JudikaturOLG Wien

24Kt4/22a – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
07. Juli 2022

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien als Kartellgericht fasst durch die Senatsvorsitzende Mag. Iris Ingemarsson in der Rechtssache der Antragstellerin Bundeswettbewerbsbehörde , Radetzkystraße 2, 1030 Wien wider die Antragsgegnerinnen ***** wegen des Verdachts auf Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung (§ 5 Abs 1 KartG und Art 102 AEUV) sowie wegen des Verdachts wettbewerbswidriger Vereinbarungen und/oder abgestimmter Verhaltensweisen (§ 1 Abs 1 KartG und Art 101 AEUV) infolge Widerspruchs der Antragsgegnerinnen gemäß § 12 Abs 5 WettbG den

Spruch

Beschluss:

Die von der Antragstellerin beim Kartellgericht hinterlegten, versiegelten Unterlagen werden der Antragstellerin nach Rechtskraft dieses Beschlusses ausgefolgt werden.

Text

Begründung:

A. Bisheriges Verfahren:

1. Mit Beschluss vom ***** ordnete das Kartellgericht auf Antrag der Antragstellerin eine Hausdurchsuchung bei den Antragsgegnerinnen sowie die Sicherstellung von physischen und elektronischen Kopien in den Geschäftsräumlichkeiten, Fahrzeugen und der IT der Antragsgegnerinnen wegen des Verdachts auf Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung gemäß § 5 Abs 1 KartG und Art 102 AEUV sowie wegen des Verdachts wettbewerbswidriger Vereinbarungen und/oder abgestimmter Verhaltensweisen gemäß § 1 Abs 1 KartG und Art 101 AEUV durch marktmissbräuchliche Ausschließlichkeitsbindungen und Beschränkungen des Liefergebiets sowie des Kundenkreises an.

Der Hausdurchsuchungsbefehl erwuchs in Rechtskraft .

2. Die Antragstellerin führte aufgrund der Anordnung des Kartellgerichts im Zeitraum vom ***** bei den Antragsgegnerinnen die Hausdurchsuchung durch. Die Antragsgegnerinnen verlangten die elektronischen Unterlagen gegen unbefugte Einsichtnahme zu sichern und sie getrennt vom Ermittlungsakt zu hinterlegen.

Die Antragstellerin sicherte die elektronischen Unterlagen, die sie getrennt vom Ermittlungsakt in einem Stahlschrank in ihren Räumlichkeiten hinterlegte. Sie setzte den Antragsgegnerinnen eine Frist, innerhalb der sie die einzelnen, von der Einsichtnahme auszunehmenden Unterlagen zu bezeichnen hatten.

Die Antragsgegnerinnen übermittelten fristgerecht eine Stellungnahme, mit der sie begehrten, einzelne (aber auch allgemein–sonstige) dem Anwaltsprivileg unterliegende Dokumente sowie einzelne (aber auch allgemein–sonstige) private Dokumente aufgrund des Schutzes des Persönlichkeitsrechtes aus dem Ermittlungsakt auszuscheiden und nicht in diese Dokumente einzusehen.

Die Antragstellerin ersuchte die Antragsgegnerinnen, binnen einer bestimmten Frist klarzustellen, ob ihre Stellungnahme als „Antrag gemäß § 12 Abs 5 WettbG“ zu werten sei und den Datenträger mit den einzeln bezeichneten Unterlagen zu übermitteln.

Die Antragsgegnerinnen stellten mit Email vom 28.5.2022 fristgerecht klar, dass ihre Stellungnahme als Antrag gemäß § 12 Abs 6 iVm Abs 5 WettbG zu verstehen sei. Sie beantragten (nun gegenüber der Stellungnahme eingeschränkt) die Vorlage der einzeln bezeichneten, nur noch dem Anwaltsprivileg unterliegenden Unterlagen an das Kartellgericht und übergaben einen USB Stick sowie ein Kuvert mit Passwort.

Die Antragstellerin verschloss den USB Stick und das Kuvert mit Passwort in einem Sealbag zur Vorlage an das Kartellgericht.

Mit Schriftsatz vom 20.6.2022 brachte die Antragstellerin eine Vorlage gemäß § 12 Abs 5 WettbG beim Kartellgericht ein. Sie hielt darin den Verfahrensablauf fest und führte aus, dass die Antragsgegnerinnen nicht zum Kreis der Widerspruchsberechtigten zu zählen seien. Ein Widerspruchsrecht komme nur jenen Betroffenen zu, die einer Verschwiegenheitspflicht unterlägen oder ein Recht zur Aussageverweigerung hätten. Es sei keine weitere Sichtung und Prüfung der Unterlagen durch das Kartellgericht erforderlich.

Das Kuvert mit den gesicherten Datenträgern und dem Passwort langte am ***** bei Gericht ein.

Die Antragsgegnerinnen begehrten in ihrer Stellungnahme vom ***** im Wesentlichen, das Kartellgericht möge nach Sichtung die dem Anwaltsprivileg (I.) und der Privatsphäre (II.) unterliegenden Dokumente in ihrer Gesamtheit, in eventu in reduziertem Umfang den AG zurückstellen und aussprechen, dass die Antragstellerin bis zur Rechtskraft der Entscheidung die Unterlagen ./C,./D und ./E nicht einsehen oder in die Ermittlungen einfließen lassen dürfe (./III).

Sie führten dazu aus, dass das Anwaltsprivileg in beinahe allen Rechtsordnungen, jedenfalls jedoch im europäischen Recht, fixer Bestandteil des Verfahrensrechts sei. Gestützt auf die Entscheidungen des EuG und EuGH „Akzo Nobel“, „AM S“ und „Hilti“ sowie des EGMR „Vinci“ und auf § 13 WettbG sei die Antragstellerin verpflichtet, bei Hausdurchsuchungen das Anwaltsprivileg zu berücksichtigen und die versiegelten Dokumente nicht einzusehen.

