JudikaturOLG Wien

3R27/23x – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
27. April 2023

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Iby als Vorsitzenden, die Richterin MMag. a Pichler und den KR DI Viehauser, MSc, in der Rechtssache der klagenden Partei A* , geb. **, **, vertreten durch die Kiechl Schaffer Rechtsanwalts GmbH in Wien, wider die beklagte Partei C* D* GmbH , FN **, **, vertreten durch Dr. Christoph Neuhuber, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 45.000,-- s.A. und Feststellung (Streitwert: EUR 8.000,--), über die Berufungen der klagenden Partei (Berufungsinteresse: EUR 5.000,--) und der beklagten Partei (Berufungsinteresse: EUR 43.560,--) gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 28.12.2022, 19 Cg 19/22y-33, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Beiden Berufungen wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 2.347,15 (darin EUR 391,19 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu Handen des Klagevertreters zu ersetzen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Klägerin begehrte Schadenersatz in Höhe von EUR 45.000,-- samt 4 % Zinsen seit Klagszustellung sowie die Feststellung, dass die Beklagte ihr für alle künftigen Schäden aus dem Unfall vom 14.2.2020 hafte. An diesem Tag um ca 21 Uhr sei sie beim Verlassen des Geschäftslokals der Beklagten beim Benützen des barrierefreien Ausgangs mit dem Rollstuhl aufgrund eines Niveauunterschiedes gestürzt. Dabei habe sie sich einen Bruch des Schienbeinkopfes des linken Beines, einen Bruch des rechten Schien- und Wadenbeins und Haarrisse in der Hüfte zugezogen. Der Niveauunterschied sei für die Klägerin auch bei gehöriger Aufmerksamkeit nicht erkennbar gewesen, weil die am Vorplatz installierte Beleuchtung nicht aktiviert gewesen sei. An der betreffenden Stelle habe sich auch keine Warnung oder Markierung befunden. Ein derartiger Niveauunterschied sei bei einem barrierefreien Ausgang nicht zu erwarten. Ein Mitverschulden der Klägerin liege daher nicht vor. Die Beklagte habe Maßnahmen zur Absicherung unterlassen und dadurch sowohl allgemeine Verkehrssicherungspflichten als auch ihre vertraglichen Schutzpflichten verletzt. Diese Pflichten bestehen unabhängig vom Eigentum am Geschäftslokal. Der Beklagten sei die Gefahrenquelle bekannt gewesen. Maßnahmen wie das Anbringen einer Bodenmarkierung oder das Aufstellen eines Warnschildes seien zumutbar und wären geeignet gewesen, den Unfall zu verhindern. Da die Klägerin an Osteogenesis imperfecta („Glasknochenkrankheit“) leide, habe sie in einer Spezialklinik behandelt werden müssen und lang anhaltende, starke Schmerzen erlitten, die ein Schmerzengeld in Höhe von EUR 30.000,-- rechtfertigten, wobei auch der Verlust an Lebensfreude als psychische Alteration zu berücksichtigen sei. Aufgrund der verursachten Verletzungen sei ein zusätzlicher Pflegeaufwand von mindestens 500 Stunden und somit in Höhe von EUR 15.000,-- entstanden. Die Verletzungen seien bei Klagseinbringung noch nicht ausgeheilt gewesen, Spät- und Dauerfolgen seien zu erwarten.

Die Beklagte wandte im Wesentlichen ein, dass sie als Mieterin des Geschäftslokals keine Verkehrssicherungspflichten treffen. Bezüglich der Beleuchtung des Außenbereichs habe der Geschäftsführer der Beklagten bereits vor dem Unfall Kontakt mit der Hausverwaltung aufgenommen, um diese zu entsprechenden Maßnahmen zu bewegen. Für die mangelhafte Installation bzw. den technischen Defekt der Beleuchtung sei die Beklagte nicht verantwortlich. Das Alleinverschulden am Unfall treffe die Mitarbeiterin der Hausverwaltung, E*, welche auch strafrechtlich der Körperverletzung an der Klägerin schuldig befunden worden sei. Die rechtswirksame strafrechtliche Verurteilung der E* entfalte eine Bindungswirkung in diesem Verfahren. Der Bereich der Treppe gehöre nicht mehr zu dem Bereich, den die Beklagte gemietet habe. Die Klägerin trage ein Mitverschulden von mindestens 50 %, weil sie sich in die von ihr behauptete absolute Finsternis begeben habe, ohne den Untergrund des weiteren Weges erkennen zu können. Darüber hinaus habe sie die örtlichen Gegebenheiten beim Betreten des Lokals bereits gekannt. Der Klägerin sei vorzuwerfen, dass sie zu früh links abgebogen sei.

