JudikaturOLG Wien

18Bs162/23i – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
07. Dezember 2023

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Medienrechtssache des Antragstellers A* gegen die Antragsgegnerin B* C* GmbH wegen § 7a MedienG über die Berufung der Antragsgegnerin wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 2. März 2023, GZ 116 Hv 11/22w-22, nach der am 7. Dezember 2023 unter dem Vorsitz der Senatspräsidentin Mag. Frohner, im Beisein der Richterinnen Mag. Lehr und Mag. Primer als weitere Senatsmitglieder, in Abwesenheit des Antragstellers und von organschaftlichen Vertretern der Antragsgegnerin, indes in Gegenwart deren Vertreter Mag. Donner-Reichstädter LL.M, LL.M. sowie Mag. Rest durchgeführten öffentlichen, mündlichen Berufungsverhandlung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390a Abs 1 StPO iVm §§ 8a Abs 1, 41 Abs 1 MedienG hat die Antragsgegnerin auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Gegenstand des Verfahrens sind mehrere in diversen Medien der Antragsgegnerin am 21. Dezember 2021, 12. Juni, 25. Juli und 10. September 2022 platzierte Artikel, die sich mit einem mutmaßlichen Kriminalfall, nämlich mit einer von einem Auto angefahrenen und dadurch getöteten Frau, beschäftigen und den Lebensgefährten der Frau als Verdächtigen dieser strafbaren Handlung präsentieren.

Mit dem angefochtenen Urteil sprach das Erstgericht aus, dass

I./ wegen der Veröffentlichung nachgenannter Artikel, und zwar

A./ im periodischen Druckwerk „ B*

1./ vom 21. Dezember 2021 mit dem Titel: „ Sterbende Freundin zurückgelassen

2./ vom 12. Juni 2022 mit dem Titel: „ Die Nacht, in der F*. starb

3./ vom 25. Juli 2022 mit dem Titel „ Frau überrollt: Gutachten widersprechen Aussage

4./ vom 10. September 2022 mit dem Titel “ Freundin mit Auto getötet: Fünf Monate Gefängnis

B./ im Rahmen der elektronischen Versionen des periodischen Druckwerks „ B* “, die als App für die Betriebssysteme Android und iOS angeboten werden,

1./ vom 21. Dezember 2021 mit dem Titel: „ Sterbende Freundin zurückgelassen

2./ vom 12. Juni 2022 mit dem Titel: „ Die Nacht, in der F*. starb

3./ vom 25. Juli 2022 mit dem Titel „ Frau überrollt: Gutachten widersprechen Aussage

4./ vom 10. September 2022 mit dem Titel “ Freundin mit Auto getötet: Fünf Monate Gefängnis

C./ im Rahmen der elektronischen Versionen des periodischen Druckwerks „ B* “, die in PDF-Form über die unter ** erreichbaren Website abrufbar sind

1./ vom 21. Dezember 2021 mit dem Titel: „ Sterbende Freundin zurückgelassen

2./ vom 12. Juni 2022 mit dem Titel: „ Die Nacht, in der F*. starb

3./ vom 25. Juli 2022 mit dem Titel „ Frau überrollt: Gutachten widersprechen Aussage

4./ vom 10. September 2022 mit dem Titel “ Freundin mit Auto getötet: Fünf Monate Gefängnis

jeweils in einem Medium identifizierende Angaben über den Antragsteller veröffentlicht wurden, die geeignet sind, in einem nicht unmittelbar informierten größeren Personenkreis zum Bekanntwerden der Identität seiner Person als Verdächtiger bzw Verurteilter (nach) einer gerichtlich strafbaren Handlung, nämlich der grob fahrlässigen Tötung seiner (Ex-)Freundin, zu führen, wodurch schutzwürdige Interessen des Antragstellers verletzt wurden, ohne dass wegen seiner Stellung in der Öffentlichkeit, wegen eines sonstigen Zusammenhangs mit dem öffentlichen Leben oder aus anderen Gründen ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung dieser Angaben bestanden hat (§ 7a Abs 1 Z 2 MedienG).