Darüberhinaus sei § 12 Abs 5 WettbG so zu verstehen, dass nicht nur auf § 157 Abs 1 Z 2 bis 5 StPO sondern auch auf § 157 Abs 2 StPO (Umgehungsschutz) verwiesen werde. Bei einem anderen Verständnis könnte sich ein Mandant nur im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, nicht jedoch im wettbewerbsrechtlichen Hausdurchsuchungsverfahren auf das Anwaltsprivileg berufen. Dies würde der Grundrechtscharta widersprechen.

Die Antragsgegnerinnen seien ihrer Bezeichnungspflicht nachgekommen und hätten die betroffenen Emails entsprechend individualisiert. Es handle sich im Wesentlichen um Korrespondenz zwischen den Antragsgegnerinnen und den Rechtsanwälten/Rechtsanwaltsanwärtern der Kanzlei *****.

Analog zum Anwaltsprivileg regten die Antragsgegnerinnen an, auch die bezeichnete Privatkorrespondenz von der Einsicht gemäß Art 8 und 10 EMRK sowie Art 7 GRC und Art 11 GRC auszunehmen. Eine Einsicht wäre unverhältnismäßig.

Rechtliche Beurteilung

B. Rechtlich ist dazu auszuführen:

1. Das Anwaltsprivileg (Legal Privilege oder Legal Professional Privilege) bezeichnet den Anspruch auf Wahrung der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen einem Rechtsanwalt und seinem Mandanten. Das Legal Privilege hat seine Grundlage im angelsächischen und amerikanischen Prozessrecht, das vom sogenannten Disclosure (in den USA: Discovery) geprägt ist. Danach sind die Prozessparteien verpflichtet, sämtliche streitrelevanten Unterlagen dem Gericht und der anderen Prozesspartei zur Verfügung zu stellen – und zwar auch dann, wenn das für die eigene Position ungünstig ist. Von dieser weiten Vorlagepflicht ausgenommen ist die Korrespondenz, die eine Prozesspartei mit ihren Anwälten geführt hat. Das Legal Privilege gilt dabei nicht nur für die Korrespondenz mit externen Anwälten sondern auch mit internen Unternehmensjuristen.

1.1. Im österreichischen außerstreitigen Kartellverfahren gibt es eine derartige Vorlagepflicht nicht, allerdings können die im Rahmen von Hausdurchsuchungen beschlagnahmten Unterlagen der Bundeswettbewerbsbehörde als Grundlage für einen Antrag im Kartellverfahren dienen.

2. Das europäische Wettbewerbsrecht kennt das Anwaltsprivileg als Verteidigungsrecht, das die Ermittlungsbefugnisse der Kommission begrenzt. Das Anwaltsprivileg wird zwar weder im AEUV noch in der VO 1/2003 erwähnt, die Europäische Kommission hat jedoch unter Berücksichtigung der einschlägigen EuGH Rechtsprechung ihre Sicht zur Reichweite sowie zu dem Verfahren zur Geltendmachung des Anwaltsprivilegs in ihrer Bekanntmachung über bewährte Vorgehensweisen im Verfahren nach Art 101 und 102 des AEUV zusammengefasst (Bekanntmachung der Kommission vom 20.10.2011, ABl 2011 C 308, 06, RN 51 ff).

Das Anwaltsprivileg wird aus Art 8 Abs 1 EMRK (Schutz der Korrespondenz) iVm Art 6 Abs 1, 3 lit c EMRK (Recht auf ein faires Verfahren) sowie Art 7 der Charta der Grundrechte der EU (Achtung der Kommunikation) iVm Art 47 Abs 1, 2 Satz 2 und Art 48 Abs 2 der Charta der Grundrechte der EU (Recht auf Beratung, Verteidigung und Vertretung, Achtung der Verteidigungsrechte) abgeleitet.

Der Hauptanwendungsbereich ergibt sich in Hinblick auf Ermittlungshandlungen für die Verfahren nach Art 101 und 102 AEUV auf der Grundlage der VO 1/2003. Hierher gehören unter anderem die Auskunftsersuchen (Art 18 VO 1/2003), die Befugnis zur Befragung (Art 19 VO 1/2003), die Befugnis, Nachprüfungen in Geschäftsräumen vorzunehmen sowie Geschäftsbücher und Geschäftsunterlagen (einschließlich elektronische) zu prüfen bzw Kopien sowie Auszüge aus diesen Büchern und Unterlagen zu ziehen (Art 20 VO 1/2003). Erfasst werden auch sämtliche Hilfshandlungen, die von nationalen Kartellbehörden für die Kommission geleistet werden (Art 23 VO 1/2003).

2.1. Der Umfang des Schutzbereichs des Anwaltsprivilegs lässt sich aus der Rechtsprechung des EuG und des EuGH in den Verfahren AM S und Akzo Nobel (EuGH Urteil vom 18.5.1982, 155/79, AM S; EuGH vom 14.9.2010, C 550/07 P, Akzo Nobel Chemicals Acros Chemical; EuG vom 17.9.2007, T 125/03, Akzo Nobel Chemicals und Acros Chemicals Kommission) und Hilti (EuG vom 4.4.1990 T-30/89) ableiten.

Danach schützt das Anwaltsprivileg die Vertraulichkeit des Schriftverkehrs zwischen einem unabhängigen Rechtsanwalt und seinem Mandanten, der im Rahmen des Rechts und im Interesse des Mandanten auf Verteidigung erfolgt. Nicht nur vor Verwertung, sondern bereits vor Kenntnisnahme der Dokumente wird geschützt. Der Schutz besteht unter zwei Voraussetzungen:

1.) Es muss sich um Schriftverkehr mit einem unabhängigen innerhalb der EU zugelassenen Anwalt handeln,

2.) Es muss der Schriftverkehr im Rahmen und im Interesse des Mandanten auf Verteidigung erfolgt sein.

Die Beweislast dafür, dass die Unterlagen, die aufgrund des Anwaltsprivilegs auszunehmen seien, „ausschließlich erstellt worden seien, um im Rahmen der Ausübung der Verteidigerrechte eine rechtliche Beratung eines Rechtsanwalts einzuholen“, liegt beim betroffenen Unternehmen. Dies muss sich unzweideutig aus dem Inhalt der Schriftstücke selbst oder aus dem Zusammenhang ergeben, in dem die Schriftstücke verfasst und aufgefunden wurden (EuG 17.9.2007, T 125/03 Rn 124).

