechtskräftigen Freispruch enthaltenden – Urteil wurde der am ** geborene A* des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB schuldig erkannt und nach § 107 Abs 1 StGB unter Anwendung des § 39 Abs 1a StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von acht Monaten verurteilt. Unter einem fasste das Erstgericht gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO iVm § 53 Abs 1 StGB den Beschluss, die mit Beschluss des Landesgerichts Korneuburg vom 29. März 2022, AZ 820 BE 42/22s, gewährte bedingte Entlassung (offener Strafrest: drei Monate) zu widerrufen.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat A* am 6. Mai 2023 in ** B* C* gefährlich mit zumindest einer Verletzung am Körper bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er ihm WhatsApp-Nachrichten mit dem Inhalt „ Na wart morgen 13 Uhr bin ich unten dann fetz ich dich so das du nimma auf stehst und erst mal liegen bleibst“ sowie „ Wenn sie mir bis 14 Uhr nicht eng blockt dann steh ich um 15 Uhr bei euch und Schlag dich dum und depat“ , übermittelte.

Bei der Strafbemessung wertete das Erstgericht eine einschlägige Vorstrafe erschwerend, mildernd demgegenüber keinen Umstand. Den Widerruf der bedingten Entlassung begründete das Erstgericht mit spezialpräventiven Erfordernissen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die rechtzeitig angemeldete (ON 18), in der Folge wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe ausgeführte Berufung des Angeklagten (ON 19.2), mit der er einen Freispruch, in eventu die Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Erstgericht, in eventu die gänzlich bedingte Strafnachsicht begehrt. Ebenso steht die gleichzeitig mit der Berufung erhobene Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss, mit der der Angeklagte das Absehen vom Widerruf der bedingten Entlassung fordert, zur Behandlung an.

Rechtliche Beurteilung

Beiden Rechtsmitteln kommt keine Berechtigung zu.

Bei der Behandlung der Berufungspunkte und Nichtigkeitsgründe geht eine wegen des Ausspruchs über die Schuld erhobene Berufung einer Rüge wegen der Z 9 bis 10a lit a des § 281 Abs 1 (§ 468 Abs 1 Z 4) StPO vor, jener wegen formeller Nichtigkeitsgründe jedoch nach ( Ratz , WK-StPO § 476 Rz 9).

Mit Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 5 (offenbar gemeint: zweiter Fall) StPO macht der Berufungswerber eine angebliche Unvollständigkeit der Beweiswürdigung geltend und führt dazu aus, dass das Erstgericht Beweisergebnisse unberücksichtigt gelassen habe, nämlich die Aussage des Bedrohten C* in der Hauptverhandlung vom 24. August 2023, wonach er keine Angst gehabt, von der Eifersucht des Angeklagten gewusst und diesen auch manchmal provoziert habe. Hätte sich das Erstgericht mit diesen Beweisergebnissen auseinandergesetzt, dann wäre es zum Schluss gekommen, dass es sich nicht um eine vorsätzlich ernst gemeinte Drohung, sondern nur um eine Unmutsäußerung aus Frust gehandelt habe.

Diese Ausführungen überzeugen nicht.

Unvollständig im Sinn der Z 5 ist ein Urteil dann, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene Beweisergebnisse unberücksichtigt lässt. Die fehlende Erörterung dieser Verfahrensergebnisse macht die in Hinsicht auf entscheidende Tatsachen getroffenen Feststellungen aus formalen Gründen mangelhaft. Dem Rechtsmittelgericht obliegt also die Kontrolle, ob alles aus seiner Sicht Erwägenswerte in die Begründung eingeflossen ist, nicht aber eine Überprüfung des Inhalts dieser Erwägungen. Diese ist der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld vorbehalten ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 421).

Bei der Frage, ob das Opfer tatsächlich in Furcht und Unruhe versetzt wurde, handelt es sich um keine entscheidende Tatsache, da die Besorgniseignung der Drohung eine nach einem gemischt objektiv-individuellen Maßstab zu beurteilende Rechtsfrage ist, wobei unerheblich ist, ob die Drohung beim Bedrohten tatsächlich Besorgnis erweckt hat (RIS-Justiz RS0092538; RS0092168; RS0092448; RS0092102).

