3R25/23b – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Iby als Vorsitzenden sowie die Richterin Mag. a Klenk und die Kommerzialrätin Mag. a Rodrix in der Rechtssache der klagenden Partei A* , **, Polen, vertreten durch Stolitzka Partner Rechtsanwälte OG in Wien, wider die beklagte Partei Dr. B* als Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der C* GmbH (5 S 80/13v des Handelsgerichts Wien), **, wegen Feststellung von Insolvenzforderungen (Streitwert zuletzt EUR 64.784.879,43), über die Berufung der klagenden Partei (Berufungsinteresse EUR 16.944.235,35) gegen das Teilurteil des Handelsgerichts Wien vom 12.12.2022, 33 Cg 89/17p-130, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Teilurteil aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Ergänzung des Verfahrens aufgetragen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof ist zulässig .
Text
Begründung:
Mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 19.6.2013 zu 5 S 80/13v wurde über das Vermögen der C* GmbH (in der Folge: Schuldnerin) das Sanierungsverfahren eröffnet und der Beklagte zum Masseverwalter bestellt, wobei mit Beschluss vom 4.7.2013 die Bezeichnung des Verfahrens auf Konkursverfahren abgeändert wurde. Es handelt sich um ein Hauptinsolvenzverfahren im Sinn der EuInsVO.
Die Klägerin ist die staatliche polnische Straßenverwaltung und hat mit der Schuldnerin Verträge über drei Straßenbauprojekte abgeschlossen (Projekt F*, Projekt G* und Projekt H*).
Zum Projekt F* schloss die Klägerin mit der Schuldnerin am 30.7.2010 einen Bauvertrag, dessen Subklausel 8.7 („Vertragsstrafen“) einen vertraglichen Schadenersatz von 10 % des bestätigten Vertragsbetrags für den Fall des Rücktritts aus vom Auftragnehmer zu vertretenden Gründen vorsah. Mit Schreiben vom 21.6.2013 erklärte die Klägerin gegenüber der Schuldnerin den Rücktritt von diesem Vertrag, „aus Gründen, die der Auftragnehmer zu verantworten hat“. Mit Schreiben vom 1.7.2013 trat die mit Beschluss des Handelsgerichts Wien als Insolvenzgericht bestellte besondere Verwalterin Dr. I* gemäß § 21 IO von diesem Bauvertrag zurück.
Zum Projekt G* schloss die Klägerin mit der Schuldnerin am 18.5.2011 einen Bauvertrag, dessen Subklausel 8.7 („Vertragsstrafen“) einen vertraglichen Schadenersatz von 10 % des bestätigten Vertragsbetrags für den Fall des Rücktritts aus vom Auftragnehmer zu vertretenden Gründen vorsah. Mit Schreiben vom 21.6.2013 erklärte die Klägerin gegenüber der Schuldnerin die Auflösung dieses Vertrags, „aus Gründen, die der Auftragnehmer zu verantworten hat“. Mit Schreiben vom 1.7.2013 trat die mit Beschluss des Handelsgerichts Wien als Insolvenzgericht bestellte besondere Verwalterin Dr. I* gemäß § 21 IO von diesem Bauvertrag zurück.
Die Streitteile vereinbarten in beiden Verträgen die Anwendung polnischen Rechts.
Die Klägerin begehrt die Feststellung einer Insolvenzforderung von EUR 64.784.879,43 und schlüsselt die angemeldeten Forderungen in den Punkten 1.1. bis 1.16 des Klagebegehrens betraglich auf (ON 23). Zusammengefasst gründen die Forderungsanmeldungen in von der Klägerin begehrten Vertragsstrafen, von der Klägerin gezahlter Forderungen der Subunternehmer der Schuldnerin und Schadenersatzforderungen der Klägerin weil die Schuldnerin die Arbeiten nicht verbessert hat.
Der Beklagte bestritt das Klagebegehren und beantragte die Zurückweisung bzw Abweisung der Klage. Er brachte zusammengefasst vor, dass die Forderungsanmeldungen der Klägerin weitgehend unverständlich, jedenfalls unzureichend begründet und insgesamt teilweise unschlüssig seien. Die Klage sei daher zurückzuweisen. Das Klagebegehren sei nicht ausreichend bestimmt, weil nur Teilbeträge der angemeldeten Vertragsstrafen und Subunternehmerforderungen geltend gemacht werden. Nach dem anzuwendenden polnischen Recht bestehe kein Anspruch auf die begehrten Vertragsstrafen.
Im ersten Rechtsgang wies das Erstgericht mit Teilurteil vom 25.7.2017 (ON 26) das Klagebegehren laut ON 23 zu den Punkten 1.4. (EUR 111.140,44) und 1.9. (EUR 103.532,31) zur Gänze sowie zum Punkt 1.15 mit einem Teilbetrag von EUR 50.460,06 ab. Die Punkte 1.4. und 1.9. betrafen Schadenersatzansprüche wegen Unterbleibens vertraglicher Verpflichtungen der Schuldnerin und der Punkt 1.15. betraf im Umfang der Entscheidung des Erstgerichts eine Forderung eines Subunternehmers, die die Klägerin aufgrund ihrer Haftung nach polnischem Recht erfüllt hat. Das Erstgericht ging rechtlich davon aus, dass die in den Punkten 1.4. und 1.9. des Klagebegehrens ON 23 begehrten Schadenersatzansprüche nicht berechtigt seien, weil nach der in den Verträgen enthaltenen Subklausel 8.7 ein ergänzender Schadenersatz nur bei Überschreiten der Vertragsstrafe geltend gemacht werden könne. Der in Punkt 1.15 begehrten Forderung eines Subunternehmers stehe gemäß § 17 Abs 2 IO die angemeldete Forderung des Subunternehmers entgegen.