2.2. Den Entscheidungen AM S, Akzo Nobel und Hilti lagen Nachprüfungen bzw. Verwaltungsverfahren vor der Kommission zugrunde, sodass die daraus gewonnenen Grundsätze für das nationale Kartellverfahren aufgrund der nationalen Verfahrensautonomie keine unmittelbare rechtliche Auswirkung haben.

Der EuGH hielt dazu in seiner Entscheidung Akzo Nobel ausdrücklich fest, dass die Befugnisse, über die die Kommission nach der Vorordnung Nr. 17/1962 und nach der Verordnung Nr. 1/2003 verfügt, sich vom Umfang der Ermittlungen, die auf nationaler Ebene durchgeführt werden können, unterscheiden. Beide Verfahrensarten beruhen auf einer Aufteilung der Zuständigkeiten der einzelnen Wettbewerbsbehörden. Daher können die Vorschriften über den Schutz der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant nach Maßgabe dieser Zuständigkeitsverteilung und der für sie geltenden Regelungen Unterschiede aufweisen (Akzo Nobel C 550/07 P Rn 102 ff). Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebietet es nicht, auf die Verfahren für das Wettbewerbsrecht der Union und für das nationale Kartellrecht die gleichen Kriterien anzuwenden (Akzo Nobel Rn 105).

3. Der EGMR befasste sich zuletzt in seiner Entscheidung vom 2.4.2015, 63629/10 und 60587/10, Vinci Construction and GMT genie civil and services/Frankreich; insbes. Rz 67, 78, 79 ff (idF „Vinci“) mit der Anwendbarkeit des Anwaltsprivilegs bei Hausdurchsuchungen. Er stellte klar, dass auch Anwalt-Mandanten-Korrespondenz, die sich in Räumlichkeiten außerhalb einer Anwaltskanzlei befände, vom Schutzbereich des Art 8 MRK umfasst sei. Solche Eingriffe könnten zwar nach Art 8 Abs 2 EMRK gerechtfertigt sein, für eine Rechtfertigung sei aber eine effektive Kontrolle der Eingriffshandlungen erforderlich (Vinci Rn 67).

Um Durchsuchungen EMRK-konform durchzuführen, auferlegt der EGMR einen rechtlichen Mindeststandard, der vor allem aus einer effektiven ex-ante und ex-post Rechtskontrolle zu bestehen hat (Vinci Rn 78,79).

3.1. Der Grundrechtsschutz des Gemeinschaftsrechts ist als gleichwertig mit dem durch die MRK gebotenen anzusehen, da der EuGH die Grundrechte, insbesondere auf Grundlage der MRK, zu den von ihm zu wahrenden allgemeinen Rechtsgrundsätzen ansieht; ausreichende Kontrollmechanismen stehen durch die Anrufbarkeit des EuGH bzw – vor allem betreffend natürliche Personen – durch Anrufbarkeit der innerstaatlichen Gerichte in Fragen des Gemeinschaftsrechts zur Verfügung, wobei die innerstaatlichen Gerichte vom EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art 234 AEUV kontrolliert werden (RIS-Justiz RS0122756).

Sollten keine ausreichenden Rechtschutzmöglichkeiten bei Verletzung der Anwaltsvertraulichkeit (Art 7 iVm Art 47 Abs 1, 2 Satz 2 und Art 48 Abs 2 der Charta der Grundrechte der EU) bestehen, könnte dies dem Effektivitätsgrundsatz widersprechen. Eine Analyse der bisher zum Effektivitätsgrundsatz des EuGH ergangenen Rechtsprechung macht jedoch deutlich, dass der EuGH häufig auf den Effektivitätsgrundsatz verweist, dabei aber nur selten korrigierend eingreift ( Kulms , Effektivitätsgrundsatz, 203ff).

Zu den Kontrollmöglichkeiten im österreichischen Recht ist auf die einzelnen Bestimmungen des WettbG, der StPO und des Außerstreitverfahrens einzugehen:

4. Verfahren nach dem WettbG :

§ 11 Abs 1 WettbG (auszugsweise, Hervorhebungen durch das Gericht) sieht vor:

„Die Bundeswettbewerbsbehörde kann nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes alle Ermittlungen führen, die ihr zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben gemäß diesem Bundesgesetz zukommen. Die im Rahmen von Ermittlungen erlangten Kenntnisse dürfen [...]– nur zu dem mit der Ermittlungshandlung verfolgten Zweck verwertet werden.“

Für die auf Antrag der Bundeswettbewerbsbehörde durchgeführte Hausdurchsuchung regelt

§ 12 WettbG :

(1) Das Kartellgericht hat, wenn dies zur Erlangung von Informationen aus geschäftlichen Unterlagen erforderlich ist, auf Antrag der Bundeswettbewerbsbehörde bei Vorliegen des begründeten Verdachts einer Zuwiderhandlung gegen §§ 1, 5 oder 17 KartG 2005, Art. 101 oder 102 AEUV eine Hausdurchsuchung anzuordnen.

(3) Die Hausdurchsuchung ist vom Senatsvorsitzenden im Verfahren außer Streitsachen mit Beschluss anzuordnen. Gegen den Beschluss steht ausschließlich das Rechtsmittel des Rekurses offen; dieses hat keine aufschiebende Wirkung.

