JudikaturOLG Wien

33R60/22v – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
05. September 2023

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hinger als Vorsitzenden sowie die Richterin Mag. Janschitz und die Patentanwältin DI Bachinger-Fuchs in der Markenschutzsache der Antragstellerin ***** , vertreten durch die Puchberger Partner Patentanwälte (OG) in Wien, wider die Antragsgegnerin ***** , vertreten durch die Thurnher Wittwer Pfefferkorn Partner Rechtsanwälte GmbH in Dornbirn, wegen des Widerspruchs gegen die Marke AT 3***** über den Rekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss der Rechtsabteilung des Patentamts vom 17.6.2019, WM 28/2019 2, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss der Rechtsabteilung des Patentamts vom 17.6.2019, WM 28/2019 2, wird aufgehoben und der Rechtsabteilung des Patentsamt die Fortsetzung des Verfahrens aufgetragen.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Rekurses selbst zu tragen.

Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt EUR 30.000.

Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.

Begründung

Text

1. Die Antragstellerin brachte in ihrem Widerspruch vor, zwischen der angegriffenen Marke AT 3***** und der Widerspruchsmarke IR 6***** sowie den angegebenen Waren und Dienstleistungen beider Marken bestehe Verwechslungsgefahr.

2. Mit Beschluss vom 25.3.2019, WM 28/2019 1, forderte die Rechtsabteilung die Antragsgegnerin unter Belehrung über die Säumnisfolgen auf, sich binnen zwei Monaten zum Widerspruch zu äußern. Auf dem über den Zustellvorgang angefertigten Rückschein wurde beurkundet, dass am „01 02 2019“ [sic; was das Rekursgericht als einen evidenten Schreibfehler beim Monat „02“ ansieht] ein Zustellversuch unternommen worden sei, eine Verständigung über die Hinterlegung beim Postamt [...] in die Abgabeeinrichtung eingelegt worden sei und die Abholfrist am 2.4.2019 beginne. Unter „Übernahmebestätigung“ wurde das Datum 1.4.2019 eingetragen; eine Übernahme ist nicht dokumentiert. Die Sendung wurde mit dem Vermerk „nicht behoben“ retourniert.

Die Äußerungsfrist verstrich ungenutzt.

3. Mit dem angefochtenen Beschluss gab die Rechtsabteilung dem Widerspruch unter Verweis auf § 29b Abs 1 dritter Satz MSchG statt und hob die Registrierung der angegriffenen Marke in Ansehung aller Waren und Dienstleistungen auf. Rechtlich folgerte die Rechtsabteilung, dass der Widerspruch der Antragsgegnerin zugestellt worden sei. Diese habe die zur Erstattung der Äußerung eingeräumte Frist ungenützt verstreichen lassen, sodass gemäß § 29b Abs 1 MSchG ohne weiteres Verfahren antragsgemäß zu entscheiden gewesen sei.

4. Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Antragsgegnerin mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Antragsstellerin zum Kostenersatz zu verpflichten , wobei sie in ihrer Eingabe vom 2.8.2019 zunächst die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Äußerungsfrist (I.) sowie die Verlängerung der Äußerungsfrist (wobei sie die Äußerung hilfsweise bereits nachholte – II.), beantragte, die Einrede der Nichtbenutzung der älteren Marke (III.) erhob sowie hilfsweise den hier vorliegenden Rekurs gegen die Entscheidung über den Widerspruch (IV.) einbrachte.

Den Wiedereinsetzungsantrag hat die Rechtsabteilung am 25.1.2021 abgewiesen; das Rekursgericht hat diese Entscheidung am 1.9.2021 zu 33 R 72/21g bestätigt, weil die Behauptung, der Widerspruch sei der Antragsgegnerin nicht rechtmäßig zugestellt worden, auch das Vorbringen enthält, eine Äußerungsfrist habe noch gar nicht begonnen, weshalb eine solche Frist auch nicht habe versäumt werden können; der Tatbestand für eine Wiedereinsetzung gegen die Versäumung einer Frist sei somit gar nicht gegeben. Vor der Entscheidung über den Rekurs werde die Rechtsabteilung die Umstände über die Zustellung zu erheben haben.