Mit dem angefochtenen Urteil sprach das Erstgericht der Klägerin EUR 10.560,-- an Schadenersatz für Pflegeleistungen und EUR 25.000,-- an Schmerzengeld, insgesamt somit EUR 35.560,-- s.A. zu und wies das Mehrbegehren ab. Es stellte fest, dass die Beklagte der Klägerin für alle Dauerfolgen aus dem Unfall haftet, der sich am 14.2.2020 beim Verlassen des Lokals „C* F*“ ereignet hat. Die Nebenintervention von E* wies das Erstgericht mit Beschluss zurück. Darüber hinaus wies es den Antrag der Klägerin auf Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Bereich der Bautechnik ab.

Es traf dazu die auf den Urteilsseiten 6-8 wiedergegebenen Feststellungen, auf die verwiesen wird.

Rechtlich kam das Erstgericht zum Ergebnis, dass die Beklagte ihre vertraglichen Schutz- und Sorgfaltspflichten gegenüber der Klägerin verletzt habe. Jeder Inhaber eines Geschäfts habe gegenüber einer Person, die das Geschäft als Kunde betritt, die vertragliche Pflicht, für die Sicherheit des Geschäftslokals zu sorgen. Der Geschäftsinhaber müsse die seiner Verfügung unterliegenden Anlagen, die er seinen Kunden zur Benützung einräume, in verkehrssicherem und gefahrlosem Zustand erhalten und alle erkennbaren Gefahrenquellen ausschalten. Diese Pflichten bestehen als nachvertragliche Pflichten fort, solange sich ein Vertragspartner oder seine Güter in der Einflusssphäre des anderen Vertragspartners befinden. Auf die Eigentumsverhältnisse am Weg vor dem Geschäftslokal komme es nicht an. Zum Zeitpunkt des Unfalls habe die Beklagte gegenüber der Klägerin als Vertragspartnerin die Pflicht gehabt, für die Sicherheit des Geschäftslokals zu sorgen, und zwar auch im Zugangsbereich und beim Verlassen des Lokals. Dies setze die Erkennbarkeit der Gefahrenquelle voraus.

Der Geschäftsinhaber müsse zumutbare, angemessene und geeignete Maßnahmen zur Gefahrenabwehr setzen. Den Feststellungen zufolge sei dem Geschäftsführer der Beklagten die Gefahr schon vor dem Unfall bekannt gewesen und er habe zwar Maßnahmen gesetzt, die jedoch nicht erfolgreich gewesen seien. Angesichts der Lage der Gefahrenstelle und der Tatsache, dass ein barrierefreier Zugang keine Hindernisse aufweisen soll, seien der Beklagten weitere Sicherungsmaßnahmen zumutbar gewesen, zB eine Warnung, Markierung oder Absicherung des Niveauunterschieds.

Die Gefahrenquelle sei für die Klägerin nicht erkennbar gewesen. Es könne ihr nicht zugemutet werden, sich die Länge der Stufenkanten beim einmaligen Passieren zu merken. Auch die Benützung des Weges bei Dunkelheit sei ihr nicht vorzuwerfen. Daher treffe sie kein Mitverschulden.

Ersatz stehe auch für Leistungen an die Geschädigte zu, die von Dritten aufgrund familienrechtlicher Pflichten erbracht werden, um die unfallbedingt vermehrten Bedürfnisse der Klägerin zu befriedigen. Dafür seien die Kosten einer fremden (professionellen) Pflegekraft maßgebend, wobei von den Bruttolohnkosten auszugehen sei. Unter Anwendung des angemessenen Stundensatzes von EUR 30,-- bestehe der Anspruch für Pflegeleistungen mit EUR 10.560,-- zu Recht.

Im Hinblick auf die festgestellten Schmerzperioden, die zu erwartenden künftigen Schmerzen und unter Berücksichtigung der psychischen Alteration sei ein Schmerzengeld von EUR 25.000,-- angemessen.

