Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Mag. Atria als Vorsitzenden, den Richter Mag. Pöhlmann und die Richterin Mag. Dr. Vogler sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Helmut Oberzaucher (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Sascha Ernszt (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*, geboren am **, **, vertreten durch Dr. Ingo Riß, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei D*, **, vertreten durch Mag. Miriam Kiss, ebendort, wegen Alterspension (Frühstarterbonus), über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 14.03.2023, GZ 6 Cgs 61/23p-11, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.
Die ordentliche Revision ist zulässig.
Entscheidungsgründe:
Der am B* geborene Kläger übte in den Niederlanden von 23.06.1977 bis 30.04.1996 eine Erwerbstätigkeit aus und erwarb dadurch 227 Versicherungsmonate. Von 02.05.1996 bis 30.06.2022 erwarb er in Österreich 314 Versicherungsmonate.
Mit Bescheid vom 21.09.2022 gewährte die Beklagte dem Kläger ab 01.07.2022 eine Korridorpension in Höhe von EUR 701,05 monatlich.
Mit der dagegen erhobenen Klage begehrt der Kläger eine höhere Pension, und zwar zusätzlich einen Frühstarterbonus nach § 262a ASVG. Er habe aufgrund seiner Erwerbstätigkeit in den Niederlanden vor dem Monatsersten nach Vollendung des 20. Lebensjahres 37 Beitragsmonate erworben.
Die Beklagte wendet ein, der Kläger habe sämtliche Beitragsmonate vor dem Monatsersten nach Vollendung des 20. Lebensjahres durch eine Erwerbstätigkeit in den Niederlanden erworben. Für die Höhe des Frühstarterbonus seien jedoch nur inländische, im Pensionskonto nach dem APG erfasste Beitragsmonate zu berücksichtigen.
Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Klagebegehren auf Gewährung eines Frühstarterbonus und damit einer über EUR 701,05 monatlich hinausgehenden Pension ab und wiederholte den Inhalt des bekämpften Bescheides im Urteilsspruch.
Es legte dieser Entscheidung die eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Feststellungen zugrunde. In rechtlicher Hinsicht folgerte es, dass für die Berechnung der Höhe des Frühstarterbonus nur in Österreich erworbene Beitragsmonate aus einer Erwerbstätigkeit vor dem Monatsersten nach Vollendung des 20. Lebensjahres zu berücksichtigen seien, die beim Kläger nicht vorlägen.
Dies folge insbesondere aus den Gesetzesmaterialien zum SVÄG 2020, der bisherigen Rechtsprechung des OGH zum Kinderzuschuss und zur Berechnung der Korridorpension (10 Obs 21/20s, 10 Obs 161/19b), den Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO 883/2004) und der Rechtsprechung des EuGH zum pro-rata-temporis -Grundsatz, wonach der zuständige Träger nur zur Zahlung des Teils der Leistung verpflichtet sei, der auf die nach dem von ihm anzuwendenden Rechtsvorschriften zurückgelegten Beitragszeiten entfällt (C-866/19).
Die Zusammenrechnung von Zeiten aus unterschiedlichen Mitgliedsstaaten beschränke sich auf das „Ob“ eines Rentenanspruches, nicht jedoch auf den Leistungsumfang, also das „Wie viel“. Trotz des Gebotes der Zusammenrechnung von Versicherungszeiten werde die Leistungshöhe von jedem Träger gesondert aufgrund der nach dessen Recht zurückgelegten Zeiten ermittelt.
Auch in der Literatur ( Kadlec , Kadlec/Zwinger und Sonntag ) werde vertreten, dass zwar für einen Anspruch auf einen Frühstarterbonus im zwischenstaatlichen Kontext alle in anderen Mitgliedsstaaten erworbenen Versicherungszeiten zu berücksichtigen seien, der Frühstarterbonus jedoch immer exakt in jenem Betrag gebühre, der den in Österreich erworbenen Beitragsmonaten der Pflichtversicherung aufgrund einer Erwerbstätigkeit vor dem Monatsersten nach Vollendung des 20. Lebensjahres entspreche.
Die Berufung ist nicht berechtigt .
1. In seiner einzig erhobenen Rechtsrüge führt der Berufungswerber aus, dass aus den Gesetzesmaterialien zu § 262a ASVG erkennbar sei, dass durch die neue Regelung ausdrücklich alle Beitragszeiten auf Grund einer Erwerbstätigkeit, die vor Vollendung des 20. Lebensjahres erworben wurden, besonders gewürdigt werden sollten und die Person einen „Zuschuss“ erhalten solle.
Nach Art 6 der VO 883/2004 seien Versicherungszeiten in der Pensionsversicherung aufgrund einer eigenen Erwerbstätigkeit, die in einem anderen Mitgliedsstaat zurückgelegt worden seien, für den Frühstarterbonus vollwertig zu berücksichtigen. Das pro-rata-temporis -Prinzip gelange gegenständlich nicht zur Anwendung, weil die Leistung des Frühstarterbonus nicht „auf der Grundlage von Einkünften, Beiträgen, Beitragsgrundlagen, Steigerungsbeiträgen, Entgelten, anderen Beträgen oder einer Kombination mehrerer von ihnen“ berechnet werde, sondern schlicht nach der Anzahl der Beitragsmonate.