Zu Spruchpunkt II./ wurde die Antragsgegnerin als Medieninhaberin jeweils für die dadurch erlittene persönliche Beeinträchtigung zur Bezahlung von Entschädigungen gemäß § 8 Abs 1 MedienG verhalten, und zwar

A./ für die Veröffentlichungen im periodischen Druckwerk „ B*

zu I./A./1./ 6.000 Euro

zu I./A./2./ 4.000 Euro

zu I./A./3./ 3.000 Euro

zu I./A./4./ 2.500 Euro

gesamt daher 15.500 Euro;

B./ für die Veröffentlichungen in den für Mobilgeräte optimierten, durch die Android und iOS App verbreiteten, elektronischen Ausgaben des periodischen Druckwerks (Tageszeitung) „ B*

zu I./B./1./ 800 Euro

zu I./B./2./ 600 Euro

zu I./B./3./ 500 Euro

zu I./B./4./ 350 Euro

gesamt daher 2.250 Euro;

C./ für die via die Website (§ 1 Abs 1 Z 5a lit b MedienG) **/ verbreiteten elektronischen Ausgaben des periodischen Druckwerks (Tageszeitung) „ B*

zu I./C./1./ 800 Euro

zu I./C./2./ 600 Euro

zu I./C./3./ 500 Euro

zu I./C./4./ 350 Euro

gesamt daher 2.250 Euro;

in Summe daher 20.000 Euro.

Darüber hinaus verpflichtete das Erstgericht zu Spruchpunkt III./ die Antragsgegnerin gemäß §§ 8a Abs 1, 41 Abs 1 MedienG iVm § 389 Abs 1 StPO zur Tragung der Verfahrenskosten.

Gegen dieses Urteil richtet sich die rechtzeitig angemeldete (AS 53 in ON 21) und in der Folge fristgerecht ausgeführte Berufung der Antragsgegnerin wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe (ON 24), mit der diese die Abweisung der medienrechtlichen Anträge, in eventu die Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Erstgericht, sowie „ jedenfalls“ den Antragsteller zum Ersatz der gesamten Kosten des Verfahrens erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens zu verpflichten (Seite 23 in ON 24) begehrt.

Rechtliche Beurteilung

Der Berufung kommt keine Berechtigung zu.

Ebenso wie bereits in dem digitale Medien derselben Mediengruppe betreffenden Verfahren AZ 111 Hv 26/22i des Landesgerichts für Strafsachen Wien, AZ 18 Bs 324/22m des OLG Wien, wendet sich die Berufungswerberin zunächst mit der in der Reihenfolge als erstes zu behandelnden Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld gegen „ unvollständige und demzufolge nicht von den Ergebnissen des Beweisverfahrens gedeckte “ (Punkt 3.1. der Berufung) Feststellungen zum Umfang bzw der Chronologie der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen im Zeitpunkt der inkriminierten Veröffentlichungen. Aus dem Akteninhalt ergebe sich nämlich, dass das Strafverfahren tatsächlich ab 22. November (richtig:) 2021 bis zur Anklageerhebung im Spätsommer 2022 von der Staatsanwaltschaft wegen Mordes nach § 75 StGB geführt worden sei, zumal die Festnahmeanordnung vom 22. November 2021 von der Journalrichterin auf dieser Verdachtsgrundlage bewilligt worden sei, sich der Verteidiger des Antragstellers Dr. H* bei seiner Vollmachtsbekanntgabe am 23. November 2021 auf § 75 StGB bezogen habe und auch die Beschuldigteneinvernahme am 22. November (richtig:) 2021 wegen Mordverdachts geführt worden sei. Diese Feststellungen seien relevant, weil die nach § 7a MedienG aufgrund der Schwere der Tat vorzunehmende Interessenabwägung damit zugunsten des öffentlichen Interesses hätte ausfallen müssen.

Diese Ausführungen überzeugen nicht.

Vorauszuschicken ist, dass mit Schuldberufung in den Entscheidungsgründen festgestellte Tatsachen unter der Voraussetzung, dass sie den ergangenen Schuld- oder Freispruch nach Maßgabe rechtsrichtiger Subsumtion tragen, bekämpft werden können. Die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld zielt somit just auf Kritik an gar wohl getroffenen Feststellungen ab, während Feststellungsmängel mit einer Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld nicht releviert werden können, mithin der Geltendmachung eines materiellen Nichtigkeitsgrundes oder dessen – nur zum Vorteil des Angeklagten zulässiger – amtswegiger Wahrnehmung vorbehalten sind ( Ratz , WK-StPO § 464 Rz 8; 13 Os 81/08y).

