33R75/22z – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien als Rekursgericht hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hinger als Vorsitzenden sowie die Richter Dr. Schober und Mag. Schmoliner in der Rechtssache der klagenden Partei E***** , vertreten durch die List Rechtsanwalts GmbH in Wien, wider die beklagte Partei U***** , vertreten durch Dr. Manuela M. Pacher, Rechtsanwältin in Wien, wegen EUR 20.245,82 s.A. über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 10. Juli 2022, GZ 19 Cg 54/21v-43, in nicht öffentlicher Sitzung den
B e s c h l u s s
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahingehend abgeändert, dass die Einrede des Fehlens der internationalen Zuständigkeit verworfen wird.
Dem Erstgericht wird die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 1.331,64 (darin EUR 221,94 USt) bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens sowie die mit EUR 1.113,36 (darin EUR 185,56 USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens zu ersetzen.
Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.
B egründung
Text
Der Kläger begehrt von der Beklagten, einem Unternehmen mit Hauptniederlassung in Rumänien, zuletzt die Zahlung von EUR 20.245,82 s.A. an Provisionen. Er habe seit dem Jahr 2018 für die Beklagte bzw deren Rechtsvorgängerin Vermittlungstätigkeiten erbracht und als „technischer Aufklärer“ agiert. Auf Grund mehrerer mit der Beklagten abgeschlossener Dienstleistungsverträge stehe dem Kläger eine Provision von 5 % des Umsatzes der vermittelten Geschäfte zu.
Der Kläger stützt die Zuständigkeit des Erstgerichtes auf Art 7 Nr 1 EuGVVO 2012. Nach § 907a Abs 1 Satz 1 ABGB sei der Erfüllungsort einer vertraglichen Geldschuld die Niederlassung des Gläubigers, hier somit des Klägers und damit in Wien. Selbst wenn entsprechend dem Vorbringen der Beklagten kein Vermittlungs-, sondern ein Kaufvertrag vorliege, bestehe eine Zuständigkeit der österreichischen Gerichte. Diesfalls wäre die Beklagte als Verkäuferin aufgetreten und die Ware sei nach Österreich gebracht worden, sodass auch in diesem Fall der Erfüllungsort in Österreich liege.
Die Beklagte wendete die Unzuständigkeit des Erstgerichts ein und begründete dies zusammengefasst damit, dass mangels Gerichtsstandsvereinbarung ihr Sitz in Rumänien den Gerichtsstand begründe. Ein Erfüllungsort in Österreich liege schon deshalb nicht vor, weil der Kläger entgegen seinem Vorbringen niemals für die Beklagte Dienstleistungen in Form von Vermittlungstätigkeiten erbracht habe. Auch die behaupteten Dienstleistungsverträge gebe es schlichtweg nicht. Vielmehr habe der Kläger als Zwischenhändler fungiert, welcher bei anderen Lieferanten eingekaufte Teile mit einem Aufschlag an die Beklagte weiterverkauft habe. Provisionen seien dabei nicht vereinbart gewesen. Da die Waren ausschließlich nach Rumänien zur Beklagten geliefert worden seien, liege ein Gerichtsstand außerhalb Rumäniens nicht vor. Selbst wenn man aber mit dem Kläger vom Vorliegen von Dienstleistungsverträgen ausginge, wären solche Dienstleistungen in Rumänien zu erbringen gewesen, sodass auch daraus kein Gerichtsstand in Österreich resultiere. § 907a Abs 1 Z 1 ABGB sei nicht heranzuziehen, weil dann beim Vorliegen einer vertraglichen Geldschuld immer am Sitz des Gläubigers geklagt werden könne, was jedoch nicht der Fall sei.
Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht die Klage wegen des Fehlens der internationalen Zuständigkeit zurück und verpflichtete den Kläger zum Kostenersatz. Rechtlich führte das Erstgericht aus, es liege schon deshalb kein Erfüllungsort und damit kein Gerichtsstand in Österreich vor, weil der vom Kläger behauptete Vertrag nicht abgeschlossen worden sei. Selbst beim Abschluss des Vertrags sei kein Erfüllungsort in Österreich gegeben, weil sich ein solcher mangels Vereinbarung nach dem auf das Vertragsverhältnis anzuwendende Recht bestimme. Das sei nach Art 4 Abs 1 lit b ROM I Verordnung das österreichische Recht. Demnach sei die Klage am Erfüllungsort für die Geldschuld, das heißt am (Wohn-)Sitz der Beklagten, einzubringen.
Dagegen richtet sich der Rekurs des Klägers aus den Gründen der unrichtigen rechtlichen Beurteilung und unrichtigen Tatsachenfeststellung in Folge unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss zur Gänze aufzuheben und die Zuständigkeit des Handelsgerichts Wien festzustellen; in eventu den Beschluss im Sinne einer Verwerfung der Unzuständigkeitseinrede der Beklagten abzuändern.
Die Beklagte beantragte, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist berechtigt.
1.1 Die Frage, ob zwischen den Streitteilen ein Vertrag zustande gekommen ist, betrifft eine sogenannte „doppelrelevante Tatsache“, also eine solche, aus der sowohl die internationale Zuständigkeit als auch die Begründetheit des Anspruches resultiert. Bei solchen doppelrelevanten Tatsachen muss die Schlüssigkeit des Klagsvorbringens ausreichen, um nicht die Zuständigkeitsprüfung mit einer weitgehenden Sachprüfung zu belasten (5 Ob 193/20y mwN). Doppelrelevante Tatsachen sind auch dann der Zuständigkeitsentscheidung zu Grunde zu legen, wenn sie der Beklagte bestritten hat (RS0050455 [T1]). Wenn der zuständigkeitsbegründende Sachverhalt auch anspruchsbegründend ist, kommt eine Klagezurückweisung mangels Nachweises des Sachverhaltes auch dann nicht in Betracht, wenn das Erstgericht von den Sachverhaltsbehauptungen des Klägers abweichende Feststellungen getroffen hat. Auch in diesem Fall ist bei der Prüfung der Zuständigkeitsfrage von den Behauptungen des Klägers auszugehen (RS0116404 [T3]).
