JudikaturOLG Wien

33R67/22y – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
26. Januar 2023

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht ***** wegen des Widerspruchs gegen die Marke AT 303478 über den Rekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss der Rechtsabteilung des Patentamts vom 21.12.2021, WM 143/19-6, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag auf Unterbrechung des Rekursverfahrens wird abgewiesen.

Die Urkundenvorlage vom 16.9.2022 wird zurückgewiesen.

Dem Rekurs wird Folge gegeben und die Entscheidung dahin abgeändert, dass der Widerspruch abgewiesen wird.

Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt EUR 30.000.

Der ordentliche Revisionsrekurs ist zulässig.

Begründung

Text

1.1 Die Antragstellerin stützt sich auf folgende (ältere) Wortmarke

BASOR

(UM 15844368, angemeldet am 20.9.2016) und greift die (jüngere) Wortmarke der Antragsgegnerin

BASO

(AT 303478, angemeldet am 12.6.2019) an.

Die Antragsgegnerin bestritt die Verwechslungsgefahr.

1.2 Dabei stehen einander – soweit für das Rekursverfahren relevant – folgende Waren und Dienstleistungen gegenüber:

2. Mit dem angefochtenen Beschluss gab die Rechtsabteilung des Patentamts dem Widerspruch teilweise Folge und hob die Registrierung der jüngeren Marke für die oben durch Fettdruck hervorgehobenen Waren der Klassen 11 auf.

Rechtlich folgerte sie, dass (nur) zwischen den gelöschten Waren in der Klasse 11 der jüngeren Marke und der Dienstleistung „Groß- und Einzelhandelsverkauf in Geschäften und über weltweite Datennetze von elektrischen Beleuchtungsgeräten“ in der Klasse 35 (oben durch Fettdruck hervorgehoben) der älteren Marke eine Ähnlichkeit gegeben sei. Von dieser Ähnlichkeit ausgehend sei weiters zu berücksichtigen, dass die ersten Buchstaben der einander gegenüberstehenden Marken (= BASO) identisch seien, sich die Verkehrskreise im Allgemeinen auf die ersten Elemente eines Zeichens konzentrieren und das Zeichen auch von links nach rechts lesen. Schließlich bestehe der einzige Unterschied darin, dass der letzte Buchstabe der älteren Marke nicht in die jüngere Marke übernommen worden sei. Aufgrund der Stellung dieses Buchstabens werde dieser Bestandteil nicht sofort und nicht prominent wahrgenommen, insbesondere auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der mangelhaften Erinnerung. Es liege daher Verwechslungsgefahr vor.

3.1 Dagegen richtet sich der – ohne Nachteil für die Antragsgegnerin als „Äußerung“ bezeichnete – Rekurs der Antragsgegnerin mit dem Antrag, die Entscheidung der Rechtsabteilung aufzuheben und weitere Schritte bis zu einer Entscheidung im parallelen europäischen Verfahren zur Löschung der relevanten Dienstleistung der älteren Marke der Antragstellerin zu vertagen. Inhaltlich wurde angeführt, dass sie am 29.3.2022 beim Europäischen Amt für Geistiges Eigentum (EUIPO) die „Declaration of Revocation“ für die Dienstleistung „Wholesaling and retailing in shops and via gobal computer networks of electric apparatus for lighting [Groß- und Einzelhandelsverkauf in Geschäften und über weltweite Datennetze von elektrischen Beleuchtungsgeräten] “ in der Klasse 35 gestellt habe.

3.2 Mit Eingabe vom 16.9.2022 legte die Antragsgegnerin die Entscheidung des Europäischen Amtes für Geistiges Eigentum vom 29.8.2022 (EUIPO) vor, woraus hervorgeht, dass dem am 29.3.2022 eingebrachten Antrag wegen der Nichtverwendung der älteren Marke Folge gegeben und die Löschung der Registrierung der Dienstleistung „Wholesaling and retailing in shops and via gobal computer networks of electric apparatus for lighting [Groß- und Einzelhandelsverkauf in Geschäften und über weltweite Datennetze von elektrischen Beleuchtungsgeräten] “ in der Klasse 35 verfügt wurde. Erläuternd führte sie aus, dass mit der Löschung jegliche Basis für einen Widerspruch gegen ihre jüngere Wortmarke laut der angefochtenen Entscheidung der Rechtsabteilung des Patentamts weggefallen sei.

Sie beantragt, die Aufhebung des Beschlusses der Rechtsabteilung des Patentamts in Bezug auf die Löschung ihrer Waren in der Klasse 11 und die ganzheitliche Zurückweisung des Widerspruchs der Antragstellerin.