Nach Einholung einer Vorabentscheidung hob das Berufungsgericht am 25.9.2019 zu 3 R 59/17v (ON 37) das Teilurteil und das diesem vorangegangene Verfahren, soweit über einen Teil des Klagebegehrens von EUR 50.460,06 (Forderung betreffend einen Subunternehmer, Punkt 1.15. des Klagebegehrens ON 23) verhandelt und entschieden wurde, als nichtig auf und wies die Klage in diesem Umfang zurück. Der Rechtsweg zu dieser Forderung sei unzulässig, weil zum Forderungsübergang vom Subunternehmer auf die Klägerin weder öffentliche Urkunden noch die Zustimmung des Beklagten vorgelegen sei, weshalb eine bloße Anmerkung des Forderungsübergangs im Anmeldeverzeichnis nicht ausgereicht habe, sondern eine nachträgliche Forderungsanmeldung erforderlich gewesen wäre.
Im verbleibenden Umfang (zu den Klagebegehren 1.4. und 1.9. der ON 23) wurde das Teilurteil aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen. Es sei das polnische Recht zu ermitteln, weil eine abschließende Stellungnahme des Berufungsgerichts zur Auslegung der relevanten Vertragsbestimmungen nach polnischem Recht derzeit nicht möglich sei.
Mit dem nunmehr angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Klagebegehren laut ON 23 zu den Punkten 1.1., 1.2., 1.3., 1.13. im Umfang von EUR 2.098.986,56, 1.15 und 1.16. sowie die jeweils dazu erhobenen Eventualbegehren ab, sohin insgesamt im Umfang von EUR 18.661.244,06 . Ausgehend von dem auf den Seiten 7 bis 8 und 27 bis 58 der Urteilsausfertigung festgestellten Sachverhalt, auf den verwiesen wird, ging es rechtlich davon aus, dass die mit diesem Teilurteil abgewiesenen Teile des Klagebegehrens unschlüssig seien, weil in den Forderungsanmeldungen jeweils höhere Beträge geltend gemacht worden seien und aufgrund von Aufrechnungen nur geringere Beträge im vorliegenden Prüfungsprozess begehrt werden. Es ergebe sich aber weder aus den Forderungsanmeldungen noch aus dem Klagsvorbringen welche Gegenforderungen (welche Teile der Masse) in jeweils welcher Höhe von der Klägerin berücksichtigt worden seien. Die Klagebegehren zu den Punkten 1.15. und 1.16. , die jeweils Subunternehmerforderungen betreffen, seien zusätzlich auch deshalb unschlüssig, weil rechnerisch nicht nachvollziehbar sei, welche Teilbeträge aus den vorgelegten Rechnungen der Subunternehmer geltend gemacht werden, sodass nicht erkennbar sei, welche der von der Klägerin angemeldeten Subunternehmerforderungen von den jeweiligen Subunternehmern bereits selbst angemeldet und dann anerkannt worden seien und inwieweit deren (neuerliche) Anerkennung durch den Insolvenzverwalter § 17 Abs 2 IO entgegenstehen würde. Die Klagebegehren zu den Punkten 1.1. und 1.2. seien auch inhaltlich nicht berechtigt, weil auf Grundlage des anzuwendenden polnischen Rechts nach Insolvenzeröffnung nur mehr der Masseverwalter berechtigt sei, vom Vertrag zurückzutreten. Die Vertragsrücktritte der Klägerin zu den Bauverträgen betreffend die Projekte F* und G* erfolgten nach Insolvenzeröffnung und seien nach Art 98 des polnischen Insolvenzgesetzes unwirksam. Mangels wirksamen Vertragsrücktritts der Klägerin könne diese auch keinen auf diesen Rücktritt gestützten Anspruch auf Vertragsstrafe wirksam geltend machen.
Gegen die Klagsabweisung der Punkte 1.1., 1.2., 1.3. und 1.13. des Klagebegehrens ON 23 richtet sich die Berufung der Klägerin , wohingegen die Klagsabweisung zu den Punkten 1.15. und 1.16. des Klagebegehrens ON 23 unbekämpft bleibt. Als Berufungsgründe werden Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht. Die Klägerin beantragt, das angefochtene Teilurteil dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren im Umfang der Bekämpfung stattgegeben werde, in eventu das Teilurteil im bekämpften Umfang aufzuheben und zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben und die Klage hinsichtlich der vom Rechtsmittelverfahren umfassten Ansprüche zurückzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt .
Zur Rechtsrüge:
1. Zur Bestimmtheit der Forderungsanmeldungen:
1.1 Zunächst ist die Frage der ordnungsgemäßen Anmeldung der im Rechtsmittelverfahren zu behandelnden vier Forderungen zu prüfen.
1.2 Der Beklagte macht in der Berufungsbeantwortung in diesem Zusammenhang eine unrichtige rechtliche Beurteilung geltend. Aus den hier relevanten Forderungsanmeldungen können Grund und Höhe der in der Prüfungsklage behaupteten Ansprüche nicht abgeleitet werden, weshalb die Klage in diesem Umfang zurückzuweisen sei. Zu den Forderungen zu Punkten 1.1. und 1.2. des Klagebegehrens ON 23 beschränke sich das Vorbringen in den Forderungsanmeldungen auf die Berufung auf die Subklausel 8.7. der Bauverträge, wonach eine Vertragsstrafe für eine etwaige Vertragsauflösung aus vom Unternehmer zu vertretenden Gründen vereinbart worden sei; ein (rechtswirksamer) Vertragsrückritt werde nicht einmal behauptet. Zu den Forderungen zu Punkten 1.3. und 1.13. des Klagebegehrens ON 23 ergebe sich aus den Forderungsanmeldungen nicht, mit welchen Arbeiten, die die Schuldnerin hätte erbringen sollen, aus welchem Grund andere Unternehmen beauftragt worden seien.