Das Erstgericht kann daher die Zurückweisung der Klage nicht auf seine Feststellung stützen, zwischen den Streitteilen sei kein Vertrag zustande gekommen. Ob der geforderte materiell-rechtliche Zusammenhang tatsächlich vorliegt, ist vielmehr erst im Hauptverfahren zu prüfen (RS0116404 [T1]).
1.2 Geht man daher für die Zuständigkeitsprüfung mit den – an sich schlüssigen – Behauptungen des Klägers vom Vorliegen eines Dienstleistungsvertrags aus, hat das Erstgericht seine internationale Zuständigkeit zu Unrecht verneint:
Die Zuständigkeit richtet sich nach der Verordnung (EU) Nr 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen („EuGVVO 2012“). Nach deren Art 7 Nr 1 kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats hat, in einem anderen Mitgliedsstaat geklagt werden, wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre. Im Sinne dieser Vorschrift – und soferne nichts anderes vereinbart worden ist – ist der Erfüllungsort der Verpflichtung für die Erbringung von Dienstleistungen der Ort in einem Mitgliedsstaat, an dem sie nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen. Der Erfüllungsort bei Kauf- und Dienstleistungsverträgen ist nach tatsächlichen und nicht nach rechtlichen Kriterien zu bestimmen ( Czernich in Czernich/Kodek/Mayr 4 Art 7 EuGVVO 2012 Rz 13 mwN). Insoweit richtet sich bei diesen Verträgen der Erfüllungsort, anders als noch bei der Vorgängerbestimmung des Art 5 Nr 1 EuGVÜ, nicht nach dem auf das Vertragsverhältnis anzuwendenden Recht (lex causae), sondern wird autonom anhand tatsächlicher Kriterien bestimmt (RS0118507; Klauser in Fucik/Klauser/Kloiber, ZPO 12 Art 7 EuGVVO 2012; Czernich aaO Rz 10 f; Klauser/Kodek , JN-ZPO 18 Art 7 EuGVVO 2012 E 88). Für die Zuständigkeitsprüfung braucht das anwendbare Recht somit nicht mehr ermittelt werden ( Klauser aaO).
Vermittlungstätigkeiten, wie sie vom Kläger behauptet werden, fallen unter den Dienstleistungsbegriff des Art 7 Nr 1 EuGVVO 2012 ( Klauser aaO). Mangels Vereinbarung eines Erfüllungsorts ist für Art 7 Nr 1 lit b zweiter Gedankenstrich EuGVVO auf jenen Ort abzustellen, an dem die charakteristische Leistung erbracht wurde (4 Ob 140/18y). Die charakteristische Leistung, nämlich die Vermittlungstätigkeit, hat der Kläger nach dessen Vorbringen in Österreich erbracht. Somit liegt hier auch der Erfüllungsort für sämtliche aus dem behaupteten Vertrag entspringende Ansprüche (RS0118364; Klauser aaO), damit auch für die verfahrensgegenständlichen Ansprüche des Klägers auf Zahlung.
1.3 Es liegt somit schon aus diesem Grund die internationale Zuständigkeit des Erstgerichtes vor, weshalb auf die weiteren Rekursgründe nicht weiter einzugehen ist. Insbesondere ist es nicht maßgeblich, ob auf das Rechtsverhältnis § 907a Abs 1 ABGB idF des Zahlungsverzuggesetzes (BGBl I 2013/50) oder § 905 Abs 2 ABGB idF BGBl I 2005/120 anzuwenden ist, weil, wie oben unter Punkt 1.2 ausgeführt, der Erfüllungsort im Anwendungsbereich des Art 7 Nr 1 EuGVVO nicht nach nationalem Recht sondern autonom zu bestimmen ist.
2. Der durch die Einrede der Beklagten ausgelöste Zuständigkeitsstreit ist als selbständiger Zwischenstreit zu beurteilen, über dessen Kosten unabhängig vom Ausgang in der Hauptsache zu entscheiden ist (RS0035955 [T3, T4, T8]). Als Kosten des Zwischenstreits sind nur die vom allgemeinen Verfahrensausgang klar abgrenzbaren Kosten anzusehen; über Kosten von Prozesshandlungen, die im Hauptverfahren verwertbar sind, sind im Rahmen der Entscheidung über die Kosten des Zwischenstreites nicht zu entscheiden ( Obermaier , Kostenhandbuch 3 Rz 1.331). Die einzigen klar abgrenzbaren Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens sind jene für die Verhandlung vom 13.6.2022, in der nur zum Zwischenstreit, nicht jedoch in der Hauptsache verhandelt wurde. Die Kosten von EUR 1.109,70 netto zuzüglich EUR 221,94 USt hat die Beklagte daher gemäß § 41 ZPO dem Kläger zu ersetzen.
Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens beruht auf §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO. Die vom Kläger verzeichnete Pauschalgebühr fällt im Rekursverfahren nicht an (vgl Anm 1 zu TP 2 GGG).
3. Der Revisionsrekurs ist nicht zuzulassen, weil mit der Entscheidung keine erheblichen Rechtsfragen im Sinne des § 528 Abs 1 ZPO aufgeworfen werden.