Insoweit die Antragsgegnerin die Unvollständigkeit der erstgerichtlichen Feststellungen zum Gegenstand ihrer Schuldberufung macht, ist sie daher schon im Ansatz verfehlt.

Die zum Gang des Strafverfahrens gegen den Antragsteller getroffenen Urteilsfeststellungen halten aber auch der inhaltlichen Überprüfung stand, weil diese im Einklang mit den Beweisergebnissen, namentlich der Verlesung der dem Beiakt AZ 111 Hv 26/22i des Landegerichts für Strafsachen Wien angeschlossenen Aktenkopie des Ermittlungsaktes AZ 26 St 105/21t der Staatsanwaltschaft Korneuburg sowie den Einvernahmen des Antragstellers und des Zeugen Dr. H* zum weiteren Verfahrensgang stehen. Es bestehen somit keine Bedenken gegen diese Feststellungen.

Aber auch das weitere, gegen die erstgerichtlichen Feststellungen zur Erkennbarkeit des Antragstellers gerichtete Vorbringen der Schuldberufung (Punkt 3.2. des Rechtsmittels) überzeugt – ebenso wie bereits zu AZ 18 Bs 324/22m des OLG Wien ausgeführt - nicht:

Denn einmal mehr muss klargestellt werden, dass es keine entscheidende Tatsache betrifft, ob der Antragsteller aufgrund der inkriminierten Veröffentlichungen tatsächlich angesprochen wurde (vgl Ratz in WK-StPO § 464 Rz 8 und § 473 Rz 6). Die Eignung „ zum Bekanntwerden der Identität einer Person “ iSd § 7a MedienG ist nämlich nichts anderes als die Erkennbarkeit dieser Person ( Rami in WK² MedienG § 7a Rz 2/2). Dass der Betroffene tatsächlich erkannt wurde , ist nicht erforderlich ( Rami aaO Rz 3).

Insofern die Berufungswerberin darzulegen versucht, dass der Antragsteller nur für einen bereits vorab unmittelbar informierten Personenkreis erkennbar gewesen sei (siehe dazu Rami aaO Rz 4 Punkt b.), werden den wohlbegründeten erstgerichtlichen Feststellungen lediglich Spekulationen darüber, dass in der niederösterreichischen und Wiener Reiterszene bereits sehr schnell bekannt gewesen sei, dass dem Antragsteller ein Tötungsdelikt vorgeworfen werde, entgegengesetzt. An der Festellung der Erkennbarkeit, die der Erstrichter zu jeder Veröffentlichung im Einzelnen sowie aus deren Gesamtheit sorgfältig und überzeugend aus einer Fülle von veröffentlichten Detailinformationen über ihn selbst, das Opfer und deren Beziehung zueinander abgeleitet hat (US 9), bestehen im Ergebnis keine Bedenken.

Dasselbe gilt auch für die erneut (siehe wieder AZ 18 Bs 324/22m des OLG Wien) unter selektivem Herausgreifen einzelner Aussagepassagen Dr. H*s, J* K*s und L* M*s, vermeintlichen Gepflogenheiten Dr. H*s bei der Kommunikation mit Medien generell sowie der allgemeinen Lebenserfahrung geäußerte Kritik an den erstgerichtlichen Feststellungen zum fehlenden Einverständnis (des Verteidigers) des Antragstellers Dr. H* gegenüber J* K* und L* M*, hat doch weder einer der Zeugen ausgesagt, Dr. H* habe ausdrücklich sein Einverständnis zu identifizierender Berichterstattung erklärt oder einen Verzicht auf den Schutz vor selbiger abgegeben, noch legt der von beiden Zeugen geschilderte Ablauf der Telefonate oder deren zeitliche Abfolge ein Einverständnis bzw einen solchen Verzicht unmissverständlich und zweifelsfrei nahe. Damit im Einklang steht, dass letztlich in keinem der nach diesen Telefonaten veröffentlichten Artikel eine vollständige Namensnennung erfolgt ist, die ja – würde man der Aussage K*s und M*s folgen – von Seiten des Verteidigers erlaubt worden wäre.

