17Bs145/23g – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Dr. Röggla als Vorsitzenden sowie die Richter Ing. Mag. Kaml und Mag. Primer als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen MMag. Dr. A* B*-C* und andere Beschuldigte wegen §§ 153 Abs 1 und Abs 3 erster Fall, 12 dritter Fall StGB über die Beschwerde der MMag. Dr. A* B*-C* (ON 19) gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 10. Mai 2023, GZ 316 HR 104/23y-18, nichtöffentlich den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und festgestellt, dass MMag. Dr. A* B*-C* durch die Zentrale Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption in dem gegen sie zu AZ 17 St 18/22w geführten Ermittlungsverfahren
1. durch die unterlassene zeitnahe Belehrung nach § 50 Abs 1 StPO in ihrem subjektiven Recht auf Rechtsbelehrung gemäß § 49 Abs 1 Z 1 iVm § 50 Abs 1 StPO sowie
2. durch die unterlassene zeitnahe Herstellung einer Aktenabschrift in ihrem subjektiven Recht auf Akteneinsicht nach § 49 Abs 1 Z 3 iVm §§ 51 Abs 1, 52 Abs 1 StPO
verletzt wurde.
Text
Begründung:
Die Zentrale Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption (in der Folge kurz: WKStA) führt zu AZ 17 St 5/19d ein Ermittlungsverfahren gegen E* und weitere Beschuldigte wegen des Verbrechens der Bestechlichkeit nach § 304 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen, das mittlerweile zahlreiche Beschuldigte und verschiedene Tatvorwürfe umfasst.
Die WKStA legte in weiterer Folge am 4. Juli 2022 im Referat 17 St zu AZ 17 St 18/22w einen Akt „ zum Sachverhalt“ [...] betreffend als Angezeigte MMag. Dr. A* B*-C* (ua) wegen §§ 153 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB teils iVm § 12 dritter Fall StGB (ON 1 AS 1707 in 17 St 5/19d) an.
Anlässlich dieser Verfügung gab MMag. Dr. B*-C* am 7. Juli 2022 die Bevollmächtigung ihres Verteidigers im Verfahren der WKStA zu AZ 17 St 18/22w bekannt und beantragte die Herstellung einer elektronischen Aktenabschrift (ON 12).
Zur Prüfung der neuen Vorwürfe, die G* H*, MA, MBA in ihrer Beschuldigtenvernehmung vom 20./21. Oktober 2021 erhob, begann die WKStA zeitnahe (aufgrund des von der WKStA am 1. Juli 2022 angelegten Aktenvermerkes [ON 9], wonach der „sichergestellte Datenbestand (insbesondere) von Dr. B* [...] gemäß iSd § 91 Abs 2 StPO daraufhin gesichtet [wurde] , ob es Hinweise auf strafrechtlich relevante Absprachen [...] gab.“ [aaO S 1] jedenfalls vor oder am 1. Juli 2022), auf Datenträgern befindliche Daten zu sichten, die bereits im Verfahren AZ 17 St 5/19d zum Teil von H*, MA, MBA an die WKStA übergeben worden waren bzw zum Teil in diesem Verfahren (insb bei MMag. Dr. B*-C*) sichergestellt worden waren. Lediglich ein Teil dieser gesamten Datenmenge, nämlich ein Teil der von H*, MA, MBA übergebenen Daten, befand sich im Sichtungszeitpunkt im genannten Ermittlungsakt. Die Sichtung des Datenbestandes erfolgte daher einerseits im Hinblick auf den zu AZ 17 St 18/22w zu prüfenden Anfangsverdacht und andererseits zur Ermittlung erheblicher Tatsachen für das zu AZ 17 St 5/19d geführte Ermittlungsverfahren.
Mit Mitteilung vom 24. August 2022 (ON 1 AS 7) teilte die WKStA bezugnehmend auf den gestellten Antrag auf Akteneinsicht mit, dass die interne Entscheidungsfindung, ob Akteneinsicht gewährt werden könne, noch nicht abgeschlossen sei, zu AZ 17 St 18/22w derzeit kein Ermittlungsverfahren geführt werde und die Anfangsverdachtsprüfung noch nicht abgeschlossen sei.