(4) Bei der Durchführung der Hausdurchsuchung sind Aufsehen, Belästigungen und Störungen auf das unvermeidbare Maß zu beschränken. Die Eigentums- und Persönlichkeitsrechte desjenigen, bei dem die Hausdurchsuchung vorgenommen wird ( Betroffener ) sind soweit wie möglich zu wahren. Die Bundeswettbewerbsbehörde hat über die Hausdurchsuchung ein Protokoll aufzunehmen und das Kartellgericht darüber zu informieren. Der Betroffene hat das Recht, bei der Durchsuchung anwesend zu sein und eine Person seines Vertrauens zuzuziehen. Der Bundeswettbewerbsbehörde kommen bei Hausdurchsuchungen die in § 11a Abs 1 Z 2 und 3 genannten Befugnisse zu. Die Bundeswettbewerbsbehörde ist befugt, für die Dauer der Hausdurchsuchung in dem hierfür erforderlichen Ausmaß alle Räumlichkeiten zu versiegeln und Beweismittel in Beschlag zu nehmen, soweit dies zur Sicherung des Ermittlungserfolges geboten ist.“

(5) Unmittelbar vor einer aufgrund von Abs 1 angeordneten Hausdurchsuchung ist der Betroffene (Abs 4) zu den Voraussetzungen der Hausdurchsuchung zu befragen, es sei denn, dies würde den Ermittlungserfolg wegen Gefahr in Verzug gefährden. Widerspricht er im Rahmen der Prüfung von Unterlagen, unabhängig davon, in welcher Form diese vorliegen, der Einsichtnahme in bestimmte, einzeln bezeichnete Unterlagen oder ihre Beschlagnahme unter Berufung auf eine ihn treffende gesetzlich anerkannte Pflicht zur Verschwiegenheit oder ein ihm zustehendes Recht zur Verweigerung der Aussage gemäß § 157 Abs 1 Z 2 bis 5 StPO, so sind diese Unterlagen auf geeignete Art und Weise gegen unbefugte Einsichtnahme oder Veränderung zu sichern und dem Kartellgericht vorzulegen; zuvor dürfen sie nicht eingesehen werden. Das Kartellgericht hat die Unterlagen zu sichten und mit Beschluss des Senatsvorsitzenden zu entscheiden, ob und in welchem Umfang sie eingesehen und Abschriften und Auszüge daraus angefertigt werden dürfen oder sie dem Betroffenen (Abs 4) zurückzustellen sind. Gegen diesen Beschluss steht ausschließlich das Rechtsmittel des Rekurses offen.

(6) Ist eine Bezeichnung einzelner Unterlagen im Zuge der Hausdurchsuchung nicht möglich, weil diese dadurch in unverhältnismäßiger Weise verzögert würde, so sind auf Verlangen des Betroffenen (Abs 4) Kategorien von Unterlagen auf geeignete Art und Weise gegen unbefugte Einsichtnahme zu sichern und bei der Bundeswettbewerbsbehörde getrennt vom Ermittlungsakt zu hinterlegen. Der Betroffene (Abs 4) ist von der Bundeswettbewerbsbehörde aufzufordern, innerhalb einer von ihr zu setzenden Frist von mindestens zwei Wochen die Unterlagen einzeln zu bezeichnen. Zu diesem Zweck ist er berechtigt, in die hinterlegten Unterlagen Einsicht zu nehmen. Unterlässt er fristgerecht die Bezeichnung von einzelnen Unterlagen, so werden die Unterlagen Bestandteil des Ermittlungsaktes der Bundeswettbewerbsbehörde. Hinsichtlich der einzeln bezeichneten Unterlagen ist im Sinne des Abs 5 vorzugehen“.

4.1. Die Materialien zum KaWeRÄG 2012 (ErlRV 1804 BlgNr 24. GP 16) führen zu § 12 Abs 5 WettbG idgF (BGBl. I Nr. 13/2013) aus, dass § 12 Abs. 5 WettbG in der Fassung BGBl. I Nr. 62/2002 vorsah, geschäftliche Unterlagen, deren Einsichtnahme der Inhaber im Rahmen einer Hausdurchsuchung nicht gestatten wollte, auf geeignete Art und Weise gegen unbefugte Einsichtnahme oder Veränderung zu sichern und dem Kartellgericht vorzulegen; zuvor durften sie nicht eingesehen werden. Ein derartiges unbegrenztes Widerspruchsrecht sei jedoch nicht praktikabel, vielmehr solle es auf gesetzlich anerkannte Pflichten zur Verschwiegenheit (Berufsgeheimnis) und das Recht zur Verweigerung der Aussage, wie es in § 157 Abs. 1 Z 2 bis 5 StPO (bei sonstiger Nichtigkeit) vorgesehen sei, eingeschränkt werden. Zum Widerspruch sei berechtigt, wer selbst einer Verschwiegenheitspflicht unterliege. Zu denken sei etwa an einen Rechtsanwalt, dem die RAO eine Verschwiegenheitspflicht auferlege, und dessen Recht auf diese Verschwiegenheit in gerichtlichen oder sonstigen behördlichen Verfahren nicht etwa durch die Durchsuchung von Handakten umgangen werden solle.

4.2. Aus § 12 Abs 4 iVm Abs 5 WettbG und den erläuternden Bemerkungen zu § 12 Abs 5 WettbG ergibt sich eindeutig, dass „der Betroffene“ ausschließlich derjenige ist, bei dem die Hausdurchsuchung durchgeführt wird. Nur der Betroffene hat ein Widerspruchsrecht gemäß § 12 Abs 5 WettbG und auch nur dann, wenn er sich auf eine ihn treffende gesetzlich anerkannte Pflicht zur Verschwiegenheit beruft oder ihm ein Aussageverweigerungsrecht gemäß § 157 Abs 1 Z 2 bis 5 StPO zukommt.

Die von den Antragsgegnerinnen vertretene Ansicht, dass sie als von der Hausdurchsuchung Betroffene, denen jedoch selbst kein Recht auf Verschwiegenheit zusteht, berechtigt seien, Widerspruch nach § 12 Abs 5 WettbG zu erheben, würde mit der eindeutigen Intention des Gesetzgebers im Widerspruch stehen. Es kann dem Gesetzgeber nach den Ausführungen in den Gesetzesmaterialien nicht unterstellt werden, dass es sein Ansinnen war, einen Widerspruch gegen die Beschlagnahme von Unterlagen und Datenträgern auch von Personen, die keine Berufsgeheimnisträger sind, zuzulassen, würde es doch dadurch gerade nicht zu einer Einschränkung des Kreises der Widerspruchlegitimierten kommen.

