33R71/22m – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hinger als Vorsitzenden sowie die Richterin Mag. Janschitz und den fachkundigen Laienrichter Patentanwalt DI Nemec in der Patentrechtssache der Antragstellerin B***** , vertreten durch die Gassauer-Fleissner Rechtsanwälte GmbH in Wien, unter Mitwirkung von Puchberger Partner Patentanwälte in Wien, wider die Antragsgegnerin G *****, vertreten durch Mag. Dr. Lothar Wiltschek, Dr. David Plasser, LLM, Rechtsanwälte in Wien, unter Mitwirkung von Wildhack Jellinek Patentanwälte OG in Wien, wegen Unterlassung (EUR 100.000) über den Rekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 12.4.2022, 30 Cg 68/21h-12, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Antragstellerin hat die Kosten ihrer Rekursbeantwortung vorläufig, die Antragsgegnerin hat ihre Rekurskosten endgültig selbst zu tragen.
Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt insgesamt EUR 30.000.
Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.
Begründung
Text
Die Antragstellerin ist Inhaberin des Europäischen Patents EP 2305255 B1, das in Österreich als E 571562 (im Folgenden: Streitpatent ) validiert ist.
Anspruch 12 des Streitpatents ist ein unabhängiger Patentanspruch, der wie folgt lautet (./A):
«Aryl urea compound, which is a tosylate salt of N-(4-chloro-3-(trifluoromethyl)phenyl-N’-(4-(2-(N-methylcarbamoyl)-4-pyridyloxy)phenyl)urea. [N (4 Chlor 3-(trifluormethyl)phenyl)-N’-(4-(2-(N-methylcarbamoyl)-4-pyridyloxy)phenyl)harnstoff]»
Weiters enthält das Streitpatent unter anderem Nachstehendes:
«Field of the invention
[0001] This invention relates to aryl urea compounds namely the tosylate salt of N-(4-chloro-3-(trifluoromethyl)phenyl-N’-(4-(2-(N-methylcarbamoyl)-4-pyridyloxy) phenyl)urea, also in combination with cytotoxic or cytostatic agents, namely 5-fluorouracil, and their use in treating raf kinase mediated diseases such as cancer.
[…]
[0015] The invention relates to sorafenib tosylate per se,
[…]
[0024] In another preferred embodiment of the invention, the aryl urea compound can be administered to a patient at an oral, intravenous, intramuscular, subcutaneous, or parenteral dosage which can range from about 0.1 to about 300 mg/kg of total body weight.
[…]
[0032] The aryl urea compound can inhibit the enzyme raf kinase. Further, the compound can inhibit signaling of growth factor receptors.
[0033] The aryl urea compounds can be administered orally, dermally, parenterally, by injection, by inhalation or spray, sublingually, rectally or vaginally in dosage unit formulations. The term ’administration by injection’ includes intravenous, intraarticular, intramuscular, subcutaneous and parenteral injections, as well as use of infusion techniques. Dermal administration may include topical application or transdermal administration. One or more compounds may be present in association with one or more non-toxic pharmaceutically acceptable carriers and if desired other active ingredients.
[0034] Compositions intended for oral use may be prepared according to any suitable method known to the art for the manufacture of pharmaceutical compositions. Such compositions may contain one or more agents selected from the group consisting of diluents, sweetening agents, flavoring agents, coloring agents and preserving agents in order to provide palatable preparations. Tablets contain the active ingredient in admixture with non-toxic pharmaceutically acceptable excipients which are suitable for the manufacture of tablets. These excipients may be, for example, inert diluents, such as calcium carbonate, sodium carbonate, lactose, calcium phosphate or sodium phosphate; granulating and disintegrating agents, for example, corn starch, or alginic acid; and binding agents, for example magnesium stearate, stearic acid or talc. The tablets may be uncoated or they may be coated by known techniques to delay disintegration and adsorption in the gastrointestinal tract and thereby provide a sustained action over a longer period. For example, a time delay material such as glyceryl monostearate or glyceryl distearate may be employed. These compounds may also be prepared in solid, rapidly released form.