Mit Verständigung gemäß § 50 StPO vom 8. Februar 2023 (ON 13) wurde MMag. Dr. B*-C* schließlich von der Führung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts eines Beitrags zur Untreue gemäß §§ 12 dritter Fall, 153 Abs 1 und Abs 3 StGB verständigt, mit der Begründung, dass aufgrund einer Mitteilung der Generalprokuratur und der sich aus dieser Rechtsansicht für das gegenständliche Verfahren möglicherweise ergebenden Folgen MMag. Dr. B*-C* als Verdächtige erfasst wurde und ausgehend von der Rechtsmeinung der Generalprokuratur ein Ermittlungsverfahren nach der Strafprozessordnung eingeleitet wurde bzw worden sein könnte. Am 9. Februar 2023 wurde auch ihr Antrag auf Herstellung einer elektronischen Aktenabschrift bewilligt (ON 1 AS 11 f).
Mit – iSd § 106 Abs 3 StPO rechtzeitigem - Einspruch wegen Rechtsverletzung gemäß § 106 Abs 1 StPO vom 16. März 2023 (ON 15) beantragte die Einspruchswerberin MMag. Dr. B*-C* die Feststellung, dass die unterlassene Rechtsbelehrung gemäß § 50 StPO trotz Führung eines Ermittlungsverfahrens sowie das Nicht-Entsprechen des Antrags auf Aktenabschrift die Einspruchswerberin in ihren subjektiven Beschuldigtenrechten verletzt habe. Die Einspruchswerberin brachte im Wesentlichen vor, dass die Sichtung von bereits sichergestellten, wenngleich noch nicht zu einem Ermittlungsakt genommenen Daten als Ermittlungshandlungen zu beurteilen sind, weshalb die dargestellten Handlungen von der WKStA vorzunehmen gewesen wären.
Die WKStA entsprach dem Einspruch wegen Rechtsverletzung nicht und legte diesen dem Landesgericht für Strafsachen Wien mit ablehnender Stellungnahme vom 6. April 2023 zur Entscheidung vor (ON 16). Sie brachte zusammengefasst vor, dass sie im Hinblick auf die Judikatur und Literatur (in Übereinstimmung mit der OStA, dem BMJ und dem Weisungsrat) jedenfalls bis zur Mitteilung der Generalprokuratur davon ausgegangen sei, dass die Sichtung eines rechtmäßig sichergestellten und in der WKStA erliegenden Datenbestandes keine Ermittlungshandlung darstelle. Ungeachtet der Frage, ob bereits ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sei, vertrete sie die Rechtsansicht, dass Angezeigten das Akteneinsichtsrecht bereits vor Beginn des Ermittlungsverfahrens durch analoge Anwendung des § 51 StPO zustehe. In Hinblick auf die für sie geltende (und damit bindende) Erlasslage könne sie jedoch keine Akteneinsicht gewähren. Da oberstgerichtliche Rechtsprechung zur vorliegenden Fallkonstellation fehle, seien die dem Einspruchsvorbringen zugrunde liegenden Rechtsfragen gerichtlich zu klären.
Mit Gegenäußerung vom 19. April 2023 (ON 17) brachte die Einspruchswerberin ergänzend vor, dass sich sichergestellte, aber noch nicht zum Akt genommene Daten, nicht unter § 91 Abs 2 letzter Satz StPO subsumieren ließen. Der Auswertung sei eine Sicherstellung der betreffenden Daten im Zuge von Hausdurchsuchungen – sohin Ermittlungshandlungen mit unstrittiger Außenwirkung – unmittelbar vorangegangen, sodass das Argument, dass die Auswertung dieser Daten – wenngleich (lediglich) zur Abklärung neuer Verdachtsmomente unter (formal) einem anderen Aktenzeichen – mangels Außenwirkung keine Ermittlungshandlung darstellen soll, nicht überzeuge.
