3R8/23b – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Iby als Vorsitzenden, die Richterin MMag. a Pichler und die Sprengelrichterin Dr. in Maier in der Rechtssache der klagenden Partei A* Beteiligungsgesellschaft mbH , FN **, **, vertreten durch die Buchberger Ettmayer Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider die beklagte Partei B* GmbH , FN **, **, vertreten durch Mag. a Kathrin Hetsch, Dr. Werner Paulinz, Mag. a Verena Schwarzinger, Rechtsanwälte in Tulln, wegen zuletzt EUR 323.000,-- s.A., über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 25.11.2022, 28 Cg 49/21g-45, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss gefasst:
Spruch
Der Berufung wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die Klägerin ist Eigentümerin eines Kraftfahrzeugs der Marke Ferrari, Modell „LaFerrari Aperta“, Baujahr 2016. Sie erwarb dieses Fahrzeug am 3.4.2019 um EUR 3,600.000,-- exklusive USt von Konsul E*.
Die Beklagte wurde von der Klägerin mit der Durchführung von routinemäßigen Wartungsarbeiten an diesem Fahrzeug beauftragt.
Die Klägerin begehrte zunächst EUR 270.000,-- und brachte dazu vor, dass das Fahrzeug bei Übergabe an die Beklagte in einem unfallfreien und absolut neuwertigen Zustand gewesen sei. Während der Wartungsarbeiten habe ein Mitarbeiter der Beklagten die Motorabdeckung unsachgemäß geöffnet und dadurch wesentliche Bestandteile des Fahrzeugs beschädigt. Daraufhin habe die Beklagte Verbesserungsarbeiten zur Behebung dieser Schäden durchgeführt. Insbesondere durch den Verlust der Vorschadensfreiheit sei es zu einer erheblichen Wertminderung des Fahrzeugs gekommen. Da es notwendig geworden sei, an mehreren Stellen neuen roten Lack aufzutragen, bestehe ein erhöhtes Risiko für Farbabweichungen, was den Wert ebenfalls mindere. Einem Kaufinteressenten wären sowohl der Vorschaden als auch die notwendig gewordenen Reparaturen offenzulegen. Dies würde bei einem potentiellen Käufer erhebliches Misstrauen wecken. Das gegenständliche Fahrzeug sei ein ganz besonderes Modell, das nicht als Gebrauchsgegenstand betrachtet werden könne, sondern als Sammlerstück. Die vorgenommene Folierung entspreche einer Steinschlagschutzfolie, welche das Fahrzeug vor kleineren Schäden und Steinschlag schütze und keinesfalls dessen Wert mindere, sondern diesen ganz im Gegenteil erhalte. Diese Folie sei bereits ab Werk angebracht worden. Diese werde direkt von Ferrari angeboten und verarbeitet. Folierungen seien bei Luxusfahrzeugen üblich.
Mit Schriftsatz vom 28.10.2021 schränkte die Klägerin das Klagebegehren infolge Zahlung von EUR 37.000,-- durch die Beklagte auf EUR 233.000,-- s.A. ein. Nach Vorliegen des Sachverständigengutachtens dehnte die Klägerin das Klagebegehren am 19.5.2022 auf EUR 323.000,-- s.A. aus.
