JudikaturOLG Wien

3R73/23m – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
25. August 2023

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Iby als Vorsitzenden sowie den Richter Mag. Guggenbichler und die Richterin Mag. a Klenk in der Rechtssache der klagenden Partei A*, **, vertreten durch Cerha Hempel Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider die beklagten Parteien 1. B* SE, **, Deutschland, 2. C* SE, **, Deutschland, beide vertreten durch bpv Hügel Rechtsanwälte GmbH in Wien, 3. D* AG, **, Deutschland, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, 4. AB E* (**), ** , Schweden, 5. F* AB, ** , Schweden, beide vertreten durch E+H Eisenberger + Herzog Rechtsanwalts GmbH in Graz, und die Nebenintervenientinnen auf Seiten der beklagten Parteien 1. G* CV AB , **, Schweden, 2. G* Deutschland GmbH , **, Deutschland, beide vertreten durch BINDER GRÖSSWANG Rechtsanwälte GmbH in Wien, 3. H* AG , **, Deutschland, vertreten durch DORDA Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen zuletzt EUR 24.642.424,50 sA, über den Rekurs der erst- und zweitbeklagten Parteien gegen die im Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 31.3.2023, 58 Cg 82/20x-101, enthaltene Kostenentscheidung (Rekursinteresse EUR 30.702,42), in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben und die angefochtene Entscheidung in ihrem Punkt 2. dahin zum Teil abgeändert und zum Teil mit der Maßgabe bestätigt, sodass dieser insgesamt lautet:

„2. Alle beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen EUR 2.989,22 (darin EUR 498,20 USt) an Kosten des Zwischenverfahrens über den Unterbrechungsantrag zu ersetzen.

Die dritt-, viert- und fünftbeklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen weitere EUR 30.702,42 (darin EUR 5.117,07 USt) an Kosten des Zwischenverfahrens über den Unter- brechungsantrag zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist schuldig, den erst- und zweitbeklagten Parteien die mit EUR 1.731,85 (darin EUR 288,64 USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig .

Text

Begründung

Die Klägerin begehrt von den Beklagten zur ungeteilten Hand Schadenersatz aus dem mit Beschluss der Europäischen Kommission vom 19.7.2016 festgestellten Kartell, weil sie im maßgeblichen Zeitraum LKW mit einem kartellbedingten Preisaufschlag angeschafft habe. Von den 1439 betroffenen LKW-Anschaffungen seien 29 mit der G* Österreich GmbH abgewickelt worden.

Die Erst- und Zweitnebenintervenientin beantragten die Unterbrechung des Verfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Nichtigkeitsklage gegen die Entscheidung der Europäischen Kommission vom 27.9.2017, mit der eine Beteiligung der Erst- und Zweitnebenintervenientin am LKW-Kartell festgestellt wurde (ON 48).

Die Erst- und Zweitbeklagte äußerten sich zum Unterbrechungsantrag dahin, dass gegen eine Teilunterbrechung hinsichtlich der Anschaffung der 29 G*-LKW kein Einwand bestehe. Hinsichtlich der übrigen betroffenen Anschaffungen bestehe mangels Präjudizialität und aufgrund der Prozessökonomie kein Grund für eine Unterbrechung (ON 55).

Die Dritt-, Viert- und Fünftbeklagte traten dem Unterbrechungsantrag nicht entgegen (ON 50, ON 56).

Die Drittnebenintervenientin sprach sich für die Unterbrechung aus (ON 54) und die Klägerin dagegen (ON 58).

Mit dem nur im Kostenpunkt angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht den Unterbrechungsantrag ab (Spruchpunkt 1.), verpflichtete die Beklagten zum Kostenersatz von EUR 33.691,64 an die Klägerin zum Verfahren über den Unterbrechungsantrag (Spruchpunkt 2.), wies das Kostenersatzbegehren der Klägerin zu den Verfahrenskosten über die Unzuständigkeitseinrede ab (Spruchpunkt 3.) und wies mehrere Auskunftsbegehren der Beklagten ab (Spruchpunkt 4.).