Den Feststellungen zufolge seien Dauerfolgen, für deren Eintritt der Unfall vom 14.2.2020 kausal ist, geradezu wahrscheinlich. Die Haftung der Beklagten für sämtliche Dauerfolgen sei daher festzustellen. Da aus dem Unfall resultierende Spätfolgen jedoch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden könnten, sei dem auf die Haftung für Spätfolgen gerichteten Feststellungsbegehren nicht stattgegeben worden.

Dagegen richten sich die Berufungen der Klägerin aus dem Grund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung und der Beklagten aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der unrichtigen Tatsachenfeststellung infolge unrichtiger Beweiswürdigung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass ihr weitere EUR 5.000,-- s.A. an Schmerzengeld zuerkannt werden. Hilfsweise wird die Aufhebung des Urteils im angefochtenen Umfang beantragt. Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen wird, in eventu dass ein Mitverschulden der Klägerin von zumindest 50 % festgestellt wird. Hilfsweise stellen beide Berufungswerber einen Aufhebungsantrag.

Beide Streitteile beantragen, der Berufung der Gegenseite keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Beide Berufungen sind nicht berechtigt.

I. Zur Berufung der Beklagten:

I.1. Zur Mängelrüge:

Der Berufungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens ist nicht gesetzmäßig ausgeführt, weil nicht zu erkennen ist, welche Beweismittel das Erstgericht heranzuziehen unterlassen haben soll und inwieweit dadurch eine erschöpfende Erörterung und Beurteilung der Sache verhindert wurde (§ 496 Abs 1 Z 2 ZPO). Der Rechtsmittelwerber muss in seiner Verfahrensrüge nachvollziehbar ausführen, welche für ihn günstigen Verfahrensergebnisse zu erwarten gewesen wären, wenn der Verfahrensfehler nicht unterlaufen wäre (RS0043039 [T4]). Der Berufungswerber verweist nur auf seine Ausführungen in der Beweis- und Rechtsrüge, ohne zu erläutern, welche Verfahrensfehler seines Erachtens vorliegen. Aus diesem Grund werden die Argumente der Beklagten nur unter den Gesichtspunkten der Beweis- und Rechtsrüge behandelt.

I.2. Zur Beweisrüge:

I.2.1. Bekämpft werden folgende Feststellungen:

„Das Lokal ist im Erdgeschoss gelegen, wobei der Eingang zum großen Teil nur über Stufen erreicht werden kann.“

Stattdessen werden die folgenden Ersatzfeststellungen begehrt:

Das Lokal ist im Erdgeschoss gelegen.

Die bekämpfte Feststellung erwecke den Eindruck, dass man das Lokal nicht barrierefrei erreichen könne. Die Relevanz dieser Feststellung liege darin, dass sie besondere Erschwernisse suggeriere, was erhöhte Sorgfaltspflichten der Beklagten begründe.

Die bekämpfte Feststellung steht im Einklang mit den Lichtbildern in Beilage ./D, auf denen die Stufen klar erkennbar sind, und ist somit nicht zu beanstanden. Darüber hinaus kann der Eindruck, dass das Lokal nicht barrierefrei erreichbar sei, gar nicht entstehen, weil das Erstgericht den barrierefreien Zugang im folgenden Satz beschreibt. Die Bedenken der Beklagten gegen die bekämpfte Feststellung sind daher nicht berechtigt.

I.2.2. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen bekämpft:

Zum Zeitpunkt des Unfalls war es bereits dunkel, weder der Vorplatz noch die Stufen neben der Eingangstür waren beleuchtet. Auch durch das Licht aus dem Lokal war der Niveauunterschied an der Unfallstelle nicht erkennbar.

Stattdessen begehrt die Beklagte folgende Ersatzfeststellung:

Wenn man am Abend vor dem Lokal steht, ist es nicht so dunkel, dass man die Stufen nicht sehen würde. Selbst bei mäßigen Lichtverhältnissen kann man die Stufen erkennen. Durch das Licht vom Lokal hat man die Stufen zwar nicht klar, jedoch immerhin erkennen können. “ sowie:

Zum Zeitpunkt des Unfalles war es bereits dunkel, weder der Vorplatz noch die Stufen neben der Eingangstüre waren beleuchtet. Durch das Licht aus dem Lokal und das Umgebungslicht war der Niveauunterschied an der Unfallstelle erkennbar.