[…]
[0052] The aryl urea compound can be administered orally, topically, parenterally, rectally, by inhalation, and by injection. Administration by injection includes intravenous, intramuscular, subcutaneous, and parenterally as well as by infusion techniques. The aryl urea compound can be present in association with one or more non-toxic pharmaceutically acceptable carriers and if desired other active ingredients. A preferred route of administration for the aryl urea compound is oral administration.
[0060] For purposes of the experiments herein described in the Examples, the aryl urea compound (compound A) is a tosylate salt of N-(4-chloro-3-(trifluoromethyl)phenyl)-N’-(4-(2-(N-methylcarbamoyl)-4-pyridyloxy)phenyl)urea.
[…]»
Die in Anspruch 12 genannte Verbindung ist unter dem Freinamen Sorafenib-Tosylat bekannt und wird von der Antragstellerin unter dem Markennamen Nexavar als Arzneimittel vertrieben. Nexavar ist ein Proteinkinaseinhibitor aus der Gruppe der Multi-Kinase-Inhibitoren. Er wird in Form von Tabletten angewendet.
Zum relevanten Stand der Technik und zum Fachwissen einer Fachperson im Prioritätszeitpunkt gehören ua:
Internationale Patentanmeldung WO 00/42012 A1 (./GUT 12);
Artikel von Lyons et al., Endocr. Rel. Cancer 8 (2001), 219-225 (./I GUT 13);
Aulton, „Pharmaceutics: The Science of Dosage Form Design”, Churchill Livingstone, 1988, reprinted 1994, Kapitel 13 „Preformulation”, 223-253 (./I GUT 15);
Aulton, „Pharmaceutics: The Science of Dosage Form Design” (2. Auflage), Churchill Livingstone, 2002, reprinted 2004, Kapitel 8 „Pharmaceutical preformulation: the physicochemical properties of drug substances“, 223 253 (./I GUT 26);
Bastin, Org. Proc. Res. Dev. 4 (2000), 427 435 (./I GUT 16).
Die Antragsgegnerin ist ein Generikaherstellerin. Sie hält seit 26.6.2020 die österreichische Marktzulassung für das Generikum „Sorafenib G.L. 200 mg-Filmtabletten“ (Zulassungsnummer 140156) und seit 27.6.2021 für „Sorafenib G.L. 400 mg-Filmtabletten“ (Zulassungsnummer 140709), dessen Wirkstoff Sorafenib-Tosylat ist. Dieses Produkt ist im Warenverzeichnis I des österreichischen Apotheker-Verlages aufgenommen und im Erstattungskodex verzeichnet. In der Gebrauchsinformation ist die Antragsgegnerin als Herstellerin genannt.
Die Antragstellerin begehrt die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, mit der der Antragsgegnerin – zusammengefasst – verboten werden soll, in Österreich eine Arylharnstoff-Verbindung, die ein Tosylatsalz von N (4 Chlor 3-(trifluormethyl)phenyl)-N’-(4-(2-(N-methylcarbamoyl)-4-pyridyloxy)phenyl)harnstoff ist, insbesondere das Produkt „Sorafenib G.L. 200 mg-Filmtabletten“, herzustellen, in Verkehr zu bringen, feilzuhalten, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen.
Weiters beantragt die Antragstellerin, der Beklagten aufzutragen, die Listung dieser Produkte (insbesondere von „Sorafenib G.L. 200 mg-Filmtabletten“) im Warenverzeichnis I des Österreichischen Apotheker-Verlages zu unterlassen, sofern dabei nicht gleichzeitig angeführt wird, dass das gelistete Arzneimittel nicht lieferbar ist, sowie einen Antrag auf Streichung dieser Produkte aus dem Erstattungskodex des Dachverbands der Sozialversicherungsträger (EKO) zu stellen und der Antragstellerin hierüber Nachweis zu erbringen. Weiters solle die Antragsgegnerin es unterlassen, einen Antrag auf Aufnahme solcher Produkte in den EKO zu stellen, solange das Patent EP 2305255 B1 (in Österreich: E 571562) der Antragstellerin aufrecht ist.
