3R66/23g – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Iby als Vorsitzenden sowie den Richter Mag. Guggenbichler und die Richterin Mag. a Klenk in der Rechtssache der klagenden Partei A* AG, FN **, **, vertreten durch die Scherbaum Seebacher Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei B* GmbH, FN **, **, vertreten durch die Dr. Wilhelm Schlein Rechtsanwalt GmbH in Wien, wegen EUR 820.330,07 sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 18.4.2023, 63 Cg 27/19v-79 (Rekursinteresse EUR 176.243,35), in nicht öffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird teilweise Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass er wie folgt zu lauten hat:
„Die Verfahrenskosten der beklagten Partei werden in Folge der Klagsrücknahme mit EUR 176.034,37 (darin EUR EUR 2.737,87 USt, EUR 36.013,90 Barauslagen, EUR 99.379,15 vorprozessuale Kosten und EUR 24.214,10 nebenprozessuale Kosten) bestimmt.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen EUR 126.345,82 zu zahlen.“
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 887,06 bestimmten Kosten des Rekursverfahrens (darin EUR 147,84 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.
Text
Begründung
Die Beklagte beauftragte die C* GmbH, ** (in der Folge „D*“), mit Werkvertrag vom 31.7.2008 mit der Durchführung von Fassadenarbeiten beim Objekt der „E*“. Zur Sicherung der Ansprüche der Beklagten stellte die Klägerin dieser am 21.12.2012 die Bankgarantie Nr 7921612 über EUR 2,160.000 aus. Die D* stellte ihre Arbeiten 2012 fertig. Am 2.11.2017 wurde über ihr Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet. Aufgrund vermeintlicher Mängel bei der Werkausführung nahm die Beklagte die von der Klägerin ausgestellte Bankgarantie mit Schreiben vom 23.11.2017 mit einem Teilbetrag von EUR 820.330,07 in Anspruch.
Mit Schreiben vom 1.12.2017 schlug die Klägerin vor, zur Überprüfung der Berechtigung der Beklagten zur Inanspruchnahme der Bankgarantie und im Hinblick auf ihre Rückforderungsansprüche im Fall der unberechtigten Inanspruchnahme, die behaupteten Mängel gemeinsam mit einem Sachverständigen zu besichtigen; dies bei Verlängerung der Gültigkeitsdauer der Garantie durch die Klägerin bis 31.1.2018 und Widerruf der Inanspruchnahme durch die Beklagte.
Dazu kam es nicht. Es wurde von März bis April 2018 versucht, einen Termin für ein gemeinsames Gespräch zwischen Vertretern der Parteien und der Gemeinschuldnerin bzw der D* F* GmbH zustande zu bringen, mit dem Ziel, dass im Sinne einer wirtschaftlichen Lösung akute Mängel und damit zusammenhängende Wassereintritte am Werk der Gemeinschuldnerin von dieser bzw der D* F* GmbH behoben werden.
Am 19.4.2018 brachte die Beklagte Klage gegen die Klägerin auf Auszahlung der Bankgarantie ein. Erst am 30.5.2018 zahlte die Klägerin den in Anspruch genommenen Betrag aus der Bankgarantie aus. Im Zuge einer Besprechung am 27.6.2018 kamen die Parteien überein, dass die Beklagte vom Sachverständigen Ing. Mag. G* eine Mängelanalyse hinsichtlich der Wassereintrittsproblematik durchführen lässt. Die Klägerin ersuchte mit Schreiben vom 30.7.2018 um Übermittlung dieses Gutachtens bis Mitte September und kündigte an, dieses einem ihrerseits beigezogenen Sachverständigen zur Plausibilisierung weiterzugeben. Mit Schreiben vom 7.11.2018 ersuchte die Beklagte um mehr Zeit für die Ausarbeitung der Beweissicherung bzw Gutachtenserstellung.