Mit dem hier angefochtenen Beschluss (ON 18) wies das Landesgericht für Strafsachen Wien den Einspruch wegen Rechtsverletzung vom 16. März 2023 (ON 15) zurück. Zusammenfassend führte es aus, dass nach § 1 Abs 2 erster Satz StPO das Strafverfahren erst beginne, sobald Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft zur Aufklärung eines Anfangsverdachts (Abs 3) nach den Bestimmungen des zweiten Teils dieses Bundesgesetzes ermitteln würden. § 2 Abs 1 StPO verpflichte Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft, jeden ihnen zur Kenntnis gelangten Anfangsverdacht einer Straftat, die nicht bloß auf Verlangen einer hiezu berechtigten Person zu verfolgen sei, in einem Ermittlungsverfahren von Amts wegen aufzuklären. Zur Kenntnis-Gelangen des Verdachts einer Straftat durch eine Anzeige (§§ 78 Abs 1, 80 Abs 1 StPO) werde somit klar vom Ermitteln unterschieden: Ersteres würde zu Letzterem verpflichten. Ermitteln würde Tätigwerden auf Grund eines zur Kenntnis gelangten Sachverhalts bedeuten (RIS-Justiz RS0127791). Aus §§ 1 Abs 2, 2 Abs 1 StPO gehe somit unmissverständlich hervor, dass Ermitteln etwas anderes sei als bloßes „Zur-Kenntnis-nehmen (OLG Wien 19 Bs 242/16a; Markel in Fuchs/Ratz , WK-StPO § 1 Rz 25). Ermitteln würde bedeuten, die in § 91 Abs 2 Satz 1 StPO zu den dort in Abs 1 angeführten Zwecken umschriebene Tätigkeit zu entfalten. Die bloße Nutzung von allgemein zugänglichen (zB Telefonbuch, Adressenverzeichnis, Internet, öffentlich einsehbare Register) oder von behördeninternen Informationsquellen (zB Strafregister, interne Datenverarbeitung der Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft) sowie die Durchführung von Erkundigungen (§ 151 Z 1 StPO) zur Klärung, ob ein Anfangsverdacht vorliege, stelle noch keine Ermittlung dar (§ 91 Abs 2 letzter Satz StPO). Dadurch komme es noch nicht zur Einleitung eines Strafverfahrens. „Behördenintern“ iSd § 91 Abs 2 zweiter Satz StPO bedeute, ein Tätigwerden ohne Außenwirkung, ohne Inanspruchnahme Dritter. Der Beginn des Ermittlungsverfahrens lasse sich so exakt abgrenzen. „Informationsquellen“ iSd § 91 Abs 2 letzter Satz StPO seien alle Aufzeichnungen oder Speicherungen von Informationen, die Gegenstand der Datenverarbeitung einer Behörde waren (14 Os 21/19y und 14 Os 29/20a, RIS-Justiz RS0132639). Datenverarbeitung sei nach Art 4 Z 2 DSGVO jeder „mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführter Vorgang oder jede solche Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten wie das Erheben, das Erfassen, die Organisation, das Ordnen, die Speicherung, die Anpassung oder Veränderung, das Auslesen, das Abfragen, die Verwendung, die Offenlegung durch Übermittlung, Verbreitung oder eine andere Form der Bereitstellung, den Abgleich oder die Verknüpfung, die Einschränkung, das Löschen oder die Vernichtung“. Die WKStA sei richtigerweise (in Übereinstimmung mit der Fachaufsicht) im Zuge ihrer prozessualen Entscheidungen davon ausgegangen, dass bei der WKStA in einem anderen Verfahren (rechtmäßig) durch Erfassen, Speicherung und Organisation iSd Art 4 Z 2 DSGVO verarbeitete Daten behördeninterne Informationsquellen iSd § 91 Abs 2 letzter Satz StPO seien und die Sichtung dieser nach § 74 Abs 1 StPO zulässigerweise verarbeitete Daten keine Ermittlungshandlung darstellen würden (aA OLG Wien 23 Bs 43/21y). Da die WKStA ausschließlich allgemein zugängliche und behördeninterne Informationsquellen genutzt, sohin Vorfeldermittlungen minderer Intensität durchgeführt habe, liege noch kein Ermittlungsverfahren iSd § 1 Abs 2 StPO vor. Auch die Dauer der Anfangsverdachtsprüfung sage nichts über den Beginn eines Ermittlungsverfahrens aus. Darauf habe auch die Mitteilung der Generalprokuratur in einem anderen Akt keine Auswirkung. Nach dem Erlass des Bundesministeriums für Justiz vom 26. August 2019 (BMVRDJ-S578.028/0005-IV 3/2019) würden vor Beginn des Ermittlungsverfahrens dem Angezeigten keine Verfahrensrechte zukommen. Mangels Ermittlungsverfahrens erweise sich der Einspruch wegen Rechtsverletzung daher als unzulässig und sei dieser zurückzuweisen. Die Auseinandersetzung mit der Frage, ob allenfalls auch vor Einleitung eines Ermittlungsverfahrens – nämlich in analoger Anwendung des § 51 StPO – Akteneinsichtsrechte zustehen würden, habe somit unterbleiben können.