Zur Begründung ihres Anspruchs brachte sie vor, dass der Gegenstand von Patentanspruch 12 bereits in der Anmeldung US 60/334,609 beschrieben worden sei. Die Rechte aus der Erfindung seien von den Erfindern auf die B***** Corporation durch die jeweiligen Arbeitsverträge übertragen worden. Alle 18 Erfinder seien im Prioritätszeitpunkt Angestellte der B***** Corporation gewesen und hätten alle das B***** Corporation Agreement unterzeichnet, deren Punkt 3. eine Übertragung aller Rechte auch an zukünftigen Erfindungen vorsehe.
Die Antragsgegnerin beantragte die Abweisung des Antrags. Es komme dem Streitpatent keine Rechtsbeständigkeit zu. Patentanspruch 12 des Streitpatents sei weder neu noch erfinderisch.
Die Prioritätsanmeldung US 60/334,609 sei zudem im Namen der 18 Erfinder eingereicht worden. Die nachfolgende internationale Anmeldung, welche die Stammanmeldung des Streitpatents sei, sei von der B***** Corporation (der US-Niederlassung der B***** AG) eingereicht worden. Eine Übertragung des Prioritätsrechts von den Erfindern auf die B***** Corporation habe nicht stattgefunden. Um die Priorität gültig in Anspruch nehmen zu können, hätte das Prioritätsrecht aller Erfinder wirksam auf die B***** Corporation übertragen werden müssen.
Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Erstgericht dem Sicherungsantrag statt. Es ging davon aus, dass die Frage der Übertragung des Prioritätsrechts zu komplex für das Provisorialverfahren sei. Dem Streitpatent komme der Anschein der Rechtsbeständigkeit zu, der auch auf die Priorität anzuwenden sei. Das Fehlen der Rechtsbeständigkeit habe die Antragsgegnerin aber nicht nachweisen können.
Dagegen richtet sich der Rekurs der Antragsgegnerin aus dem Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, den Beschluss zu ändern und den Sicherungsantrag abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
1. Zur Tatsachenrüge:
Das Erstgericht gab eingangs der angefochtenen Entscheidung den unstrittigen Sachverhalt wieder. Dort hält das Erstgericht fest, dass das Streitpatent Sorafenib schütze, was die Antragsgegnerin als unrichtige Tatsachenfeststellung bekämpft.
In erster Instanz blieb unstrittig, dass das Streitpatent den pharmazeutischen Wirkstoff Sorafenib-Tosylat schützt. Nach herrschender Rechtsprechung ist es prozessual unbedenklich, unstrittiges Parteivorbringen ohne weiteres der Entscheidung zugrunde zu legen (§§ 266 f ZPO; 2 Ob 103/17m). Wie sich aus der Gesamtheit der erstinstanzlichen Entscheidung ohnehin ergibt, ging das Erstgericht davon aus, dass das Streitpatent den Wirkstoff Sorafenib-Tosylat schützt. Bei der Wiedergabe des unstrittigen Sachverhalts unterlief dem Erstgericht nur ein Schreibfehler. Die Tatsachenrüge geht daher ins Leere.
Zur Rechtsrüge:
2. Gemäß § 24 PatV-EG sind auf Verfahren, die europäische Patente betreffen, ergänzend zu dessen Bestimmungen die Vorschriften des EPÜ (Europäisches Patentübereinkommen), des PCT (Vertrag über die internationale Zusammenarbeit im Patentwesen) und des Patentgesetzes sinngemäß anzuwenden. Für das Verfahren bei Patentverletzungsstreitigkeiten und für die Rechtsfolgen einer Patentverletzung gilt nach Art 64 Abs 3 EPÜ nationales Recht.