1.3 Die Rechtslage zum notwendigen Inhalt einer im Sinn des Art 41 EuInsVO alt und § 103 IO ausreichend bestimmten Forderungsanmeldung hat das Berufungsgericht im ersten Rechtsgang wie folgt zusammengefasst:
„4.1.1. Auf den vorliegenden Fall sind noch die Bestimmungen der EuInsVO alt (= VO (EG) Nr. 1346/2000) anzuwenden (vgl Art 84 EuInsVO neu). Nach Art 32 EuInsVO alt kann jeder Gläubiger seine Forderung im Hauptinsolvenzverfahren und in jedem Sekundärinsolvenzverfahren anmelden. Nach Art 39 leg. cit. kann jeder Gläubiger, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt, Wohnsitz oder Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem Staat der Verfahrenseröffnung hat, seine Forderungen in dem Insolvenzverfahren schriftlich anmelden. Zum Inhalt einer Forderungsanmeldung regelt Art 41 leg. cit., dass der Gläubiger eine Kopie der gegebenenfalls vorhandenen Belege übersendet, die Art, den Entstehungszeitpunkt und den Betrag der Forderung mitteilt und angibt, ob er für die Forderung ein Vorrecht, eine dingliche Sicherheit oder einen Eigentumsvorbehalt beansprucht und welche Vermögenswerte Gegenstand seiner Sicherheit sind. In der Literatur ist strittig, was unter „Art der Forderung“ zu verstehen ist. Dies könnte die bloße Angabe des der Forderung zugrunde liegenden Rechtsgrunds (zB vertraglich oder deliktisch; Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO 2015, Art 55 Rn 20), aber auch die Angabe des gesamten rechtserzeugenden Sachverhalts bedeuten (Pogacar in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze Art 41 EuInsVO Rz 7). Die im nach der EuInsVO 2015 vorgesehenen Standardformular enthaltenen Kategorien (zB. „Vertragspflicht des Schuldners“, „Haftung des Schuldners aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung“ usw) sprechen allerdings dafür, dass eine grobe Einordnung der Forderung ausreichend ist (vgl. dazu Riewe in Vallender, EuInsVO Art 55 Rn 19).
Der EuGH verwies in Beantwortung des vom Berufungsgericht gestellten Vorabentscheidungsersuchens darauf, dass die EuInsVO ein effizientes und wirksames Funktionieren der grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren zum Ziel habe; die Verordnung solle die Gläubigergleichbehandlung innerhalb der Union gewährleisten und die Ausübung der Gläubigerrechte erleichtern. Art 4 Abs 2 lit. h EuInsVO alt stelle den Grundsatz auf, dass die Anmeldung, die Prüfung und die Feststellung der Forderungen durch das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung geregelt werden. Die in Art 41 EuInsVO alt genannten Anforderungen an den Inhalt einer Forderungsanmeldung seien als Höchstanforderungen an den Inhalt einer Forderungsanmeldung anzusehen, die eine innerstaatliche Regelung gegenüber Gläubigern festlegen kann, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt, Wohnsitz oder Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem Staat der Verfahrenseröffnung haben. Art 41 EuInsVO alt dürfe nicht so ausgelegt werden, dass die Anmeldung einer Forderung deshalb ausgeschlossen sei, weil die fragliche Forderungsanmeldung eine der in diesem Artikel genannten Angaben nicht enthalte, wenn die betreffende Angabe nach dem Recht des Staates der Verfahrenseröffnung nicht vorgeschrieben sei und ohne besondere Schwierigkeit aus den in Art. 41 genannten Belegen abgeleitet werden könne, was zu beurteilen Sache der zuständigen Stelle sei, die mit der Prüfung der Forderungen betraut sei.
4.1.2. Nach dem nach Art 4 Abs 2 lit. h EuInsVO alt primär maßgeblichen österreichischen Recht hat der Inhalt der Anmeldung nach § 103 IO im Wesentlichen jenem einer Klage – also den Erfordernissen des § 226 ZPO – zu entsprechen (Konecny in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze, § 103 KO Rz 1; RIS-Justiz RS0089657). An die Beurteilung, ob eine Forderungsanmeldung in der Insolvenz die gesetzlichen Inhaltserfordernisse erfüllt, ist ein strenger Maßstab anzulegen. Die Forderungsanmeldung muss alle anspruchsbegründenden Tatsachen enthalten, auf die später die Feststellungsklage gestützt wird (vgl. 8 Ob 173/02b). Sie muss so bestimmt sein, dass sie dem Insolvenzverwalter, dem Schuldner und den Insolvenzgläubigern die Möglichkeit gibt, sich über den Bestand der angemeldeten Forderung zu informieren, um sie in die Lage zu versetzen, sich bei der Prüfungstagsatzung zur angemeldeten Forderung richtig zu erklären (RIS-Justiz RS0065449). Sie sollen auch die Identität der in einer darauffolgenden Feststellungsklage nach § 110 IO geltend gemachten Ansprüche feststellen können. Nur so kann auch beurteilt werden, ob im nachfolgenden Prüfungsprozess nicht eine Änderung gegenüber der Forderungsanmeldung vorliegt, die als unzulässig zu beurteilen wäre (8 Ob 25/04s mwN).
Die anspruchsbegründenden Tatsachen sind grundsätzlich in der Forderungsanmeldung selbst auszuführen, es genügt jedoch, wenn sich die geltend gemachte Forderung durch klaren Verweis auf angeschlossene Beilagen eindeutig ergibt (Konecny aaO Rz 6; RIS-Justiz RS0117786; 8 Ob 16/07x). Eine rechtliche Qualifikation muss in der Forderungsanmeldung nicht vorgenommen werden (RIS-Justiz RS0089657 [T 1]). Bloße Ergänzungen im Tatsachenvorbringen oder im Beweisanbot im Sinn des § 235 Abs 4 ZPO erachtet der OGH im Prüfungsprozess als zulässig, sofern die Forderung schon in der Anmeldung eindeutig individualisiert wurde (8 Ob 269/98m).