4.3. In diesem Sinne bestätigte das Kartellobergericht in seiner Entscheidung 16 Ok 2/14 zu § 12 Abs 5 WettbG idF KaWeRÄG 2012, dass sich nur der Adressat der Hausdurchsuchung auf eine ihn treffende gesetzlich anerkannte Pflicht zur Verschwiegenheit oder ein ihm zustehendes Recht zur Aussageverweigerung gemäß § 157 Abs 1 Z 2 bis 5 StPO berufen könne.

4.4. Hinsichtlich der den Betroffenen, die keine Berufsgeheimnisträger sind, zustehenden Rechtschutzmöglichkeiten ist auszuführen, dass gegen Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, das heißt für Handlungen der BWB während der Durchsuchung, die über den Rahmen des Hausdurchsuchungsbefehls hinausgehen und einen „Exzess“ darstellen vor dem Bundesverwaltungsgericht eine Maßnahmebeschwerde gemäß Art 130 Abs 1 Z 2 B-VG eingelegt werden kann. Bei offenkundigem Überschreiten des Hausdurchsuchungsbefehls entfällt die Zurechnung der Bundeswettbewerbsbehörde zur Gerichtsbarkeit (VfGH 1.12.2012, B 619/12 ua).

Gegen den Hausdurchsuchungsbefehl per se kann mit Rekurs an den OGH als KOG vorgegangen und im Sinne einer ex-ante-Prüfung das Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen überprüft werden (16 Ok 5/11, 16 Ok 7/11, 16 Ok 2/12, 16 Ok 5/12, 16 Ok 7/13).

4.5. Dieses Rechtsschutzgefüge wurde vom KOG (16 Ok 2/12 ua), vom VfGH und vom VwGH als ausreichend im Sinne eines umfassenden Rechtsschutzes angesehen (VfGH B 619/12, 1.12.2012; VwGH ZL Ro 2014/04/0063, 21.1.2015, VwGH, ZL Ra 2014/04/0046, 22.4.2015: „Eine Rechtsschutzlücke ist angesichts des gerichtlichen Rechtsschutzes gegen die Anordnung der Hausdurchsuchung nach § 12 WettbG und der Möglichkeit der Maßnahmenbeschwerde nicht zu erkennen“ (VfGH 1.12.2012 B 619/12)

Der VfGH merkte an, dass es dem „rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers“ obliege, eine vergleichbare Regelung analog § 106 StPO im Kartellverfahren vorzusehen oder nicht. Es bestünden jedoch keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Hinsichtlich der Anmerkung des VfGH zu § 106 StPO, sowie aufgrund des Verweises in § 12 Abs 5 WettbG auf § 157 Abs 1 Z 2 bis 5 StPO und aufgrund der von den Antragsgegnerinnen gewünschten Erstreckung des Widerspruchsverfahrens auf § 157 Abs 2 StPO ist auf die maßgeblichen Bestimmungen des Strafverfahren einzugehen:

5. Zum Strafverfahren :

Im Strafverfahren normiert § 157 Abs 1 Z 2 StPO, dass Rechtsanwälte über das, was ihnen in dieser Eigenschaft bekanntgeworden ist, zur Aussageverweigerung berechtigt sind.

Gemäß § 157 Abs 2 StPO darf das Aussageverweigerungsrecht gemäß Abs 1 Z 2 bei sonstiger Nichtigkeit nicht umgangen werden. Insbesondere nicht durch Sicherstellung und Beschlagnahme von Unterlagen oder auf Datenträgern gespeicherten Informationen. Dies gilt auch für Unterlagen und Informationen die sich in der Verfügungsmacht des Beschuldigten befinden und zum Zweck der Beratung oder Verteidigung des Beschuldigten durch eine in Abs 1 Z 2 genannte Person von dieser oder vom Beschuldigten erstellt wurden.

Gemäß § 112 Abs 1 StPO hat eine von einer Sicherstellung betroffene oder bei einer Sicherstellung anwesende Person das Recht auf Widerspruch, wenn sie sich auf ein gesetzlich anerkanntes Recht auf Verschwiegenheit, das bei sonstiger Nichtigkeit nicht durch Sicherstellung umgangen werden darf, beruft. In einem solchen Fall sind die Unterlagen auf geeignete Art und Weise gegen unbefugte Einsichtnahme oder Veränderung zu sichern und bei Gericht zu hinterlegen. Auf Antrag des Betroffenen können die Unterlagen auch bei der Staatsanwaltschaft hinterlegt werden und sind dort vom Ermittlungsakt getrennt aufzubewahren. In beiden Fällen dürfen die Unterlagen von der Staatsanwaltschaft oder der Kriminalpolizei nicht eingesehen werden, solange nicht über die Einsicht entschieden worden ist. Dafür ist der Betroffene gemäß § 112 Abs 2 StPO aufzufordern, binnen einer angemessenen, vierzehn Tage nicht unterschreitenden Frist jene Teile der Aufzeichnungen oder Datenträger konkret zu bezeichnen, deren Offenlegung eine Umgehung seiner Verschwiegenheit bedeuten würde. Zu diesem Zweck ist er berechtigt, in die hinterlegten Unterlagen Einsicht zu nehmen. Unterlässt der Betroffene eine solche Bezeichnung, so sind die Unterlagen zum Akt zu nehmen und auszuwerten. Andernfalls hat das Gericht oder die Staatsanwaltschaft die Unterlagen zu sichten und anzuordnen, ob und in welchem Umfang sie zum Akt genommen werden dürfen. Unterlagen, die nicht zum Akt genommen werden, sind dem Betroffenen auszufolgen.