Die Klägerin begehrte mit Klage vom 10.4.2019 die Rückzahlung des aus der gezogenen Bankgarantie ausbezahlten Betrags aufgrund rechtsmissbräuchlicher Inanspruchnahme der Bankgarantie sowie aufgrund des von der D* an sie abgetretenen Rückforderungsanspruchs.
Die Beklagte bestritt das Klagebegehren, beantragte Klagsabweisung und wendete im Wesentlichen ein, die Bankgarantie aufgrund vorliegender Mängel zu Recht in Anspruch genommen zu haben.
Die Klägerin zog nach Vorliegen des Sachverständigengutachtens ON 67 die Klage mit Schriftsatz vom 5.4.2022, ON 73, unter Anspruchsverzicht zurück.
Das Erstgericht verständigte hievon die Beklagte mit Beschluss vom 6.4.2022, ON 74.
Die Beklagte beantragte mit am 29.4.2022 eingebrachtem Schriftsatz, die Klägerin zum Ersatz ihrer mit EUR 261.515,98 geltend gemachten Verfahrenskosten zu verpflichten.
Die Klägerin sprach sich in ihrer vom Erstgericht eingeräumten Stellungnahme gegen eine Verpflichtung zum Kostenersatz aus.
Mit dem angefochtenen, auf § 237 Abs 3 ZPO gestützten Beschluss verpflichtete das Erstgericht die Klägerin, der Beklagten die mit EUR 176.243,35 bestimmten Verfahrenskosten zu ersetzen.
Zur Begründung führte es zusammengefasst aus, der nicht aufgetragene Schriftsatz vom 7.9.2020 sei zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendig gewesen. Die Beklagte hätte das darin enthaltene Vorbringen bereits in der Klagebeantwortung, im aufgetragenen vorbereitenden Schriftsatz vom 19.8.2019, in der vorbereitenden Tagsatzung vom 27.8.2019, spätestens aber in der darauf folgenden Tagsatzung vom 14.9.2020 erstatten können.
Die Äußerung und Urkundenvorlage vom 29.9.2020 sei ebenfalls nicht notwendig gewesen. Die Beklagte hätte das darin enthaltene Vorbringen in der Tagsatzung vom 3.2.2021 erstatten können.
Für die Urkundenvorlage vom 12.8.2021 stehe lediglich Kostenersatz nach TP 1 RATG zu.
Die Verhandlung vom 3.2.2021 habe lediglich vier und nicht wie von der Beklagten verzeichnet fünf halbe Stunden gedauert.
Im Übrigen seien die „RATG-Kosten“ der Beklagten im Umfang von EUR 52.650,10 (darin EUR 2.772,70 USt und EUR 36.013,90 Barauslagen) berechtigt.
Die vorprozessuale Beauftragung des Sachverständigen H* durch die Beklagte habe in erster Linie oder zumindest auch ihrem eigenen Interesse an der Sachverhaltsermittlung unabhängig von der denkbaren prozessualen Rechtsverteidigung gegenüber der Klägerin gedient, die Kosten dafür seien daher nicht als vorprozessuale Kosten ersatzfähig.
Die Prozessbezogenheit der Tätigkeit des SV G* liege hingegen auf der Hand. Die Bankgarantie sei zu diesem Zeitpunkt bereits gezogen gewesen, und die Klägerin habe offenbar eine nähere Überprüfung der behaupteten Mängel zur Prüfung der Berechtigung der Inanspruchnahme der Bankgarantie durch die Beklagte verlangt. Die Einholung der Mängelanalyse des SV G* habe bereits der Verhinderung eines Verfahrens bzw der Vorbereitung der Rechtsverteidigung in einem allfälligen Rückforderungsverfahren zwischen den Parteien gedient. Der Beklagten stehe daher ein Anspruch auf Ersatz vorprozessualer Kosten von EUR 99.379,15 zu.
Die Untersuchung der Wärmedämmung der Fassade durch die MA 39 sei für die Gutachtenserstattung durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen DI I* notwendig gewesen und Teil seines Gutachtens, sodass diese Kosten jedenfalls zu ersetzen seien.