Gegenstand des Prüfungsprozesses ist ausschließlich die angemeldete Forderung. Der Insolvenzgläubiger darf sein Klagebegehren nur auf den spätestens in der Prüfungstagsatzung angegebenen Grund stützen und darf keinen höheren als den in der Forderungsanmeldung geltend gemachten Betrag begehren (§ 110 Abs 1 IO). Im Prüfungsprozess ist nur die Feststellung einer im Prüfungsverfahren bestrittenen Forderung zulässig, die in der Anmeldung ausreichend substantiiert und konkretisiert wurde. Auch wenn das Insolvenzgericht eine mangelhafte Forderungsanmeldung nicht zur Verbesserung zurückgestellt hat, kann noch im Prüfungsprozess die mangelnde Substantiierung und Konkretisierung der geltend gemachten Forderung in der Anmeldung geprüft werden. Ein Mangel im letztgenannten Bereich kann nicht durch ergänzendes Vorbringen im Prozess, sondern nur durch eine hinreichend bestimmte neuerliche Forderungsanmeldung saniert werden (RIS-Justiz RS0103974). Hat eine angemeldete Forderung zwar das Prüfungsverfahren durchlaufen, kann jedoch aus der Forderungsanmeldung entgegen § 110 IO Grund und Höhe der in der Klage behaupteten Ansprüche nicht abgeleitet werden, so mangelt es an einer erst den Rechtsweg eröffnenden Voraussetzung, was zur Nichtigerklärung des dennoch durchgeführten Verfahrens und zur Zurückweisung der Klage führen würde (8 Ob 153/98b; vgl. RIS-Justiz RS0039281 und RS0111042).“
1.4.1 Das Tatsachenvorbringen in den Anmeldungen der Forderungen zu den Punkten 1.1. und 1.2. des Klagebegehrens ON 23 (Punkte 5.1.1 und 6.1.2 der Forderungsanmeldung vom 16.8.2013, Beilage ./A) kann im Wesentlichen wie folgt zusammengefasst werden:
Durch den Abschluss der Bauverträge zu den Projekten F* und L* sei jeweils ein Konsortium mit der Klägerin als Auftraggeberin und der Schuldnerin als eine von mehreren Auftragnehmern gegründet worden. Gemäß den diesen Bauverträgen zugrunde liegenden Allgemeinen Bestimmungen der Internationalen Vereinigung der Ingenieure („FIDIC 1999“) haften bei einem Konsortium von Auftragnehmern sämtliche Auftragnehmer bezüglich der Ausführung des Vertrages gesamtschuldnerisch. Bis dato sei von den übrigen Auftragnehmern keine Zahlung auf die geltend gemachten Forderungen geleistet worden. Die jeweiligen Bauverträge seien durch den Abschluss von Besonderen Vertragsbedingungen ergänzt worden. Gemäß deren Punkt 8.7 haben die Vertragsparteien eine Vertragsstrafe von 10 % der genehmigten Vertragssumme (entspreche dem Brutto-Anbotspreis) für eine etwaige Vertragsauflösung aus vom Unternehmer zu vertretenden Gründen vereinbart. Die Vertragssumme betrage PLN (polnische Zloty) 948.232.276,21 bzw 147.719.897,53, 10 % davon seien PLN 94.823.227,621 bzw 14.771.989,75, was wiederum EUR 22.493.945,59 bzw 3.504.208,22 nach dem gemäß § 14 IO heranzuziehenden Umrechnungskurs am Tag der Insolvenzeröffnung zu einem Faktor von 4,2155 entspreche.
1.4.2 Die die Forderungen von EUR 12.431.315,71 (Punkt 1.1. ON 23) und EUR 1.753.392,99 (Punkt 1.2. ON 23) betreffenden Anmeldungen entsprechen unter Berücksichtigung der sich aus der EuInsVO alt ergebenden europarechtlichen Wertungen dem dargestellten Bestimmtheitsgebot nach österreichischem Recht. Es geht klar hervor aufgrund welcher vertraglichen Grundlage welcher Betrag - der rechnerisch auch nachvollziehbar ist – begehrt wird. Es ist zwar richtig, dass ein Vertragsrücktritt oder eine Vertragsauflösung nicht ausdrücklich behauptet wird, allerdings würde ein in dieser Hinsicht nachgetragenes Vorbringen im Prüfungsprozess zu keiner Klagsänderung im Sinn des § 235 ZPO führen, zumal sich die Klägerin ausdrücklich auf eine bestimmte Vertragsklausel beruft, auf deren Grundlage die begehrte Vertragsstrafe nach Ansicht der Klägerin zustehen soll. Die entsprechenden Tatsachenbehauptungen zum Eintritt der in der Vertragsklausel genannten Voraussetzungen (Vertragsrücktritt aus vom Unternehmer zu vertretenden Gründen) kann – ohne dass damit eine Klagsänderung verbunden ist – im Prüfungsprozess nachgetragen werden. Der Grund des geltend gemachten Anspruchs ist – entgegen der Ansicht des Beklagten – ausreichend individualisiert, auch wenn ein (rechtswirksamer) Vertragsrücktritt nicht ausdrücklich behauptet wurde.
1.5.1 In der die Forderung von EUR 660.540,09 (Punkt 1.3. des Klagebegehrens ON 23; Punkt 6.1.3 der Forderungsanmeldung vom 16.8.2013, Beilage ./A) betreffenden Anmeldung bringt die Klägerin vor, dass im März 2013 geodätische Studien ergeben hätten, dass die Arbeiten der Schuldnerin mangelhaft gewesen seien. In dem von der Schuldnerin vorgelegten Verbesserungsplan seien die unentbehrlichen bzw erforderlichen Reparatur- bzw Umbauarbeiten an der Strecke nicht berücksichtigt worden, sodass die Klägerin gezwungen gewesen sei, den Plan selbst zu erstellen und andere Unternehmen mit der Durchführung der Arbeiten zu beauftragen, woraus ein Schaden von zumindest EUR 2.238.576,01 entstanden sei.
1.5.2 Diese Forderungsanmeldung erfüllt gerade noch die notwendigen Bestimmtheitserfordernisse, weil aus ihr zumindest hervorgeht, welches Straßenbauprojekt betroffen ist (Projekt G*) und aufgrund welcher Tätigkeiten die nunmehr angemeldete Forderung entstanden sein soll (Reparatur- und Umbauarbeiten an der Strecke). Im ersten Rechtsgang beurteilte das Berufungsgericht eine vergleichbar „schwammig formulierte“ Forderungsanmeldung als ausreichend bestimmt (OLG Wien 3 R 59/17v, Punkt 4.1.3.).