5.1. Die Materialien (ErlRV 1677 BlgNr 24. GP 10f) führen zu § 112 StPO idgF (BGBl. I Nr. 29/2012) aus:

„Gerade bei der Bearbeitung hochkomplexer Verfahren im Bereich der Korruption und Wirtschaftskriminalität, in die meist ein großer Personenkreis aus verschiedensten Berufsgruppen involviert ist, zeigte sich in der strafjustiziellen Praxis zuletzt vermehrt, dass die Verwertung im Zuge von „Hausdurchsuchungen“ sichergestellter Beweismittel und die damit verbundene rasche Aufklärung von möglicherweise strafrechtlich relevanten Sachverhalten oftmals durch die bloße Behauptung („Berufung“) des Vorliegens irgendeiner – wenn auch nur mittelbar greifenden – gesetzlich anerkannten Verschwiegenheitspflicht oder eines entsprechenden Rechts (vgl. OGH vom 16. Dezember 2010, 13 Os 130/10g bzw. 13 Os 136/10i) um mehrere Monate verzögerte. Dies ist darin begründet, dass die Staatsanwaltschaft bei Angehörigen bestimmter gesetzlich privilegierter Berufsgruppen oder Branchen, die – wenn auch oft nicht als Beschuldigte – gerade in der Wirtschaftskriminalität oftmals in den Fokus der Ermittlungen gelangen, geradezu reflexartig mit Widersprüchen konfrontiert wird. Dies führt dann zu einer „Versiegelung“ des meist äußerst umfangreichen sichergestellten Materials (Datensätze im Bereich von mehreren Giga- oder sogar Terabytes bzw. ganze Kisten mit Papierdokumenten) sowie dazu, dass das Gericht in Person eines einzelnen Haft- und Rechtsschutzrichters die Aufzeichnungen und Datenträger zu sichten und dann zu entscheiden, ob und in welchem Umfang sie zu beschlagnahmen (§ 115) oder dem Betroffenen zurückzustellen sind. Obgleich das Gericht dabei nicht etwa die betreffenden Papiere oder Datensätze zu „durchsuchen“, also (auch) ihre Beweisrelevanz zu prüfen, sondern nur darüber zu entscheiden hat, ob diese Prüfung, ungeachtet der dagegen erhobenen Einwände des Inhabers von der Staatsanwaltschaft vorgenommen werden darf, ist eine maßgebliche Verzögerung der Ermittlungen kaum vermeidbar. Da die Prüfung, ob die allenfalls in Beschlag zu nehmenden Schriftstücke oder Informationen beweisrelevant sind, in jedem Fall der Staatsanwaltschaft bzw. der Kriminalpolizei zukommt, verblieb schon bislang als alleiniges Kriterium für die Entscheidung des Gerichts, ob die Beschlagnahme vorzunehmen ist, die Prüfung der Zulässigkeit bzw. des Vorliegens eines Beweisverbots. Nunmehr soll ohne Verzicht auf gerichtliche Kontrolle und Schutz vor möglicher Umgehung von Aussageverweigerungsrechten eine Präzisierung jener Fälle erfolgen, in welchen tatsächlich die Möglichkeit der Erhebung eines Widerspruchs sinnvoll ist. Unter einem soll eine maßgebliche Beschleunigung des Verfahrens erfolgen, sodass die Herausforderungen der öffentlichen Erwartung nach zügiger und effizienter Aufklärung gerade in komplexen Verfahren im Bereich der Wirtschaftskriminalität und der Korruption unter gleichzeitiger Wahrung größtmöglichen Rechtsschutzes und entsprechender Transparenz bewältigt werden können. In diesem Sinn soll der Widerspruch nunmehr ein exklusives Recht für gerade nicht selbst beschuldigte Personen, also Betroffene im Sinn des § 48 Abs. 1 Z 3 StPO, darstellen. Diesen Personen soll der Rechtsbehelf bei Berufung auf ein gemäß § 157 Abs. 1 Z 2 bis 5 StPO anerkanntes Recht auf Verschwiegenheit (Aussageverweigerung für Angehörige bestimmter Berufsgruppen über das, was ihnen in dieser Eigenschaft bekannt geworden ist, sowie Wahlgeheimnis), womit auch Pflichten hierzu erfasst sind, offen stehen und zur Folge haben, dass die Bezug habenden Aufzeichnungen und Datenträger auf geeignete Art und Weise gegen unbefugte Einsichtnahme oder Veränderung zu sichern und vom Ermittlungsakt getrennt aufzubewahren sind (Abs. 1).

In Anbetracht der erwähnten Problematik, dass gerade in Wirtschaftsstrafsachen oftmals Sicherstellungen in ausgesprochen großem Umfang zu erfolgen haben bzw. „pauschal“ Widerspruch ohne jegliche Präzisierung erhoben wird, soll der Betroffene gemäß Abs. 2 sodann von der Strafverfolgungsbehörde aufgefordert werden, binnen einer angemessenen, 14 Tage nicht übersteigenden Frist jene Teile der Aufzeichnungen oder Datenträger konkret zu bezeichnen, deren Offenlegung eine Umgehung seiner Verschwiegenheit bedeuten würde, womit eine gewisse „Bringschuld“ der Angehörigen der in § 157 Abs. 1 Z 2 bis 4 genannten Berufsgruppen statuiert wird. Unterlässt der Betroffene dies, so sind die Aufzeichnungen und Datenträger zum Akt zu nehmen und auszuwerten. Anderenfalls hat die Staatsanwaltschaft, gegebenenfalls unter Beiziehung geeigneter Hilfskräfte oder eines Sachverständigen und des Betroffenen die Unterlagen zu sichten und anzuordnen, ob und in welchem Umfang sie zum Akt genommen werden dürfen.

Gegen diese Anordnung der Staatsanwaltschaft kann der Betroffene Einspruch erheben, in welchem Fall die Unterlagen bis zur Entscheidung des Gerichts weiterhin getrennt aufzubewahren und nicht einzusehen oder für weitere Ermittlungen zu verwenden sind. Einer Beschwerde gegen den Beschluss des Gerichts kommt aufschiebende Wirkung zu (Abs. 3)...“

5.2. Der Schutz des Rechtsanwalts – bzw. Verteidigergeheimnisses vor Sicherstellung (§ 112 StPO) setzt nach der Intention des Gesetzgebers somit voraus, dass sich die Unterlagen in der Verfügungsmacht des Rechtsanwalts befinden: So hielt der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung 13 Os 94/17y fest, dass das Recht auf Erhebung eines Widerspruches gemäß § 112 Abs 1 StPO nur der von der Sicherstellung betroffenen oder anwesenden Person zukomme. Die betroffene Person sei jene, welche die sichergestellten schriftlichen Aufzeichnungen oder Datenträger in ihrer Verfügungsmacht habe. Diese betroffene Person müsse sich auf ein ihr gesetzlich anerkanntes Recht auf Verschwiegenheit berufen (so auch OLG Graz 1 Bs 32/19v, RG0000174; OLG Wien 17 Bs 27/18x mit ausführlicher Darlegung der Intention des historischen Gesetzgebers). Die vom Oberlandesgericht (22 Bs 233/14x) vertretene Rechtsansicht, dass andere als von der Sicherstellung betroffene Personen zu einem Widerspruch legitimiert seien, sei verfehlt. Gerichtlicher Rechtsschutz falle insoweit vielmehr in die Regelungsbereiche des § 106 Abs 1 Z 2 StPO und des § 281 Abs 1 Z 3 StPO.