Es gehört zum Wesen der freien Beweiswürdigung, dass sich der Richter für eine von mehreren widersprechenden Darstellungen aufgrund seiner Überzeugung entscheidet, dass diese mehr Glaubwürdigkeit beanspruchen kann (RS0043175). Allein der Umstand, dass die Beweisergebnisse auch andere als die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen ermöglicht hätten oder dass es einzelne Beweisergebnisse gibt, die für den Prozessstandpunkt des Berufungswerbers sprechen, kann noch nicht zu einer erfolgreichen Bekämpfung der Beweiswürdigung und der darauf gegründeten Tatsachenfeststellungen führen (vgl Rechberger in Fasching/Konecny³ III/1 § 272 ZPO Rz 4 ff; Klauser/Kodek, JN-ZPO 18 § 467 ZPO E 40/1; RES0000012).

Die Beweisrüge stützt sich im Wesentlichen darauf, dass man aus der Zeugenaussage des Geschäftsführers der Beklagten, G*, vom 24.10.2022 und der Aussage der Zeugin H*, wonach ihre Mutter die Stufen erkannt habe, auch den gegenteiligen Schluss ziehen könne, nämlich dass die Stufen erkennbar gewesen seien. Damit zeigt die Beklagte jedoch keine stichhaltigen Gründe gegen die Richtigkeit der Beweiswürdigung auf.

Das Erstgericht hat sich mit sämtlichen Zeugenaussagen zu diesem Beweisthema auseinandergesetzt und stützt seine Feststellung nachvollziehbar auf die übereinstimmenden Aussagen der Klägerin und der Zeugen H* und I* sowie die frühere Aussage des Zeugen G* vom 14.6.2021. Dabei geht es auch auf den Widerspruch zwischen den Angaben des Zeugen G* vom 14.6.2021 und jenen vom 24.10.2022 ein. Dass das Erstgericht seine Feststellung nicht auf die Aussage einer Person stützt, die sich selbst widerspricht, sondern mehreren anderen übereinstimmenden Zeugenaussagen folgt, ist nachvollziehbar. Aus der Zeugenaussage der H* lässt sich ableiten, dass die Stufen nicht ohne weiteres erkennbar waren, denn sonst hätten sowohl ihre Mutter als auch sie selbst die Stufen erkannt. Aus den Lichtbildern in Beilage ./D ist für die Frage der Erkennbarkeit der Stufen bei Dunkelheit nichts zu gewinnen, weil sie den Zugangsbereich zum Lokal bei Tageslicht zeigen. Im Übrigen stehen die Feststellungen des Erstgerichts im Einklang mit der allgemeinen Lebenserfahrung, weil es sehr gut vorstellbar ist, dass man die einheitlich gefärbten, nicht markierten Stufen bei Dunkelheit nicht erkennen kann.

Der Berufung gelingt es somit nicht, erhebliche Bedenken gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichts aufzuzeigen.

I.3. Zur Rechtsrüge:

I.3.1. Als sekundären Feststellungsmangel rügt die Beklagte, dass das Erstgericht folgende Feststellung nicht getroffen hat:

Der Mietvertrag der beklagten Partei erstreckt sich ausschließlich auf Räumlichkeiten innerhalb des Gebäudes. Der unmittelbar vor dem Ausgang des Geschäftslokals liegende Vorplatz, begrenzt durch Stufen sowohl zur rechten Seite als auch zur linken Seite, ist lediglich und nur bis auf Widerruf zu benützen. Der Vorplatz und die Treppen selbst sind nicht vom Mietvertrag umfasst und gelten auch nicht als mitvermietet.

Unmittelbar vor dem Geschäftslokal befindet sich keine Treppe. Erst außerhalb des Geschäftslokals, an der linken Seite, in einem Abstand von rund 2 Metern nach der Eingangstüre beginnen Stufen zum daneben liegenden niedrigeren Niveau der Abfahrtsrampe.