3.1. Im Sicherungsverfahren ist die Schützbarkeit des Patents durch das Gericht selbstständig als Vorfrage zu prüfen (17 Ob 34/09p; 17 Ob 4/11d). Seine Registrierung begründet einen – allenfalls durch Gegenbescheinigung zu entkräftenden – prima-facie-Beweis für die Rechtsbeständigkeit (RS0071369). Im Provisorialverfahren ist die Rechtsbeständigkeit des Patents damit eine widerlegbare Vermutung (RS0103412).
3.2. Die Vorfrage der Gültigkeit oder Wirksamkeit eines Patentes kann auch im Provisorialverfahren geprüft werden, wenn in dieser Richtung eine Gegenbescheinigung angeboten ist, doch kann diese Prüfung nur mit den Mitteln des Provisorialverfahrens und in dessen Grenzen vorgenommen werden (RS0071408)
Zum Prioritätsrecht:
4.1. Die Antragsgegnerin moniert, dass die Gültigkeit der Prioritätsbeanspruchung im Erteilungsverfahren vor dem Europäischen Patentamt (kurz: EPA) nicht geprüft werde. Es erfolge nur eine formale Prüfung (Prioritätsfrist und -erklärung). Ob der Anmelder des europäischen Patents der Rechtsnachfolger des Anmelders früherer Anmeldungen sei, werde nicht geprüft. Dementsprechend könne es keinen Anschein der Gültigkeit der Prioritätsbeanspruchung geben. Für die Inanspruchnahme der Priorität sei die Antragstellerin bescheinigungspflichtig.
4.2.1. Das Recht auf das europäische Patent nach Art 60 Abs 1 EPÜ steht dem Erfinder oder seinem Rechtsnachfolger zu, wobei die nationalen Vorschriften über Diensterfindungen anzuwenden sind. Art 60 Abs 3 EPÜ bestimmt, dass im Verfahren vor dem EPA der Anmelder als berechtigt gilt, das Recht auf das europäische Patent geltend zu machen.
4.2.2. Für die Wirksamkeit einer nach Art 87 EPÜ in Anspruch genommenen Priorität kommt es darauf an, ob der Erstanmelder den formalen Erfordernissen des Art 87 EPÜ folgend dem Rechtsnachfolger das aus der Erstanmeldung resultierende Recht auf Erteilung des Patents wirksam vermitteln konnte (vgl auch BPatG 4 Ni 73/17).
4.3. Nur die Patenterteilung schafft im Provisorialverfahren einen – allenfalls durch Gegenbescheinigung zu entkräftenden – prima facie-Beweis für das Bestehen des Patentrechts (17 Ob 4/11d). Dies betrifft in erster Linie die Frage, ob eine Erfindung neu ist und ob sie auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Beruft sich die Antragstellerin wie vorliegend auf einen Prioritätszeitpunkt aus einer früheren Anmeldung so hat sie dies – auch im Provisorialverfahren – zu behaupten und im Falle der Bestreitung durch die Gegenseite auch zu bescheinigen (ähnlich zur Frage der Aktivlegitimation RS0065553; vgl auch RS0005452 [T3]).
4.4. Die Antragsgegnerin führt in ihrem Rekurs aus, dass Feststellungen dazu fehlen, ob alle ErfinderInnen das Prioritätsrecht an die B***** Corporation übertragen haben. Nur unter dieser Voraussetzung hätte die Nachanmeldung unter wirksamer Beanspruchung der Priorität durch die B***** Corporation erfolgen können.
4.5. Das Erstgericht stellt fest, dass die „provisional application“ US 60/334,609 am 3.12.2001 ohne Angabe eines Anmelders oder Nennung der Erfinder eingereicht wurde. Dieser Anmeldung wurde vom US-Patentamt der 3.12.2001 als Anmeldedatum zugestanden. Die Erfindernennung wurde am 8.8.2002 nachgereicht. Die Erfinder sind auch in der PCT-Anmeldung WO 03/04759 A1 angeführt. Im Streitpatent sind nunmehr sieben dieser Erfinder genannt.
