33R69/23v – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hinger als Vorsitzenden, die Richterin Mag. Tscherner sowie den Richter Mag. Schmoliner in der Rechtssache der klagenden Partei K***** , wider die beklagten Parteien 1. S***** , 2. K***** , 3. ***** Privatstiftung , wegen Abberufung eines Geschäftsführers (EUR 50.000) über die Berufung der 1. und der 2. beklagten Parteien gegen das Versäumungsurteil des Landesgerichts Krems an der Donau vom 13.2.2023, 33 Cg 44/22m–13, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Berufung der 1. und der 2. beklagten Parteien wird Folge gegeben.
Das angefochtene Versäumungsurteil wird aufgehoben und die Rechtssache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Der ordentliche Revisionsrekurs ist zulässig.
Begründung
Text
Der Kläger ist selbständig vertretungsbefugter Geschäftsführer und Gesellschafter (zu 30 %) der ***** GmbH (in der Folge „Gesellschaft“). Der 1. Beklagte ist kollektiv vertretungsbefugter Geschäftsführer der Gesellschaft und ebenfalls Gesellschafter (zu 20 %). Weitere Gesellschafter sind der 2. Beklagte (zu 1 %) und die 3. Beklagte (zu 49 %).
Der Kläger begehrt vom 2. Beklagten und der 3. Beklagten, in die Abberufung des 1. Beklagten als Geschäftsführer der Gesellschaft einzuwilligen, sowie die Abberufung des 1. Beklagten als Geschäftsführer der Gesellschaft mit Rechtskraft des Urteils und Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht. Er begründet dies im Wesentlichen mit den Abberufungsgründen der Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung sowie der groben Pflichtverletzung iSd §§ 117 Abs 1 und 127 UGB. Der 1. Beklagte verfüge über keinerlei Ausbildung oder sonstige Befähigung, die ihn zur Führung der Geschäfte der Gesellschaft qualifiziere. Er zeige auch kein Interesse an der Geschäftsführung und sei lediglich „auf dem Papier“ Geschäftsführer. Als Gesellschafter habe er seine Stimme treuwidrig abgegeben und versuche durch grob unrichtige, massive anrührige Behauptungen, den Kläger zu diskreditieren, woraus existenzgefährdende wirtschaftliche Nachteile für die Gesellschaft resultieren könnten. Darüber hinaus habe er geschäftsinterne vertrauliche Unterlagen und Informationen Dritten zugänglich gemacht.
Der 1. und der 2. Beklagte wandten zusammengefasst ein, die geltend gemachten Abberufungsgründe lägen nicht vor. Das diesbezügliche Vorbringen des Klägers sei unsubstanziiert und frei erfunden.
Die 3. Beklagte beteiligte sich nicht am Verfahren. Sie erstattete weder eine Klagebeantwortung noch nahm sie an der vorbereitenden Tagsatzung vom 2.2.2023 teil.
Über Antrag des Klägers erließ das Erstgericht am 13.2.2023 das angefochtene Versäumungsurteil, mit dem es die 3. Beklagte schuldig erkannte, in die Abberufung des 1. Beklagten als Geschäftsführer der Gesellschaft einzuwilligen und sie zum anteiligen Kostenersatz an den Kläger verpflichtete. In rechtlicher Hinsicht folgerte es, es liege zwar ein einheitlicher Streitgegenstand, aber keine einheitliche Streitpartei auf Seiten der Beklagten vor. Die Klagebeantwortung des 1. und des 2. Beklagten wirke damit nicht für die 3. Beklagte, die daher säumig sei.
Dagegen richtet sich die Berufung des 1. und des 2. Beklagten aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Versäumungsurteil ersatzlos aufzuheben.
Der Kläger beantragte, der Berufung mangels Beschwer nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist berechtigt.
1. Zentrale Frage sowohl für die Zulässigkeit des Rechtsmittels als auch dafür, ob das Erstgericht berechtigt war, ein Versäumungsurteil (nur) gegen die 3. Beklagte zu erlassen ist, ob die drei Beklagten eine einheitliche Streitpartei im Sinne des § 14 ZPO bilden. Eine solche liegt vor, wenn die Wirkung des zu fällenden Urteils sich kraft der Beschaffenheit des streitigen Rechtsverhältnisses oder kraft gesetzlicher Vorschrift auf sämtliche Streitgenossen erstreckt. Wann das der Fall ist, ergibt sich aus dem materiellen Recht (vgl Perner , Die notwendige Streitgenossenschaft an der Schnittstelle von Zivil- und Prozessrecht, RdW 2010, 77).
Bei einer einheitlichen Streitpartei wirkt die Prozesshandlung eines Streitgenossen auch für alle anderen, sodass es kein Versäumungsurteil gegen einzelne Säumige gibt und ein einzelner Streitgenosse seinen Anspruch weder wirksam anerkennen noch sich vergleichen kann ( Fucik in Rechberger/Klicka, ZPO 5 § 14 Rz 6 mwN). Wird dennoch ein Versäumungsurteil erlassen, kann es (auch) von den anderen Streitgenossen bekämpft werden, weil nicht auszuschließen ist, dass es deren Rechtsstellung beeinträchtigt ( Schneider in Fasching/Konecny 3 § 14 ZPO Rz 111).