Zur Kostenentscheidung in Spruchpunkt 2. führte das Erstgericht aus, dass für Kosten, die durch einen Zwischenstreit durch Antrag eines Nebenintervenienten entstanden seien, ausschließlich die Partei hafte, auf deren Seite der Nebenintervenient im Verfahren beigetreten sei, und nicht der Nebenintervenient. Der Klägerin seien daher die Kosten ihrer Äußerung vom 8.10.2021 über den Unterbrechungsantrag der Erst- und Zweitnebenintervenientin zuzusprechen.

Gegen die Kostenentscheidung in Spruchpunkt 2. richtet sich der Rekurs der Erst- und Zweitbeklagten mit dem Antrag auf Abänderung, dass den Beklagten – in eventu der Erst- und Zweitbeklagten – nur ein Kostenersatz von EUR 2.989,22 auferlegt werde.

Die Klägerin beantragt dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist im Sinn des Eventualantrags berechtigt .

1. Die Rekurswerberinnen meinen, ihre Äußerung zum Unterbrechungsantrag der Erst- und Zweitnebenintervenientin sei dahin auszulegen, dass sie dem Unterbrechungsantrag hinsichtlich der Nicht-G*-LKW im Sinn des § 19 ZPO widersprochen haben, wodurch dieser zurückgenommen worden sei. Das Erstgericht hätte daher Kostenersatz nur auf Basis des für die 29 G*-LKW geltend gemachten Schadenersatzes von EUR 451.043,64 aussprechen dürfen, also EUR 2.989,22.

2. Die Erst- und Zweitnebenintervenientin traten – nach Streitverkündung der Erst- und Zweitbeklagten (ON 28) - im erstinstanzlichen Verfahren im Hinblick auf etwaige Regressansprüche dem Streit auf Seiten der Beklagten bei (ON 32), sodass ihnen die Stellung als einfache Nebenintervenientinnen zukommt (RIS-Justiz RS0035583). Gemäß § 19 Abs 1 Satz 2 ZPO ist auch der einfache Nebenintervenient berechtigt, zur Unterstützung „seiner“ Hauptpartei Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend zu machen, Beweise anzubieten und alle sonstigen Prozesshandlungen vorzunehmen.

3. Gemäß § 19 Abs 1 letzter Satz ZPO sind Prozesshandlungen des Nebenintervenienten wirksam, soweit sie nicht mit Prozesshandlungen der Hauptpartei im Widerspruch stehen; es gelten sonst die Handlungen der Hauptpartei, die widersprechenden Handlungen des Nebenintervenienten sind unwirksam (RS0035472). Es steht daher im Belieben der Partei, durch ihren Widerspruch die vom Nebenintervenienten gesetzten Handlungen unwirksam werden zu lassen (4 Ob 22/13h; 5 Ob 31/16v). Ein Widerspruch kann entweder ausdrücklich erfolgen oder durch eine Prozesshandlung, die mit der Prozesshandlung des Nebenintervenienten in Widerspruch steht (1 Ob 52/07i).