4.6.1. Das Rekursgericht verstößt nur dann gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz, wenn es aufgrund in erster Instanz aufgenommener unmittelbarer Beweise ergänzende Feststellungen trifft (2 Ob 228/16t, 10 Ob 71/16p und 10 Ob 102/08k mwN; RS0043026 und RS0043057). Alles das gilt uneingeschränkt auch im Sicherungsverfahren, wobei fehlende Feststellungen dort aufgrund von Urkunden nachgetragen werden können (RS0012391 [T3 und T5]; Kodek in Rechberger 5 § 526 Rz 7).
4.6.2. Das Rekursgericht trifft aufgrund der vorliegenden Urkunden nachstehende ergänzende Feststellungen:
Sämtliche der im Patent US 60/334,609 genannten Erfinder waren zum Zeitpunkt der Erfindung Angestellte der B***** Corporation und alle unterschrieben im Rahmen ihres Angestelltenverhältnisses die nachstehende Vereinbarung:
«3. Ownership of Inventions
Each and every Invention I Make during the period of time I am actually employed by B***** shall become the property of B***** without additional compensation or consideration to me, except for any Invention for which no equipment, supplies, facility or B*****’s Confidential Information was used and which was developed entirely on my own time and (a) which does not relate to the business of B***** or B*****’s actual or demonstrably anticipated research or development or (b) which does not result from any work performed by me for B*****.
If I assert any property right in an Invention I Make during the period of time I am employed by B*****, I will promptly notify B***** in writing.»
Die Feststellungen gründen sich auf die Erklärung von J***** (./N), der angibt, dass alle Erfinder Angestellte der B***** Corporation gewesen seien und sie im Rahmen ihrer Anstellung die obige Erklärung unterzeichnet hätten. Im Anhang zur ./N sind zudem sieben von Erfindern unterfertigte Vereinbarungen angeschlossen. Auch aus der ./O (Erklärung von W*****) und dem Anhang zur ./O ergibt sich das Angestelltenverhältnis der Erfinder. Aufgrund des verstrichenen Zeitraums erscheint es nachvollziehbar, dass nicht mehr alle Erklärungen aufgefunden werden konnten, sodass der Erklärung von J*****, warum nicht alle unterfertigten Vereinbarungen vorgelegt werden können, Glauben geschenkt werden kann. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit dieser Erklärungen. Das Rekursgericht erachtet es daher als im Provisorialverfahren ausreichend bescheinigt, dass die Erfinder der Prioritätsanmeldung US 60/334,609 (./GUT 6) eine Vereinbarungen mit der B***** Corporation mit dem oben festgestellten Wortlaut geschlossen haben.
4.7. Durch die zwischen den Erfindern und der B***** Corporation geschlossenen Vereinbarungen ist das Recht an der Erfindung auf die B***** Corporation übergegangen, sodass sich die Antragstellerin auf die Priorität aus dem Patent US 60/334,609 wirksam berufen kann. Dass die Antragstellerin im Verhältnis zur B***** Corporation nicht Rechtsnachfolgerin sei, hat die Antragsgegnerin nicht behauptet.
4.8. Da sich die Antragstellerin auf den Zeitpunkt der Anmeldung des Patents US 60/334,609 wirksam berufen kann, gehen auch die Einwendungen zur Neuheit (./GUT 9 bis ./GUT 11) ins Leere; sämtliche Dokumente wurden nach dem 3.12.2001 veröffentlicht.
Technische Wirkung und erfinderische Tätigkeit:
5. Nach § 22a PatG wird der Schutzbereich des Patents und der bekanntgemachten Anmeldung durch den Inhalt der Patentansprüche bestimmt. Die Beschreibung und die Zeichnungen sind jedoch zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen. Dabei ist das Protokoll über die Auslegung des Art 69 des Europäischen Patentübereinkommens, BGBl 1979/350, in der jeweils geltenden Fassung sinngemäß anzuwenden (4 Ob 82/21v).
5.1. Eine erfinderische Tätigkeit liegt nach § 1 Abs 1 PatG und nach dem sinngleichen Art 56 EPÜ ( Wiltschek , Patentrecht 3 § 1 PatG Anm 4) vor, wenn sich die Neuerung für die Fachperson nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt.