Nachdem die Rechtsabteilung den Akt dem Rekursgericht zur Entscheidung über den Rekurs vorgelegt hatte, erachtete das Rekursgericht die zwischenzeitigen Erhebung als unzureichend und trug der Rechtsabteilung am 2.11.2022 auf, die Erhebungen zu ergänzen. Danach legte die Rechtsabteilung den Akt dem Gericht am 22.5.2023 wieder vor.

Die Antragstellerin beantragt erkennbar, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist berechtigt.

5.1. Die Antragsgegnerin trägt unter Verweis auf das zu den Punkten I. bis III. erstatteten Vorbringen und unter Hinweis auf die eidesstattliche Erklärung von DI NN vor, dass sie unverschuldet kein Vorbringen in erster Instanz habe erstatten können. Unter Punkt I. bringt die Antragsgegnerin vor, der Widerspruch sei ihr nicht zugestellt worden.

5.2. Aufgrund der Erhebungen der Rechtsabteilung des Österreichischen Patentamts wird ergänzend festgestellt:

In der im Akt enthaltenen Zustellbestätigung wird angeführt, dass der Widerspruch samt Auftrag zur Äußerung an die [Antragsgegnerin] – nach einem Zustellversuch am „1.2.2019“ [richtig wohl: 1.4.2019] - am 2.4.2019 der Antragsgegnerin durch Hinterlegung zugestellt worden sei.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dieser beurkundete Zustellvorgang den tatsächlichen Ereignissen entspricht. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass am 1.4.2019 oder zu einem anderen Zeitpunkt eine Verständigung über die Hinterlegung an der Adresse [...] zurückgelassen worden ist.

Zu diesen Feststellungen gelangt das Rekursgericht auf der Basis der von der Rechtsabteilung durchgeführten Erhebungen, nämlich den Einvernahmen des Geschäftsführers der Antragsgegnerin, DI J. NN, sowie der Zeuginnen DI H. NN und J. *****. J.*****, die Postzustellerin, verfügte über keine konkreten Erinnerungen an den Zustellvorgang. Die Angaben des Geschäftsführers der Antragsgegnerin (DI J. NN) und der Zeugin DI H. NN sind in sich schlüssig und widerspruchsfrei. Ihren Ausführungen, wonach sie eine Hinterlegungsanzeige nicht gesehen oder vorgefunden haben, stehen keine Beweisergebnisse entgegen, aus denen sich das Zurücklassen einer Verständigung über die Hinterlegung mit der für ein Zivilverfahren erforderlichen Sicherheit ableiten ließe. Es war daher mit einer Negativfeststellung vorzugehen.

5.3. Rechtlich folgt daraus:

5.3.1. Nach § 17 Abs 1 ZustG ist das Dokument zu hinterlegen, wenn es an der Abgabestelle nicht zugestellt werden kann und wenn der Zusteller Grund zur Annahme hat, dass sich der Empfänger oder ein Vertreter regelmäßig an der Abgabestelle aufhält. Gemäß § 17 Abs 2 ZustG ist der Empfänger von der Hinterlegung schriftlich zu verständigen. Die Verständigung ist in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung (Briefkasten, Hausbrieffach oder Briefeinwurf) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstür (Wohnungs-, Haus-, Gartentür) anzubringen. Fehlt es an einem Zustellversuch, an der gehörigen Verständigung oder an der Hinterlegung am richtigen Ort, ist die dennoch erfolgte Hinterlegung unwirksam, ohne dass die Rechtsfolgen des § 17 Abs 3 ZustG überhaupt eintreten können ( Stumvoll in Fasching / Konecny ³ § 17 ZustG Rz 3).

5.3.2. Bei der Beurteilung der Gesetzmäßigkeit der postalischen Zustellung einer RSb Sendung ist zunächst auf den – auch hier aktenkundigen – Rückschein Bedacht zu nehmen, der eine öffentliche Urkunde bildet, die gemäß § 292 Abs 1 ZPO grundsätzlich vollen Beweis darüber macht, dass die darin beurkundeten Zustellvorgänge eingehalten worden sind. Trotz des Vorliegens eines solchen Rückscheins steht es jener Partei, die sich auf die Unwirksamkeit des Zustellvorgangs beruft, dennoch frei, den gemäß § 292 Abs 2 ZPO zulässigen Gegenbeweis der Vorschriftswidrigkeit und damit Gesetzwidrigkeit der Zustellung zu führen (RS0040471; RS0036420 [T1]; 2 Ob 232/08v uvm).

