JudikaturOLG Wien

33R79/23i – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
31. August 2023

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht ***** wegen des Widerspruchs gegen die Marke AT 302498, hier wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, über den Rekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Patentamts vom 19.12.2022, WM 86/2019-11, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt EUR 30.000.

Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.

Begründung

Text

Die Antragstellerin erhob gegen die für die Antragsgegnerin eingetragene Marke AT 302498 mit der Begründung einen Widerspruch nach § 29a Abs 1 MSchG iVm § 30 Abs 1 Z 2 MSchG, zwischen der älteren Widerspruchsmarke und der angegriffenen Marke und Waren- und Dienstleistungen beider Marken bestehe Verwechslungsgefahr.

Mit Beschluss vom 23.8.2019 stellte das Patentamt der Antragsgegnerin den Widerspruch mit der Aufforderung zu, innerhalb einer Frist von 2 Monaten nach der Zustellung eine schriftliche Äußerung zu erstatten. Diese Aufforderung wurde den Vertretern der Antragsgegnerin am 29.8.2019 zugestellt.

Die Äußerungsfrist verstrich ungenutzt.

Mit Beschluss vom 18.11.2019, WM 86/2019-2, gab das Patentamt dem Widerspruch statt und hob die Registrierung dieser Marke hinsichtlich aller Dienstleistungen auf.

Der Beschluss wurde dem Vertreter der Antragsgegnerin am 29.11.2019 zugestellt. Mit Eingabe vom 27.12.2019 beantragte die Antragsgegnerin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Äußerungsfrist. Gleichzeitig holte sie die versäumte Prozesshandlung nach und erstattete eine Äußerung zum Widerspruch im Wesentlichen mit dem Inhalt, es fehle eine nennenswerte Überschneidung der Zeichen, und der Antragsgegnerin würden ältere Kennzeichenrechte zustehen.

Den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begründete die Antragsgegnerin damit, dass sie an einer rechtzeitigen Erstattung einer Äußerung auf Grund eines unvorhersehbaren Ereignisses gehindert gewesen sei, das sich auf ein Fehlverhalten ihrer sonst verlässlichen maltesischen Rechtsanwälte gründe. Konkret habe der für die Antragsgegnerin tätige externe Rechtsberater sorgfältig eine in Malta ansässige Rechtsanwaltskanzlei mit der Bearbeitung des Widerspruchs beauftragt. Die maltesischen Anwälte hätten bestätigt, dass sie über eine Partnerkanzlei in Österreich verfügen würden, die den österreichischen Teil des Verfahrens übernehmen könne. Die maltesischen Kontaktanwälte hätten den Rechtsberater der Beklagten am 9.10.2019 darüber informiert, dass sie bereits eine Kanzlei mit der Bearbeitung des Widerspruchs beauftragt hätten. Der Rechtsberater der Antragsgegnerin habe sich daher ab diesem Zeitpunkt darauf verlassen können, dass die Angelegenheit fristgerecht erledigt werden würde. Die maltesischen Kontaktanwälte hätten dem Rechtsberater immer wieder Updates zur Tätigkeit der österreichischen Partnerkanzlei gegeben. Von den Rechtsanwälten geforderte Akontozahlungen habe die Markeninhaberin pünktlich geleistet. Auch deshalb habe sie davon ausgehen können, dass der Widerspruch in Österreich gehörig bearbeitet werde. In der Zwischenzeit hätten die maltesischen Rechtsanwälte versucht, eine außergerichtliche Einigung mit der Antragstellerin zu erzielen. Sie hätten mit dieser Kontakt aufgenommen und den 28.10.2019 als Frist für die Antwort festgelegt. Am 28.10.2019 hätten die maltesischen Rechtsanwälte die Strategie plötzlich geändert und eine andere Vorgangsweise vorgeschlagen. Die Antragsgegnerin und deren Rechtsberater hätten weiterhin auf der Einbringung einer Äußerung im österreichischen Widerspruchsverfahren bestanden. Diesen klaren Auftrag hätten die maltesischen Rechtsanwälte nicht mehr rechtzeitig an die österreichische Partnerkanzlei weitergeleitet. Am 29.10.2019, dem letzten Tag der Äußerungsfrist, hätten sie um 12.34 Uhr eine weitere unangekündigte Vorauszahlung verlangt. Innerhalb der Äußerungsfrist wäre ein Nachweis einer Zahlung nicht mehr möglich gewesen. Die Antragsgegnerin und deren Rechtsberater hätten mit ihren maltesischen Rechtsvertretern daher die Möglichkeit einer Fristverlängerung diskutiert. Um 19.34 Uhr desselben Tags hätten die maltesischen Rechtsanwälte plötzlich mitgeteilt, dass die österreichische Partnerkanzlei die Äußerung bzw. Fristverlängerung nicht mehr einbringen werde, da die Kanzlei bereits geschlossen habe. Daraus ergebe sich, dass die Antragsgegnerin bis zum letzten Moment davon habe ausgehen können, dass die Äußerungsfrist gewahrt werde. Es habe keine Anzeichen für den unerklärlichen spontanen Sinneswandel der maltesischen Kontaktanwälte am letzten Tag der Frist gegeben. Am 30.10.2019 hätten die maltesischen Rechtsanwälte berichtet, dass die Frist abgelaufen sei und keine weiteren Handlungen mehr möglich seien. An diesem Tag habe die Antragsgegnerin Kenntnis von der Fehlleistung der maltesischen Kanzlei erlangt.