Die Prüfung kann insbesondere nach dem vom Europäischen Patentamt herangezogenen Aufgabe-Lösungs-Ansatz erfolgen (vgl Op 1/02 PBl 2003, 29 mwN; Op 6/08; Op 4/11; 4 Ob 17/15a, Gleitlager ). Dazu ist zuerst der nächstliegende Stand der Technik zu ermitteln, dann die zu lösende objektive technische Aufgabe zu bestimmen und schließlich zu prüfen, ob der Schutzgegenstand angesichts des nächstliegenden Stands der Technik und der objektiven Aufgabenstellung für die Durchschnittsfachperson nahelag. Nach dem „could-would-approach” fehlt die erfinderische Tätigkeit aber nicht schon dann, wenn eine Fachperson auf Grund des Stands der Technik zu einer bestimmten Lösung gelangen hätte können , sondern erst, wenn sie sie auf Grund eines hinreichenden Anlasses in Erwartung einer Verbesserung oder eines Vorteils auch tatsächlich vorgeschlagen hätte (RS0071157 [T1]; RS0130386).
5.2. Der Beurteilungsmaßstab dafür, was der Stand der Technik lehrt und wie Vorveröffentlichungen zu verstehen sind, ist die Durchschnittsfachperson. Es handelt sich hierbei um eine Kunstfigur und damit letztlich um ein Werkzeug des Gerichts, das dazu dient, einen unbestimmten Rechtsbegriff auszufüllen ( Haedicke , Patentrecht 3 80). Die Fachperson besitzt durchschnittliche Fachkenntnisse, kennt aber den gesamten Stand der Technik des Fachgebiets.
6.1. Es ist der Antragsgegnerin zuzustimmen, dass die verbesserte Bioverfügbarkeit von Sorafenib-Tosylat im Streitpatent nicht unmittelbar geoffenbart ist.
6.2. Nach Art 123 Abs 2 EPÜ darf eine Patentanmeldung oder ein Patent nicht so geändert werden, dass ihr Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht.
Nach Art 83 EPÜ ist es für die Offenbarung der Anmeldung unerlässlich, dass die Aufgabe und die Lösung aus der Beschreibung abgeleitet werden können. Dieses Erfordernis, die Erfindung als Lösung einer technischen Aufgabe offenzulegen, schließt jedoch nicht aus, dass zusätzliche Vorteile, die in der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung nicht angegeben sind, aber dasselbe darin genannte Verwendungsgebiet betreffen, zu einem späteren Zeitpunkt als Begründung für die Patentierbarkeit der Erfindung nach Artikel 52 Abs 1 EPÜ vorgelegt werden, sofern diese Vorteile den Charakter der Erfindung nicht ändern. Somit ändert sich der Charakter der Erfindung nicht, wenn die in der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung angegebene technische Aufgabe durch solche Vorteile ergänzt wird, weil die Fachperson sie wegen ihres engen technischen Zusammenhangs mit der ursprünglichen Aufgabe berücksichtigen könnte (EPA T 440/91; T 1422/12).
Dies steht auch im Einklang mit der österreichischen Rechtsprechung. Eine Neuformulierung der technischen Aufgabe ist basierend auf Sachverhalten, die sich aus dem im Laufe des Verfahrens herangezogenen/ermittelten Stand der Technik ergeben, zulässig, weil jede Wirkung der Erfindung als Grundlage für die Neuformulierung der technischen Aufgabe verwendet werden kann, sofern die entsprechende Wirkung aus der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung ableitbar ist. Es können auch neue Wirkungen herangezogen werden, über die der Anmelder erst im Verfahren berichtet, sofern für die Fachperson erkennbar ist, dass diese Wirkungen in der ursprünglich gestellten Aufgabe impliziert sind oder mit ihr im Zusammenhang stehen (Op 5/05).
