JudikaturOLG Wien

18Bs276/23d – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
07. Dezember 2023

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Strafsache gegen A* B* wegen § 107 Abs 1 StGB über die Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 7. Juli 2023, GZ 42 Hv 35/23z-9.2, nach der am 7. Dezember 2023 unter dem Vorsitz der Senatspräsidentin Mag. Frohner, im Beisein der Richterinnen Mag. Lehr und Mag. Primer als weitere Senatsmitglieder und in Gegenwart der Staatsanwältin Mag. Wagner, LL.M., jedoch in Abwesenheit des Angeklagten A* B* durchgeführten öffentlichen, mündlichen Berufungsverhandlung zu Recht erkannt:

Spruch

Die Berufung wegen Nichtigkeit wird zurückgewiesen, jener wegen Schuld nicht Folge geben.

Der Berufung wegen Strafe wird mit der Maßgabe, dass die Freiheitsstrafe gemäß §§ 31, 40 StGB unter Bedachtnahme auf das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 24. Mai 2023, rechtskräftig 30. Mai 2023, AZ 41 Hv 3/23m, als Zusatzstrafe anzusehen ist, nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am ** in C* geborene österreichische Staatsbürger A* (richtig:) B* der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB schuldig erkannt und unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach dieser Gesetzesstelle zu einer gemäß § 43 Abs 1 StGB für die Dauer einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Monaten verurteilt.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat A* B* am 20. April 2023 in C* Nachgenannte zumindest mit einer Verletzung am Körper gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, und zwar

1. D*, indem er im Zuge eines Telefonats sinngemäß ankündigte, ihn umzubringen und seine Ehefrau und Tochter zu vergewaltigen;

2. E* B*, indem er via Textnachricht ankündigte, ihn zu töten.

Bei der Strafbemessung wertete die Erstrichterin als erschwerend eine einschlägige Vorstrafe und als mildernd die Enthemmung durch Alkohol sowie das reumütige Geständnis.

Dagegen richtet sich eine unmittelbar nach der Urteilsverkündung wegen Nichtigkeit und Schuld angemeldete (ON 9.1,10), in der Folge jedoch unausgeführt gebliebene Berufung des Angeklagten.

Über die Berufung ist wie im Spruch ersichtlich zu erkennen.

Da der Angeklagte weder bei der Anmeldung der Berufung noch innerhalb offener Rechtsmittelfrist (§ 467 Abs 1 StPO) ausdrücklich erklärte, durch welche Punkte des Erkenntnisses er sich beschwert findet und welche Nichtigkeitsgründe er geltend machen will, war auf die Berufung wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe gemäß § 467 Abs 2 iVm § 489 Abs 1 StPO keine Rücksicht zu nehmen. Dem angefochtenen Urteil haftet im Übrigen auch keine gemäß den §§ 290 Abs 1, 489 Abs 1 StPO von Amts wegen wahrzunehmende Nichtigkeit an, zumal die im Urteil enthaltene (aktenfremde) Feststellung zur Eignung (US 2: „.. wobei die Drohung geeignet war, F* begründete Besorgnis, die Angeklagte werde ihn töten, einzuflößen, was der Angeklagte wusste “) - wie die Oberstaatsanwaltschaft Wien in ihre Stellungnahme zutreffend ausführt - mangels Relevanz dahinstehen kann.

Die Berufung wegen Nichtigkeit ist daher zurückzuweisen.

Bei der Berufung wegen Schuld, Strafe und des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche genügt hingegen die bloße Angabe, das Urteil anzufechten. Das Rechtsmittelgericht muss – auch ohne Vorbringen – alle für den Standpunkt des Berufungswerbers sprechenden Argumente aus eigenem in Anschlag bringen, außer der Berufungswerber hätte hinsichtlich einzelner Argumente unmissverständlich eine Einschränkung gemacht ( Ratz in WK-StPO § 467 Rz 2) bzw außerhalb der Ausführungsfrist erstattetes Vorbringen berücksichtigen.