3.3 Die Antragstellerin hat sich am Rekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist im Ergebnis berechtigt.

4.1 § 139 PatG bestimmt, dass für das Rekursverfahren die Bestimmung des Außerstreitgesetzes gelten mit Ausnahme der § 44 (vorläufige Zuerkennung von Verbindlichkeit und Vollstreckbbarkeit) und § 49 AußStrG (Zulässigkeit von Neuerungen). § 139 Z 3 PatG enthält insoweit eine Ausnahme vom generellen Neuerungsverbot, als neue Tatsachen oder Beweismittel nur zur Stützung oder zur Widerlegung der in erster Instanz rechtzeitig vorgebrachten Tatsachen und Beweise vorgebracht werden dürfen. Demnach wäre die Vorlage neuer Druckschriften im Rekursverfahren dann zulässig, wenn und soweit diese nicht als selbstständige neue Vorhalte, sondern lediglich zur Klärung der Interpretation einem erstinstanzlichen Verfahren bereits vorgelegten Entgegenhaltung dienen (vgl Koller in Stadler/Koller §§ 138, 139 PatG Rz 10).

Unzulässig sind hingegen neue, im Rekursverfahren erstmalig gestellte Sachanträge, unabhängig davon, ob es sich bei diesen Sachanträgen um Haupt- oder Eventualanträge handelt. Im markenrechtlichen Widerspruchsverfahren bezieht sich das oft auf Fragen einer Bekanntheit einer Marke und/oder seiner rechtserhaltenden Benutzung. Die Behauptung der ausreichenden Benutzung trägt jedoch nicht auch die Behauptung der davon verschiedenen Bekanntheit in sich, weil die Antragstellerin die Behauptung der Bekanntheit von sich aus aktiv zu erheben und damit zum Gegenstand des Beweisverfahrens erster Instanz zu machen hätte. Zulässig wäre etwa die Vorlage weiterer Nachweise zu bereits vor der Rechtsabteilung infolge eines Nichtbenutzungseinwandes (substanziiert) behaupteten ausreichenden Benutzung einer Marke oder auch zur ebenfalls bereits in erster Instanz geltend gemachten Verkehrsgeltung ( B. Terlitza in Kucsko/Schumacher, marken.schutz 3 § 37 MSchG Rz 15 mwN).

4.2 Im konkreten Fall hat die Antragsgegnerin den Nichtbenutzungseinwand erst nach der Entscheidung der Rechtsabteilung des Patentamts ins Spiel gebracht, in dem sie am 29.3.2022 beim Europäischen Amt für Geistiges Eigentum (EUIPO) den Antrag auf „Declaration of Revocation“ wegen der Nichtbenutzung in den letzten fünf Jahren für genau jene Dienstleistung der Klasse 35 gestellt hat, auf die sich die Rechtsabteilung des Patentamts bei der älteren Marke der Antragsstellerin gestützt hat.

Diese Information und der sich auf diesen Antrag stützende Unterbrechungsantrag sind unzulässige Neuerungen des Rekursverfahrens und dürfen aufgrund der bestehenden, eingangs angeführten Verfahrensregel nicht beachtet werden.

Dies gilt auch für die mit Urkundenvorlage vom 16.9.2022 vorgelegte Entscheidung des EUIPO vom 29.8.2022, die im Übrigen ohnedies den Grund für eine Unterbrechung beseitigt hätte. Im Ergebnis war der Unterbrechungsantrag ab- und die Urkundenvorlage zurückzuweisen.

5.1 Darauf hinzuweisen ist allerdings, dass die Entscheidung des EUIPO vom 29.8.2022 zwischenzeitig rechtskräftig ist, was auch der Hinweis am Kurzauszug auf der Homepage des EUIPO („Appealed: No“) und der Auszug des Markenregisters der älteren Marke in der Dienstleistungsklasse 35 bestätigen.

5.2 Somit ist unabhängig von der Frage der zulässigen/unzulässigen Neuerung auch noch die Frage zu prüfen, ob das Rekursgericht nicht ohnedies eine rechtskräftige (ausländische) Entscheidung wegen der Bindungswirkung von Amts wegen zu berücksichtigen hat.

Von der Bindungswirkung umfasst sind Entscheidungen ausländischer Gerichte oder Behörden, die auf der Grundlage bilateraler oder multilateraler völkerrechtlicher Verträge oder von Unionsrechtsakten in Österreich anerkannt werden oder inländischen Entscheidungen gleichgestellt sind. Da der Grundsatz der entschiedenen Rechtssache auch im internationalen Kontext gilt, ist ein Verstoß gegen eine im Ausland rechtskräftig entschiedene und in Österreich anzuerkennende Rechtssache gleich wie der Mangel der inländischen Gerichtsbarkeit zu behandeln (6 Ob 96/11b). Auch die Entscheidungen ausländischer Gerichte oder Behörden, die im Inland anzuerkennen sind, entfalten Einmaligkeitswirkung/Bindungswirkung, die von Amts wegen wahrzunehmen ist (2 Ob 238/13h; 8 Ob 28/15y).

Rechtsgestaltungswirkung und Tatbestandswirkung sind grundsätzlich materielle Folgen des entschiedenen Rechtsverhältnisses (zum Beispiel bei einer materiellen Rechtsgestaltungsklage). Art und Umfang dieser Wirkungen einer anzuerkennenden ausländischen Entscheidung richten sich daher nach den Regeln des IPR.