Gegen die zurückweisende Entscheidung richtet sich die (rechtzeitige) Beschwerde der MMag. Dr. B*-C* (ON 19). Die Beschwerdeführerin bringt darin zusammengefasst vor, dass das Landesgericht für Strafsachen Wien rechtswidrig davon ausgehe, dass die Sichtung von bereits sichergestellten, wenngleich noch nicht zu einem Ermittlungsakt genommenen Daten als bloße Nutzung von behördeninternen Informationsquellen iSd § 91 Abs 2 letzter Satz StPO keine Ermittlungshandlung nach der StPO darstelle. Die Frage, welche Informationsquellen als behördenintern anzusehen seien, sei weitgehend geklärt, jedoch sei die Definition der „Informationsquelle“ als solche in der Rechtsprechung und Lehre bislang ohne weitere Erörterung geblieben. Informationsquellen könnten im Lichte der Rechtsprechung zu § 91 StPO nur solche Ergebnisse eines laufenden Verfahrens sein, die (bereits) formal zum Akt genommen worden sind, womit fallgegenständlich auch unstrittig eine Ermittlungshandlung angenommen werden müsse. Der vom Erstgericht vorgenommene Verweis auf Art 4 Z 2 DSGVO überzeuge nicht. Nach höchstgerichtlicher Entscheidung komme eine Abgrenzung der Nutzung behördeninterner Informationsquellen von Ermittlungshandlungen anhand datenschutzrechtlicher Begriffe nicht in Betracht (14 Os 21/19y). Durch die von der WKStA gesichteten Daten seien Ermittlungshandlungen erfolgt und die Beschuldigte in ihrem Recht auf ehest mögliche Verständigung von der Führung eines Ermittlungsverfahrens nach § 49 Abs 1 Z 1 iVm § 50 Abs 1 StPO sowie im Recht auf Akteneinsicht nach § 49 Abs 1 Z 3 iVm § 51 Abs 1 StPO verletzt worden. Gegen die Beschuldigte sei seit einem nicht näher bekannten Zeitpunkt zwischen Oktober 2021 und 1. Juli 2022 ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren geführt worden und sei die Verständigung erst mit 8. Februar 2023, somit zumindest mehr als sieben Monate nach Beginn der Ermittlungen erfolgt. Dass im konkreten Fall ein Ermitteln ohne Außenwirkung passiert sei, vermöge an der Rechtsverletzung nichts zu ändern. Dem Antrag auf Herstellung einer elektronischen Aktenabschrift vom 7. Juli 2022 sei erst am 9. Februar 2023 entsprochen worden, wodurch die Beschuldigte in ihrem Recht auf Akteneinsicht gemäß § 51 StPO und Art 6 Abs 1 EMRK verletzt worden sei.
Die WKStA übermittelte den Akt nach Einsicht in die Beschwerde dem Oberlandesgericht Wien retour und wies darauf hin, dass das Landesgericht für Strafsachen Wien in einer anderen Strafsache am 24. Mai 2023 zu (gemeint:) AZ 317 HR 121/ 23 f die Rechtsansicht vertreten habe, dass Akteneinsichts- und Einspruchsrechte auch vor Beginn des Ermittlungsverfahrens analog zustehen können.
Rechtliche Beurteilung
Der Beschwerde kommt Berechtigung zu.
Vorweg ist festzuhalten:
Gemäß § 1 Abs 2 erster Satz StPO beginnt das Strafverfahren, sobald Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft zur Aufklärung eines Anfangsverdachts ermitteln. Ein Anfangsverdacht (§ 1 Abs 3 StPO) liegt vor, wenn aufgrund bestimmter Anhaltspunkte angenommen werden kann, dass eine Straftat begangen worden ist, demnach ein Verhalten gesetzt wurde, das Gegenstand eines Ausspruchs nach § 260 Abs 1 Z 2 StPO sein kann, das also tatbestandsmäßig, rechtswidrig und (von § 21 Abs 1 StGB abgesehen) schuldhaft ist und auch den zusätzlichen Voraussetzungen (wie insbesondere dem Fehlen von Strafausschließungsgründen) genügt (vgl 17 Os 3/18x; vgl auch Ratz in WK² StGB Vorbemerkungen zu §§ 28–31 Rz 1). Wie das Erstgericht rechtsrichtig ausführt, ist das Zur-Kenntnis-Gelangen des Verdachts einer Straftat durch eine Anzeige (§§ 78 Abs 1, 80 Abs 1 StPO) vom Ermitteln zu unterscheiden: Ersteres verpflichtet zu Letzterem. Ermitteln bedeutet also: Tätigwerden aufgrund eines zur Kenntnis gelangten Sachverhalts. Um Menschen davor zu schützen, ohne Anlass zum Objekt eines Strafverfahrens zu werden, ist die Staatsanwaltschaft verpflichtet, einen zur Kenntnis genommenen Sachverhalt zuerst rechtlich dahin zu beurteilen, ob er in Richtung eines Geschehens deutet, das - als erwiesen angenommen - (zumindest) einem Tatbestand des materiellen Strafrechts subsumierbar, mithin als Verdacht einer Straftat zu bewerten ist (RIS-Justiz RS0127791). Sobald aber Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft zur Aufklärung eines Anfangsverdachts ermitteln, beginnt das Strafverfahren.