5.2.1. Mehrere Gesetzprüfungsverfahren gemäß Art 140 B-VG auf eine allfällige Verfassungswidrigkeit von § 112 StPO scheiterten, weil die behauptete Verfassungswidrigkeit der Gesetzeslage durch die beantragte Aufhebung des § 112 Abs 1 und Abs 2 StPO alleine nicht beseitigt werden würde (zuletzt VfGH vom 1.10.2019, G 198/2019).

5.3. Unabhängig von der Anwendbarkeit des Verfahrens nach § 112 StPO gilt im Strafverfahren, dass die Strafverfolgungsbehörden den Geheimnistatbestand berücksichtigen müssen. So prüft die Staatsanwaltschaft die sichergestellten Unterlagen auf ihre Verfahrensrelevanz. Sie darf nur solche Unterlagen zum Akt nehmen, welche im weiteren Verfahren als relevante Beweismittel in Frage kommen und nicht dem Umgehungsverbot des § 157 Abs 2 StPO (§ 144 Abs 1 StPO) unterliegen.

Das Umgehungsverbot des § 157 Abs 2 zweiter Satz StPO wurde im Zuge der Umsetzung der Richtlinie 2013/48/EU über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand im Strafverfahren und in Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls sowie über das Recht auf Benachrichtigung eines Dritten bei Freiheitsentzug und das Recht auf Kommunikation mit Dritten und mit Konsularbehörden während des Freiheitsentzuges (in Folgenden: RL Rechtsbeistand) mit dem Strafprozessrechtsänderungsgesetz I 2016, BGBl. I Nr. 26/2016, eingefügt und ist am 1. Oktober 2016 in Kraft getreten.

Unterlagen und Informationen, die aufgrund der Ausübung des Mandats durch einen in § 157 Abs 1 Z 2 StPO genannten Berufsgeheimnisträger von dieser Person oder vom Beschuldigten selbst erstellt wurden, sind seit dem Strafprozessrechtsänderungsgesetz I 2016 somit unabhängig davon, ob sie sich beim (Mit-)Beschuldigten oder beim Berufsgeheimnisträger befinden, der Sicherstellung und Beschlagnahme entzogen. § 157 Abs 2 StPO stellt damit sicher, dass zwischen dem Rechtsbeistand und dem Beschuldigten im Zuge des Vertretungsverhältnisses schriftlich ausgetauschte oder verschriftlichte bzw gespeicherte Informationen den gleichen Schutz genießen, wie mündlich ausgetauschte Informationen.

Durch § 157 Abs 2 StPO wird damit das Aussageverweigerungsrecht des Berufsgeheimnisträgers durch ein Beweisbeschaffungs- und Beweisverwertungsverbot hinsichtlich jener Informationen abgesichert, die eine solche Aussage substituieren könnten (vgl Riffel , Einige Überlegungen zur Verwertbarkeit von Unterlagen von „Parteienvertretern“ in der Hauptverhandlung, RZ 2016, 159 [160]).

Bei einem Verstoß gegen das Umgehungsverbot steht das Recht auf Einspruch gemäß § 106 StPO und im Falle eines ablehnenden Gerichtsbeschlusses – eine Beschwerde an das Oberlandesgericht zu (14 Os 48/21x; 11 Os 56/20z; RS0130853).

Die Verwendung von Unterlagen, die gegen das Rechtsanwaltsgeheimnis verstoßen würde, ist rechtswidrig und zieht Nichtigkeit nach sich (§§ 144 Abs 2, 157 Abs 2 StPO, 281 Abs 1 Z 3 StPO). Wird das Aussageverweigerungsrecht im Ermittlungsverfahren – durch die Kriminalpolizei, die Staatsanwaltschaft oder das Gericht – missachtet und wird das Protokoll oder ein anderes nichtiges Schriftstück über eine nichtige Erkundigung oder Beweisaufnahme im Ermittlungsverfahren trotz Widerspruchs des Beschwerdeführers in der Hauptverhandlung verlesen, kann Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 281 Abs 1 Z 2 StPO erhoben werden ( Kirchbacher in Fuchs/Ratz [Hrsg.] WK-StPO [194. Lfg. 2013] § 156 StPO, Rz 15; Ratz in Fuchs/Ratz [Hrsg.] WK-StPO [222. Lfg. 2015] § 281 StPO, Rz 38–59, 169–172, 180 f). Unterläuft der Fehler dem Gericht in der Hauptverhandlung, kann Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 281 Abs 1 Z 3 StPO erhoben werden ( Kirchbacher , aaO, § 156 StPO, Rz 15; Ratz , aaO, § 281 Rz 219 f, 223 f).

Die Beachtung von Geheimnistatbeständen ist daher im Strafverfahren – ganz unabhängig von der Frage, ob sie über § 112 StPO institutionalisiert aufgreifbar sind, für die Strafverfolgungsbehörden unbedingt erforderlich.

6. Zum Außerstreitverfahren:

Gemäß § 38 KartG ist in Verfahren vor dem Kartellgericht das Verfahren außer Streit anzuwenden. Die Verschwiegenheitspflicht des Rechtsanwaltes wird im Außerstreitverfahren durch § 35 AußStrG iVm § 321 Abs 1 Z 3 ZPO abgesichert. Solange der Rechtsanwalt als Zeuge von seiner Verschwiegenheitspflicht nicht gültig entbunden wurde, trifft ihn die Pflicht zur Aussageverweigerung.