1.6.1 In der die Forderung von EUR 5.613.248,28 (Punkt 1.13. des Klagebegehrens ON 23; Punkt 5.2 der Forderungsanmeldung vom 31.1.2014, Beilage ./D) betreffenden Anmeldung, zu der das Erstgericht hinsichtlich eines Teilbetrags von EUR 2.098.986,56 (Punkt 5.2.11. der Forderungsanmeldung vom 31.1.2014, Beilage ./D) die Klage abgewiesen hat, bringt die Klägerin vor, dass sie mit dem namentlich genannten Subunternehmer eine Vereinbarung betreffend Arbeiten an den Objekten ** und **.** auf dem Autobahnabschnitt von ** bis zur tschechisch-polnischen Grenze in ** abgeschlossen habe, wofür ihr EUR 5.321.977,57 in Rechnung gestellt worden seien; dazu führt sie zwei Bescheinigungsmittel an (Beilagen ./XX und ./YY = Beilagen ./QQQ und ./RRR im Prüfungsprozess).
1.6.2 Aus dem unter Punkt 5.2. der Forderungsanmeldung vom 31.1.2014, Beilage ./D erstatteten - den einzelnen Schadenersatzansprüchen vorangestellten - Vorbringen ergibt sich der von der Klägerin herangezogene Anspruchsgrund (notwendige Beauftragung Dritter mit Reparatur-, Erhaltungs- und Ersatzarbeiten zum Bauprojekt Erweiterung der Autobahn von ** bis ** aufgrund Vertragsrücktritts durch die Klägerin). Damit ist ausreichend konkretisiert auf welche Grundlage die Klägerin ihre Forderung stützt.
1.7 Eine Nichtigerklärung des Verfahrens und Zurückweisung der Klage hat daher zu keiner der im Berufungsverfahren zu beurteilenden Forderungen zu erfolgen.
2. Zur Schlüssigkeit/Bestimmtheit des Klagebegehrens:
2.1 Werden aus einem rechtserzeugenden Sachverhalt mehrere Ansprüche abgeleitet und in einer Klage geltend gemacht, dann muss in einem solchen Fall der objektiven Klagehäufung jeder der Ansprüche zumindest in der Begründung ziffernmäßig bestimmt und individualisiert sein, um dem Bestimmtheitsgebot des § 226 ZPO zu entsprechen (RS0031014 [T19, T22, T25, T29]). Macht ein Kläger in einem solchen Fall nur einen Teil seines Gesamtanspruchs geltend und können dabei einzelne Anspruchspositionen unterschieden werden, die ein unterschiedliches rechtliches Schicksal haben, so hat er klarzustellen, welche Teile von seinem pauschal formulierten Begehren erfasst sein sollen (RS0031014 [T25]). Weil bei Teileinklagung die Streitanhängigkeit nur bezüglich des eingeklagten Teils eintritt und sich auch nur darauf die Rechtskraftwirkung eines Urteils erstreckt (RS0039155), muss der Kläger (den vorgenannten Grundsätzen folgend) angeben, aus welchen konkreten Ansprüchen sich der von ihm eingeklagte Teilbetrag zusammensetzt und die geltend gemachten Teilforderungen individualisieren. Dazu gehören nach dem zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff neben dem Sachantrag, also dem Begehren der Zahlung eines bestimmten Betrags, auch die dazu in der Begründung der Klage vorgetragenen Tatsachen (RS0037522; RS0039255).
Lediglich gleichartige Ansprüche können zu einem einheitlichen Begehren zusammengefasst werden. Nur wenn ein Schaden als einheitlicher Gesamtschaden zu betrachten ist, bedarf auch die Teileinklagung keiner weiteren Aufschlüsselung (RS0031014 [T28, T30]).
2.2 Vorweg ist klarzustellen, dass im Anlassverfahren eine objektive Klagenhäufung vorliegt, weil zahlreiche verschiedene Forderungen aus unterschiedlichen Anspruchsgrundlagen gemeinsam in einer Klage geltend gemacht werden. Für die hier zu beantwortende Frage, ob die einzelnen geltend gemachten Forderungen bestimmt oder schlüssig sind, ist jedoch darauf abzustellen, ob die einzelnen Forderungen jeweils für sich als einheitliches Begehrens oder wiederum als objektive Klagenhäufung anzusehen sind.
2.3 Zu den unter den Punkten 1.1. und 1.2. des Klagebegehrens geltend gemachten Forderungen liegt jeweils ein einheitlicher Gesamtschaden aufgrund derselben Schadensursache vor (vgl 4 Ob 81/22y). Es wird nämlich jeweils eine Vertragsstrafe aufgrund Vertragsauflösung aus vom Unternehmer zu vertretenden Gründen begehrt. Damit liegt – bei isolierter Betrachtung jeder Forderung - kein Fall der objektiven Klagenhäufung vor, weshalb sich eine weitere Aufschlüsselung innerhalb der jeweiligen Forderung erübrigt. Aus welchem Grund nur ein Teil des einheitlichen Gesamtschadens (der Vertragsstrafe) geltend gemacht wird, hat keine Auswirkung auf die Bestimmtheit oder Schlüssigkeit des Klagebegehrens. Dass die außergerichtlich erfolgte Aufrechnung mit Gegenforderungen des Beklagten, die zur Teileinklagung führt, insofern nicht nachvollziehbar ist, als nicht erkennbar ist, mit welchen Forderungen des Beklagten aufgerechnet wurde, berührt also die Schlüssigkeit des begehrten Teilbetrags nicht.
2.4 Ob Schadenspositionen geltend gemacht werden, die einem unterschiedlichen rechtlichen Schicksal zugänglich sind, oder ob ein einheitlicher Anspruch vorliegt, ist nicht immer eindeutig. Die Beurteilung der Frage richtet sich jeweils nach den Umständen des Einzelfalls (10 Ob 61/18w).
