23Bs371/23m – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat durch die Senatspräsidentin Mag. Edwards als Vorsitzende sowie den Richter Dr. Aichinger und die Richterin Mag. Staribacher als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A* wegen § 297 Abs 1 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Beschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau vom 24. November 2023, GZ 30 Hv 100/22w-58, nichtöffentlich den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Aus Anlass der Beschwerde wird der angefochtene Beschluss ersatzlos aufgehoben .
Text
Begründung
Der 43-jährige deutsche Staatsangehörige A* verbüßt derzeit bis 12. Dezember 2023 in der Justizanstalt Klagenfurt Freiheitsstrafen in der Gesamtdauer von neunundzwanzig Monaten. Bis 12. Jänner 2023 stand eine vom Landesgericht Korneuburg zu AZ 503 Hv 94/20h wegen des Vergehens der Entfremdung eines unbaren Zahlungsmittels nach § 241e Abs 1 StGB, des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 130 erster Fall StGB idF BGBl I Nr. 134/2002, der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB, des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB verhängte Freiheitsstrafe in der Dauer von achtzehn Monaten im Vollzug. Nun verbüßt er eine vom selben Gerichtshof zu AZ 512 Hv 93/21d wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB verhängte Freiheitsstrafe von elf Monaten bei urteilsmäßigem Strafende am 12. Dezember 2023 (ON 30, ON 49).
Im gegenständlichen Verfahren erhob die Staatsanwaltschaft Krems zur Zahl 6 St 153/22k am 22. November 2022 Anklage gegen A* wegen Vergehen und Verbrechen der Verleumdung nach § 297 Abs 1 erster und zweiter Fall StGB, des Vergehens der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB und der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (ON 16). Am 24. November 2023 fand eine Hauptverhandlung statt (ON 54.2.1).
Mit Antrag vom 17. November 2023 begehrte die Staatsanwaltschaft die Verhängung der Untersuchungshaft über A* wegen „§§ 297 Abs 1 ua StGB gemäß § 173 Abs 2 Z 1, 3 lit b StPO für den Fall der Enthaftung vor Rechtskraft des Urteils in diesem Verfahren …“ (ON 1.35, 1).
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 24. November 2023 verhängte das Landesgericht Krems an der Donau über den Angeklagten nach dessen Einvernahme (ON 56) die Untersuchungshaft wegen Flucht- und Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 1 und 3 lit b und c StPO mit unbefristeter Wirksamkeit und ordnete unter einem die Unterbrechung der Untersuchungshaft zur restlichen Vollziehung der Strafhaft aufgrund der mit Urteil des Landesgerichts Korneuburg zu AZ 512 Hv 93/21d verhängten Freiheitsstrafe von elf Monaten gemäß „§ 172 Abs 4 StPO“ und die Überstellung des A* nach Verbüßung der Strafhaft in Untersuchungshaft an (ON 56, 5; ON 58).
Dagegen richtet sich die unmittelbar nach Beschlussbekanntgabe erhobene (ON 56, 5) in der Folge zu ON 61.1 ausgeführte Beschwerde.
Rechtliche Beurteilung
Die Staatsanwaltschaft hat die Verhängung der Untersuchungshaft bei Gericht zu beantragen und ist dieser Antrag mit den Tatsachen, aus denen sich ergibt, dass die Verhängung der Untersuchungshaft erforderlich und verhältnismäßig ist und die jeweiligen gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, zu begründen und dem Gericht samt den Akten zu übermitteln ( Kirchbacher / Rami , WK-StPO § 173 Rz 17). Einen Zeitpunkt für die Stellung eines Antrags auf Verhängung der Untersuchungshaft sieht die StPO nicht vor. Ein solcher kann bereits mit dem Antrag auf Bewilligung der Festnahme, genauso aber auch erst in einem späteren Verfahrensstadium gestellt werden ( Nimmervoll , Haftrecht 3 Z 302 unter Verweis auf OLG Wien, 17 Bs 236/15b).
Gemäß § 173 Abs 4 StPO darf die Untersuchungshaft nicht verhängt, aufrechterhalten oder fortgesetzt werden, wenn die Haftzwecke auch durch eine gleichzeitige Strafhaft oder Haft anderer Art erreicht werden können. Wird die Untersuchungshaft dennoch verhängt, so tritt eine Unterbrechung des Strafvollzuges ein.