Nach stRsp ist die Frage der Haltereigenschaft für den Weg, auf dem der Unfall geschah, bei Schadenersatzansprüchen aus der Verletzung vorvertraglicher Schutzpflichten nicht maßgeblich (vgl 3 Ob 666/78 SZ 52/135 = EvBl 1980/83; 2 Ob 32/92 ZVR 1993/62; 2 Ob 35/97d ZVR 2000/29; 3 Ob 160/04g immolex 2005/131). Verkehrssicherungspflichten treffen denjenigen, der die Gefahr erkennen und die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen ergreifen könnte, also jenen, der die Gefahr beherrscht (RS0023251; 2 Ob 512/91). Auf das Eigentum an der Verkehrsfläche bzw Gefahrenquelle kommt es dabei nicht an (6 Ob 180/14k EvBl 2016/2 [ Rohrer/Hafner ]; 2 Ob 158/06h ecolex 2007/386; 4 Ob 13/19v JBl 2020, 327 [ Aigner ] = ecolex 2019/363 = wobl 2020/42; 3 Ob 160/04g immolex 2005/131; vgl RS0023251). Die vertraglichen Pflichten eines Geschäftsraummieters gegenüber seinen Kunden enden nicht mit Vertragserfüllung, sondern bestehen als nachvertragliche Pflichten fort (3 Ob 160/04g immolex 2005/131; 4 Ob 13/19v). Daher hat der Geschäftsraummieter seine Kunden vor der ihnen beim Betreten oder Verlassen seines Geschäftes drohenden Gefahr, soweit sie bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt erkennbar ist, grundsätzlich zu schützen (vgl RS0023597; 4 Ob 13/19v ecolex 2019/363).

Wie groß der Bereich ist, auf den sich die Verkehrssicherungspflicht des Geschäftsinhabers bezieht, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. In vergleichbaren Fällen wurde dabei auf die Breite des Einganges, die Beschaffenheit seiner Umgebung und die sonstigen örtlichen Verhältnisse abgestellt (9 Ob 162/00i MietSlg 52.196 mwN; vgl auch 1 Ob 152/05t). Gastwirte müssen etwa auch Zugangswege zu Parkplätzen abzusichern, sodass eine gefahrlose Benützung insbesondere während der Abend- und Nachtstunden gewährleistet ist (RS0023768).

Nach den Feststellungen (einschließlich der hineinkopierten Lichtbilder aus Beilage ./D) befindet sich der Unfallort am Rand des im Sommer als Gastgarten genutzten Vorplatzes, wenige Meter vor dem Lokal der Beklagten. Daher ist vorhersehbar, dass Gäste – ob sie nun draußen oder drinnen sitzen – auf dem Weg zum und vom Lokal an den Stufen vorbeigehen oder diese benützen. Darüber hinaus handelt es sich um eine Stelle, die man beim Benützen des barrierefreien Zugangs zwangsläufig passieren muss. Aufgrund dieser örtlichen Gegebenheiten erstrecken sich die vertraglichen Schutz- und Sorgfaltspflichten der Beklagten auch auf diesen Bereich. Ob sie diese Fläche – etwa als Gastgarten – mitgemietet hat oder ihn lediglich mitbenützen darf, ist für die Reichweite ihrer Pflichten nicht relevant.

Damit werden die Sorgfaltspflichten der Beklagten aus dem Vertrag mit der Klägerin auch nicht überspannt. Die Verkehrssicherungspflicht findet ihre Grenze in der Zumutbarkeit entsprechender Maßnahmen (RS0023397; RS0023487). Die Beklagte hat die Gefahr nach den Feststellungen erkannt und wäre in der Lage gewesen, entsprechende Sicherungsmaßnahmen zu setzen, etwa ein Warnschild oder Markierungen anzubringen oder Blumenkästen zwischen den Stufen und der barrierefreien Zufahrt aufzustellen. Aus diesem Grund war sie der Klägerin gegenüber (auch beim Verlassen des Lokals und somit nach Vertragserfüllung) verpflichtet, sie vor der Gefahr eines Sturzes beim Benützen des barrierefreien Zugangs zu schützen.

Dass das Erstgericht keine Feststellungen zum Inhalt des Mietvertrags zwischen der Beklagten und der Eigentümerin des Gebäudes getroffen hat, begründet daher keinen sekundären Feststellungsmangel.