Im Rahmen der Schuldberufung ist vom Rechtsmittelgericht prüfen, ob das Erstgericht für das Verfahren wesentliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse einer nachvollziehbaren und den Denkgesetzen entsprechenden Würdigung unterzog und die wesentlichen Gründe für die entsprechenden Tatsachenfeststellungen in gedrängter Form zur Darstellung brachte. Dabei gilt: Die freie Beweiswürdigung ist ein kritisch-psychologischer Vorgang, bei dem durch Subsumierung der Gesamtheit der durchgeführten Beweise in ihrem Zusammenhang unter allgemeine Erfahrungsgrundsätze logische Schlussfolgerungen zu gewinnen sind ( Mayerhofer , StPO 6 § 258 E 30f; Fabrizy/Kirchbacher , StPO 14 § 258 Rz 8). Wenn aus den vom Erstgericht aus den vorliegenden Beweisergebnissen folgerichtig abgeleiteten Urteilsannahmen auch andere, für den Angeklagten günstigere Schlussfolgerungen möglich sind, tut dies nichts zur Sache. Die Frage der Glaubwürdigkeit des Angeklagten und der Zeugen sowie die Beweiskraft ihrer Aussage sind der freien richterlichen Beweiswürdigung vorbehalten. Aus dem Grundsatz „ in dubio pro reo “ lässt sich nämlich keine negative Beweisregel ableiten, die das erkennende Gericht – im Falle mehrerer denkbarer Schlussfolgerungen – verpflichten würde, sich für die aus Sicht des Angeklagten günstigste Variante zu entscheiden (RIS-Justiz RS0098336).

Gemessen an diesen Grundsätzen kommt der Schuldberufung keine Berechtigung zu. Die Einzelrichterin stützte ihre Feststellungen nachvollziehbar auf die letztlich zu beiden Fakten geständige Einlassung des Angeklagten in Verbindung mit den im Akt enthaltenen Screenshots der inkriminierten Chatverläufe sowie der für glaubwürdig befundenen Aussage des Zeugen D*, der in der Hauptverhandlung auch einen Screenshot jenes Dienstmobiltelefons vorweisen konnte, aus welchem sich der Anruf mit der Telefonnummer des Berufungswerbers ergab. Die subjektive Tatseite leitete die Erstrichterin mängelfrei aus den äußeren Tatumständen ab.

Dieser aktenkonformen Beweiswürdigung konnte sich das Berufungsgericht anschließen. Da somit auch das Rechtsmittelgericht bei der im Rahmen der Überprüfung der Beweiswürdigung in Erledigung der Schuldberufung anzustellenden Gesamtbetrachtung keine Zweifel an der erstrichterlichen Lösung der Schuldfrage hegt, hat der Schuldspruch Bestand.

Rechtliche Beurteilung

Zur (impliziten) Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die Strafe:

Voranzustellen ist, dass der Berufungswerber mit am 30. Mai 2023 in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 24. Mai 2023, AZ 41 Hv 3/23m, des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, zweier Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB, zweier Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB sowie des Vergehens der Verleumdung nach § 297 Abs 1 erster Fall StGB schuldig erkannt und hiefür unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 105 Abs 1 StGB zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen à 4 Euro (gesamt 720 Euro), im Nichteinbringungsfall 90 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe, sowie einer gemäß § 43a Abs 2 StGB für die Dauer einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt wurde.

Nach dem Inhalt des Bedachtnahmeurteils hat A* B* in C*

I./ am 6. November 2022 die G*

A./ durch Versetzen von Schlägen ins Gesicht, wodurch sie blutende Kratzwunden an der rechten Wange erlitt, vorsätzlich am Körper verletzt;

B./ durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper zu einer Handlung oder Unterlassung zu nötigen versucht, und zwar

1./ aufzuhören, zu weinen, indem er nach der zu A./ beschriebenen Tat zu ihr sagte: „ Wenn du nicht aufhörst zu weinen, dann werde ich dich umbringen!

2./ seinen Anruf anzunehmen, indem er ihr schrieb: „I ch hab dich gesehen, heb ab. Wenn nicht, werde ich dich umbringen! “;

C./ mit einer Verletzung am Körper gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, und zwar

1./ indem er ihr vor der zu A./ beschriebenen Tat schrieb: „ Wenn ich dich irgendwo sehe ich breche dir deine beine so das du nicht mehr gehen kannst!