6.3. Auch im vorliegenden Fall berichtete die Anmelderin im laufenden Verfahren über die verbesserte Bioverfügbarkeit von Sorafenib-Tosylat gegenüber Sorafenib.
Im vorliegenden Fall liegt dem Streitpatent die Aufgabe zugrunde, eine verbesserte Therapie zur Behandlung von Raf-Kinase-vermittelten Krebserkrankungen bereitzustellen. Das Streitpatent nimmt an verschiedenen Stellen (welche eingangs der Entscheidung zitiert sind) auch auf die Anwendung von Sorafenib-Tosylat als Einzelmedikament bei der Behandlung Bezug.
Die ursprüngliche Anmeldung WO 2003/047579 (./I GUT 7) offenbarte die dort beschriebenen Substanzen (inkludierend Sorafenib) als „compounds per se“. Sorafenib-Tosylat ist die einzige in den Beispielen konkret getestete Substanz („Compound A“). Beides ist im übrigen durch die Prioritätsanmeldung US 60/334,609 A gestützt (vgl Seite 6 ./I GUT 6). Es lässt sich daher aus der ursprünglichen Anmeldung (prioritätsgestützt) in Bezug auf Sorafenib-Tosylat als Aufgabe ableiten, eine zur Behandlung von Krankheiten geeignete Substanz zur Verfügung zu stellen. Die technische Wirkung des Patents (hier: verbesserte Bioverfügbarkeit von Sorafenib-Tosylat) ist mit der Eignung dieser Substanz als Mittel zur Behandlung einer Krankheit verbunden. Diese technische Wirkung steht mit der ursprünglichen Anmeldung im Zusammenhang (vgl Op 5/05; vgl auch Mitteilung der Großen Beschwerdekammer vom 13.10.2022 zu G 2/21 Rz 15 ff).
7.1. Das Rekursgericht teilt daher die Auffassung des Erstgerichts, wonach im vorliegenden Fall die objektive Aufgabe, die dem Gegenstand von Anspruch 12 des Patents zugrunde liegt, in der Bereitstellung einer Arylharnstoff-Verbindung für die orale Verabreichung (zB in Form einer Tablette) bei der Behandlung bestimmter Tumore in verbesserter Form liegt.
7.2. Die bessere Bioverfügbarkeit von Sorafenib-Tosylat wird von der Antragsgegnerin im Rekursverfahren nicht in Frage gestellt. Nach dem Prüfungsschema im Aufgabe-Lösungs-Ansatz ist nach Ansicht des Rekursgerichts zu überprüfen, ob das Auffinden von Sorafenib-Tosylat zur Lösung der oben formulierten Aufgabe naheliegend war. Die Frage des „could/would“-Approaches ist im vorliegenden Fall aber darauf zu beschränken, ob die Fachperson Sorafenib-Tosylat in Betracht gezogen hätte („would“) oder nicht.
7.3. Das Erstgericht stellt fest, dass zu den etablierten Methoden die Suche nach und das Auffinden von geeigneten Salzformen zählt. Neben der Stabilität und der Herstellbarkeit stehen die Bioverfügbarkeit und die damit zusammenhängende Therapietreue von Patienten im Vordergrund. Als eine der zentralen physikochemischen Eigenschaften ist dabei die Löslichkeit für die Fachperson entscheidend. Daher ist die Untersuchung der Löslichkeit der freien Sorafenib-Base für eine Fachperson nach dem Lesen des Artikels Lyons et al . eine naheliegende Untersuchung, um die chemisch-medizinische Lehre dieses Artikels näher zu erfassen. Die geringe Löslichkeit der freien Sorafenib-Base ist für die Fachperson eine Selbstverständlichkeit, ohne dass dies im Artikel von Lyons et al. thematisiert wird.
Fest steht auch, dass Tosylatsalze in der kommerziellen pharmazeutischen Praxis im Vergleich zu anderen Salzformen – insbesondere im Vergleich zu Hydrochlorid- und Sulfatsalzen – selten verwendet werden. Tosylat ist zwar in der Literatur als mögliches Anion in einer pharmazeutischen Salzform eines Wirkstoffes gelistet, tatsächlich werden aber Tosylatsalze als pharmazeutische Wirkstoffe nur sehr selten angewendet.