I.3.2. Gemäß § 1304 ABGB führt ein Mitverschulden des Geschädigten zu einer Schadensteilung. Die Beklagte rügt in ihrer Berufung, dass das Erstgericht nicht von einem Mitverschulden der Klägerin ausgegangen ist, und führt mehrere Gründe an, warum ein Mitverschulden von zumindest 50 % bei der Klägerin vorliege.

Beim Mitverschulden handelt es sich um eine Obliegenheitsverletzung. Der Geschädigte muss sich sorglos gegenüber den eigenen Gütern verhalten haben, dh jene Sorgfalt außer Acht gelassen haben, die nach dem allgemeinen Bewusstsein der beteiligten Kreise von jedem Einsichtigen und Vernünftigen eingehalten worden wäre, um eine Schädigung zu verhindern ( Schacherreiter in Kletečka/Schauer , ABGB-ON 1.09 § 1304 Rz 10 mwN). Dafür reicht nicht aus, dass eine Maßnahme effektiv den Selbstschutz erhöht, sondern es muss sich eine soziale Norm herausbilden, wonach jeder Vernünftige und Einsichtige diese Maßnahme ergreifen würde (RS0026828). Eine solche soziale Norm ist beispielsweise das Tragen eines Fahrradhelmes bei sportlich ambitionierten Rennradfahrern (2 Ob 99/14v ZVR 2014/218 [ Karner ]), mangels Verbreitung des Tragens von Helmen jedoch nicht bei „normalen“ Radfahrern (2 Ob 135/04y ZVR 2006/33 [ Schoditsch/Griehser ]; 2 Ob 8/20w JBl 2021, 385) . Fußgänger sind auch im Dunkeln nicht verpflichtet, helle oder reflektierende Kleidung zu tragen (2 Ob 9/13g Zak 2013/474).

Die Sorglosigkeit gegenüber den eigenen Gütern setzt zunächst voraus, dass die Gefahr erkannt wurde oder bei gehöriger Sorgfalt erkennbar gewesen wäre (1 Ob 784/83 ZVR 1984/122; 1 Ob 2192/96a SZ 69/148). Nach den Feststellungen hat die Klägerin die Gefahr nicht erkannt und hätte sie auch bei gehöriger Sorgfalt nicht erkennen können. Bereits aus diesem Grund hat sich die Klägerin nicht sorglos gegenüber ihren eigenen Gütern verhalten. Mangels Erkennbarkeit der Gefahr war es ihr beispielsweise nicht möglich, stehen zu bleiben und um Hilfe zu rufen.

Außerdem hat sie bei der Benützung des barrierefreien Zugangs auch keine zumutbaren Maßnahmen unterlassen, die jeder Einsichtige und Vernünftige in dieser Situation gesetzt hätte. Es gibt keine soziale Norm, die besagt, dass man bei der Fortbewegung in der Dämmerung im städtischen Gebiet mit dem Mobiltelefon vor sich den Weg ausleuchten sollte. Ebensowenig gibt es eine Pflicht zur Mitführung einer Beleuchtung am Rollstuhl, so wie es auch keine Stirnlampenpflicht für Fußgänger gibt.

I.3.3. Dass die Klägerin über den genauen Verlauf des barrierefreien Zugangswegs geirrt haben mag, begründet kein bzw allenfalls ein so geringes Mitverschulden, dass es gegenüber dem eindeutigen Sorgfaltsverstoß der Beklagten zu vernachlässigen wäre. Wer einen ausgewiesenen barrierefreien Zugangsweg benützt darf damit rechnen, dass es entlang dieses Weges keine unmarkierten Niveauunterschiede gibt. Sich den Weg bei der Hinfahrt auf den Zentimeter genau einzuprägen, weil man auf dem Rückweg sonst vielleicht stürzen könnte, würde die Sorgfaltspflicht eines durchschnittlich aufmerksamen Rollstuhlfahrers überspannen.

Aus den angeführten Gründen liegt auch kein sekundärer Feststellungsmangel vor, wenn das Erstgericht die von der Beklagten begehrte Feststellung unterlassen hat, dass die Klägerin noch „ irgendwie gewusst “ habe, „ dass da diese Stufen sind, “ und dann nicht weit genug geradeaus gefahren und zu früh links abgebogen sei. Im Übrigen hat das Erstgericht festgestellt, dass die Klägerin das Lokal über den barrierefreien Zufahrtsweg betrat, woraus sich bereits ergibt, dass sie beim Verlassen des Lokals diesen Weg schon kannte.