2./ indem er nach der zu A./ beschriebenen Tat zu ihr sagte „ Die Schläge, die du bekommen hast, werden nicht das letzte sein. “,

II./ am 16. Februar 2023 G* dadurch der Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt, dass er sie einer von Amts wegen zu Verfolgenden mit Strafe bedrohten Handlung, nämlich des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB falsch verdächtigte, wobei er wusste, dass die Verdächtigung falsch ist, indem er in der Hauptverhandlung vor dem Landesgericht Wiener Neustadt angab, sie habe ihm einen Schraubenzieher an den Hals gesetzt und ihn dadurch mit einer Verletzung am Körper gefährlich bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen.

Bei dieser Verurteilung wurde im Rahmen der Strafzumessung mildernd die teilweise geständige Verantwortung, erschwerend hingegen die einschlägige Vorstrafe und das Zusammentreffen von mehreren Vergehen gewertet.

Auf dieses Urteil wäre bereits im gegenständlich angefochtenen Ersturteil gemäß §§ 31, 40 StGB Bedacht zu nehmen gewesen.

Wird jemand, der bereits zu einer Strafe verurteilt wurde, wegen einer anderen Tat verurteilt, die nach der Zeit ihrer Begehung schon in dem früheren Verfahren hätte abgeurteilt werden können, so ist gemäß § 31 Abs 1 StGB innerhalb der dort normierten Grenzen eine Zusatzstrafe zu verhängen, deren Bemessung (samt Möglichkeit des Absehens von einer zusätzlichen Strafe) § 40 StGB regelt. Da bei Verhängung einer Zusatzstrafe zu ermitteln ist, welche Strafe bei gemeinsamer Aburteilung zu verhängen gewesen wäre, sind bei der solcher Art vorzunehmenden gedanklichen Ermittlung der Strafhöhe für den Fall der Aburteilung sämtlicher Taten in einem Urteil demnach auch alle Strafzumessungsgründe miteinzubeziehen, die das Vorurteil betrafen (RIS-Justiz RS0091425).

Fallbezogen ist die Strafzumessung daher – innerhalb der im § 31 StGB bestimmten Grenzen nach den Kriterien des § 40 StGB – mit Rücksicht auf die neu hinzugekommenen Strafzumessungsgründe nach Maßgabe jener vorzunehmen, die im damaligen Verfahren (richtigerweise) heranzuziehen waren ( Ratz in WK² StGB § 40 Rz ).

Die besonderen Strafzumessungsgründe sind aggravierend dahin zu ergänzen, dass dem Berufungswerber - abgesehen von den mehreren Vergehen im Bedachtnahmeurteil - auch gegenständlich zwei Vergehen der gefährlichen Drohung zur Last liegen, womit ihm insgesamt iSd § 33 Abs 1 Z 1 StGB das Zusammentreffen von acht Vergehen zur Last liegt, sowie die Tatbegehung während anhängigen Strafverfahrens. Ebenfalls zu Ungunsten des Berufungswerbers ist zu korrigieren, dass seine „ Enthemmung durch Alkohol “ zu den Tatzeitpunkten angesichts der ihm bekannten aggressionsteigernden Wirkung von Alkohol auf ihn (siehe ON 9.1,4) nicht mildernd wirkt, sodass B* nach den Umständen ein Vorwurf aus dem Konsum von Alkohol gemacht werden muss.

Angesichts des zur Verfügung stehenden Strafrahmens nach § 107 Abs 1 StGB von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder 720 Tagessätzen, erweist sich die knapp oberhalb des untersten Drittels dieses Strafrahmens ausgemessene Sanktion von vier Monaten Freiheitsstrafe daher auch unter dem Aspekt der nunmehr erforderlichen Verhängung als Zusatzstrafe als tat- und schuldangemessen.

Die Verhängung einer Geldstrafe scheitert mit Blick auf die zweifache Tatbegehung ebenso an spezialpräventiven Erwägungen wie ein diversionelles Vorgehen.

Rückverweise