JudikaturOLG Wien

14R93/23h – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
31. Oktober 2023

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Curd Steinhauer als Vorsitzenden sowie die Richterin Mag. a Elisabeth Bartholner und den Richter Dr. Florian Stiefsohn in der Rechtssache der klagenden Partei A* B* , **gasse **, ** C*, vertreten durch den gerichtlichen Erwachsenenvertreter Dr. D*, dieser vertreten durch die Dr. Michael Göbel Rechtsanwalts GmbH in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) E* B* , **straße **, C*, vertreten durch Mag. Christoff Beck, Rechtsanwalt in Wien, und 2.) Mag. Dr. F* G* , Rechtsanwalt, **straße **, C*, als Insolvenzverwalter der H* GmbH, FN **, wegen EUR 220.400,-- s.A., über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 21.4.2023, 18 Cg 147/19y-92, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird mit der Maßgabe bestätigt, dass der Antrag der klagenden Partei, dem Insolvenzverwalter den Rückersatz der Kosten des Rechtsstreits an die Insolvenzmasse aufzuerlegen (§ 112 Abs 2 S 2 IO), nicht abgewiesen, sondern zurückgewiesen wird.

Die Parteien haben die Kosten des Rekursverfahrens selbst zu tragen.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.

Text

Begründung:

Zwischen der Klägerin und dem Zweitbeklagten war ein Prüfungsprozess (§§ 110 ff. IO) über eine von der Klägerin behauptete Insolvenzforderung von EUR 161.000,-- s.A. anhängig. Mit Urteil vom 26.11.2022, 18 Cg 147/19y-86, den Parteien zugestellt am 29.11.2022, stellte das Erstgericht die behauptete Insolvenzforderung der Klägerin fest (Spruchpunkt 2.) und verurteilte den Zweitbeklagten zum Ersatz der mit EUR 26.629,09 bestimmten Prozesskosten der Klägerin (Spruchpunkt 5.). Das Urteil ist insofern rechtskräftig.

Am 22.12.2022 beantragte die Klägerin , gestützt auf § 112 Abs 2 S 2 IO, den Zweitbeklagten persönlich zum Rückersatz der Kosten des Rechtsstreits an die Insolvenzmasse zu verpflichten, weil er ihre Forderung mutwillig bestritten habe.

Der Zweitbeklagte beantragte in seiner vom Erstgericht freigestellten Äußerung vom 23.1.2023, den Antrag abzuweisen. Die Bestreitung sei nicht mutwillig gewesen und es fehle dem Antrag am rechtlichen Interesse.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht den Antrag mit der wesentlichen Begründung ab, der Zweitbeklagte habe die behauptete Forderung der Klägerin nicht mutwillig bestritten.

Dagegen richtet sich der Rekurs der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, den Zweitbeklagten persönlich zum Rückersatz der Kosten des Rechtsstreits an die Insolvenzmasse zu verpflichten. Hilfsweise stellt die Klägerin einen Aufhebungsantrag.

Der Zweitbeklagte beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt .

1. § 112 IO regelt nach seiner Überschrift die „Wirkung der Entscheidung“ im Rechtsstreit über die Richtigkeit und Rangordnung der im Insolvenzverfahren bestrittenen Ansprüche (Prüfungsprozess). Nach Abs 2 S 1 sind die Kosten des Rechtsstreits als Massekosten zu behandeln, insoweit der Insolvenzverwalter an der Bestreitung teilgenommen hat. Nach Abs 2 S 2 kann das Prozessgericht dem Insolvenzverwalter den Rückersatz der Kosten des Rechtsstreits an die Insolvenzmasse auferlegen, wenn er mutwillig bestritten oder Prozess geführt hat.

2.1. Strittig ist, ob eine Entscheidung des Prozessgerichts nach Abs 2 S 2 im Prüfungsprozess zu treffen ist (so Kodek in Bartsch/Pollak/Buchegger, Österreichisches Insolvenzrecht 4 § 112 Rz 19; ihm folgend Jelinek in Koller/Lovrek/Spitzer, IO § 112 Rz 15; vgl. auch OLG Wien 7 Ra 377/96d = RW0000167) oder eine separate Klage voraussetzt, zu der während des Insolvenzverfahrens nur der Stellvertreter des Insolvenzverwalters oder ein neu bestellter Insolvenzverwalter befugt ist (so Konecny in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 112 KO Rz 11; ihm folgend OLG Wien 11 R 82/16h [nicht veröffentlicht]). Der OGH hat die beiden Auslegungen in einer jüngeren Entscheidung referiert, ohne sich für eine davon entscheiden zu müssen (1 Ob 235/16i).