Zu den unter den Punkten 1.3. und 1.13. des Klagebegehrens ON 23 geltend gemachten Forderungen macht die Klägerin jeweils das Deckungskapital geltend, das sie nach ihrem Vorbringen aufwenden musste, um die mangelhaft oder vertragswidrig nicht erbrachten Leistungen zu verbessern bzw nachzuholen. Dieses Deckungskapital schlüsselt die Klägerin nicht weiter auf, sodass nicht erkennbar ist, ob sich die geltend gemachten Mängelbehebungskosten aus mehreren Einzelforderungen zusammensetzen, was zur Forderung zu Punkt 1.13. des Klagebegehrens ON 23 aufgrund der zum Beweis vorgelegten Beilage ./RRR (Konvolut mehrerer Rechnungen) zumindest indiziert sein könnte. Zur Forderung zu Punkt 1.3. des Klagebegehrens ON 23 lässt sich mangels Vorbringens und mangels vorgelegter Urkunden nicht auf das Vorhandensein mehrerer Einzelforderungen schließen. Ob sich die begehrten Mängelbehebungskosten aus mehreren Einzelforderungen zusammensetzen, ist allerdings ohnehin nicht entscheidungserheblich, weil die Rechtsprechung in diesem Fall nicht von einer objektiven Klagenhäufung ausgeht. Vielmehr wird keine Präzisierung des Vorbringens verlangt, wenn sich das auf einen einheitlichen Anspruchsgrund gestützte Begehren aus zahlreichen Einzelforderungen zusammensetzt (RS0037907). Vor diesem Hintergrund verneinte der Oberste Gerichtshof in 8 Ob 135/03s beim Begehren auf Mängelbehebungskosten infolge nicht ordnungsgemäß durchgeführter Bauarbeiten eine weitere Präzisierungspflicht des Klägers. Der dort zu beurteilende Sachverhalt ist mit dem Anlassfall vergleichbar, weshalb auch hier von keiner weiteren Pflicht zur Aufschlüsselung auszugehen ist, zumal nach dem insofern relevanten Klagsvorbringen nicht mehrere Ansprüche geltend gemacht werden (wie etwa unterschiedliche Pflichtverletzungen: vgl 8 Ob 91/20w). Nur wenn aus einem rechtserzeugenden Sachverhalt mehrere Ansprüche abgeleitet und in einer Klage geltend gemacht werden, liegt ein Fall der objektiven Klagenhäufung vor.
2.5 Vor diesem Hintergrund ist die von der Klägerin vorgenommene Teileinklagung nicht zu beanstanden und führt nicht zur Unschlüssigkeit der Klage.
2.6 Die vom Beklagten herangezogenen Entscheidungen 8 Ob 672/89 (Ansprüche aus 12 verschiedenen Schadensfällen) und 8 Ob 55/12i (Forderungen aus Mietzinsabrechnungen) betrafen anders als hier Fälle objektiver Klagenhäufung.
2.7 Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren auf der Grundlage des wechselseitigen Vorbringen Feststellungen zu den geltend gemachten Forderungen zu treffen haben.
3. Zur inhaltlichen Berechtigung der Vertragsstrafen (Punkte 1.1. und 1.2. des Klagebegehrens ON 23):
3.1 Zunächst ist dazu grundlegend auszuführen, dass die Klägerin vorbringt, dass aufgrund der getroffenen Vereinbarung, wonach Vertragsstrafen jeweils bei Vertragsrücktritten „aus vom Auftragnehmer zu vertretenden Gründen“ zustehen, die Ansprüche auf Zahlung von Vertragsstrafen sowohl bei Rücktritt durch die Klägerin als auch bei Rücktritt durch die besondere Verwalterin zu Recht bestehen (Schriftsatz vom 24.6.2022, ON 120, S 24).
3.2 Davon ausgehend ist daher zunächst zu klären, welche der abgegebenen Vertragsauflösungserklärungen wirksam erfolgten und ob diese Grundlage eines Anspruchs auf Zahlung der Konventionalstrafe sein können.
3.3 Zum anwendbaren Recht:
3.3.1 Nach Art 4 Abs 2 lit e EuInsVO [2000] regelt das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung (lex fori concursus), wie sich das Insolvenzverfahren auf laufende Verträge des Schuldners auswirkt. Nach dieser Kollisionsnorm ist daher insofern grundsätzlich das Recht des Eröffnungsstaates (hier Österreich) maßgeblich (1 Ob 24/18p). Da somit die Auswirkungen der Verfahrenseröffnung auf laufende Verträge nach österreichischem Recht zu beurteilen sind, entscheidet auch österreichisches Recht, ob und inwieweit dem Verwalter – und den Insolvenzgläubigern – in der Insolvenz des Schuldners ein Recht zur außerordentlichen Vertragsbeendigung zukommt. Von Art 4 Abs 2 lit e EuInsVO 2000 umfasst ist weiters die Behandlung gerade für den Insolvenzfall vereinbarter vertraglicher Lösungsmöglichkeiten ( Maderbacher in Konecny/Schubert , Insolvenzgesetze Art 4 EuInsVO Rz 36 f; Perner in Koller/Lovrek/Spitzer , IO - Insolvenzordnung² § 25b IO Rz 4 zur inhaltsgleichen Nachfolgebestimmung des Art 7 Abs 2 lit e EuInsVO 2015).
3.3.2 Die polnischen insolvenzrechtlichen Regelungen, wonach nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur mehr der Masseverwalter berechtigt ist, vom Vertrag zurückzutreten und die andere Partei ihr Rücktrittsrecht mit Insolvenzeröffnung verliert (US 53), sind daher nicht anzuwenden und können – entgegen der Ansicht des Erstgerichts – die Klagsabweisung nicht stützen.
3.3.3 Im österreichischem Recht regeln die §§ 21 ff IO die Erfüllung zweiseitiger Verträge im Fall der Insolvenzeröffnung über das Vermögen eines Vertragspartners; diese sind auch dann anwendbar, wenn der Vertrag ausländischem Recht unterliegt ( Widhalm-Budak in Konecny , Insolvenzgesetze § 21 IO Rz 170; Perner in Koller/Lovrek/Spitzer , IO - Insolvenzordnung² § 25a IO Rz 5). Ob also die Auflösungserklärungen der Klägerin jeweils vom 21.6.2013 wirksam sind, richtet sich nach § 25a IO. Nach dieser Bestimmung können Vertragspartner des Schuldners mit dem Schuldner geschlossene Verträge bis zum Ablauf von sechs Monaten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur aus wichtigem Grund auflösen, wenn die Vertragsauflösung die Fortführung des Unternehmens gefährden könnte, wobei § 25a Abs 2 IO die Ausnahmen von dieser Beschränkung nennt. Nicht als wichtiger Grund gilt 1. eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation des Schuldners und 2. Verzug des Schuldners mit der Erfüllung von vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig gewordenen Forderungen (§ 25a Abs 1 IO).