Die Beklagte wandte ein, dass das Fahrzeug schon zum Zeitpunkt der Übergabe an die Beklagte nicht mehr dem Zustand der Werksauslieferung entsprochen habe, weil es über Auftrag der Klägerin vom Einzelunternehmen „F*“ mit einer Folienbeschichtung versehen worden sei. Derartige nachträglich angebrachte Schutzfolien seien wesentlich preisgünstiger als die vom Hersteller werkseitig angebotenen Folierungen. Bei fachgerechter Entfernung und Verwendung von Folien ohne Weichmacher, die den Lack schädigen, seien derartige Veränderungen reversibel. Die Beklagte sei eine offizielle Vertragshändlerin für Fahrzeuge der Marke Ferrari in Österreich. Deren Handelsbetrieb mit Showroom sei eine entsprechend zertifizierte und nach CI-Vorschriften ausgestattete Fachwerkstätte. Ein Mitarbeiter der Beklagten habe versehentlich die Motorabdeckung geöffnet, ohne zuvor die Fahrer- und Beifahrertüre geöffnet zu haben. Durch die konstruktive Kinematik sei es zu einer Quetschung der Lackierung samt Folie im Bereich der hinteren oberen Ecke der linken Türe und einer punktförmigen Beschädigung der Lackierung an der linken oberen Ecke der rechten Türe gekommen. Zur Behebung des Schadens an der rechten Türe habe ein Farbauftrag in einem winzigen Bereich ausgereicht. An der linken Türe sei eine Reparaturlackierung nur im äußersten Eckbereich erfolgt. An beiden Türen habe der Originallack großflächig erhalten werden können. Zur Fertigstellung sei die linke Türe mit Klarlack überzogen worden, was keine Auswirkung auf das Lackbild der Werkslackierung im Farbton ** gehabt habe. Die Neufolierung des Daches und der Türen mindere den Wert nicht, weil sie jederzeit rückstandsfrei entfernt werden könne. Durch den verursachten Bagatellschaden habe das Fahrzeug keine objektive Wertminderung erfahren. Die Gefahr chemischer Reaktionen bei nachträglichen Folierungen sei durch die den Folien beigemischten Weichmacher und die verwendeten Kleber prozentuell größer als Farbabweichungen durch unsachgemäße Nachlackierungen. Nachträglich folierten Fahrzeugen werde auf dem Käufermarkt für derartige Sammlerfahrzeuge größeres Misstrauen entgegengebracht als Exemplaren mit gut dokumentierten Kleinstschäden.
Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht der Klage statt.
Darüber hinaus wies es die Beweisanträge auf Einvernahme der Zeugen G*, Ing. Dr. H* und I* sowie auf Durchführung einer weiteren Gutachtensergänzung und Einholung eines weiteren Gutachtens mit Beschluss ab.
Es traf dazu neben dem eingangs bereits zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhalt die auf den Urteilsseiten 3-9 wiedergegebenen Feststellungen, auf die verwiesen wird. Dabei stützte es sich auf das Gutachten des Sachverständigen J* K* vom 30.4.2022 (ON 30.1), der für das Fachgebiet „Verkehr und Fahrzeugtechnik – Historische Fahrzeuge, Restaurierung, Bewertung, insbesondere für Audi, Maserati, Ferrari, Lamborghini“ (17.47) in die Sachverständigenliste eingetragen ist.
Rechtlich kam das Erstgericht zum Ergebnis, dass der Klägerin ein Ersatz der merkantilen Wertminderung in der Höhe von 10 % des Kaufpreises zustehe. Bei Beschädigung einer Sache seien nicht nur die Reparaturkosten zu ersetzen, sondern es sei gegebenenfalls auch jene Wertminderung auszugleichen, die im konkreten Fall aufgrund der gefühlsmäßigen Abneigung potentieller Käufer gegen reparierte Sachen eintrete. Maßgebend sei die Differenz zwischen dem Wert vor der Beschädigung und jenem nach der Reparatur. Die merkantile Wertminderung sei positiver Schaden iSd § 1293 1. Satz ABGB, der neben den Kosten der technischen Wertminderung, dh der Reparatur des Fahrzeugs, ersetzt werden müsse. Bei der Bemessung des merkantilen Minderwerts handle es sich grundsätzlich um eine Tatfrage, wobei die Feststellungen im gegenständlichen Fall 10 % des Kaufpreises ergeben hätten. Beim gegenständlichen Fahrzeug handle es sich um ein Sammlerfahrzeug, bei dem mit einer mittel- bis langfristigen Wertsteigerung zu rechnen sei. Bei diesem sehr hochpreisigen Fahrzeug handle es sich um einen ganz anderen Markt als für gewöhnliche gebrauchte Fahrzeuge, sodass die üblicherweise von Versicherungen angewendeten Formeln wie die Salzburger Formel oder die Versicherungsverbandsformel nicht anzuwenden seien. Der Verlust von Originallack bewirke den größten Wertverlust des Fahrzeuges. Die vom Sachverständigen herangezogene Berechnungsgrundlage sei der Kaufpreis als Marktwert. In weiterer Folge sei eine Betrachtung der Veränderung im Vermögen des Geschädigten vorgenommen worden. Aufgrund der Feststellung einer Wertminderung von 10 % sei der Klage stattzugeben.
Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtiger Tatsachenfeststellung und unrichtiger Beweiswürdigung sowie unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinn einer Klagsabweisung abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt, der Berufung keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt.
1. Die Berufungswerberin wendet sich gegen die Abweisung der noch offenen Beweisanträge durch das Erstgericht. Darin liege ein Verfahrensfehler, weil das Gericht bei Aufnahme der beantragten Beweise zu anderen Feststellungen gelangt wäre.
1.1. Unter anderem bemängelt die Berufungswerberin, dass das Erstgericht kein weiteres Gutachten eines Sachverständigen mit entsprechender Fachkunde über die Marktverhältnisse und die wertbestimmenden Faktoren bestellt hat. Dem vorliegenden Gutachten des Sachverständigen J* K* fehle eine nachvollziehbare Begründung für die von ihm angegebene Wertminderung. Er habe weder die Salzburger Formel noch die Formel des Versicherungsverbandes angewendet, dieses Vorgehen aber nicht begründen können. Darüber hinaus habe er keine Markterhebungen durchgeführt und kenne das hypothetische Käuferverhalten nicht. Die Wertminderung habe er nach technischen Kriterien wegen eines nicht ordnungsgemäß reparierten Schadens ermittelt. Da der Sachverständiger K* weder für das Fachgebiet „Handel mit historischen Fahrzeugen“ noch für das Fachgebiet „Handel mit Kraftfahrzeugen“ eingetragen sei, fehle ihm die Fachkompetenz zur Ermittlung der merkantilen Wertminderung. Seine Einschätzung sei daher willkürlich. Dennoch habe das Erstgericht dieses Gutachten als „schlüssig und nachvollziehbar“ beurteilt und die Aufnahme weiterer Beweise nicht zugelassen.
Das Erstgericht hätte richtigerweise dem Antrag auf Beiziehung eines weiteren Sachverständigen stattgeben, zumindest aber dem bestellten Sachverständigen die Beantwortung der offen gebliebenen Fragen in einem Ergänzungsgutachten auftragen müssen. Nach Aufnahme der beantragten Beweise hätte das Erstgericht zum Ergebnis gelangen müssen, dass eine Wertminderung in der Höhe des bereits an die Klägerin gezahlten Betrags von EUR 37.000,-- angemessen sei, sodass die Klage abzuweisen gewesen wäre. Der Beweisantrag sei auch nicht verspätet, weil sich die fehlende Fachkenntnis des Sachverständigen erst in der Tagsatzung vom 16.9.2022 herausgestellt habe.
1.2. Wesentliche Verfahrensmängel sind Verletzungen der Prozessgesetze, die zwar keine Nichtigkeit bewirken, aber geeignet sind, im vorliegenden Streitfall eine unrichtige Entscheidung herbeizuführen ( Pimmer in Fasching/Konecny IV/1 3 § 496 ZPO Rz 31). Die gesetzmäßige Ausführung des Berufungsgrundes der Mangelhaftigkeit (hier wegen Unterlassung der Einholung eines Sachverständigengutachtens) kann erfordern, dass der Berufungswerber die für die Entscheidung wesentlichen Feststellungen anführt, die (hier bei Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens) zu treffen gewesen wären (RS0043039). Dies ist hier erfolgt.
