JudikaturOLG Wien

32Bs170/22t – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
15. Juni 2022

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien als Vollzugssenat nach § 16a StVG hat durch die Senatspräsidentin Mag. Seidl als Vorsitzende sowie die Richterin Dr. Vetter und den fachkundigen Laienrichter Oberst Turner als weitere Senatsmitglieder in der Vollzugssache des T***** F***** wegen Nichtgewährung des Strafvollzugs in Form des elektronisch überwachten Hausarrests (eüH) über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts ***** als Vollzugsgericht vom *****, GZ *****, nach § 121b Abs 3 StVG in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Beschwerde wird als unzulässig zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Vollzugsgericht einer Beschwerde des T***** F***** gegen den Bescheid der Leiterin der Justizanstalt ***** vom ***** zu GZ *****, mit welchem dessen Antrag auf Vollzug der mit Urteil des Landesgerichts ***** vom *****, AZ *****, wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 erster Fall, Abs 4 Z 3 SMG, 15 StGB verhängten Freiheitsstrafe von drei Jahren in Form des eüH zurückgewiesen worden war, nicht Folge.

Begründend führte das Vollzugsgericht zusammengefasst aus, dass ungeachtet des ungetrübten Vorlebens und der bisher tadellosen Führung, aber auch der Umstände, dass der Beschwerdeführer bis zum Haftantritt einer geregelten Arbeit nachgegangen und vom Arbeitgeber als gewissenhaft, vertrauenswürdig, absolut zuverlässig und sein Verhalten gegenüber Vorgesetzten und Kollegen als stets vorbildlich beschrieben worden sei, sowie dass er den ihn nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft betreuenden Verein Neustart proaktiv aufgesucht und eine hohe Bereitschaft gezeigt habe, sich mit den Hintergründen und Ursachen seiner Tat auseinanderzusetzen, angesichts der Erzeugung einer Suchtgiftmenge, welche das 250-fache jener Menge übersteige, die geeignet sei, in großem Ausmaß eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen herbeizuführen (§ 28b SMG), nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer bedingten Entlassung nach Verbüßung der Hälfte (sondern erst nach Verbüßung von zwei Dritteln) der Strafe ausgegangen werden könne.

Mangels Vorliegens der zeitlichen Voraussetzungen nach § 156c Abs 1 Z 1 StVG sei der Beschwerde ein Erfolg zu versagen.

Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des T***** F*****, der argumentiert, dass von Gesetzes wegen eine Entlassung nach Verbüßung der Hälfte der Strafe in seinem Fall grundsätzlich möglich und zulässig sei. Er habe sich seit Begehung der Straftat wohlverhalten und sich auch aktiv darum bemüht. Ein Indiz dafür sei die Betreuung durch den Verein Neustart, welchen er proaktiv aufgesucht habe. Weiters verweist er auf die positive Einschätzung seines Arbeitgebers, mangels Eigenkonsum sei er auch nicht von Suchtmitteln zu entwöhnen. Die Gesamtumstände würden darauf hindeuten, dass er die besten Voraussetzungen für eine Entlassung nach der Hälfte der Verbüßung der verhängten Freiheitsstrafe mitbringe, was auch der besseren Resozialisierung diene.

Das Erstgericht verweise nur auf die Auffassung der Anstaltsleiterin, wonach nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer bedingten Entlassung nach Verbüßung der Hälfte der Strafe ausgegangen werden könne. Der Umstand der Erzeugung einer Suchtmittelmenge, die das 250-fache jener Menge übersteige, die geeignet sei, in großem Ausmaß eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen herbeizuführen, sei bereits bei Bemessung der Höhe der Strafe herangezogen worden. In seiner Persönlichkeit und seinem Verhalten sei kein negativer Aspekt zu erkennen, der die Ablehnung der bedingten Entlassung rechtfertige. Vielmehr lägen diese Voraussetzungen mit hoher Wahrscheinlichkeit vor (ON 5).

Rechtliche Beurteilung

Der Beschwerde kommt keine Berechtigung zu.

Nach § 16a Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 StVG entscheidet das Oberlandesgericht Wien für das gesamte Bundesgebiet über Beschwerden gegen einen Beschluss des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 StVG wegen Rechtswidrigkeit, wobei Letztere nicht vorliegt, soweit das Vollzugsgericht Ermessen im Sinne des Gesetzes geübt hat.

Gemäß § 16a Abs 3 StVG ist gegen den Beschluss des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 StVG eine Beschwerde nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder der Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Vollzugsgericht von der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung abweicht, eine solche fehlt oder uneinheitlich ist.

Hat das Vollzugsgericht Ermessen im Sinne des Gesetzes geübt, darf das Oberlandesgericht Wien den Beschluss weder aufheben noch – um das Ermessen anders auszuüben – abändern ( Pieber in WK 2 StVG § 16a Rz 5; Drexler/Weger , StVG 5 § 16a Rz 2).

Die Bewilligung eines eüH hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab und begründet nur dann eine erhebliche Rechtsfrage, wenn das Vollzugsgericht von der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung zu den gesetzlichen Rahmenbedingungen dieser Vollzugsform abweicht, eine solche fehlt oder uneinheitlich ist. Dabei zu treffende Ermessensentscheidungen bewirken gemäß § 16a Abs 2 StVG keine Rechtswidrigkeit.