4. Der Unterbrechungsantrag der Erst- und Zweitnebenintervenientin diente der Unterstützung der Beklagten. Durch die den Antrag ablehnende Äußerung der Klägerin entstand ein Zwischenstreit über die Frage der Unterbrechung des Verfahrens zwischen den Beklagten und der Klägerin. Wenn die Erst- und Zweitbeklagten der Ansicht sind, dass sie an diesem Zwischenstreit nur mit einem Streitwertanteil von EUR 451.043,64 (anteiliges Klagebegehren zu den G*-LKW) teilgenommen haben, ist auszuführen, dass aufgrund der Solidarverpflichtung die Beklagten materielle Streitgenossen im Sinn des § 11 Z 1 ZPO sind (5 Ob 170/21t [Rz 16]). Angriffs- und Abwehrmittel stehen jedem Streitgenossen selbstständig zu, selbst wenn sie im Widerspruch zu den Prozessbehauptungen der anderen Streitgenossen stehen ( Schneider in Fasching/Konecny ³ II/1 § 13 ZPO Rz 11). Ein Widerspruch der Erst- und Zweitbeklagten gegen den Unterbrechungsantrag der Erst- und Zweitnebenintervenientin hätte daher zur Folge, dass dieser im Verhältnis Erst- und Zweitbeklagte zur Klägerin nicht wirksam wäre und die Erst- und Zweitbeklagte daher am Zwischenstreit über die Frage der Unterbrechung nicht teilnehmen würden, wodurch sie auch nicht kostenersatzpflichtig werden könnten.

5. Die Argumentation der Erst- und Zweitbeklagten zielt im Ergebnis darauf ab, dass sie dem Unterbrechungsantrag der Erst- und Zweitnebenintervenientin teilweise widersprochen haben, nämlich hinsichtlich der Nicht-G*-LKW, wodurch sich der Streitwert bzw die Bemessungsgrundlage für die Kosten auf den Betrag des Klagebegehrens reduziert habe, der auf die G*-LKW entfalle.

Von der Rechtsprechung wird eine Teilunterbrechung in bestimmten Fällen objektiver Klagehäufung als zulässig angesehen (RS0074285; RS0037814), weshalb auch ein Antrag auf Teilunterbrechung – mit dem die Erst- und Zweitbeklagten einverstanden sein wollen – grundsätzlich zulässig ist. Betrifft der Zwischenstreit nur einen Teil der geltend gemachten Ansprüche, so ist die ihn betreffende wertmäßige Quote als abgrenzbar zuzusprechen ( Obermaier , Kostenhandbuch³ Rz 1.331).

Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass ein teilweiser Widerspruch der Erst- und Zweitbeklagten gegen den Unterbrechungsantrag zulässig ist und zu dem von den Rekurswerberinnen begehrten Ergebnis führen würde, dass sich die Bemessungsgrundlage des Zwischenstreits auf den den Zwischenstreit betreffenden Teil des Klagebegehrens (G*-LKW) reduzieren würde.

6. Da die Prozesshandlungen des Nebenintervenienten für die Hauptpartei nur insoweit rechtswirksam sind, als sie nicht mit deren eigenen Prozesshandlungen in Widerspruch stehen, ist somit zu prüfen, ob im Verhältnis zwischen der Erst- und Zweitbeklagten und der Erst- und Zweitnebenintervenientin ein solcher Widerspruch besteht.

Bei der Auslegung einer Prozesshandlung kommt es darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Prozesszwecks und der dem Gericht und Gegner bekannten Prozesslage und Aktenlage objektiv verstanden werden muss (RS0037416; RS0017881); es ist jener Variante der Vorzug zu geben, die es erlaubt, eine prozessuale Willenserklärung als wirksame Prozesshandlung anzusehen (RS0106326).

Demnach ist ein Widerspruch noch nicht anzunehmen, wenn die Hauptpartei bloß behauptet, sie habe bewusst keine Prozesshandlung (zB einen Einspruch oder ein Rechtsmittel) vorgenommen (3 Ob 51/05d; 5 Ob 21/09p; RS0035520). Widersprüchliches Verhalten liegt hingegen vor, wenn die Hauptpartei Tatsachen ausdrücklich zugesteht; der Nebenintervenient kann diese Tatsachen nicht wirksam bestreiten ( Schneider in Fasching/Konecny ³ II/1 § 19 ZPO Rz 34). Deixler-Hübner (Die Nebenintervention im Zivilprozess [1993], 146) meint, dass sich der Widerspruch konkludent ergebe, wenn die Partei gegenteilige Handlungen setze oder bereits Erklärungen abgegeben oder Handlungen vorgenommen habe, aus denen der entgegengesetzte Wille zweifelsfrei hervorgehe.