5.3.3. Die Zustellvorschriften sind zwingendes Recht; ihre Einhaltung ist auch von Amts wegen zu überprüfen. Das Gericht hat im Rahmen der amtswegigen Überwachung des Zustellwesens die gesetzmäßige Zustellung selbständig zu überprüfen (RS0111270).

Weichen bei der gebotenen Prüfung des Zustellvorgangs Beweisergebnisse voneinander ab und kann der Sachverhalt auch nicht im Wege der Beweiswürdigung geklärt werden, ist im Zweifel keine wirksame Zustellung anzunehmen ( Stumvoll in Fasching / Konecny ³ § 22 ZustG Rz 8; Gitschthaler in Rechberger / Klicka 5 § 87 ZPO [§ 22 ZustG] Rz 5/1). Verbleibende Zweifel an der Rechtswirksamkeit einer Zustellung gehen „zu Lasten der Behörde“ (RS0006965; RS0040471 [T4]; 4 Ob 90/21w mwN). Auch im Fall einer Negativfeststellung ist im Zweifel von einer unwirksamen Zustellung auszugehen (4 Ob 90/21w).

Die Amtswegigkeit des Zustellwesens schlägt auch bei der Auslegung des § 292 Abs 2 ZPO durch, was eine Folge des öffentlich-rechtlichen Charakters der Zustellnormen ist (7 Ob 5/06w). Jene Partei, die sich darauf beruft, dass ihr – ungeachtet eines vom Zusteller erstellten Zustellausweises – nicht wirksam zugestellt worden ist, muss demnach nicht beweisen, dass das Zustellorgan die Zustellung falsch beurkundet hat. Diese Partei trifft damit keine Beweislast( umkehr). Es reicht – auch im Rahmen einer amtswegigen Überprüfung und ohne ein darauf gerichtetes Parteienvorbringen - vielmehr aus, dass letztlich Zweifel an der Wirksamkeit der Zustellung verbleiben (vgl 5 Ob 261/05a [„Umstände ..., die geeignet sind, das Gegenteil zu beweisen oder zumindest berechtigte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Zustellvorgangs aufkommen zu lassen“]; 4 Ob 90/21w).

5.3.4. Wegen der hier zu treffenden Negativfeststellung bestehen nach wie vor Zweifel an der Wirksamkeit der Zustellung an die Antragsgegnerin. Es steht nicht gesichert fest, dass die Verständigung über die Hinterlegung (am 1.4.2019 oder zu einem anderen Zeitpunkt) in die Abgabeeinrichtung eingelegt oder sonst an der Abgabestelle zurückgelassen wurde. Dies wirkt sich zu Gunsten der Antragsgegnerin aus, weil damit dieses zwingenden Erfordernis für die Zulässigkeit der erfolgten Hinterlegung des Schriftstücks iSd § 17 Abs 1 ZustG nicht nachgewiesen ist.

Dem Rekurs war daher Folge zu geben und die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Die Rechtsabteilung wird daher über den im Schriftsatz vom 2.8.2019 (WM 28/2019 4) in Punkt II.A. gestellten Antrag auf Verlängerung der Äußerungsfrist zu entscheiden haben. Wird diesem Antrag nicht stattgegeben, wird festgehalten, dass die von der Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 2.8.2019 erstattete Äußerung rechtzeitig war.

In jeden Fall wird die Rechtsabteilung der Antragsgegnerin den Widerspruch entsprechend den Zustellvorschriften noch zuzustellen haben. Die Zustellung per E Mail am 8.7.2019 reicht nicht aus.

6. Gemäß § 29b Abs 7 MSchG findet ein Kostenersatz nicht statt. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Rekurses selbst zu tragen.

7. Aufgrund der Bedeutung des Markenschutzes im Wirtschaftsleben war auszusprechen, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands EUR 30.000 übersteigt (§ 59 Abs 2 AußStrG iVm § 139 PatG iVm § 37 Abs 3 MSchG).

8. Da die Entscheidung keine Rechtsfragen von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG aufwarf und über den Einzelfall hinaus nicht bedeutsam ist, ist der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig.

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