Der Anfechtungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens ist nur dann gegeben, wenn der Verstoß gegen ein Verfahrensgesetz abstrakt geeignet war, eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache zu hindern (RS0043049). Dies muss vom Berufungswerber dargestellt werden ( Pimmer aaO Rz 35). Eines Nachweises, dass der Mangel in concreto eine unrichtige Entscheidung zur Folge gehabt hat, bedarf es aber nicht (RS0043049 [T1]).
Die Abstandnahme von beantragten Beweismitteln ist nur dann zulässig, wenn das Beweisthema rechtlich unerheblich oder nicht beweisbedürftig ist, ein Beweismittelverbot vorliegt, der Beweisantrag wirksam präkludiert ist oder unter grob schuldhafter Verletzung der Prozessförderungspflicht verspätet gestellt wurde, wenn der Beweisantrag zu unbestimmt ist oder das Gericht vom Vorliegen der beweisbedürftigen Tatsache bereits überzeugt ist ( Obermaier in Höllwerth/Ziehensack , Taschenkommentar ZPO § 496 Rz 7 mwN).
Nach § 362 Abs 2 ZPO hat das Gericht auch von Amts wegen dafür zu sorgen, dass ein Sachverständigengutachten vollständig und widerspruchsfrei abgegeben wird. Ob ein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt werden soll, ist grundsätzlich eine Frage der Beweiswürdigung (RS0043320). Dies gilt allerdings nicht, wenn das Sachverständigengutachten nicht den gesetzlichen Vorschriften entspricht, gegen die Denkgesetze verstößt oder unschlüssig ist (RS0043320 [T7, T8]). Folgt das Gericht einem nicht schlüssig begründeten Gutachten, kann dies als Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend gemacht werden (OLG Wien 16.12.2009, 8 Rs 177/09 SVSlg 59.692).
1.3. Im vorliegenden Fall hat der Sachverständige J* K* das Ergebnis seines Gutachtens, und zwar eine merkantile Wertminderung in Höhe von 10 % des Kaufpreises, nicht schlüssig und überzeugend begründet.
In seinem Gutachten gab der Sachverständige J* K* die Höhe der eingetretenen Wertminderung mit EUR 360.000,-- an (ON 30.1, S. 15). Die Frage, ob sich der Schaden auf das Kaufinteresse eines potentiellen Käufers auswirke, bejahte der Sachverständige. Jegliche Abänderung vom Auslieferungszustand wirke sich wertmindernd aus (ON 30.1, S. 15). Sammler hochwertiger Fahrzeuge kauften nur ein Fahrzeug ohne Vorschaden, somit scheide dieses Fahrzeug als Sammlerstück aus (ON 30.1, S. 16). Es sei eine Wertminderung von 10 % des Kaufpreises eingetreten, weil nicht die von Ferrari vorgeschriebenen Lacke verwendet worden seien und Spuren von der Reparatur vorhanden seien, sodass das Fahrzeug als Sammlerstück entwertet sei (ON 30.1, S. 18).
Eine nähere Begründung, wie der Sachverständige gerade auf 10 % gekommen ist und er dabei den 2019 von der Klägerin gezahlten Kaufpreis (netto) als Bemessungsgrundlage herangezogen hat, findet sich im Gutachten nicht. Zwar wird erörtert, welche Ergebnisse man anhand der Salzburger Formel bei verschiedenen Einstellungen erzielen würde (ON 30.1, S. 14), allerdings stimmt keines dieser Ergebnisse mit der angenommenen Wertminderung von EUR 360.000,-- überein.