Bestehen auf Basis einer Anzeige jedoch insofern Zweifel, ob ein solcher Anfangsverdacht vorliegt, so ermöglicht § 91 Abs 2 letzter Satz StPO zur Klärung dieser Frage die Durchführung von Vorfeldermittlungen minderer Intensität, die noch nicht als „Ermitteln“ im Sinn des Abs 2 erster Satz des § 91 StPO gelten und daher auch nicht den Beginn des Strafverfahrens begründen ( Vogl in Fuchs/Ratz , WK StPO § 91 Rz 10; vgl auch Markel in Fuchs/Ratz , WK StPO § 1 Rz 26). Darunter fallen die bloße Nutzung von allgemein zugänglichen oder behördeninternen Informationsquellen sowie die Durchführung von Erkundigungen.
Eine „Erkundigung“ im Zuge der Vorfelderhebungen ist definitionsgemäß nur das Verlangen von freiwilliger Auskunft und das Entgegennehmen einer Mitteilung von einer Person (§ 151 Z 1 StPO). Unter allgemein zugänglichen Informationsquellen sind solche zu verstehen, die jedermann zugänglich sind (wie etwa Internet, Telefonbuch, Grundbuch, Firmenbuch und andere öffentlich zugängliche Register; vgl Erlass des BMJ vom 12. Dezember 2014, BMJ-S578.028/0021-IV 3/2014, S 6). Die Auslegung des Begriffs „behördeninterne Informationsquellen“ orientiert sich an den Maßstäben des § 91 Abs 2 letzter Satz StPO (12 Os 10/22w [10]). Behördenintern sind damit grundsätzlich nur solche Informationsquellen, welche die Kriminalpolizei oder die Staatsanwaltschaft durch bloße Einsichtnahme ohne Inanspruchnahme Dritter nutzen kann und darf (12 Os 92/21b [13], 12 Os 23/20d, 15 Os 20/19h; RIS-Justiz RS0133968, RS0133399, RS0132755), wobei das Erfordernis des „Dürfens“ einer schlichten Gleichsetzung des Begriffs „behördenintern“ mit der bloßen faktisch-technischen Möglichkeit, auf einen vorhandenen Datenbestand ohne Inanspruchnahme Dritter zuzugreifen, entgegensteht.
Ausgehend davon, dass die im verstärkten Senat zu 12 Os 92/21b ergangene Entscheidung des Obersten Gerichtshofs die bis dahin von der Rechtsprechung teilweise vertretene Definition des Begriffs der „behördeninternen Informationsquellen“ (vgl 14 Os 21/19y, 14 Os 29/20a) abgesehen von der Betonung des erwähnten Dürfens lediglich in Bezug auf dessen Reichweite (auf solche Quellen, die eine bloße Einsichtnahme ohne Inanspruchnahme Dritter ermöglichen) eingrenzte, sind darunter (nach wie vor) auch nur jene gespeicherten Informationen zu verstehen, die bereits Gegenstand einer Datenverarbeitung waren.