Es besteht jedoch kein amtswegig zu beachtendes Vernehmungsverbot. Ein Recht des Mandanten, dass sein Rechtsanwalt die Aussage verweigert, gibt es nicht.

Der Mandant ist im Außerstreitverfahren auch nicht davor geschützt, dass eine Korrespondenz zwischen ihm und seinem Anwalt in das Verfahren einfließt.

Einen Rechtsschutz bei einer Verwertung von beschlagnahmten Urkunden, die eine anwaltliche Korrespondenz betreffen können, sieht das Außerstreitgesetz ebensowenig vor.

So kennt das Außerstreitverfahren auch keinen Nichtigkeitsgrund bei der Verletzung des Aussageverweigerungsrechtes oder zieht ihn als Verfahrensmangel in Betracht, weil nach § 496 Abs 1 Z 2 ZPO ein Stoffsammlungsmangel voraussetzt, dass zu wenig an Beweisen aufgenommen wurde, nicht aber zu viel.

Es besteht daher im Außerstreitverfahren, anders als im Strafverfahren, keine Rechtschutzmöglichkeit gegen die Beweisverwertung von beschlagnahmten Unterlagen oder Datenträgern, die eine Umgehung des Aussageverweigerungsrechtes darstellen würde.

Diese fehlende Rechtschutzmöglichkeit ist – vorsichtig ausgedrückt – besonders in auf Hausdurchsuchungen folgenden Geldbußeverfahren, die einen strafrechtsähnlichen Charakter (RIS-Justiz RS0120560) aufweisen, heikel.

6.1. Zur Lückenschließung des fehlenden Rechtsschutzes könnte § 13 WettbG, der die Bundeswettbewerbsbehörde verpflichtet, die Grundrechte, die GRC und die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts einzuhalten, fruchtbar gemacht werden. Vor der Einleitung eines Abstellungs- oder Geldbußeverfahrens hat die BWB den Antragsgegner von den Ermittlungsergebnissen in Kenntnis zu setzen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

6.2. Zu § 13 WettbG idgF KaWeRÄG 2021 (BGBl. I Nr. 176/2021) führen die Materalien (ErlRV 951 BlgNr 27. GP 33) aus, dass gemäß Art. 3 der Richtlinie (EU) 2019/1 (ECN + RL) seitens der Mitgliedstaaten sicherzustellen sei, dass in Verfahren, die Zuwiderhandlungen gegen Art. 101 oder 102 AEUV betreffen, einschließlich der Ausübung der in der Richtlinie genannten Befugnisse durch die nationalen Wettbewerbsbehörden, die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts und die Grundrechte nach der Charta der Grundrechte der Europäischen Union eingehalten werden. Es seien insbesondere die Verteidigungsrechte der Unternehmen, wie die Wahrung des rechtlichen Gehörs, das Recht, bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen und das Recht, dass Durchsetzungsverfahren in einem angemessenen Zeitraum durchgeführt werden sowie dass eine Mitteilung der Beschwerdepunkte veranlasst werde, bevor Feststellungs- bzw. Abstellungsentscheidungen getroffen werden.

6.3. So wäre es denkbar, dass Beweismittel, die eine Umgehung des Aussageverweigerungsrechtes darstellen würden, von der Bundeswettbewerbsbehörde nicht verwendet und vom Gericht nicht verwertet werden dürften.

Diese Frage muss aber im derzeitigen Verfahrensstadium ebenso wenig abschließend beurteilt werden wie die Thematik, ob die gesamte Anwaltskorrespondenz iSd § 157 Abs 1 Z 2 StPO oder nur jene Schriftstücke dadurch geschützt wären, die im Sinne der zitierten Judikatur des EuGH (Akzo Nobel) im Rahmen und im Interesse des Mandanten auf Verteidigung erfolgt wären. Hier geht es lediglich um das Widerspruchsverfahren gemäß § 12 Abs 5 iVm Abs 6 WettbG.

Zu der von den Antragsgegnerinnen aus prozessualer Vorsicht geltend gemachten Verletzung der Privatkorrespondenz ist anzumerken, dass die Antragsgegnerinnen innerhalb der von der Antragstellerin gesetzten Frist gemäß § 12 Abs 6 WettbG, nur die Vorlage der dem Anwaltsprivileg unterliegenden Unterlagen begehrte (./F S 2). Dessen ungeachtet regelt § 11 Abs 1 WettbG, dass die im Rahmen von Ermittlungen erlangten Kenntnisse [….]– nur zu dem mit der Ermittlungshandlung verfolgten Zweck verwertet werden dürfen, sodass die Verwertung von Inhalten privater Natur nicht in Frage kommt.

Zur Geltendmachung eines allfälligen Beweisverwertungsverbots bedarf es keines gesonderten Widerspruchs nach Abschluss der Hausdurchsuchung; ein darauf gestützter Einwand kann im Kartellverfahren selbst geltend gemacht werden (16 Ok 2/12 Pkt.6.3.; RS0128005).

7. Zusammengefasst ergibt sich, dass das Widerspruchsverfahren gemäß § 12 Abs 5 iVm Abs 6 WettbG ebenso wie das Widerspruchsverfahren gemäß § 112 Abs 1 iVm Abs 2 StPO den Kreis der Widerspruchsberechtigten bewusst einschränken wollte, um das Ermittlungsverfahren rasch und effizient führen zu können und eine antizipierende Verteidigungsstrategie, Unterlagen großzügig einem Geheimnisschutz zuzuordnen und danach deren zeitintensive separate Überprüfung zu fordern, hintanzuhalten.

Aufgrund der gesetzlich eindeutig beschränkten Widerspruchslegitimation nach § 12 Abs 5 WettbG sind die Unterlagen an die Antragstellerin – jedoch erst nach Rechtskraft – zurückzustellen. Die Formulierung des Spruches orientierte sich an der Entscheidung 26 Kt 128-139/13-11, bestätigt durch 16 Ok 2/14.

Den Antragsgegnerinnen steht gegen diesen Beschluss ein Rekurs an das Kartellobergericht binnen 14 Tagen gemäß § 12 Abs 5 WettbG zu.

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