Die Antragstellerin sprach sich gegen die Wiedereinsetzung aus.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies die Rechtsabteilung des Patentamts den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab.

Bediene sich jemand für patentrechtliche Handlungen eines Vertreters, der nicht berufsmäßiger Parteienvertreter iSd österreichischen Patentrechte sei, könne er sich im Wege eines Wiedereinsetzungsantrags nicht ohne Weiteres Wiedereinsetzungsgründe zurechnen, die allenfalls in der Person des Vertreters tatsächlich eingetreten seien. Die Betrauung irgendeines Vertreters, der nicht nur die im Patentgesetz vorgesehenen Voraussetzungen nicht erfülle, sondern überdies dem Patentamt gegenüber als Vertreter nicht in Erscheinung trete, bewirke eine völlig andere Problematik, als sie die ständige Rechtsprechung zur Frage der Wiedereinsetzung bei Fehlern von berufsmäßigen Parteienvertretern entwickelt habe. Ein Eigenverschulden der Partei könne aber im Einzelfall darin liegen, dass sie Hilfskräfte mangelhaft ausgewählt, ausgebildet oder überwacht habe oder ihnen Aufgaben übertragen habe, die sie wegen ihrer Schwierigkeit und Bedeutung selbst hätte erledigen müssen. Es sei dabei zu prüfen, ob der Antragstellerin eine Verletzung ihrer Sorgfalts-, Organisations- und Kontrollpflichten vorgeworfen werden könne.

Die Antragsgegnerin sei am Tag des Fristablaufs um 19.34 Uhr darüber informiert worden, dass die bevollmächtigte Kanzlei bereits geschlossen habe und daher keine Handlungen setzen könne. Der Wiedereinsetzungswerberin wäre es jedoch möglich gewesen, selbst eine Eingabe per Telefax an das österreichische Patentamt zu übermitteln. Diese Form der elektronischen Eingabe an das Patentamt sei erst mit Ablauf des 31.12.2019 außer Kraft getreten. Außerdem habe bis 1.7.2020 die Möglichkeit bestanden, Eingaben außerhalb der Öffnungszeiten der Eingangsstelle des Patentamts durch Einwurf in den Einwurfkasten einzubringen. Da die Versäumung der Frist vorhersehbar gewesen sei und mit wenig Aufwand hätte abgewendet werden können, sei von Mängeln im Überwachungssystem des Betriebs der Antragsgegnerin auszugehen. Es liege kein Wiedereinsetzungsgrund vor.

Dagegen richtet sich der Rekurs der Antragsgegnerin mit dem Antrag, den Beschluss der Rechtsabteilung des Patentamts aufzuheben und die Rechtssache mit der Auflage an die erste Instanz zurückzuverweisen, das Widerspruchsverfahren unter Berücksichtigung der Äußerung der Antragsgegnerin vom 23.12.2019 fortzusetzen.

Die Antragstellerin beteiligte sich am Rekursverfahren nicht.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

1. Gemäß § 35 Abs 5 MSchG sind in Markenschutzsachen die §§ 129 bis 133 Abs 2, 134 und 135 PatG über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sinngemäß anzuwenden.