Da sich eine Verarbeitung von Daten im Strafverfahren aber nur auf in einer konkreten Sache jeweils erforderliche Daten beziehen darf (vgl § 74 Abs 1 StPO) und der Inhalt eines (solcherart allein rechtlich determinierten) Ermittlungsakts nicht mit der Summe der elektronisch abrufbaren Daten gleichzusetzen ist, sondern nur das sein kann, was vom Verfahrensgegenstand umfasst ist (vgl 14 Os 35/21k [7 ff], 11 Os 56/20z; Ratz , ÖJZ 2020/103, 865 [868 ff]), sind in diesem Sinn „verarbeitete“ Daten (abgesehen von hier nicht relevanten Datenbanken [vgl 12 Os 92/21b {16}, 14 Os 21/19y]) nur jene gespeicherten Informationen, die bereits als für einen konkreten Verfahrensgegenstand erheblich bewertet und damit Bestandteil eines Ermittlungsverfahrens bzw -akts wurden. Eine bloße Datenverarbeitung iSd § 36 Abs 2 Z 2 DSG (die DSGVO, demnach auch Art 4 Z 2 leg cit, ist gemäß Art 2 Z 2 lit d leg cit auf die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung, einschließlich des Schutzes vor und der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit ohnehin nicht anzuwenden), also jeder mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführte Vorgang oder jede solche Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten wie das Erheben, das Erfassen, die Organisation, das Ordnen, die Speicherung, die Anpassung oder Veränderung, das Auslesen, das Abfragen, die Verwendung, die Offenlegung durch Übermittlung, Verbreitung oder eine andere Form der Bereitstellung, den Abgleich oder die Verknüpfung, die Einschränkung, das Löschen oder die Vernichtung, ist demgegenüber – entgegen der Rechtsansicht der WKStA – nicht ausreichend. In diesem Zusammenhang weist die Beschwerdeführerin im Übrigen zutreffend auf die Entscheidung 14 Os 21/19y hin, in der der OGH bereits festhält, dass eine Abgrenzung der Nutzung behördeninterner Informationsquellen von Ermittlungshandlungen anhand datenschutzrechtlicher Begriffe (idF des Begriffs des „Auftraggebers“) nicht in Betracht komme.
Unter behördeninternen Informationsquellen sind damit letztlich nur jene Quellen zu verstehen, die Zugang zum Inhalt bzw zu den Ergebnissen eines anderen Ermittlungsverfahrens gewähren. Informationen aus einem erliegenden Datenbestand, deren Relevanz für ein anderes Ermittlungsverfahren noch nicht festgestellt wurde und die damit noch nicht Inhalt des betreffenden Ermittlungsakts (bzw vorliegende Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens [vgl § 51 Abs 1 StPO; Ratz , ÖJZ 2020/103, 865 {872}]) sind, genügen diesen Erfordernissen hingegen nicht; deren Sichtung (bzw der Zugriff auf diese) stellt vielmehr eine Ermittlungshandlung dar (Rechtssatz der Generalprokuratur Gw 250/22f = JSt-GP 2023/1; vgl auch OLG Wien 23 Bs 43/21y).
Gerade eine vergleichbare Konstellation – hier zur Abklärung neuer Verdachtsmomente unter (formal) einem anderen Aktenzeichen - liegt auch im gegenständlichen Fall vor; denn es wurde im (Stamm-)Verfahren AZ 17 St 5/19d – unter anderem bei der Beschwerdeführerin – umfassendes Datenmaterial (vorläufig) sichergestellt, das zumindest noch nicht vollständig auf Beweisrelevanz hin untersucht wurde und demgemäß noch nicht Bestandteil (irgend)eines Ermittlungsaktes wurde. Der Vollzug der Sicherstellungsanordnungen – demnach der Ermittlungsmaßnahmen nach dem 8. Hauptstück der StPO - dauert sohin noch an, zumal der genannte Selektionsprozess noch nicht abgeschlossen wurde (vgl hiezu etwa OLG Wien 18 Bs 280/16g; vgl auch Pilnacek/Stricker in Fuchs/Ratz, WK StPO § 106 Rz 11 mwN, wonach Anordnung und Durchführung einer Maßnahme als Einheit anzusehen sind). Durch die Sichtungen der in casu sichergestellten, keinem Ermittlungsakt zugeordneten Datenmengen wurde bzw wird folglich weiterhin (sowohl zur Aufklärung der Vorwürfe des Stammverfahrens als auch jener des getrennt geführten Verfahrens) ermittelt und nicht bloß eine behördeninterne Informationsquelle genutzt.
In Hinblick darauf, dass der Beginn eines Strafverfahrens keines (förmlichen) Einleitungsaktes durch die Staatsanwaltschaft bedarf, sondern vielmehr wie die prozessuale Stellung einer Person materiell zu prüfen ist (vgl RIS-Justiz RS0133234), wurde sohin durch die Sichtung des genannten Datenmaterials jedenfalls zwischen Oktober 2021 und 1. Juli 2022 ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen die Beschwerdeführerin wegen der neuen Vorwürfe eingeleitet.