Das Argument, dass ein Einverständnis zB aus den Umständen des Telefongesprächs zwischen Dr. H* und J* K* bzw L* M*, seiner Erfahrenheit im Umgang mit Medien und der identifizierenden Vorberichterstattung abzuleiten sei, verkennt, dass es anders als beim Ausschlussgrund nach § 7 Abs 2 Z 3 MedienG auf das – nach rechtsgeschäftlichen Regeln zu beurteilende - tatsächliche Einverständnis ankommt, und bei der (strittigen) Annahme eines schlüssigen Einverständnisses jedenfalls ein strenger Maßstab anzulegen ist ( Rami aaO Rz 28).

Da die Feststellungen zum Fehlen eines Verzichts Dr. H*s Bestand haben, erübrigt sich auch im gegenständlichen Verfahren ein Eingehen auf die Spekulationen darüber, ob die Vollmacht Dr. H*s Pressemitteilungen umfasst hat oder dazu, inwieweit dieser im gegenständlichen Verfahren vom Antragsteller von seiner Verschwiegenheitspflicht entbunden wurde.

Schließlich überzeugt aber auch die im Rahmen der Berufung wegen Schuld geäußerte Kritik an den Feststellungen zu den Umsatzeinbußen (Punkt 3.4. des Rechtsmittels) nicht:

Denn abgesehen davon, dass erneut ohne Bezugnahme auf Ergebnisse des Beweisverfahrens intensiv darüber spekuliert wird, dass die negativen Auswirkungen auf den Antragsteller nicht wegen der inkriminierten Veröffentlichungen eingetreten seien, sondern weil sich sowohl Kunden als auch Freunde wegen des bereits zuvor bekannt gewordenen Tatvorwurfs von diesem zurückgezogen hätten, bedarf es rechtlich gar keines Nachweises etwa des Scheiterns eines Geschäftsabschlusses oder einer privaten Beziehung ( Rami aaO Rz 23; Berka in Berka/Heindl/Höhne/Koukal, Mediengesetz Praxiskommentar 4 § 7a Rz 22).

Das Argument, die vom Antragsteller angegebenen Umsatzeinbußen seien unplausibel angesichts seiner in der ersten Beschuldigtenvernehmung vor der Polizei getätigten Angaben zu seiner beruflichen Situation (nämlich er sei Frühpensionist) überzeugt ebenfalls nicht, handelte es sich doch den Feststellungen zufolge lediglich um eine vorübergehende berufliche Untätigkeit aufgrund einer Verletzung (US 4 erster Absatz), welche mit den Angaben des Antragstellers zu seinen beruflichen Plänen einer selbstständigen Tätigkeit als Hufschmied nicht in unvereinbarem Widerspruch steht. Ob der Antragsteller früher „ Frühpensionist “ war oder nicht, ist daher ebenso wenig von Belang wie die von der Antragsgegnerin in den Raum gestellte Frage allfälliger Zuverdienstgrenzen.

Der Schuldberufung bleibt daher insgesamt ein Erfolg versagt.

Ebenso wenig überzeugt die auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO gestützte Rechtsrüge, mit der die Antragsgegnerin unter Punkt 2.1. der Berufung einerseits fehlende Feststellungen zu der nach § 7a Abs 1 MedienG gebotenen Interessenabwägung, zur (unverhältnismäßigen) Beeinträchtigung des Fortkommens im Sinne des § 7a Abs 2 Z 2 dritter Fall MedienG und – gemeint wohl unter dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO - zum Ausschlussgrund nach § 7a Abs 3 Z 3 MedienG einfordert, andererseits unter Punkt 2.2. der Berufung deren unrichtige rechtliche Beurteilung auf Basis der getroffenen Feststellungen rügt sowie überdies die Veröffentlichungen jeweils via App als eigene Medien kritisiert.