Nach § 25b Abs 1 IO können sich die Vertragsteile auf Vereinbarungen, wodurch die Anwendung der §§ 21 bis 25a IO im Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner im Voraus ausgeschlossen oder beschränkt wird, nicht berufen. Nach Abs 2 leg cit ist die Vereinbarung eines Rücktrittsrechts oder der Vertragsauflösung für den Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens unzulässig.
Mit wichtigen Gründen im Sinn des § 25a Abs 1 IO sind nicht nur gesetzliche Beendigungstatbestände gemeint, sondern auch vertragliche Auflösungsmöglichkeiten. Die Vertragspartner können also innerhalb der allgemeinen Grenzen wichtige Gründe für eine Vertragsauflösung vereinbaren oder näher regeln. Dabei sind jedoch zwei Grenzen zu beachten: Erstens dürfen solche Vereinbarungen nicht an die Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation des Schuldners (Abs 1 Z 1) oder an seinen Verzug vor Insolvenz (Abs 1 Z 2) anknüpfen. Zweitens dürfen sie nicht gegen das Verbot von Lösungsklauseln verstoßen ( Perner in Koller/Lovrek/Spitzer , IO – Insolvenzordnung² § 25a IO Rz 23).
Nach § 25b Abs 2 IO sind nämlich auch Lösungsklauseln „unzulässig“, also unwirksam. Das sind vor Insolvenz abgeschlossene Vereinbarungen, die dem Vertragspartner des später insolventen Schuldners bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Rücktrittsrecht geben oder zu einer automatischen Vertragsauflösung führen ( Perner in Koller/Lovrek/Spitzer , IO - Insolvenzordnung² § 25b IO Rz 2). Unzulässig sind auch Vereinbarungen, die zwar formal nicht an der Insolvenzeröffnung selbst, sehr wohl aber am Insolvenzverfahren anknüpfen; zB Klauseln, nach denen die Insolvenzantragstellung zur Vertragsauflösung berechtigen soll ( Perner in Koller/Lovrek/Spitzer, IO - Insolvenzordnung² § 25b IO Rz 10).
Vereinbarungen über Pönalen und Konventionalstrafen sind ebenfalls gemäß § 25b Abs 1 IO unzulässig, wenn sie ohne Berücksichtigung des dem Vertragspartner tatsächlich entstandenen Schadens, an die Ausübung des Rücktrittsrechts anknüpfen ( Widhalm-Budak in Konecny , Insolvenzgesetze § 21 IO Rz 280).
3.3.4 Die Klägerin stützt ihren Anspruch auf Vertragsstrafe auf die vertragliche Vereinbarung in Subklausel 8.7, wonach sich die Schuldnerin zur Zahlung einer Vertragsstrafe für einen Rücktritt vom Vertrag aus vom Auftragnehmer [= Schuldnerin] zu vertretenden Gründen verpflichtete. Demnach ist entscheidungserheblich aus welchen Gründen die Klägerin vom Vertrag zurückgetreten ist. Erheblich ist, ob es sich um Gründe handelt, die direkt oder indirekt mit der Insolvenzeröffnung oder dem Verzug von Leistungen vor Insolvenzeröffnung zusammenhängen oder unabhängig von der Insolvenz und den Zahlungsschwierigkeiten waren.
Die Klägerin hat dazu vorgebracht, dass der Vertragsrückritt in allen Fällen aufgrund des Verzugs mit der Auftragserfüllung und des Verlassens der Baustelle (Schriftsatz vom 22.2.2017, ON 9, S 12) erfolgt sei, bzw weil die Schuldnerin die Baustellen verlassen habe und klar zum Ausdruck gebracht habe, dass sie die Arbeiten nicht fortsetzen werde (Verhandlungsprotokoll vom 21.6.2017, ON 23, S 2; Verhandlungsprotokoll vom 21.6.2017, ON 23, S 4). Im Schriftsatz vom 24.6.2022 (ON 120), S 21, 24 bringt die Klägerin zu den Klagebegehren 1.1. und 1.2 der ON 23 vor, dass die Vertragsrückritte erfolgt seien, weil aufgrund der bereits vor Eröffnung der Insolvenzverfahren eingetretenen Verzögerungen eine fristgerechte Fertigstellung der beiden Projekte nicht mehr möglich gewesen wäre.
Nach den Feststellungen trat die Klägerin in Bezug auf die Forderung Punkt 1.1. des Klagebegehrens ON 23 „auf der Grundlage der Subklausel 15.2 (b) und (c) der Besonderen Vertragsbedingungen“ (./85) und in Bezug auf die Forderung Punkt 1.2. des Klagebegehrens ON 23 „auf der Grundlage der Subklausel 15.2 (a), (b) und (c) der Besonderen Vertragsbedingungen“ (./83) zurück. In beiden Erklärungen wurde festgehalten, dass die Auflösung des Vertrags bzw der Rücktritt auch die in der Subklausel 15.2 (e) und in Art 635 iVm Art 656 des polnischen Zivilgesetzbuches festgelegten Voraussetzungen erfüllt (./83, ./85).
Nach den bisher getroffenen Feststellungen kann nicht beurteilt werden, ob die von der Klägerin noch vor Schließung des Unternehmens am 24.6.2013 erklärten Vertragsauflösungen im Lichte der zitierten Bestimmungen wirksam waren. Einerseits fehlen Feststellungen zum Inhalt der Subklauseln 15.2 (a), (b) und (c) (zum Vertrag vom 18.5.2011) und 15.2 (b) und (c) (zum Vertrag vom 30.7.2010), der Subklausel 15.2 (e) und der Art 635 und 656 des polnischen Zivilgesetzbuches, auf deren Grundlage die Vertragsauflösung und der Vertragsrückritt erklärt wurden, sodass nicht geprüft werden kann, ob mit diesen Klauseln allenfalls gegen § 25b IO verstoßen wurde. Andererseits ist weder erkennbar, aus welchen Grund die Rücktritte erfolgten noch, ob diese die Fortführung des Unternehmens gefährden konnten.