Dass der Angeklagte auf B* C* eifersüchtig war und von diesem bisweilen mit Anspielungen auf das Sexualleben mit D* provoziert wurde, stellte das Erstgericht - unter Würdigung der diesbezüglichen Aussagen des Zeugen B* C* (US 8) - ohnehin fest (US 5), sodass die angebliche Unvollständigkeit diesbezüglich gar nicht vorliegt.

Mit dem ebenfalls unter der Z 5 relevierten Einwand, der Angeklagte, der sich am Tag zuvor noch mit C* getroffen habe, habe ohne entsprechende Drohungsabsicht gehandelt, wird keine formale Urteilsnichtigkeit angesprochen, weil damit in Wahrheit nicht die fehlende Erörterung in der Hauptverhandlung vorgekommener Verfahrensergebnisse, sondern die Würdigung der Beweise kritisiert wird, womit das Anfechtungsziel verfehlt wird.

Gleiches gilt für die unter dem selben Nichtigkeitsgrund getätigte Rüge, das Erstgericht habe die ADHS-Erkrankung des Angeklagten „ nicht richtig “ gewürdigt. Schon aus dem Wortlaut dieses Vorbringens geht hervor, dass der Berufungswerber eine andere Würdigung der Beweisergebnisse fordert, ohne eine aus formalen Gründen bestehende Nichtigkeit aufzuzeigen. Davon, dass der Angeklagte an ADHS leidet, ist das Erstgericht ohnehin ausgegangen (US 6 f).

Auch der Berufung wegen Schuld ist kein Erfolg beschieden.

Dazu ist vorauszuschicken, dass die freie Beweiswürdigung ein kritisch-psychologischer Vorgang ist, bei dem durch Subsumierung der Gesamtheit aller durchgeführten Beweise in ihrem Zusammenhang unter allgemeine Erfahrungssätze logische Schlussfolgerungen zu gewinnen sind ( Mayerhofer , StPO 6 § 258 E 30 f; Fabrizy / Kirchbacher , StPO 14 § 258 Rz 8). Wenn aus den vom Erstgericht aus den vorliegenden Beweisergebnissen folgerichtig abgeleiteten Urteilsannahmen auch andere für den Angeklagten günstigere Schlussfolgerungen möglich sind, so tut dies nichts zur Sache. Der Zweifelsgrundsatz stellt nämlich keine negative Beweisregel dar, die das erkennende Gericht im Fall mehrerer denkbarer Schlussfolgerungen verpflichten würde, sich durchwegs für die dem Angeklagten günstigste Variante zu entscheiden (RIS-Justiz RS0098336). Es ist daher als Akt der freien Beweiswürdigung durchaus statthaft, wenn sich der Tatrichter mit plausibler Begründung für eine für den Angeklagten ungünstigere Variante entschieden hat ( Mayerhofer , StPO 6 § 258 Rz 45).

Angesichts dieser Prämissen hat das Berufungsgericht bei der im Rahmen der Überprüfung der Beweiswürdigung in Erledigung der Schuldberufung anzustellenden Gesamtbetrachtung keine Zweifel an der Richtigkeit der Lösung der Schuldfrage, weil das Erstgericht nach einem umfangreichen Beweisverfahren und einer Würdigung aller relevanten Verfahrensergebnisse mit logisch nachvollziehbarer Begründung darlegte, warum es davon ausging, dass der Angeklagte die ihm zur Last gelegte Tat in objektiver und subjektiver Hinsicht begangen hat, wobei es auch einleuchtend erläuterte, aus welchen Erwägungen es der leugnenden Verantwortung des Angeklagten zur subjektiven Tatseite keinen Glauben schenkte.

Nicht ersichtlich ist, wieso die in der Schuldberufung hervorgehobenen Umstände, dass der Angeklagte und B* C* befreundet gewesen seien und sich am Tag davor noch getroffen hätten, gegen die festgestellte Absicht des Angeklagten, das Opfer in Furcht und Unruhe zu versetzen, sprechen sollten. Auch aus der vom Berufungswerber ins Treffen geführten Provokation durch das Opfer lässt sich nichts ableiten, was gegen den vom Erstgericht festgestellten Geschehensablauf sprechen würde, ist es doch vielmehr sogar naheliegend, dass der Angeklagte sich an C* gezielt rächen wollte, weil dieser (unstrittig) eine Beziehung mit der vom Angeklagten angebeteten D* führte und dem Angeklagten diese Beziehung mittels sexueller Anspielungen auch regelmäßig „ unter die Nase rieb “.