Ein Anspruch gemäß § 7a Abs 1 MedienG besteht nur dann, wenn schutzwürdige Interessen des Betroffenen verletzt wurden. Ist das zu bejahen, ist in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung bestanden hat, das den Anspruch entfallen lässt (negatives Tatbestandsmerkmal). Daraus folgt, dass in einem Urteil, mit dem über einen Entschädigungstatbestand abgesprochen wird, jedenfalls - und nicht nur bei Stattgebung des Antrags - Tatsachenfeststellungen zur Anspruchsvoraussetzung der Verletzung schutzwürdiger Interessen des Betroffenen zu treffen sind. Denn Voraussetzung einer Antragsabweisung ist entweder die Verneinung eines schutzwürdigen Anonymitätsinteresses des Betroffenen oder aber dessen Bejahung bei gleichzeitiger Annahme eines dieses überwiegenden Interesses der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung der identifizierenden Angaben ( Rami , WK-MedienG § 7a Rz 5).

§ 7a Abs 2 Z 2 MedienG statuiert eine unwiderlegbare gesetzliche Vermutung der Verletzung schutzwürdiger Interessen in drei Fällen (Jugendlicher, Vergehen, unverhältnismäßige Beeinträchtigung des Fortkommens), was zwar nicht von der Prüfung, ob ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung bestanden hat, enthebt, aber dazu führt, dass die schutzwürdigen Interessen des Betroffenen in der Regel höher zu bewerten sind ( Rami , WK-MedienG § 7a Rz 16/7 f).

Unter dem (hier hier einzig relevanten) Fortkommen des Betroffenen wird vor allem die Wiedereingliederung von Rechtsbrechern in die Gesellschaft in sozialer und ökonomischer Sicht, darüber hinaus auch die Berufsstellung des Betroffenen verstanden. Mit der gesetzlichen Formulierung „ beeinträchtigen kann “ wird auf eine abstrakte Gefährdung abgestellt. Das bedeutet, dass nach den konkreten Lebensumständen des Betroffenen zu prüfen ist, ob noch eine realistische Chance auf eine zeitnahe Wiedereingliederung in die Gesellschaft besteht, die durch die inkriminierte Berichterstattung unverhältnismäßig beeinträchtigt werden kann, ohne dass zB das Scheitern eines Geschäftsabschlusses oder einer privaten Beziehung nachgewiesen werden müsse ( Rami , WK MedienG § 7a Rz 22 ff).

Das Erstgericht ging – wegen des Verdachts auch nach § 75 StGB (siehe US 12) - nicht bloß von einem Vergehen iSd § 7a Abs 2 Z 2 zweiter Fall MedienG aus, sondern von einer (unwiderleglich zu vermutenden) Verletzung schutzwürdiger Interessen durch unverhältnismäßige Beeinträchtigung des Fortkommens des Antragstellers im Sinn des § 7a Abs 2 Z 2 dritter Fall MedienG. Diese unverhältnismäßige Beeinträchtigung des Fortkommens sah das Erstgericht erfüllt basierend auf den wesentlichen Feststellungen, wonach der Antragsteller (und auch seine Familie) aufgrund der inkriminierten Veröffentlichungen von mehreren Personen angesprochen worden sei, er Umsatzeinbußen erlitten habe, weil er als Hufschmied keine Aufträge mehr erhalten habe, er aus seinem Stammlokal ausgeschlossen worden sei, er Beschimpfungen habe hinnehmen müssen und mehrmals umgezogen sei (US 7).

Die Berufungswerberin rügt ebendiese Schlussfolgerung unter Zugrundelegung von ihr gewünschter anderslautender Feststellungen (Punkt 2.1.4 der Berufung). Indem sie der Sache nach Kritik an der erstrichterlichen Beweiswürdigung (zB zur Berufstätigkeit des Antragstellers) übt, zeigt sie keinen Feststellungsmangel auf, womit die Rüge nicht prozessordnungskonform ausgeführt wurde.

Dasselbe gilt für die vermeintlich rechtsfehlerhafte Beurteilung der Unverhältnismäßigkeit der Beeinträchtigung des Fortkommens des Antragstellers im Sinne des § 7a Abs 2 Z 2 dritter Fall MedienG auf Basis der getroffenen Feststellungen (Punkt 2.2.2. der Berufung), weil die Geltendmachung eines materiellen Nichtigkeitsgrundes das strikte Festhalten an den getroffenen Feststellungen voraussetzt. Indem die Berufungswerberin mehrfach mit von ihr gewünschten Sachverhaltsannahmen (zB zur Verfahrenschronologie oder zur beruflichen Tätigkeit des Antragstellers) argumentiert, verfehlt sie diesen rechtlichen Bezugsrahmen.