I.3.4 . Die Beklagte begehrt folgende Feststellung:

Die Klägerin begab sich in das Lokal der beklagten Partei in Begleitung ihrer Betreuerin/Pflegerin, der Zeugin J*. Diese hat die Klägerin bereits vor dem Unfall, verstärkt dann nach dem Unfall, im Rahmen der Pflegeleistungen betreut.

Da die Berufung das Unterlassen dieser Feststellungen rügt, ohne konkrete Feststellungen des Erstgerichts zu bekämpfen, wird dieser Punkt im Rahmen der Rechtsrüge als Geltendmachung eines sekundären Feststellungsmangels behandelt. Die Beklagte führt dazu aus, dass diese Feststellung für ein Mitverschulden der Klägerin rechtlich relevant wäre. Die Klägerin habe das Lokal mit ihrer Betreuerin betreten, sich aber beim Verlassen des Lokals von dieser gelöst und sei „auf eigene Faust“ aus dem Lokal hinausgefahren.

Die begehrte Feststellung wäre rechtlich nicht relevant, weil ein Mitverschulden der Klägerin nach den Ausführungen bei Punkt I.3.2. auch nicht darauf gestützt werden kann, dass sie nicht auf Schritt und Tritt von ihrer Pflegebetreuerin begleitet wird. Wie sich aus dem Akteninhalt ergibt, kann die Klägerin sich sehr gut alleine mit dem Rollstuhl fortbewegen. Darüber hinaus gibt es keine Beweisergebnisse, dass die Betreuerin am Abend des Unfalls tatsächlich dort anwesend war. Sie selbst sagt in ihrer Zeugenaussage nichts darüber aus (ON 30.5, S. 9 f). Auch die Klägerin erwähnt ihre Betreuerin nicht bei ihrer Aufzählung, wer am Abend des Unfalls dabei war (ON 6.2, S. 4).

I.3.5. Zur Untermauerung eines Mitverschuldens der Klägerin begehrt die Beklagte außerdem folgende Feststellung:

Die Klägerin hat im Lokal einen Cocktail „**“ getrunken, den sie dort immer trinkt. Die Klägerin kannte daher das Lokal und dessen Zugang aus mehreren vorhergehenden Lokalbesuchen.

Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die begehrte Feststellung rechtlich nicht relevant. Nach den Feststellungen des Erstgerichts ist ohnehin klar, dass die Klägerin den barrierefreien Zugang zum Lokal kannte, weil sie denselben Weg beim Betreten des Lokals genützt hat. Wie bei Punkt I.3.3. bereits erörtert, reicht die Kenntnis von den Stufen nicht aus, um zu einem Mitverschulden der Klägerin zu gelangen. Darüber hinaus spricht gegen die begehrte Feststellung, dass die Klägerin ausgesagt hat, sie sei das erste Mal im Lokal gewesen (ON 6.2, S. 7).

Auch in diesem Punkt liegt somit kein sekundärer Feststellungsmangel vor.

I.3.6. Somit trifft die Klägerin kein Mitverschulden am gegenständlichen Unfall. Darüber hinaus teilt das Berufungsgericht die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass die Beklagte gegen ihre vertraglichen Schutz- und Sorgfaltspflichten verstoßen hat. Der Berufung der Beklagten war daher ein Erfolg zu versagen.