2. Tatsächlich macht der Kläger mit seiner Klage zwei unterschiedliche Ansprüche geltend: Einerseits einen Gestaltungsanspruch auf Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis nach § 117 UGB und der Vertretungsmacht nach § 127 UGB, andererseits begehrt er die Zustimmung der übrigen Gesellschafter zur Abberufung. Nach nunmehr herrschender Lehre und Rechtsprechung (vgl die Nachweise bei Enzinger in Straube/Ratka/Rauter, UGB 4 § 117 Rz 49 [Stand 1.7.2022, rdb.at]) sind diese Verfahren jedenfalls bei Personengesellschaften als einheitlicher Prozess mit einem einheitlichen Streitgegenstand zu führen, bei dem der sich weigernde Gesellschafter als Mitbeklagter (mit einem eigenständigen Klagebegehren) geklagt werden kann. Zwar gelangt Enzinger an einer anderen, vom Erstgericht zitierten, Fundstelle (Rz 54) zur Ansicht, es liege zwar ein einheitlicher Streitgegenstand, nicht aber eine einheitliche Streitpartei vor. Er begründet diese Meinung aber weder näher noch belegt er sie durch Fundstellen, worauf die Berufung zutreffend hinweist. Sie widerspricht auch der von ihm zuvor referierten Entscheidung eines verstärkten Senats des OGH (1 Ob 40/01 s = WBl 2001, 487 [Aicher] ). Das Berufungsgericht vermag sich daher dieser Ansicht nicht anzuschließen. Vielmehr ist – jedenfalls bei Personengesellschaften – mit der Entscheidung des verstärkten Senats davon auszugehen, dass die auf Zustimmung in Anspruch genommenen Gesellschafter mit dem Entziehungsbeklagten eine notwendige Streitgenossenschaft bilden.
3.1 Fraglich ist somit lediglich, ob sich diese für eine Personengesellschaft etablierte Rechtsprechung auch auf das GmbH-Recht, in dem die §§ 117, 127 UGB entsprechend der Verweisung in § 116 Abs 2 GmbHG sinngemäß anzuwenden sind, übertragen lässt. In der Literatur wird dies unterschiedlich beantwortet, überwiegend aber bejaht (vgl dazu die Nachweise bei Zib in Torggler , GmbHG § 16 Rz 37 [Stand 1.8.2014]; Nowotny in Kalss/Nowotny/Schauer , Österreichisches Gesellschaftsrecht² 4/166 [Stand 1.6.2017, rdb.at]); rezente höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu liegt nicht vor. Die vom Kläger in der Berufungsbeantwortung zitierten Entscheidungen 1 Ob 611/91 und 7 Ob 559/91, nach denen die Zustimmungs- und die Entziehungsbeklagten keine einheitliche Streitpartei bilden, sind vor der Entscheidung des verstärkten Senats zu 1 Ob 40/01s ergangen, der von den in den zitierten Entscheidungen genannten Grundsätzen ausdrücklich – jedenfalls für Personengesellschaften – abgegangen ist.
3.2 Soweit insbesondere Koppensteiner (in Koppensteiner/Rüffler, GmbHG 3 § 16 Rz 22, und [mit Auer ] in Straube/Ratka/Rauter , UGB 4 § 127 Rz 6 [Stand 1.4.2020, rdb.at]) die gegenteilige Ansicht auf den Wortlaut des § 16 Abs 2 3. Satz GmbHG stützt, wonach nur jene Gesellschafter, die gegen die Abberufung des Geschäftsführers gestimmt haben, auf Zustimmung geklagt werden müssen, so betrifft diese Bestimmung nur die Abberufung eines Fremdgeschäftsführers, nicht aber die eines Gesellschafter-Geschäftsführers wie hier vorliegend. Dessen Abberufung ist in § 16 Abs 2 2. Satz GmbHG geregelt. Im Gegensatz zur Klage nach letztgenannter Bestimmung ist die Klage nach dem 3. Satz keine Rechtsgestaltungsklage der Gesellschafter gegen den Geschäftsführer, sondern (nur) eine Klage gegen jene Gesellschafter, die der Abberufung nicht zugestimmt haben ( Ratka in Straube/Ratka/Rauter, WK GmbHG § 16 Rz 54 [Stand 1.8.2020, rdb.at]). Der Gesetzgeber wollte hier offensichtlich bewusst eine Unterscheidung treffen (kritisch Zib aaO Rz 39), sodass sich die Wertungen des Satz 3 nicht zwingend auf jene des Satz 2 übertragen lassen.
3.3 Das Berufungsgericht schließt sich daher (wie auch bereits das OLG Graz zu 3 R 49/16z bei einem gleich gelagerten Sachverhalt) der Meinung an, dass der vom verstärkten Senat des OGH vorgegebene Weg auch für die Abberufung des Gesellschafter-Geschäftsführers einer GmbH zu beschreiten ist und die Beklagten daher als einheitliche Streitpartei iSd § 14 ZPO anzusehen sind.
4. Die Klagebeantwortung des 1. und des 2. Beklagten wirkte somit auch für die 3. Beklagte; eine Säumnis und damit die Voraussetzung für die Erlassung eines Versäumungsurteil lag nicht vor. Der Berufung war daher Folge zu geben, das angefochtene Versäumungsurteil aufzuheben und die Rechtssache an das Erstgericht zu weiteren Verhandlung und Entscheidung zurückzuweisen. Dieses wird im fortgesetzten Verfahren auch die 3. Beklagte zu der anzuberaumenden Tagsatzung zu laden haben (§ 402 Abs 2 ZPO).
5. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
6. Der Revisionsrekurs nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO ist zulässig, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliegt, ob bei der gerichtlichen Abberufung des Gesellschafter-Geschäftsführers einer GmbH alle übrigen Gesellschafter ebenso eine einheitliche Streitpartei bilden wie dies nach der Entscheidung 1 Ob 40/01s bei Personengesellschaften der Fall ist, diese Frage in der Lehre uneinheitlich beantwortet wird und sie über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung entfaltet.