Ebenso wenig ist die vom Erstgericht angestellte Abwägung der schutzwürdigen Anonymitätsinteressen einerseits mit den Interessen der Öffentlichkeit an der Berichterstattung andererseits zu beanstanden.

Zu prüfen ist, ob ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an den identifizierenden Angaben bestanden hat, das sich aus der Stellung des Antragstellers in der Öffentlichkeit, wegen eines sonstigen Zusammenhangs mit dem öffentlichen Leben oder aus anderen Gründen ergeben kann.

Die Frage des Überwiegens des öffentlichen Interesses ist nach einem objektiven Maßstab zu beurteilen. Das Interesse der Öffentlichkeit muss sich gerade auf die Identität des Betroffenen beziehen. Dabei ist ein strenger Maßstab anzulegen, weil die Öffentlichkeit grundsätzlich kein rechtlich geschütztes Interesse hat, die Identität des Betroffenen zu erfahren. Das öffentliche Interesse an einer Kriminalberichterstattung allein genügt daher ebenso wenig wie der generalpräventive Aspekt der Kriminalberichterstattung allein eine Preisgabe zu rechtfertigen vermag. Vielmehr muss der Identität des Betroffenen ein eigenständiger Informationswert zukommen. Ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit aufgrund der Stellung eines Betroffenen in der Öffentlichkeit wird nach der Rechtsprechung insbesondere bei Politikern, führenden Wirtschaftstreibenden, Spitzenbeamten, Prominenten, Künstlern und Sportlern angenommen ( Rami , WK MedienG § 7a Rz 6 ff).

Ganz generell gilt, dass es bei der Abwägung zwischen den schutzwürdigen Anonymitätsinteressen eines Betroffenen einerseits und den Interessen der Öffentlichkeit, auch über die Identität der an einer Straftat Beteiligten informiert zu werden, andererseits auch auf die Dichte des Tatverdachts bzw auf den Stand des Strafverfahrens ankommen kann, weil bei einem nur geringfügigen Verdacht oder in einem frühen Verfahrensstadium den Anonymitätsinteressen des Betroffenen ein größeres Gewicht zukommt ( Berka in Berka/Heindl/Höhne/Koukal , MedienG Praxiskommentar 4 § 7a Rz 32).

Zunächst ist festzuhalten, dass weder der Antragsteller noch das Opfer noch die Straftat einen Öffentlichkeitsbezug aufweisen.

Wenn die Berufungswerberin im Bezug auf die gebotenen Abwägung erneut als fehlend rügt, das Erstgericht hätte zur Chronologie des Verfahrens feststellen müssen, dass sich das Verfahren zum Zeitpunkt der Berichterstattungen infolge bereits mehrfacher Vernehmungen des Antragstellers nicht mehr in einem ganz frühen Stadium befunden habe und das Verfahren überdies von der Staatsanwaltschaft bis zur Anklageerhebung wegen Mordes nach § 75 StGB geführt worden sei (Punkte 2.1.1. und 2.1.2 der Berufung), so ist ihr entgegen zu halten:

Mag es auch durchaus zutreffen, dass sich das Ermittlungsverfahren zu den Zeitpunkten der gegenständlichen Veröffentlichungen (die erste war einen Monat nach der Tat, die letzte unmittelbar nach dem Urteil) nicht mehr in einem (ganz) frühen Stadium befunden hat, so ist damit für die Berufungswerberin nichts gewonnen. Denn abgesehen davon, dass im Ersturteil die Führung des Ermittlungsverfahrens wegen Mordverdachts ohnedies festgestellt wurde (US 3, vgl auch US 12), hat das Gericht den Mordverdacht - ungeachtet dieser rechtlichen Qualifizierung durch die Staatsanwaltschaft - bereits mit seiner ersten Entscheidung über die Verhängung der Untersuchungshaft (US 3) – und damit lange vor der ersten der hier inkriminierten Veröffentlichungen – verneint. Die Antragsgegnerin ist somit keineswegs gezwungen, die rechtliche Beurteilung des Tatgeschehens durch die Gerichte zu „ antizipieren “ (so die Berufung Seite 8 in ON 24). Anzumerken ist überdies in diesem Zusammenhang, dass im Zeitpunkt der letzten inkriminierten Veröffentlichung am 10. September 2022 (mit der über den Ausgang der Hauptverhandlung wegen des letztlich von der Staatsanwaltschaft angeklagten Vergehens der grob fahrlässigen Tötung nach § 81 Abs 1 und 2 StGB berichtet wurde) evident nicht einmal mehr die Anklagebehörde von einem Mordverdacht ausging.