2. Gemäß § 129 Abs 1 PatG setzt die Wiedereinsetzung ein für die Versäumung einer Frist kausales unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis voraus. Eine Versäumung, die auf einem minderen Grad des Versehens beruht, hindert die Wiedereinsetzung nicht (RS0116535). Diese Bestimmung ist den §§ 146ff ZPO nachgebildet. Die zu § 146 Abs 1 ZPO entwickelten Grundsätze gelten daher auch in Patent- und Markensachen (4 Ob 121/20b; Om 12/02; Om 2/13).

3. Der Antragsgegnerin ist zuzustimmen, dass die irrige Annahme der Antragsgegnerin, sie habe nach 29.10.2019, 19.34 Uhr, keine Möglichkeit mehr gehabt, eine Äußerung oder einen Fristverlängerungsantrag beim Patentamt einzubringen, nur auf leichter Fahrlässigkeit beruht. Sollten die maltesischen Rechtsanwälte, was sich aus den vorgelegten Bescheinigungsmitteln entnehmen lässt, die Auskunft erteilt haben, dass eine Äußerung am 29.10.2019 nicht mehr möglich sei, durfte sich die Antragsgegnerin auf diese Auskunft verlassen.

4. Die Antragsgegnerin hat sich jedoch Fehler der von ihr beauftragten Rechtsanwälte zurechnen zu lassen:

Nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung hat die Partei die Handlungen und Versäumnisse ihres Vertreters grundsätzlich gegen sich gelten zu lassen und dessen Verschulden zu vertreten (RS0036729; vgl auch Frauenberger , Wiedereinsetzung nach der ZPO bei verschuldeter Säumnis, ÖJZ 1992, 115). Dabei ist an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen, als an rechtsunkundige oder bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (RS0036784).

5. Die Versäumnisse der von der Antragsgegnerin beauftragten Rechtsvertreter beruhen nicht bloß auf einem minderen Grad des Versehens:

Schon nach dem Vorbringen der Wiedereinsetzungswerberin war den Rechtsvertretern bekannt, dass die Äußerungsfrist bis 29.10.2019 lief. Trotzdem setzten sie der Verfahrensgegnerin im Rahmen von Vergleichsverhandlungen eine Antwortfrist bis 28.10.2019. Den Rechtsvertretern muss bewusst gewesen sein, dass sie möglicherweise erst einen Tag vor Ablauf der Frist im Verfahren vor dem Patentamt wissen würden, ob eine Einigung zustande kommt. Es muss ihnen daher unterstellt werden, dass sie für den Fall, dass keine Einigung erzielt würde, das Risiko in Kauf nahmen, dass nach Scheitern der Einigung nur ein Tag für die Einbringung der Äußerung oder eines Fristverlängerungsantrags bleibt. Wenn ein berufsmäßiger Parteienvertreter sich ohne nachvollziehbaren Grund in einer Fristsache für einen derart straffen Zeitplan entscheidet und dann nicht in der Lage ist, diesen zu erfüllen, handelt er grob sorgfaltswidrig. Da die Antragsgegnerin sich auch Fehlverhalten eines Subbevollmächtigten zurechnen zu lassen hat (vgl. Gitschthaler in Rechberger/Klicka , ZPO 5 § 146 ZPO Rz 18 mwN), spielt es keine Rolle, ob der Umstand, dass die Rechtsvertreter innerhalb von 2 Monaten nicht in der Lage waren, eine Äußerung oder zumindest einen Fristverlängerungsantrag beim Patentamt einzubringen, auf einem Fehler der maltesischen Rechtsanwälte oder der von dieser beauftragten österreichischen Rechtsanwälte beruht.

6. Im Ergebnis wies das Patentamt den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Äußerungsfrist zu Recht ab.

7. Da die Entscheidung keine Rechtsfragen von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG aufwarf und über den Einzelfall hinaus nicht bedeutsam ist, ist der ordentliche Revisionsrekurs nicht zuzulassen; ob die Säumnis auf einem die Wiedereinsetzung nicht hindernden minderen Grad des Versehens beruht, ist regelmäßig von den Umständen des Einzelfalles abhängig (vgl RS0116535).

8. Aufgrund der Bedeutung des Markenschutzes im Wirtschaftsleben war auszusprechen, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands EUR 30.000 übersteigt (§ 59 Abs 2 AußStrG iVm § 139 PatG iVm § 37 Abs 3 MSchG).

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