Ob die Rechtskraft einer anzuerkennenden ausländischen Entscheidung von Amts wegen oder nur auf Einrede zu beachten ist, ist nach dem Recht des Anerkennungsstaats zu beurteilen. Bei der Art und Weise der Berücksichtigung der Rechtskraft handelt es sich nämlich nicht um eine Frage des Inhalts der Rechtskraftwirkung, sondern um die verfahrensrechtliche Modalität der Anerkennung, für die die lex fori maßgebend ist. Daraus folgt zunächst, dass auch die Entscheidungen ausländischer Gerichte oder Behörden, die im Inland anzuerkennen sind, Bindungswirkung entfalten; die Bindungswirkung ist von Amts wegen wahrzunehmen.

Dieselben Überlegungen gelten für die Bestimmung des Zeitpunkts, bis zu dem im Verfahren im Anerkennungsstaat die Rechtskraftwirkung zu beachten ist. Die Frage, in welchem Verfahrensstadium die Bindungswirkung einer ausländischen Entscheidung geltend gemacht werden kann, richtet sich also ebenfalls nach der lex fori und im Anlassfall damit nach österreichischem Prozessrecht.

Nach der ZPO ist die Rechtskraft einer anderen Entscheidung in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen (§ 230 Abs 3, § 411 Abs 2 ZPO); jeder Verstoß gegen die Rechtskraft verwirklicht einen in jeder Lage des Verfahrens auch von Amts wegen zu beachtenden Nichtigkeitsgrund. Auch im Verfahren außer Streitsachen ist die materielle Rechtskraft einer Entscheidung in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten (RS0007477).

Dies bedeutet, dass auch die Rechtsmittelinstanzen die Rechtskraft einer Entscheidung berücksichtigen müssen, wenn diese während des Rechtsmittelverfahrens eingetreten ist. Die Nichtigkeitssanktion gilt nicht nur für die Einmaligkeitswirkung, sondern auch für die Bindungswirkung der materiellen Rechtskraft einer präjudiziellen Entscheidung. Beide Ausprägungen der materiellen Rechtskraft sind prozessual gleich zu behandeln. Dieses Ergebnis entspricht auch der überwiegenden und jüngeren Rechtsprechung (vgl Brenn in Höllwerth/Ziehensack, ZPO Taschenkommentar, § 411 ZPO Rn 49 mwN).

5.3 Das EUIPO ist durch die Unionsmarkenverordnung gegründet worden. Es besitzt Rechtspersönlichkeit und ist eine Agentur (Behörde) der EU (vergleichbar dem Patentamt auf nationaler Ebene). Dementsprechend kann seine Entscheidung dann eine Bindungswirkung entfalten, wenn sie präjudiziell ist. Dies ist im konkreten Fall insoweit gegeben, als sich die Entscheidung an beide Parteien richtet und die Eintragung der Dienstleistung „Wholesaling and retailing in shops and via gobal computer networks of electric apparatus for lighting [Groß- und Einzelhandelsverkauf in Geschäften und über weltweite Datennetze von elektrischen Beleuchtungsgeräten] “ in der Klasse 35 löscht, auf die sich die Antragstellerin im Wiederspruchsverfahren gestützt hat und auf der die angefochtene Entscheidung des Patentamts beruht.

Da die Rechtskraft der Entscheidung des EUIPO als präjudizelle Vorfrage von Amts wegen zu berücksichtigen ist, führt dies zum Ergebnis, dass kein Ähnlichkeitsvergleich zwischen der weggefallenden Dienstleistung „Wholesaling and retailing in shops and via gobal computer networks of electric apparatus for lighting [Groß- und Einzelhandelsverkauf in Geschäften und über weltweite Datennetze von elektrischen Beleuchtungsgeräten] “ in der Klasse 35 und den gelöschten Waren in der Klasse 11 mehr anzustellen ist.

Somit ist nicht mehr von einer Waren- und Dienstleistungsähnlichkeit in dem von der Antragstellerin bekämpften Umfang auszugehen. Dieses erhebliche (Unterscheidungs-)Kriterium für die im konkreten Fall umfassten Massenartikel in Verbindung mit dem Umstand, dass beide Wortmarken begrifflich reine Phantasiebezeichnungen sind, lassen annehmen, dass für den durchschnittlich informierten, angemessenen aufmerksamen und verständigen Angehörigen der betroffenen Verkehrskreise keine Verwechslungsgefahr besteht, und zwar trotz der gegebenen (hohen) Ähnlichkeit in bildlicher und klangliche Hinsicht.

Dem Rekurs war daher Folge zu geben.

6. Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil eine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Auswirkung einer rechtskräftigen Entscheidung des EUIPO auf ein nationales Widerspruchsverfahren zwischen den gleichen Parteien bisher fehlt.

In diesem Fall hat das Rekursgericht nach § 59 Abs 2 AußStrG auszusprechen, ob der Wert des Entscheidungsgegenstands, der – wie hier – rein vermögensrechtlicher Natur ist, aber nicht in einem Geldbetrag besteht, EUR 30.000 übersteigt. Diese Voraussetzung ist angesichts der Bedeutung des Markenschutzes im Wirtschaftsleben gegeben.

Rückverweise