3.3.5 Im weiteren wird aufgrund der dazu zu treffenden Feststellungen zu beurteilen sein, ob die Vertragsstrafen wirksam vereinbart werden konnten und sich die Klägerin darauf berufen kann. Nach österreichischem Recht – konkret §§ 21 ff IO – ist zu beurteilen, ob die zur Begründung der Vertragsauflösung herangezogenen Subklauseln 15.2 (a) bis (e) vor dem Hintergrund des anwendbaren § 25b IO wirksam vereinbart wurden und bejahendenfalls ob der von der Klägerin auf Grundlage dieser Vertragsklauseln erfolgten Erklärungen vor dem Hintergrund des anwendbaren § 25a IO wirksam waren.
Erst nach Bejahung dieser Fragen stellen sich die nach polnischen Recht zu beurteilenden und vom Beklagten aufgeworfenen weiteren Fragen, etwa zu Unverhältnismäßigkeit und Mäßigung der Vertragsstrafen. Rechtsfragen bei Erfüllung und das Ausmaß der Schadenersatzansprüche richten sich nämlich nach dem Vertragsstatut ( Perner in Koller/Lovrek/Spitzer , IO - Insolvenzordnung² § 21 IO Rz 12).
3.3.6 Da aus den bisherigen Feststellungen nicht erkennbar ist, aus welchem Grund die Erklärungen der Klägerin erfolgten, ist auch nicht beurteilbar, ob diesen eine (nach polnischem Recht zu beurteilende) ex-nunc oder eine ex-tunc-rechtliche Wirkung zukommt. Ob der Insolvenzverwalter/eigenverwaltende Schuldner sein Wahlrecht noch ausüben kann, nachdem der Vertragspartner (während des Schwebezustandes) aufgrund eines ihm zustehenden Rechtes den Vertrag beendet bzw aufgelöst hat, hängt davon ab, ob der Vertrag mit Ex-nunc- oder Ex-tunc-Wirkung beendet wurde ( Widhalm-Budak in Konecny , Insolvenzgesetze § 21 IO Rz 240). Für den Fall der ex-tunc-rechtlichen Wirkung des Rücktritts bzw der Vertragsauflösung der Klägerin wäre § 21 IO nicht bzw nur mehr auf das Rückabwicklungsschuldverhältnis anzuwenden ( Widhalm-Budak in Konecny , Insolvenzgesetze § 21 IO Rz 287). Für den Fall der ex-nunc-rechtlichen Wirkung des Rücktritts bzw der Vertragsauflösung der Klägerin würde die vom Vertragspartner erklärte Kündigung nachträglich aufgrund des vom Insolvenzverwalter erklärten Vertragsrücktritts gemäß § 21 IO seine Wirksamkeit verlieren ( Widhalm-Budak in Konecny , Insolvenzgesetze § 21 IO Rz 299).
3.3.7 Im weiteren Verfahren wird auch auf das Vorbringen des Beklagten Bedacht zu nehmen sein, wonach die Rücktritts- und Vertragsauflösungserklärungen der Klägerin erst am 11.7.2023 – sohin nach Rücktritt der besonderen Verwalterin vom 1.7.2023, der Klägerin zugegangen am 3.7.2023 – durch Zugang an die besondere Verwalterin wirksam geworden seien (Schriftsatz vom 16.5.2022, ON 112, S 7 f), was von der Klägerin bestritten wird (Schriftsatz vom 24.6.2022, ON 120, S 23).
In diesem Zusammenhang wird zu klären sein, wie nach polnischem Recht das Rücktrittsrecht nach Subklausel 15.2 der Besonderen Vertragsbedingungen oder aufgrund der gesetzlichen Regelungen in Art 635 und 656 ZGB-Polen ausgeübt wird (vgl dazu im österreichischen Recht RS0013923 und RS0018264, wonach ein Gestaltungsrecht regelmäßig durch formlose empfangsbedürftige Willenserklärung ausgeübt wird). Davon wird abhängen, ob dieses wirksam – allenfalls vor der Rücktrittserklärung der besonderen Verwalterin – ausgeübt wurde.
Daran anknüpfend ist die Berechtigung der auf diese Rücktritts- und Vertragsauflösungserklärungen gestützten Ansprüche auf Zahlung von Vertragsstrafen zu beurteilen.
3.4 Das Berufungsgericht weist darauf hin, dass im fortgesetzten Verfahren auch die Forderung zu Punkt 1.2. des Klagebegehrens ON 23 schlüssig darzustellen sein wird. Wenn die in Punkt 3.3. der Klage ON 1 (S 10) angeführten Beträge nachgerechnet werden, ergibt sich insofern eine rechnerische Unschlüssigkeit als die ursprüngliche Forderung von PLN 14.771.989,75 abzüglich der vorgebrachten Gegenforderungen von PLN 7.391.428,17 eine verbleibende Forderung von PLN 7.380.561,58 ergibt; nach Umrechnung in EUR durch den Faktor 4,2155 errechnen sich EUR 1.750.815,22. Der in der Klage angeführte Betrag von EUR 1.753.392,99 entspricht hingegen den vorgebrachten Gegenforderungen von PLN 7.391.428,17, dividiert durch 4,2155. Dies wird mit der Klägerin zu erörtern sein.
4. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof ist zulässig, weil jüngere Rechtsprechung dazu fehlt, ob bei Geltendmachung des Deckungskapitals wegen vertragswidrigen Verhaltens des Auftragnehmers eine Aufschlüsselung der Einzelforderungen erforderlich ist, um dem Bestimmtheitsgebot des § 226 ZPO zu entsprechen. Soweit ersichtlich fehlt auch Rechtsprechung des Höchstgerichts dazu, ob es im Sinn des § 103 IO ausreicht in der Forderungsanmeldung auf die entsprechende Vertragsbestimmung über die Geltendmachung einer Vertragsstrafe zu verweisen, ohne den die Vertragsstrafe auslösenden Rücktritt zu konkretisieren.
5 . Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.