2.2. Das Rekursgericht folgt der ersten Ansicht: Der Wortlaut des Abs 2 spricht dafür, dass der Rückersatz dem Insolvenzverwalter gleich in der Entscheidung aufzuerlegen ist, mit der die Insolvenzmasse zum Kostenersatz verpflichtet wird (das räumt selbst Konecny, aaO, ein). Die Gesetzessystematik bestätigt diese Auslegung: § 112 Abs 2 findet sich im 5. Abschnitt des Zweiten Teils der IO, der sich mit der „Feststellung der Ansprüche“ der Insolvenzgläubiger befasst. In ihrer unmittelbaren Nähe regelt die IO den Prüfungsprozess für bestrittene Forderungen (§ 110 IO) und die Zuständigkeit für den Prüfungsprozess (§ 111 IO). Die Überschrift des § 112 IO lautet „Wirkung der Entscheidung“. Demnach gehört die Entscheidung über den Rückersatz in die Kostenentscheidung des Prüfungsprozesses. Zum selben Ergebnis führt eine teleologische Auslegung: Die Kompetenzzuweisung an das Prozessgericht hat offenbar den Zweck, ohne besonderen zusätzlichen Verfahrensaufwand über die Haftung des Insolvenzverwalters zu entscheiden ( Kodek, aaO). Diesem Zweck wird nur eine Entscheidung im Prüfungsprozess gerecht, nicht aber ein separates Verfahren.

3. Die Literatur betont, dass § 112 Abs 2 S 2 IO den Haftungstatbestand des § 81 Abs 3 IO ergänze ( Jelinek, aaO; Kodek, aaO Rz 18; Konecny, aaO). Das darf aber nicht dahingehend missverstanden werden, dass diese Bestimmung einen „echten“ Schadenersatzanspruch regeln würde: Der  Senat 7 des OLG Wien hat den Ausspruch nach § 112 Abs 2 S 2 IO überzeugend von einem solchen nach § 408 ZPO abgegrenzt und als reine Kostenentscheidung im Prüfungsprozess eingeordnet (OLG Wien 7 Ra 377/96d = RW0000167). Auch aus der Überschrift des § 112 IO – „Wirkung der Entscheidung“ –, dem Wortlaut des Abs 2 und der Gesetzessystematik folgt, dass die Entscheidung nach S 2 ein Teil der Kostenentscheidung im Prüfungsprozess ist. Ihr Gegenstand ist, ob der Insolvenzverwalter persönlich jene Kosten endgültig zu tragen hat, welche die Insolvenzmasse dem siegreichen Gläubiger zu ersetzen hat (vgl. OLG Wien 7 Ra 377/96d = RW0000167).

4. In der Literatur findet sich weiters der Hinweis, dass das Gericht über den Rückersatz nach § 112 Abs 2 S 2 IO mit Urteil oder mit gesondertem Beschluss zu entscheiden hat ( Feil, Insolvenzordnung 8 § 112 Rz 4; Jelinek, aaO; Kodek, aaO Rz 19). Das darf nicht im Sinne eines Wahlrechts des Prozessgerichts missverstanden werden. Aus der Einordnung der Rückersatzentscheidung als Teil der Kostenentscheidung und aus § 52 Abs 1 ZPO folgt vielmehr: Endet der Prüfungsprozess mit einem Urteil, das ihn vollständig erledigt, kann eine Rückersatzentscheidung nur in diesem getroffen werden. Ein gesonderter Beschluss kommt nur in Betracht, wenn das Verfahren nicht mit einem Urteil endet. Allgemein gilt also: Der Rückersatz ist dem Insolvenzverwalter in der Entscheidung aufzuerlegen, mit der die Insolvenzmasse zum Kostenersatz verpflichtet wird (vgl. Konecny, aaO). Nach der Kostenentscheidung des Prüfungsprozesses kommt ein Ausspruch nach § 112 Abs 2 S 2 IO nicht mehr in Betracht. Eine andere Beurteilung würde dazu führen, dass der Insolvenzverwalter bis zur Beendigung des Insolvenzverfahrens mit einem Ausspruch über die Rückersatzpflicht rechnen müsste, was sachlich nicht zu rechtfertigen wäre.