Da zufolge dieser Bestimmung eine zeitliche Überschneidung der Strafhaft und der Untersuchungshaft grundsätzlich nicht in Betracht kommt, ist die Untersuchungshaft regelmäßig nicht vor Ende der Strafhaft zu verhängen. Strafgefangene sind jeweils innerhalb der ersten beiden Amtsstunden des Entlassungstages zu entlassen. Endet die Strafzeit jedoch vor dem Beginn der Amtsstunden oder an einem Tag, an dem keine Amtsstunden abgehalten werden, so ist nach § 148 Abs 2 StVG so vorzugehen, als ob die Strafzeit an dem letzten vorangehenden Tag endete, an dem Amtsstunden abgehalten werden. Insoweit ist die Abwicklung einer Haftmutation der in Rede stehenden Art zwangsläufig auf überbrückende Vorkehrungen angewiesen. Eine Entscheidung „auf die Minute genau“ wird nicht möglich sein, weshalb sich die nach dem Ende der Strafhaft notwendige Vorführung des soeben Entlassenen zum entscheidenden Richter zwecks Verhängung der Untersuchungshaft als durch § 172 Abs 2 (bzw. § 174 Abs 1) StPO gesetzlich gedeckte wie auch grundrechtskonforme Provisorialmaßnahme zur Sicherung der Haftzwecke darstellt (RIS-Justiz RS0087076 zum Verhältnis Auslieferungs- und Untersuchungshaft; Nimmervoll , aaO Z 968; OLG Wien 17 Bs 254/17b). Weil die Amtsstunden der Justizanstalten regelmäßig um 08.00 Uhr morgens beginnen ist ein auf die gerade ablaufende Strafhaft gestützter Fortbestand des Freiheitsentzugs von 08.00 Uhr bis 10.00 Uhr zulässig. Innerhalb dieser Frist muss die Vernehmung durch den Ermittlungsrichters beginnen; ob sie auch in diesem Zeitraum beendet wird, ist insoweit ohne Bedeutung ( Nimmervoll , aaO Rz 968). Problemlos besteht weiters die Möglichkeit bzw. Zulässigkeit sogenannter bedingter Prozesshandlungen, indem man die Untersuchungshaft – am Tag bzw. wenige Tage zuvor – „bedingt mit dem Ende der Strafhaft zum Verfahren …“ verhängt (vgl. RIS-Justiz RS0097634 zur Zulässigkeit bedingter Prozesserklärungen). Einer vorangegangenen Festnahme des Beschuldigten bedarf es in keinem Fall, weil eine solche keine Voraussetzung der Untersuchungshaft ist.
Gegenständlich wurde die Untersuchungshaft am 24. November 2023, sohin beinahe drei Wochen vor dem Ende der am 12. Dezember 2023 um 19:25 Uhr (vgl ON 30) endenden Strafhaft verhängt. Gemäß § 173 Abs 4 StPO darf die Untersuchungshaft in solch einem Fall aber nur dann verhängt werden, wenn die Haftzwecke nicht auch durch eine gleichzeitige Strafhaft - gegebenenfalls unter Anordnung von Abweichungen durch die Staatsanwaltschaft (zweiter Satz leg.cit) - erreicht werden können. Durch die in einem angeordnete Unterbrechung der Untersuchungshaft „zur restlichen Vollziehung der Strafhaft“ gab der Erstrichter jedoch unmissverständlich zu erkennen, dass er die Haftzwecke durch die Strafhaft als erreicht ansieht. Damit entsprach die Verhängung der Untersuchungshaft zu diesem Zeitpunkt aber nicht dem Gesetz.
Es war daher aus Anlass der Beschwerde des Angeklagten der erstgerichtliche Beschluss ersatzlos zu beheben. Das Erstgericht wird zeitnah vor Ablauf der Strafhaft neuerlich über die Verhängung der Untersuchungshaft zu entscheiden haben (siehe zum Ganzen Nimmervoll , aaO Z 968).
Der Angeklagte wird mit seiner Beschwerde auf diese Entscheidung verwiesen.
Bleibt anzumerken, dass jedenfalls die Tathandlung vom 24. November 2023 (Faktum I./D./) nicht vom Antrag auf Verhängung der Untersuchungshaft durch die Anklagebehörde vom 17. November 2023 umfasst (vgl. zum Ganzen Nimmervoll , aaO Z 318 ff) sein kann.