II. Zur Berufung der Klägerin:

II.1. Das Erstgericht sprach der Klägerin ein Schmerzengeld in Höhe von EUR 25.000,-- zu. Mit ihrer Berufung begehrt die Klägerin zusätzlich EUR 5.000,--, insgesamt daher EUR 30.000,-- an Schmerzengeld. Das Schmerzengeld sei nicht zu berechnen, sondern global auszuloten. Die Schmerzengeldsätze in Österreich seien nicht einheitlich und als Untergrenzen zu betrachten. Selbst bei Anwendung der Untergrenzen von EUR 120/240/360,-- für jeweils einen Tag leichte/mittelstarke/schwere Schmerzen ergebe sich ein Betrag von EUR 27.000,-- statt der zugesprochenen EUR 25.000,--. Mittlerweile würden die meisten Gerichte höhere Schmerzengeldsätze annehmen. Selbst wenn man nur eine Inflationsanpassung der für Februar 2022 verlautbarten Schmerzengeldsätze vornehme, ergebe sich ein Schmerzengeld in Höhe von 30.000,--. Den festgestellten Dauerfolgen werde mit dem zugesprochenen Betrag nur teilweise Rechnung getragen. Darüber hinaus habe die Klägerin, die an der Krankheit Osteogenesis imperfecta („Glasknochen“) leide, aufgrund des krankheitsbedingt verzögerten Heilungsverlaufes und der nötigen Vorsicht bei jeglicher Bewegung einen Verlust an Lebensfreude und eine besondere Unbill gegenüber einer sonst gesunden Verletzten erlitten. Auch derartige psychische Alterationen seien in die globale Bemessung einzubeziehen.

II.2. Dazu wurde erwogen:

Schmerzengeld stellt eine Entschädigung für ideellen Schaden aus einer Körperverletzung dar. Nach ständiger Rechtsprechung ist Schmerzengeld nach freier Überzeugung (§ 273 ZPO) unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach Art und Dauer der erlittenen Schäden global festzusetzen. Das Schmerzengeld stellt eine einmalige Abfindung für Ungemach dar, das der Verletzte voraussichtlich zu erdulden hat. Es soll den gesamten Komplex der Schmerzempfindungen, auch soweit es für die Zukunft beurteilt werden kann, erfassen und sowohl die physischen als auch die erlittenen psychischen Beeinträchtigungen abgelten (RS0031307; 2 Ob 175/14w ecolex 2016/9).

In die Globalbemessung des Schmerzengeldes sind somit neben den bereits erlittenen Schmerzen auch künftige, nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge zu erwartende körperliche und seelische Schmerzen einzubeziehen. Schmerzengeld ist weder tageweise noch nach Tagessätzen zu bemessen (RS0031363; RS0031415), die Schmerzperioden können lediglich als Berechnungshilfe zugrunde gelegt werden (1 Ob 200/03y EvBl 2004/58).

Im konkreten Fall waren bei der Bemessung des Schmerzengeldes nicht nur die körperlichen Schmerzen zu berücksichtigen, sondern auch der langwierige Heilungsverlauf, weil die Heilung von Knochenbrüchen aufgrund der Vorerkrankung der Klägerin schwieriger ist als bei gesunden Verletzten. Die Auswirkungen einer Krankheitslage des Verletzten mindern das Schmerzengeld nicht, es sei denn, die Schmerzen wären auch ohne das Verhalten des Schädigers eingetreten, wofür jedoch der Schädiger die Beweislast trägt ( Huber in Schwimann/Neumayr , ABGB 5 § 1325 Rz 114 mwN; vgl 4 Ob 204/13y JBl 2014, 804; 2 Ob 164/17g ZVR 2018/208 [ Huber ]). Auch das Bewusstsein der unfallkausalen Dauerfolgen und die damit verbundene seelische Belastung waren im konkreten Fall in die Bemessung des Schmerzengeldes einzubeziehen. Das Erstgericht hat diese Umstände sowohl festgestellt als auch bei der Festsetzung des Schmerzengeldes berücksichtigt und die von der Sachverständigen ermittelten Schmerzperioden als Berechnungshilfe herangezogen. Das vom Erstgericht mit EUR 25.000,-- ausgemittelte Schmerzengeld ist nach Ansicht des Berufungsgerichts angemessen.

Aus diesen Gründen führte die Berufung der Klägerin zu keinem Erfolg.

III. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens gründet auf §§ 50, 41 ZPO. Im Verfahren über beide Berufungen gebührt kein Streitgenossenzuschlag, weil die Nebenintervention rechtskräftig zurückgewiesen wurde.

IV. Die ordentliche Revision war nicht zuzulassen, weil die Entscheidung nicht von einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO abhing. Die Beurteilung des Mitverschuldens und des konkreten Inhalts einer Verkehrssicherungspflicht stellt wegen deren Einzelfallbezogenheit keine erhebliche Rechtsfrage dar (RS0087606, RS0110202). Gleiches gilt für die Beurteilung der Höhe des angemessenen Schmerzengeldes (RS0042887 [T2, T8]).

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