Weder aus dem Gesetzestext noch aus den Materialien sei ableitbar, dass ausschließlich in Österreich erworbene Beitragsmonate aus einer Erwerbstätigkeit vor dem Monatsersten nach Vollendung des 20. Lebensjahres zu berücksichtigen seien. Das Erstgericht hätte daher die gesetzliche Pension inklusive Frühstarterbonus ab 01.07.2022 zuerkennen müssen.
2. Die Rechtsausführungen des Berufungswerbers überzeugen nicht. Das Berufungsgericht hält hingegen die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes, wonach bei der Berechnung der Höhe des Frühstarterbonus nur in Österreich erworbene Beitragsmonate zu berücksichtigen seien, für zutreffend, sodass gemäß § 2 Abs 1 ASGG iVm § 500a ZPO darauf verwiesen werden kann.
3. Zu ergänzen ist, dass in den von beiden Parteien zitierten Materialien zum SVÄG 2020, mit dem die Bestimmung des § 262a ASVG eingefügt wurde, ausdrücklich auf das Pensionskonto und somit auf die Höhe der Pension eines Versicherten Bezug genommen wird. Als Grund für die „besondere Würdigung“ früher Erwerbstätigkeit wird nämlich betont, dass sich diese frühen Zeiten der Erwerbstätigkeit in aller Regel nicht allzu positiv im Pensionskonto auswirken, da sie ein noch geringes Einkommen widerspiegeln und damit nur in geringer Weise zum Aufbau einer soliden Alterspension beitragen (AA-83 27. GP 10).
Daraus ist erkennbar, dass es sich beim Frühstarterbonus um eine Regelung der Höhe der Pension, also der Leistungshöhe handelt, für die nach der bereits vom Erstgericht zitierten Rechtsprechung des EuGH und des OGH der pro-rata-temporis -Grundsatz gilt. Die ausländischen Versicherungszeiten auch für die Berechnung der Höhe heranzuziehen, kommt nicht in Betracht.
Dass der Frühstarterbonus eine Regelung der Leistungshöhe darstellt, ergibt sich auch daraus, dass er „Teil der Pensionsleistung“ ist und jährlich mit der Aufwertungszahl zu vervielfachen ist (AA-83 27. GP 10).
Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahingehend abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde.
Die Beklagte beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Ebenso spricht die systematische Stellung des § 262a ASVG, nämlich unmittelbar im Anschluss an die Regelung des Kinderzuschusses und anderer Regelungen zur Höhe der Pensionsleistung, für diese Sichtweise. Dass der Kinderzuschuss iSd § 262 ASVG ein Pensionsbestandteil iwS und nicht von der anteilsmäßigen Berechnung ausgenommen ist, stellte der OGH in 10 ObS 161/19b klar.
4. Den Ausführungen des Berufungswerbers, wonach sich beim Frühstarterbonus die Höhe ausschließlich nach der Anzahl der Beitragsmonate richte, ist zu entgegnen, dass es sehr wohl denkbar ist, dass ein Versicherter die Voraussetzung der für einen Frühstarterbonus ausreichenden Beitragsmonate erfüllt und gleichzeitig nur für eine geringere Anzahl von Beitragsmonaten tatsächlich eine Leistung erhält.
So könnte ein Versicherter etwa vor dem Monatsersten nach der Vollendung des 20. Lebensjahres zehn Beitragsmonate aufgrund einer Erwerbstätigkeit im Ausland und vier Beitragsmonate aufgrund einer Erwerbstätigkeit im Inland erworben haben. Die Berücksichtigung der ausländischen Versicherungszeiten bei der Prüfung, ob die Leistung gebührt, würde dazu führen, dass er Anspruch auf einen Frühstarterbonus hat. Bei der Berechnung der Höhe des Frühstarterbonus wären jedoch nur die inländischen Beitragsmonate zu berücksichtigen, sodass dem Versicherten in diesem Fall ein Frühstarterbonus für vier Beitragsmonate zustünde. Im Ergebnis entspricht dies auch dem Grundsatz der aliquoten Berücksichtigung (pro-rata-temporis Betrachtung) bezogen auf den für den Frühstarterbonus maßgeblichen Zeitraum der vor dem 20. Geburtstag erworbenen Beitragszeiten.
5. Der Kläger hat daher durch die vor dem Monatsersten nach der Vollendung seines 20. Lebensjahres in den Niederlanden erworbenen Beitragsmonate einen Anspruch auf Frühstarterbonus dem Grunde nach erworben. Die Höhe des Frühstarterbonus richtet sich jedoch ausschließlich nach den in Österreich erworbenen Beitragsmonaten, sodass der Frühstarterbonus beim Kläger Null beträgt.
Das Erstgericht hat zutreffend nur jene Leistung zugesprochen, die unstrittig der Pensionsleistung ohne Berücksichtigung eines Frühstarterbonus entspricht (und im bekämpften Bescheid anerkannt wurde).
6. Der unberechtigten Berufung des Klägers war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 ASGG. Für einen Kostenzuspruch an den zur Gänze unterliegenden Kläger nach Billigkeit gemäß § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG ergaben sich keine Anhaltspunkte. Der Kläger hat daher die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.
Die ordentliche Revision war zuzulassen, weil – soweit überblickbar – noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage vorliegt, ob beim Frühstarterbonus nach § 262a ASVG eine Leistung auch für ausschließlich in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union erworbene Beitragsmonate vor dem Monatsersten nach der Vollendung des 20. Lebensjahres gebührt.
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