Voraussetzung der Bewilligung des eüH ist gemäß § 156c Abs 1 Z 1 StVG unter anderem auch, dass die zu verbüßende oder noch zu verbüßende Strafzeit zwölf Monate nicht übersteigt oder nach sinngemäßer Anwendung des § 145 Abs 2 StVG voraussichtlich nicht übersteigen wird, wodurch bei Beurteilung der noch zu verbüßenden Strafzeit auch auf eine voraussichtliche bedingte Entlassung Bedacht zu nehmen ist ( Drexler/Weger , aaO § 156c Rz 4). Die Vollzugsbehörde erster Instanz hat eine eigene auf den entscheidungsrelevanten Zeitpunkt bezogene Prognose darüber anzustellen, ob bzw wann der Beschwerdeführer voraussichtlich bedingt entlassen wird. Dabei ist nicht nur auf die Persönlichkeit des Strafgefangenen und seine Aussicht auf ein redliches Fortkommen nach der Haft zu blicken, sondern auch auf die Entscheidungspraxis der Vollzugsgerichte ( Drexler / Weger, aaO Rz 4/1; Walser , Recht und Wirklichkeit des elektronisch überwachten Hausarrests, S 94 mit Verweis auf EBRV 772 BlgNR 24. GP 6). Für die Annahme bedingter Entlassung ist jedenfalls hohe Wahrscheinlichkeit erforderlich ( Drexler / Weger, aaO Rz 4 mwN). Die Einschätzung der voraussichtlich noch zu verbüßenden Strafzeit unter Berücksichtigung des voraussichtlichen Zeitpunkts der bedingten Entlassung ist eine typische Ermessensentscheidung im Sinne des § 16a Abs 2 StVG (Oberlandesgericht Wien 33 Bs 329/16y, 132 Bs 345/18g).

Gemäß § 46 Abs 1 StGB ist ein Verurteilter nach Verbüßung zumindest der Hälfte der im Urteil verhängten Freiheitsstrafe nur dann bedingt zu entlassen, wenn anzunehmen ist, dass der Verurteilte durch die bedingte Entlassung nicht weniger als durch den weiteren Vollzug der Freiheitsstrafe von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abgehalten wird. Hat ein Verurteilter die Hälfte, aber noch nicht zwei Drittel einer Freiheitsstrafe verbüßt, so ist er trotz Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs 1 solange nicht bedingt zu entlassen, als es im Hinblick auf die Schwere der Tat ausnahmsweise des weiteren Vollzuges der Strafe bedarf, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken (§ 46 Abs 2 StGB). Demnach müssen gewichtige Umstände, welche sich aus Sicht der Allgemeinheit von den regelmäßig vorkommenden Begleiterscheinungen strafbaren Verhaltens auffallend abheben, ein Absehen von der vorzeitigen Entlassung unumgänglich erscheinen lassen. Dabei ist nicht nur der bloße Abschreckungseffekt bei potentiellen Tätern, sondern (im Sinne positiver Generalprävention) auch das Interesse an der Festigung genereller Normentreue in der Bevölkerung zu beachten. Diese Aspekte generalpräventiver Natur müssen aus der Schwere der Tat ableitbar sein; liegen sie vor, sind sie gleichrangig mit den Erfordernissen der Spezialprävention zu berücksichtigen. Eine aus spezialpräventiver Sicht durchaus zulässige bedingte Entlassung kann demnach auch allein wegen eines in der Schwere der Tat gelegenen (besonderen) generalpräventiven Grundes verweigert werden ( Jerabek in WK² § 46 Rz 16).

Der Anlassverurteilung des Landesgerichts ***** vom *****, AZ *****, ist – wie vom Vollzugsgericht aktenkonform dargestellt – zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer im Zeitraum ***** bis ***** als Erntehelfer vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 250-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge durch Anbau, Aufzucht und Ernte von Cannabispflanzen, nämlich insgesamt 73,32 kg Marihuana, erzeugt bzw am ***** insgesamt 6,48 kg Marihuana zu erzeugen versucht hat. Ausgehend von der Gesamtheit der entscheidungsrelevanten Umstände ist bereits aus dem langen Tatzeitraum und dem Umfang der verfangenen Suchtgiftmenge eine Schwere der Tat abzuleiten, die auch mit Blick auf die im Beschluss angesprochene Spruchpraxis der Vollzugsgerichte (BS 4 f) - ungeachtet des Umstands, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen Ersttäter handelt und weitere positive spezialpräventive Aspekte vorliegen – eine bedingte Entlassung zum frühestmöglichen Zeitpunkt tatsächlich nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit annehmen lässt. Da eine bedingte Entlassung bereits nach Verbüßung nur der Hälfte der Strafzeit nicht nur einem Gebot der Abschreckung potenzieller Täter, sondern auch dem Interesse der Festigung der generellen Normtreue in der Bevölkerung zuwiderlaufen würde, ist die mit generalpräventiven Erwägungen begründete Ermessensentscheidung des Vollzugsgerichts (BS 3, 12), das in seinem Beschluss keineswegs nur auf die Auffassung der Anstaltsleiterin verwiesen, sondern auch eigenständige Überlegungen angestellt hat, nicht zu beanstanden.

Da bereits das Fehlen auch nur einer der geforderten gesetzlichen Voraussetzungen zur Ablehnung des Antrags auf Bewilligung des Vollzugs einer Freiheitsstrafe in Form des eüH führt ( Drexler/Weger , StVG 5 § 156d Rz 5), ist die auf § 156c Abs 1 Z 1 StVG gestützte Abweisung nicht zu beanstanden, wurde doch die dabei vorzunehmende Ermessensentscheidung innerhalb des gesetzlichen Rahmens in vertretbarer Weise getroffen.

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