Ebenso wenig vermag die in der Berufung relevierte ADHS-Erkrankung des Angeklagten Zweifel an den Konstatierungen des Erstgerichts zur objektiven und vor allem auch zur subjektiven Tatseite zu wecken. Während die Berufungsschrift lediglich spekulativ und hypothetisch mögliche Reaktionsmuster von an ADHS leidenden Personen aufzeigt, setzte sich das Erstgericht eingehend mit der Vorgeschichte, dem Inhalt der Textnachrichten sowie den Begleitumständen auseinander und gelangte auf diese Weise – und überdies nach einem persönlichen Eindruck vom Angeklagten in der Hauptverhandlung - überzeugend zu den Feststellungen zum objektiven und subjektiven Tatgeschehen. Der Angeklagte verfasste am Tattag eine Unzahl an Nachrichten (mehr als 90) an das Opfer (beginnend um 00:19 Uhr sowie endend um 14:57 Uhr; ON 5.9, 12 ff), von denen viele einen latent aggressiven Unterton hatten, derbe sexuelle Anspielungen aufwiesen, Beschimpfungen enthielten und insgesamt eine Aversion gegen das Opfer als ungebetenen Nebenbuhler erkennen lassen. Vor diesem Hintergrund legen die inkriminierten Nachrichten in Übereinstimmung mit der Beweiswürdigung des Erstgerichts tatsächlich den Schluss nahe, dass es dem Angeklagten geradezu darauf ankam, das Opfer in Furcht und Unruhe zu versetzen. Für die vom Berufungswerber reklamierte Annahme einer bloß unbedachten Unmutsäußerung, die dem Angeklagten zufällig herausgerutscht ist, bieten die Begleitmodalitäten somit keinen Anlass.

Zusammengefasst gelingt es dem Berufungswerber nicht, Zweifel an den logisch deduzierten Schlussfolgerungen des Erstgerichts zu wecken, das sich einen unmittelbaren und gründlichen Eindruck sämtlicher in das Tatgeschehen involvierter Personen machte. Indem der Berufungswerber den in den Urteilsannahmen hinreichend begründeten und lebensnahen Schlussfolgerungen des Erstgerichts bloß abstrakt mögliche, für ihn günstigere Schlussfolgerungen entgegenhält, die er im Wesentlichen auf einen hypothetischen Gemütszustand des Angeklagten stützt, woraus er unschlüssig ableitet, dass tatsächlich kein Drohungsvorsatz vorgelegen sei, zeigt er keine im Rahmen der Schuldberufung aufzugreifenden Mängeln der erstgerichtlichen Beweiswürdigung auf.

Mit Rechtsrüge nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO macht der Berufungswerber einen Rechtsfehler mangels Feststellungen geltend, weil das Erstgericht zur Eignung der Drohung, beim Opfer begründete Besorgnis auszulösen, keine Konstatierungen getroffen habe.

Dabei übersieht der Berufungswerber aber, dass die Frage der Eignung einer Drohung, begründete Besorgnis einzuflößen, Gegenstand der rechtlichen Beurteilung ist, während demgegenüber die Ernstlichkeit einer sich nach ihrem Wortlaut als Drohung manifestierenden Äußerung wie auch deren Sinn- und Bedeutungsgehalt dem Tatsachenbereich angehören (RIS-Justiz RS0092448 [T5]). Auf Feststellungsebene ist bloß vorausgesetzt, dass der vom Drohenden gewollte Sinn seiner Äußerung darin lag, beim Bedrohten den Eindruck einer ernstgenommenen Ankündigung der bevorstehenden Rechtsgutbeeinträchtigung zu erwecken ( Jerabek/Ropper , WK 2 StGB § 74 Rz 34). Diese Umstände hat das Erstgericht in tadelloser Weise konstatiert (US 6).