7. Im Anlassfall haben die Erst- und Zweitbeklagte in ihrer Stellungnahme zum Unterbrechungsantrag der Erst- und Zweitnebenintervenientin ausgeführt, dass gegen eine Teilunterbrechung für die 29 G*-LKW keine Einwände bestehen und es für alle anderen in diesem Verfahren betroffenen LKW keinen Grund für eine Unterbrechung gebe. Dazu führten die Erst- und Zweitbeklagte inhaltlich aus, aus welchen Gründen eine Unterbrechung nicht zu erfolgen habe. Damit haben die Erst- und Zweitbeklagte zum Ausdruck gebracht, dass sie mit einer Unterbrechung des Verfahrens in Bezug auf die anderen LKW - worauf der Antrag der Erst- und Zweitnebenintervenientinnen (auch) gerichtet war - nicht einverstanden sind. Diese Prozesserklärung steht bezüglich der anderen LKW im Widerspruch zur Prozesshandlung der Erst- und Zweitnebenintervenientin und ist daher objektiv als Widerspruch im Sinn des § 19 ZPO zu verstehen.

8. Dass die übrigen Beklagten dem Unterbrechungsantrag der Erst- und Zweitnebenintervenientin nicht entgegengetreten sind, bindet die Erst- und Zweitbeklagte wegen der Selbstständigkeit der Streitgenossen nicht. Es muss auch – entgegen der Ansicht der Klägerin in der Rekursbeantwortung - kein Einvernehmen zwischen den Beklagten hergestellt werden. Jeder der einfachen Streitgenossen ist dem Gegner gegenüber im Prozess nämlich derart selbständig, dass die Handlungen oder Unterlassungen des einen Streitgenossen dem anderen weder zum Vorteil noch zum Nachteil gereichen (§ 13 ZPO).

9. Aus dem Umstand, dass die Erst- und Zweitnebenintervenientin ihren Unterbrechungsantrag nach der Äußerung der Erst- und Zweitbeklagten neuerlich bekräftigt haben (ON 97, 100), folgt nicht, dass die Erst- und Zweitbeklagte gehalten gewesen wären, abermals ihren Widerspruch zu erklären, um die Rechtsfolgen des § 19 Abs 1 letzter Satz ZPO zu bewirken.

10. Der Klägerin ist zuzustimmen, dass eine Herabsetzung des Kostenzuspruchs auch zugunsten der Dritt-, Viert- und Fünftbeklagten nicht zu erfolgen hat. Dem steht die Rechtskraft der Kostenentscheidung im Verhältnis zur Dritt-, Viert- und Fünftbeklagten entgegen. Angriffs- und Abwehrmittel stehen jedem Streitgenossen nämlich selbstständig zu; das gilt auch für die Rechtsmittel (RS0126310). In diesem Zusammenhang war jedoch die erstinstanzliche Entscheidung mit der Maßgabe zu bestätigen, dass diese solidarisch zum Kostenersatz zu verpflichten waren, weil sie auch in der Hauptsache solidarisch haften ( M. Bydlinksi in Fasching/Konecny ³ II/1 § 46 ZPO Rz 5).

11. Der Rekurs war daher im Sinn seines Eventualantrags berechtigt. Auf die im Rekurs ebenfalls vorgebrachte Mangelhaftigkeit des Verfahrens ist bei dieser Sachlage nicht mehr einzugehen.

12. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Der Erst- und Zweitbeklagten gebührt nur ein Streitgenossenzuschlag von 10 %, weil ein Streitgenossenzuschlag nur für die tatsächlich im konkreten Verfahren aktiv als Parteien aufgetretenen Personen zusteht ( Obermaier , Kostenhandbuch³ Rz 3.25).

13. Die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses beruht auf § 528 Abs 2 Z 3 ZPO.

Rückverweise