5.1. Aus dem bisher Gesagten folgt kein Recht der Klägerin, einen Ausspruch des Prozessgerichts nach § 112 Abs 2 S 2 IO zu beantragen. Die Literatur geht einhellig davon aus, dass die Entscheidung über den Rückersatz von Amts wegen zu treffen ist ( Jelinek, aaO; Kodek, aaO; Konency, aaO). Der Entscheidung des Senats 7 des OLG Wien lag ein amtswegiges Vorgehen des Erstgerichts zugrunde (7 Ra 377/96d = RW0000167), den Entscheidungen des  Senats 11 des OLG Wien und des OGH eine separate Klage (11 R 82/16h [nicht veröffentlicht]; 1 Ob 235/16i). Die Frage, ob der Gläubiger eine Entscheidung im Sinne des § 112 Abs 2 S 2 IO beantragen kann, wurde – soweit ersichtlich – bisher weder in der Literatur noch in der Rechtsprechung gestellt.

5.2. Nach Ansicht des Rekursgerichts lässt § 112 Abs 2 S 2 IO nur ein amtswegiges Vorgehen des Prozessgerichts und keinen Antrag des Gläubigers zu: Im Gegensatz etwa zu §§ 44, 48 ZPO, die ausdrücklich ein Vorgehen des Gerichts „auf Antrag“ regeln, erwähnt § 112 Abs 2 S 2 IO den Antrag nicht. Auch die Gesetzessystematik und der Normzweck bieten keinen Hinweis für ein Antragsrecht der Parteien. Ein Rechtsschutzdefizit ist damit nicht verbunden, weil das rechtswidrige Unterbleiben eines Ausspruchs über den Rückersatz, der nach gebundenem Ermessen (arg.: „kann“) zu treffen gewesen wäre, ohnehin mit dem Rechtsbehelf gegen die Kostenentscheidung geltend gemacht werden kann. Ob das ein Ergänzungsantrag (§§ 423, 430 ZPO) oder ein Kostenrekurs ist, kann dahingestellt bleiben, weil die Frist für beide Rechtsbehelfe 14 Tage beträgt (§§ 423 Abs 2, 521 Abs 1 ZPO).

6. Für den vorliegenden Fall ist zu schließen: Das Erstgericht erkannte der im Prüfungsprozess siegreichen Klägerin EUR 26.629,09 Kostenersatz zu (Spruchpunkt 5. des Urteils vom 26.11.2022, 18 Cg 147/19y-86). Diese Entscheidung ist in die Insolvenzmasse vollstreckbar (§ 112 Abs 2 S 1 IO). Einen Ausspruch über den Rückersatz durch den Insolvenzverwalter traf das Erstgericht nicht. Da der Klägerin kein Antragsrecht zukam, könnte ihr „Antrag“ nur dann inhaltlich behandelt werden, wenn er in einen zulässigen Rechtsbehelf gegen die im Urteil enthaltene Kostenentscheidung „umgedeutet“ werden könnte. Eine solche Umdeutung scheitert hier: Das Urteil wurde der Klägerin am 29.11.2022 zugestellt. Der „Antrag auf Verpflichtung des Insolvenzverwalters zum Rückersatz“ wurde am 22.12.2022 und damit nach dem Ablauf der 14-tägigen Frist für einen Antrag auf Urteilsergänzung bzw. einen Kostenrekurs eingebracht.

7. Der Rekurs bleibt damit erfolglos. Die Entscheidung des Erstgerichts war mit der Maßgabe zu bestätigen, dass der Antrag zurückzuweisen ist.

8. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Da der Zweitbeklagte in der Rekursbeantwortung nicht auf die Unzulässigkeit (Verspätung) des Antrags hingewiesen hat, sondern sich nur mit dem Vorwurf der Mutwilligkeit auseinandergesetzt hat, der nicht inhaltlich zu prüfen war, war die Rekursbeantwortung nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig. Ein Kostenersatz kommt daher nicht in Betracht.

9. Der Ausspruch über die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses gründet auf § 528 Abs 2 Z 3 ZPO. Wie oben dargelegt, betrifft ein Ausspruch nach § 112 Abs 2 Z 2 IO ausschließlich den Kostenpunkt; es handelt sich um einen Teil der Kostenentscheidung im Prüfungsprozess. Der Revisionsrekurs im Kostenpunkt ist absolut unzulässig.

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