Weiters stehe der Beklagten der Ersatz von EUR 24.214,10 für nebenprozessuale Tätigkeiten des SV H* zu.
Dagegen richtet sich der Rekurs der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den Kostenbestimmungsantrag der Beklagten abzuweisen und dieser keine über den von der Klägerin bereits geleisteten Betrag hinausgehenden Kosten zuzusprechen.
Die Beklagte beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist teilweise berechtigt.
1. Die Klägerin weist zutreffend darauf hin, dass dem Erstgericht bei den dem RATG unterliegenden Kosten ein Rechenfehler unterlaufen ist. Die Addition der der Beklagten zustehenden Verdienstsumme ergibt einen Gesamtbetrag von EUR 13.689,35 (und nicht, wie vom Erstgericht zuerkannt, EUR 13.863,50).
2. Unrichtig ist die Rechtsansicht der Klägerin, die von der Beklagtenvertreterin verzeichneten Fahrtkosten für die mündlichen Verhandlungen seien vom Einheitssatz umfasst. Diese sind ihr gemäß § 16 und TP 9 Z 1a RATG zu ersetzen.
3. Die Klägerin beanstandet weiter, dass das Erstgericht sie zum Kostenersatz verpflichtet hat, obwohl sie der Beklagten die ihrer Ansicht nach zustehenden Kosten ohnehin bereits ersetzt habe.
Es trifft zu, dass die Klägerin bereits mit ihrer Klagsrücknahme vorbrachte, der Beklagten den dieser ihrer Ansicht nach zustehenden Kostenbetrag von 49.688,55 netto bereits überwiesen zu haben und dass sie dazu den Überweisungsbeleg vom 4.4.2022 (Beilage ./U) vorlegte. Die Beklagte hat den Erhalt dieses Betrages auch nicht bestritten. Dieser ist daher bei der Kostenentscheidung in Abzug zu bringen.
4. Es entspricht ständiger Rechtsprechung zu Art XII Z 3 EGUStG 1972 schon seit 8 Ob 79/75 sowie hL (vgl 7 Ob 21/09b mwN), dass das Gericht bei der Entscheidung über den Anspruch auf Ersatz einer Sache oder Leistung die Umsatzsteuer, die aus dem Titel des Schadenersatzes, der Bereicherung, der Verwendung oder des Prozesskostenersatzes begehrt wird, nicht gesondert zu behandeln und auch nicht die abgabenrechtliche Vorfrage zu entscheiden hat, ob der Ersatzberechtigte die Umsatzsteuer im Weg des Vorsteuerabzugs vergütet erhalten könnte (RIS-Justiz RS0038172); der (Kosten-) Ersatzpflichtige ist auf den ihm allenfalls zustehenden Rückersatzanspruch im Sinne des Art XII Z 3 EGUStG 1972 verwiesen (RIS-Justiz RS0037884, RS0037853, RS0075909, RS0037872).
5. Die Klägerin wendet sich weiters gegen den Zuspruch vorprozessualer Kosten von insgesamt EUR 99.379,15. Sie ist der Ansicht, die Beiziehung des Sachverständigen G* beruhe – ebenso wie jene des Sachverständigen H* - auf einem freiwilligen, von ihr in keiner Weise herausgeforderten Willensentschluss der Beklagten. Sie habe dieser auch nie einen Ersatz von Sachverständigenkosten zugesagt. Die Beklagte habe die Forderung auf Ersatz der vorprozessualen Kosten im Konkursverfahren über das Vermögen der C* GmbH angemeldet.
5.1. Die Kosten vorprozessualer Sachverständigengutachten, die unmittelbar der Prozessvorbereitung dienen, sind nach der Rechtsprechung in vorprozessualen Zwangslagen als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig zu bewerten, wenn etwa der Zustand einer Sache oder Person die sofortige Begutachtung notwendig macht, oder bei technisch komplexen Problemen der Prozessvorbereitung und der Sammlung des Prozessstoffes Privatgutachten zweckmäßig sind (vgl Obermaier, Kostenhandbuch³ Rz 1.425 mwN).