Bei der mündlichen Gutachtenserörterung am 16.9.2022 stellte der Sachverständige K* klar, dass er die Salzburger Formel zur Ermittlung der merkantilen Wertminderung nicht angewendet und auch sonst keine Formel herangezogen hat (ON 38.4, S. 15). Darüber hinaus gab er an, dass er nicht wisse, ob es beim gegenständlichen Fahrzeug einen Käufer- oder Verkäufermarkt gibt. Markterhebungen habe er nicht durchgeführt. Zum Zeitpunkt der Gutachtenserstellung habe er erhoben, dass einige Ferrari Aperta am Markt verfügbar seien. Wie die Fahrzeuge gehandelt werden und zu welchem Preis, sei für sein Gutachten nicht von Relevanz. Die Wertminderung habe er nach technischen Kriterien ermittelt (ON 38.4, S. 7 f). Den Kaufpreis habe er herangezogen, weil ihm nur dieser Wert zur Verfügung stehe (ON 38.4, S. 19). Der Fahrzeugwert sei mit 3,6 Millionen Euro angenommen worden und er zweifle nicht an, dass das Fahrzeug 3,6 Millionen Euro wert sei (ON 38.4, S. 18).
Insgesamt reichen die Ausführungen des Sachverständigen nicht aus, um den Zuspruch einer merkantilen Wertminderung in Höhe eines Vielfachen der Reparaturkosten an die Klägerin zu rechtfertigen. Der bezahlte Kaufpreis kann nicht einfach mit dem Wert eines Fahrzeugs gleichgesetzt werden. Vor allem aber fehlt eine Begründung, wie die Höhe der Wertminderung von 10 % ermittelt wurde. Es fehlt auch eine Auseinandersetzung mit den Privatgutachten der Sachverständigen G* (Beilage ./E) und Ing. Dr. H* (Beilage ./1), die zu sehr unterschiedlichen, aber ausführlicher begründeten Ergebnissen kommen. Beide Privatgutachter sind gerichtlich beeidete und zertifizierte Sachverständige im Bereich Kraftfahrwesen. Ungeachtet der Tatsache, dass sie hier für jeweils eine Partei tätig geworden sind, wird ein Sachverständiger im vorliegenden Verfahren zum Inhalt der Privatgutachten Stellung nehmen müssen, um sein eigenes Ergebnis zu untermauern.
Aus diesen Gründen bestehen gegen das Ergebnis des Gutachtens des Sachverständigen K* (ON 30.1) erhebliche Bedenken. Das Erstgericht hätte daher nach Ansicht des Berufungsgerichts noch ein weiteres Gutachten aus dem Fachgebiet „Handel mit historischen Fahrzeugen (84.77)“ oder „Handel mit Kfz (84.75)“ einholen müssen, um die merkantile Wertminderung anhand nachvollziehbarer Kriterien zu ermitteln.
1.4. Entgegen der Ansicht des Erstgerichts hat der Beklagtenvertreter den Beweisantrag zur Einholung eines weiteren Gutachtens nicht grob schuldhaft verspätet gestellt:
Gemäß § 179 ZPO kann das Gericht Parteienvorbringen und Beweisanträge als verspätet zurückweisen, wenn es grob schuldhaft nicht früher vorgebracht wurde und seine Zulassung die Erledigung des Verfahrens erheblich verzögern würde. Zur Ermittlung der Verspätung ist der hypothetische Verfahrensverlauf bei rechtzeitigem Vorbringen mit dem prognostizierten Verlauf beim nunmehrigen verspäteten Vorbringen zu vergleichen ( Annerl in Fasching/Konecny II/3 3 § 179 ZPO Rz 58 mwN).
Das Gutachten des Sachverständigen K* lag am 30.4.2022 vor (ON 30.1). Am 1.6.2022 beantragte die Beklagte die Ladung des Sachverständigen zur nächsten Tagsatzung (ON 35), aber noch nicht die Einholung eines weiteren Gutachtens. Am 16.9.2022 fand die mündliche Gutachtenserörterung statt. Anschließend an die zu Punkt 1.3. wiedergegebenen Erläuterungen des Sachverständigen beantragte die Beklagte in dieser Tagsatzung die Einholung eines weiteren Gutachtens aus dem Bereich Kfz-Handel und äußerte erstmals Bedenken gegen die Fachkompetenz des Sachverständigen und die Begründung des Gutachtens (ON 38.4, S. 15 f).