Wenn der Berufungswerber hier erneut ins Treffen führt, dass das Opfer seinen eigenen Aussagen zufolge lediglich ein „ ungutes Gefühl “ gehabt und sich auf der Straße mehrmals umgedreht habe, was sich von der im Gesetz geforderten „Furcht und Unruhe“ deutlich unterscheide, ist ihm unter Verweis auf die obigen Ausführungen erneut zu erwidern, dass die objektive Gefährlichkeit einer Drohung, nämlich die Eignung, ob die bedrohte Person bei objektiver, unbefangener Betrachtung nach den konkreten Umständen des Falles den Eindruck gewinnen musste, der Täter sei in der Lage und willens, das Unheil zu verwirklichen, eine Rechtsfrage ist, für deren Beantwortung nicht entscheidend ist, ob die Drohung den Bedrohten tatsächlich in Furcht versetzt hat. Auch wenn das Opfer daher zB angibt, keine Angst gehabt oder die Drohung kaum erst genommen zu haben, kann eine gefährliche Drohung vorliegen ( Schwaighofer , WK 2 StGB § 105 Rz 61, 63). Wie die Oberstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme somit zutreffend anmerkt, führt der Berufungswerber die Rechtsrüge nicht prozessordnungsgemäß aus, wenn er das ausschließlich subjektive Empfinden des Opfers der Gefährlichkeitseignung gleichzusetzen sucht und dem als Tatfrage zu beurteilenden Bedeutungsinhalt der Drohung mit einer Verletzung am Körper sowie deren Ernstlichkeit neuerlich lediglich durch Vornahme eigener beweiswürdigender Erwägungen begegnet.

Schließlich scheitert auch die Berufung wegen Strafe. Das Erstgericht hat die Strafzumessungskriterien vollständig und richtig in Anschlag gebracht und im Hinblick auf den nach § 39 Abs 1a StGB erweiterten Strafrahmen (Erhöhung des Höchstmaßes der angedrohten Freiheitsstrafe um die Hälfte; in casu daher: eineinhalb Jahre Freiheitsstrafe) auch auch einer schuld- und tatangemessenen Gewichtung unterzogen.

Die geforderte bedingte Strafnachsicht verbietet sich aufgrund des einschlägig getrübten Vorlebens des Angeklagten (ON 8), der auch bereits Hafterfahrungen aufweist, und der offensichtlichen Wirkungslosigkeit bisheriger teils in Schwebe gehaltener, teils vollzogener Sanktionen, wobei auch die Rechtswohltat der Bewährungshilfe offenkundig ohne Wirkung blieb. Für die in § 43 Abs 1 StGB geforderte Annahme hinkünftiger Straffreiheit bei bloßer Androhung der Freiheitsstrafe bieten das Vorleben des Angeklagten, die Art der Tat und die Person des Rechtsbrechers somit keine Anhaltspunkte.

Zuletzt dringt der Angeklagte auch mit seiner Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss nicht durch. Die Umstände, dass der Angeklagte, nachdem er aus einer zweijährigen Freiheitsstrafe unter Beigebung von Bewährungshilfe im Mai 2022 bedingt entlassen worden war, ungeachtet seines offenen Strafrests von drei Monaten nur ein Jahr später wiederum einschlägig delinquierte, wobei er sich zuletzt auch dem Einfluss seines Bewährungshelfers trotz der klaren Indikation für Bewährungshilfe und Psychotherapie immer mehr entzogen und keinen der vereinbarten Termine (weder bei der Bewährungshilfe noch bei der Männerberatung; AS 3/ON 39 im Beiakt 186 BE 157/22a des Landesgerichts für Strafsachen Wien) mehr wahrgenommen hatte, zeigen eindrucksvoll, dass der Angeklagte ihm gewährte Vertrauensvorschüsse nicht ausreichend ernst nimmt und unterstützende Begleitmaßnahmen ohne gewünschten Effekt bleiben, sodass es zusätzlich zum Vollzug der nunmehr verhängten Freiheitsstrafe auch der Verbüßung des offenen Strafrests bedarf, um die dringend erforderliche Verhaltenskorrektur beim Angeklagten zu bewirken.

Es ist daher spruchgemäß zu entscheiden.

Rückverweise