Ausgehend von den getroffenen Feststellungen ist auch nicht von einem Prävalieren des Interesses der Allgemeinheit an der Identifizierung des Antragstellers als Verdächtigen einer strafbaren Handlung auszugehen.

Richtig ist zwar, dass der Antragsteller zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der ersten drei der verfahrensgegenständlichen Artikel grundsätzlich eines schwerwiegenden Verbrechens verdächtig war, weil die Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen Mordverdachts ermittelte. Fakt ist aber auch, dass das Gericht das Tatgeschehen bei seiner Entscheidung über die Untersuchungshaft ebenfalls gleich zu Beginn des Verfahrens bereits als einen Unfall als Ausfluss einer folgenschweren Unachtsamkeit interpretierte, demzufolge einen dringenden Mordverdacht verneinte und die Tathandlung als fahrlässige Tötung qualifizierte. Daraus ergibt sich, dass die Anonymitätsinteressen des Betroffenen vorliegend deutlich überwiegen, sodass der Tatbestand des § 7a Abs 1 Z 2 MedienG als erfüllt anzusehen ist.

Die in der Berufung zitierte Lehrmeinung, wonach bei Taten, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind, eine Beeinträchtigung des Fortkommens in der Regel nicht anzunehmen sei, kann in dieser Allgemeinheit nicht geteilt werden. Das mag vielleicht für Betroffene zutreffen, die aufgrund der Tat in Haft genommen wurden und fortan ununterbrochen viele Jahre in Haft zubringen, weil schon die Haft für sich genommen eine unmittelbare Rückkoppelung auf die wirtschaftlichen Verhältnisse und die sozialen Kontakte hat, sodass eine (weitere) spürbare Beeinträchtigung dieser Parameter durch die Veröffentlichung allenfalls nicht (mehr) denkbar ist; anders gelagert ist der Fall jedoch zweifellos dann, wenn – wie hier – die Tatumstände praktisch von Beginn an unterschiedliche Deutungen zulassen, was sich rückblickend auch daran zeigt, dass lediglich eine sehr kurze Haft von wenigen Tagen erfolgte, bevor das Gericht ausgehend von einem Fahrlässigkeitsdelikt den Antragsteller enthaftete.

Schließlich versagen auch die im Rahmen der Rechtsrüge unter dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 9 lit a (richtig: lit b) StPO als unrichtig bzw fehlend monierten Feststellungen zum Ausschlussgrund nach § 7a Abs 3 Z 3 MedienG (Punkt 2.1.5 und 2.2.3. der Berufung), handelt es sich doch auch hier inhaltlich um Beweiswürdignungskritik an den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen, weshalb sich die Rüge als nicht prozessordnungskonform ausgeführt erweist.

Nicht zu überzeugen vermag zuletzt auch das ebenfalls mit Rechtsrüge geltend gemachte Argument, bei den Apps für iOs und Android handele es sich nicht um eigene Medien. Mit Blick auf die einhellige Judikatur (siehe zuletzt zB OLG Wien AZ 18 Bs 171/22m) kommt es nämlich auf das Mittel zur Verbreitung an und nicht darauf, woher die Inhalte stammen und wie die technische Ausgestaltung erfolgt.

Dem Urteil haften daher die geltend gemachten materiellen Nichtigkeiten nicht an.

Zuletzt ist auch die Berufung wegen des Aus- spruchs über die Strafe erfolglos.

Das Erstgericht hat die Entschädigungsbeträge im Lichte der Kriterien des § 8 Abs 1 MedienG angesichts der Reichweite der jeweiligen Medien, der Zeitpunkte der Veröffentlichungen und deren festgestellten negativen Auswirkungen auf das berufliche, vor allem aber auch das soziale Leben des Antragstellers, ausgewogen und differenziert ausgemessen. Der Forderung nach Reduktion der Entschädigungen ist daher nicht nachzukommen.

Insgesamt ist der Berufung daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogenen Gesetzesstellen.

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