Nach § 106 Abs 1 StPO steht im Ermittlungsverfahren jeder Person Einspruch an das Gericht zu, die behauptet, durch die Staatsanwaltschaft in einem subjektiven Recht verletzt zu sein, weil ihr die Ausübung eines nach der StPO zustehenden Rechts verweigert wurde (Z 1) oder eine Ermittlungs- oder Zwangsmaßnahme unter Verletzung von Bestimmungen der StPO angeordnet oder durchgeführt wurde (Z 2). Als subjektive Rechte sind solche zu verstehen, welche die Voraussetzungen und Bedingungen festlegen, die bei Ausübung von Zwang gegenüber Betroffenen nach diesem Bundesgesetz konkret einzuhalten sind (Z 2), oder welche dem Betroffenen einen Anspruch auf ein bestimmtes Verfahrensrecht nach der StPO einräumen (Z 1; zB Akteneinsicht, Beweisantragsrecht oder Recht auf Beiziehung einer Person des Vertrauens). In subjektive Rechte kann daher nicht nur durch Anordnungen oder unmittelbare Ausübung von Zwang selbst, sondern auch durch die Art und Weise der Durchführung rechtswidrig eingegriffen werden. Einen tauglichen Einspruchsgegenstand iSd Abs 1 Z 1 leg cit soll grundsätzlich auch ein Unterlassen bilden, wenn dadurch Verfahrensrechte nach der StPO verweigert werden, also zB eine vorgeschriebene Rechtsbelehrung unterbleibt oder nicht richtig erteilt wird ( Pilnacek/Stricker aaO Rz 15). Verzögerungen können subjektive Rechte dann verletzen, wenn die – das Beschleunigungsgebot des § 9 StPO missachtende – Ermittlungsdauer im Hinblick auf die Schwere des Tatvorwurfs und die Komplexität des Falls unverhältnismäßig wird (aaO Rz 11). Bei einer Verzögerung im Rahmen des Ermittlungsverfahrens wird aber in aller Regel nur ausnahmsweise ein tauglicher Einspruchsgrund vorliegen. Gegen eine Verzögerung soll dem Betroffenen in erster Linie die Dienstaufsichtsbeschwerde an die Oberstaatsanwaltschaft zustehen (aaO Rz 17). Eine verspätete Belehrung nach § 50 Abs 1 StPO kann etwa mit einem Einspruch wegen Rechtsverletzung gerügt werden (vgl Fabrizy/Kirchbacher , StPO 14 § 50 Rz 5; EBRV 25 BlgNR 22. GP 69).
Gemäß Art 6 Abs 3 lit a MRK hat jeder Angeklagte (auch Beschuldigte des Ermittlungsverfahrens) das Recht, in möglichst kurzer Frist in einer für ihn verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen ihn erhobenen Beschuldigung in Kenntnis gesetzt zu werden. Das Recht auf Information über Art und Grund der Beschuldigung hängt mit dem Recht der Verteidigung nach Art 6 Abs 3 lit b MRK zusammen, denn ohne genaue Kenntnis der Beschuldigung ist eine angemessene Verteidigung nicht möglich. Daraus folgt, dass der Beschuldigte über die Tat, die ihm vorgeworfen wird, und auch über die rechtliche Bewertung der Tatsachen im Einzelnen genau und vollständig unterrichtet werden muss (vgl Harrendorf/König/Voigt, HK-EMRK 5 Art 6 Rn 205; vgl Kühne in IntKomm EMRK Art 6 Rz 489). In Umsetzung dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben und in Konkretisierung der Grundsatzbestimmung des § 6 Abs 2 StPO bestimmt § 50 Abs 1 erster Satz StPO, dass jeder Beschuldigte durch die Kriminalpolizei oder die Staatsanwaltschaft sobald wie möglich über das gegen ihn geführte Ermittlungsverfahren und den gegen ihn bestehenden Tatverdacht sowie über seine wesentlichen Rechte im Verfahren zu informieren ist. Die Bedeutung der Wortfolge „sobald wie möglich“ kann mit unverzüglich beschrieben werden. Anders formuliert: Der Beschuldigte ist ohne schuldhafte Verzögerung zu belehren/informieren ( Soyer/Stuefer in Fuchs/Ratz, WK StPO § 50 Rz 8). Die Information kann mündlich oder schriftlich erteilt werden (aaO Rz 18 mwN).