5.2. Die Bescheinigungspflicht für vor- und nebenprozessuale Kosten in der Kostennote erfordert eine substantiierte Darlegung, dass diese Kosten notwendig waren. Somit sind konkrete Gründe der Beauftragung der Privatsachverständigen darzulegen (vgl Obermaier aaO Rz 1.427).
5.3. Das Erstgericht hat der Beklagten die vorprozessualen Kosten für die Beiziehung des Sachverständigen Ing. G* und der dessen Befundaufnahme unterstützenden J* zugesprochen. Die Beklagte hat die Gründe für die Beiziehung in ihrem Kostenbestimmungsantrag auch substantiiert dargelegt und vorgebracht, dass die Privatgutachterkosten und die Begleitkosten der Rechtsverteidigung in genau diesem Prozess gegenüber dem behaupteten Anspruch der Klägerin gedient haben.
Das Erstgericht hat dazu festgestellt, dass die Parteien im Zuge einer Besprechung am 27.6.2018 überein kamen, dass die Beklagte eine Mängelanalyse beim gerichtlich beeideten Sachverständigen Ing. Mag. G* in Auftrag gibt, und die Klägerin dieses Gutachten in der Folge zur Plausibilisierung an einen von ihr beauftragten Sachverständigen weitergibt. Das Gutachten sei die einzige Möglichkeit gewesen, das Vorliegen der behaupteten Mängel zu objektivieren und die Rechtsverteidigung in diesem Rückforderungsverfahren vorzubereiten.
Die aus der Tätigkeit des Sachverständigen Ing. G* und der J* resultierenden vorprozessualen Kosten sind der Beklagten davon ausgehend nach zutreffender Rechtsansicht des Erstgerichts von der Klägerin zu ersetzen.
5.4. Dass die Klägerin der Beklagten einen Ersatz vorprozessualer Kosten nicht zugesagt hat, ist für die rechtliche Beurteilung irrelevant.
5.5. Da die vorprozessualen Kosten von der Klägerin veranlasst und von der Beklagten im Hinblick auf das gegenständliche Verfahren aufgewendet wurden, stellen diese auch keine Konkursforderung im Insolvenzverfahren über das Vermögen der C* GmbH dar.
5.6. Auch die vom Erstgericht zugesprochenen nebenprozessualen Kosten waren ausgehend von den Feststellungen und entgegen der Rechtsansicht der Klägerin zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig und sind der Beklagten daher zu ersetzen.
5.7. Die Bestimmungen des GebAG, auf die sich die Klägerin im letzten Punkt ihres Rekurses bezieht, sind auf Privatgutachten nicht anzuwenden (vgl § 1 Abs 1 GebAG).
6. Insgesamt stellt sich der Kostenersatzanspruch der Beklagten somit wie folgt dar:
RATG-Kosten
Verdienst EUR 13.689,35
Umsatzsteuer EUR 2.737,87
Barauslagen EUR 36.013,90
Gesamt EUR 52.441,12
Vorprozessuale Kosten
EUR 99.379,15
Nebenprozessuale Kosten
EUR 24.214,10
Gesamt EUR 176.034,37
Abzüglich Zahlung Klägerin
EUR 49.688,55
Endsumme EUR 126.345,82
Daraus ergibt sich die spruchgemäße Änderung der angefochtenen Kostenentscheidung.
7. Die Kostenentscheidung für das Rekursverfahren beruht auf §§ 43 Abs 1, 50 ZPO. Die Klägerin ist mit 28% ihres Rekursinteresses durchgedrungen und mit 72% unterlegen. Sie hat daher der Beklagten 44% der Kosten der Rekursbeantwortung zu ersetzen. Für die Beantwortung eines Kostenrekurses gebührt lediglich eine Entlohnung nach TP 3A RATG.
8. Gemäß § 528 Abs 2 Z 3 ZPO ist der Revisionsrekurs jedenfalls unzulässig.