Weil die Beklagte den Antrag auf Einholung eines neuen Gutachtens nicht schon in ihrem Antrag auf Ladung des Sachverständigen am 1.6.2022 gestellt hat, ist das Verfahren nicht erheblich verzögert worden. Denn es ist davon auszugehen, dass das Gericht diesem Beweisantrag nicht sofort stattgegeben, sondern zunächst die mündliche Gutachtenserörterung abgewartet hätte. Dies wäre sicher zweckmäßig gewesen, weil die Rechtssache spruchreif wäre, wenn es dem Sachverständigen gelingen sollte, in der Tagsatzung sämtliche Zweifel und Unklarheiten auszuräumen. Die Klägerin hätte sich jedenfalls gegen die Bestellung eines neuen Sachverständigen ausgesprochen. Unter Berücksichtigung der Kosten und der längeren Verfahrensdauer bei Bestellung eines zweiten Sachverständigen kann der Beklagten nicht vorgeworfen werden, dass sie abgewartet hat, ob der Sachverständige ihre Bedenken gegen sein Gutachten nicht in der mündlichen Erörterung zerstreuen kann.
Jedenfalls liegt keine grob schuldhafte Verzögerung des Beweisantrags vor, der eine Präklusion nach § 179 ZPO nach sich ziehen könnte. Für eine Verschleppungsabsicht, die zu einer Präklusion nach § 275 Abs 2 ZPO führen könnte, gibt es keinen Anhaltspunkt.
1.5. Hingegen hat das Erstgericht die übrigen Beweis-anträge zu Recht abgewiesen.
Eine Einvernahme der sachverständigen Zeugen G* und Ing. Dr. H* erübrigt sich, weil die von ihnen erstatteten Privatgutachten (Beilage ./E und Beilage ./1) vorliegen. Nach stRsp kann ein Gutachten durch Zeugen nicht entkräftet werden, auch wenn es sich um sachverständige Zeugen handelt (RS0040598 [T1]). Beide Zeugen haben keine verfahrensrelevanten Wahrnehmungen. Der vom Zeugen G* wahrgenommene Zustand des Fahrzeugs bei Ausfolgung an die Klägerin ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens, weil die später aufgetretenen Schäden nicht vom Klagebegehren umfasst sind. Nachdem diese im Gutachten des Sachverständigen K* beschrieben wurden (ON 30.1, S. 9) behielt sich die Klägerin eine Klagsausdehnung hinsichtlich dieser Schäden vor (ON 33, S. 3), unterließ dies jedoch in der Tagsatzung vom 16.9.2022 und zog auch einen darauf gerichteten Beweisantrag zurück (ON 38.4, S. 22).
Auch die Einvernahme des Zeugen I* ist nicht notwendig, weil er das gegenständliche Fahrzeug nie besichtigt hat.
Eine weitere Gutachtensergänzung mit dem Sachverständigen J* K* erscheint nicht sinnvoll, weil er zu den Themen, die innerhalb seines Fachgebiets liegen, im Rahmen der ersten Gutachtenserörterung umfassend Auskunft erteilt hat und zur Begründung der von ihm ermittelten Wertminderung schon in der Tagsatzung vom 16.9.2022 keine weiteren Angaben machen konnte.
2. Da das Urteil aufgrund der Mängelrüge aufgehoben werden muss, ist auf die Beweisrüge und auf die Rechtsrüge nicht mehr einzugehen.
3. Aufgrund des festgestellten Verfahrensmangels war das angefochtene Urteil zur Gänze aufzuheben. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht ein weiteres Sachverständigengutachten aus dem Bereich „Handel mit historischen Fahrzeugen“ oder „Handel mit Kraftfahrzeugen“ einzuholen haben. Der zu bestellende Sachverständige sollte auf hochpreisige Luxusfahrzeuge spezialisiert sein oder zumindest den Markt für solche Fahrzeuge kennen und sich bei der Gutachtenserstellung mit den beiden Privatgutachten (Beilage ./E und Beilage ./1) auseinandersetzen.
4. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.