Gegen die Beschwerdeführerin wird – wie gezeigt – seit einem nicht näher bekannten Zeitpunkt zwischen Ende Oktober 2021 und 1. Juli 2022 ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren geführt. Von diesem Umstand wurde sie erst mit Mitteilung vom 8. Februar 2023, somit zumindest mehr als sieben Monate nach Beginn der Ermittlungen, verständigt, weil die WKStA irrig davon ausging, ein Ermittlungsverfahren sei noch nicht eingeleitet worden und sie zu einer Mitteilung nach § 50 Abs 1 StPO daher nicht verpflichtet. Die insoweit verspätete Informierung, die spätestens im Juni/Juli 2022 erfolgen hätte müssen, kommt daher in casu einem Unterlassen der gebotenen Verständigung – ein Ausschlussgrund iSd § 50 Abs 1 letzter Satz StPO lag nicht vor – gleich, weshalb die Beschwerdeführerin sohin in ihrem subjektiven Recht auf Rechtsbelehrung gemäß § 49 Abs 1 Z 1 iVm § 50 Abs 1 StPO verletzt wurde.
Auch in dem weiters relevierten Recht auf Akteneinsicht wurde die Beschwerdeführerin nach § 49 Abs 1 Z 3 iVm §§ 51 Abs 1, 52 Abs 1 StPO verletzt. Die Akteneinsicht während des Ermittlungs- und Hauptverfahrens und damit die Kenntnis des gesamten Akteninhalts bilden nämlich das Fundament umfassender Verteidigung und gehören zum Grundsatz eines fairen Verfahrens nach Art 6 Abs 3 EMRK. Gemäß § 51 Abs 1 StPO ist der Beschuldigte berechtigt, in die der Staatsanwaltschaft und dem Gericht vorliegenden Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens Einsicht zu nehmen. Gemäß dem Grundsatz der Aktenvollständigkeit hat der Beschuldigte Anspruch auf Einsicht in sämtliche Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens. Demzufolge muss ihm Einsicht in alle Unterlagen gewährt werden, die dem Gericht beim Einbringen der Anklage vorzulegen sind, dh in alle vom Beginn des Ermittlungsverfahrens an gesammelten be- und entlastenden Schriftstücke allfälliger Bild- und Tonaufnahmen, Fahndungsnachweise und polizeilicher „Spurenakten“, soweit diese Unterlagen bei der Verfolgung einer bestimmten Tat gegen einen bestimmten – bekannten oder unbekannten – Täter angefallen sind und ihr Inhalt für die Feststellung der dem Beschuldigten vorgeworfenen Tat und für etwaige gegen ihn zu verhängende Rechtsfolgen von Bedeutung sein kann ( Fabrizy/Kirchbacher , StPO 14 § 51 Rz 2). Soweit dem Beschuldigten Akteneinsicht zusteht, sind ihm gemäß § 52 Abs 1 erster Satz StPO auf Antrag und gegen Gebühr Kopien (Ablichtungen oder andere Wiedergaben des Akteninhalts) auszufolgen oder ist ihm nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten zu gestatten, Kopien selbst herzustellen, sofern dieses Recht nicht durch einen Verteidiger ausgeübt wird (§ 57 Abs 2).
Der Antrag auf Akteneinsicht löst die Verpflichtung zur zeitnahen Entsprechung durch die zuständige Behörde aus (argumentum „[S]oweit Akteneinsicht zusteht, ist [...]“; § 53 Abs 2 erster Satz; Soyer/Stuefer in Fuchs/Ratz, WK StPO § 53 Rz 25).
In casu wurde gegen die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt ihres Antrages auf Herstellung einer elektronischen Aktenabschrift am 7. Juli 2022 – wie bereits dargelegt – ein Ermittlungsverfahren geführt, weshalb ihr mangels Vorliegens von Ausschlussgründen nach § 51 Abs 2 StPO, auch Akteneinsichtsrechte zustanden. In Hinblick darauf, dass dem in Rede stehenden Antrag der Beschwerdeführerin erst am 9. Februar 2023 entsprochen wurde, obwohl eine telefonische Urgenz durch den Rechtsvertreter der Beschuldigten bereits am 23. August 2022 (ON 1 AS 6) erfolgte und die Gewährung von Akteneinsicht – wie auch die Note vom 24. August 2022 zeigt (ON 1 AS 7) – lediglich unterblieb, weil die WKStA – wie bereits dargelegt – von einer mangelnden Berechtigung der Beschwerdeführerin hiezu ausging, kommt die Verzögerung fallaktuell einer (faktischen) Verweigerung der Akteneinsicht gleich.
Ob der dargestellten Verletzungen der Beschwerdeführerin in ihren subjektiven Rechten, war der Beschwerde sohin Folge zu geben und die insoweit nicht mehr behebbaren Rechtsverletzungen, zumal die (de facto unterlassenen bzw verweigerten) Handlungen zeitnah zu setzen gewesen wären, festzustellen.
Gegen diesen Beschluss steht ein weiterer Rechtszug nicht zu.