Ausgehend davon hätte die Fachperson zwar prinzipiell die Möglichkeit gehabt, das Tosylatsalz als Alternative zur freien Base für weitere Untersuchungen auszuwählen, diese Möglichkeit („könnte“) reicht aber als Beleg für das Fehlen der erfinderischen Tätigkeit nicht aus. Entscheidend ist, ob die Fachperson auch mit angemessenen Erfolgsaussichten damit rechnen konnte, dass das Tosylatsalz von Sorafenib auch tatsächlich eine verbesserte Wirkung (wie hier: die verbesserte Bioverfügbarkeit) im Vergleich mit der freien Sorafenib-Base haben wird, und daher auch das Tosylatsalz bewusst und gezielt ausgewählt „hätte“.
Das Erstgericht stellt in diesem Zusammenhang noch fest, dass die Fachperson weiß, dass in knapp der Hälfte der Fälle (43 %) das Hydrochloridsalz einer schlecht löslichen Verbindung für die relevante pharmazeutische Formulierung der Verbindung verwendet wird. Die Fachperson weiß – wie oben dargelegt – auch, dass das Tosylatsalz äußerst selten tatsächlich zur Anwendung kommt. Die gewerbliche Nutzung von Tosylatsalzen ist in der Tabelle 13.4 in Aulton , 1. Auflage, mit 0,1 % – dem niedrigsten Wert in dieser Tabelle – ausgewiesen. In der 2. Auflage ist Tosylat in der Tabelle gar nicht mehr erwähnt, wodurch nachgewiesen ist, dass die kommerzielle Bedeutung von Tosylatsalzen in der pharmazeutischen Verwendung zwischen 1988 und 2002 nicht zugenommen hat. Daher wird die Fachperson (ohne Salzscreening) in Anbetracht des Lyons et al .-Artikels Sorafenib-Hydrochlorid mit angemessenen Erfolgsaussichten als alternative Form von Sorafenib ansehen. Somit wäre – neben der Verwendung von Sorafenib als freier Base – auch die Verwendung des Hydrochlorids von Sorafenib in Anbetracht von Lyons et al. (gegenüber dem Streitpatent) als frei nutzbarer und naheliegender Stand der Technik anzusehen.
Die Fachperson hätte daher ausgehend von der geringen kommerziellen Verwendung von Tosylatsalzen in der pharmazeutischen Praxis keine Veranlassung gehabt, weitere Untersuchungen (insbesondere durch Durchführen eines Salzscreenings) mit Sorafenib Tosylat anzustellen. Es fehlte der Fachperson an einem „starken Anreiz“ oder einer „Einbahnstraßensituation“ (BGH X ZR 59/17- Fulvestrant; EPA T 192/82).
7.4. Die Antragsgegnerin führt noch ins Treffen, dass die Fachperson veranlasst gewesen wäre, die Auflösungsgeschwindigkeit zu untersuchen, weil bekannt sei, dass Sorafenib nur gering löslich, aber dennoch wirksam sei.
Diesem Argument liegt – wie vom Erstgericht schon zutreffend ausgeführt – eine ex-post-Betrachtung zugrunde, weil sich die Daten zur Bioverfügbarkeit für Sorafenib-Tosylat nur aus dem Tierversuch ergeben.
Dem Rekurs war daher ein Erfolg zu versagen.
8. Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens beruht auf § 393 EO, §§ 50 Abs 1, 41 ZPO.
9. Der Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstands nach §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 500 Abs 2 Z 1 lit b ZPO ergibt sich aus der wirtschaftlichen Bedeutung des Patentrechts und orientiert sich auch an der Bewertung durch die Klägerin.
10. Ob der Gegenstand eines Patents erfinderisch ist, kann nur im Einzelfall beurteilt werden und wirft demnach keine Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO auf, weshalb der ordentliche Revisionsrekurs nicht zuzulassen war.