JudikaturOLG Wien

32Bs59/22v – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
15. Juni 2022

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien als Vollzugssenat nach § 16a StVG hat durch die Senatspräsidentin Mag. Seidl als Vorsitzende sowie die Richterin Dr. Vetter und den fackundigen Laienrichter Oberst Turner als weitere Senatsmitglieder in der Vollzugssache des R*****-B***** M***** über die Amtsbeschwerde der Bundesministerin für Justiz gemäß § 121 Abs 5 StVG gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Vollzugsgericht vom 19. Jänner 2022, GZ *****, nach § 121b Abs 3 StVG in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Beschwerde wird als unzulässig zurückgewiesen .

Text

Begründung

Mit Bescheid vom 24. September 2021, *****, wies der Anstaltsleiter der Justizanstalt ***** den Antrag des R*****-B***** M***** auf Vollzug der mit Urteil des Bezirksgerichts ***** vom *****, AZ *****, verhängten ***** Freiheitsstrafe in Form des elektronisch überwachten Hausarrests (im Weiteren: eüH) zurück (ON 6).

Begründend wurde ausgeführt, dass nicht alle zur Erledigung notwendigen Angaben und Unterlagen vorgelegen hätten, weshalb mit 1. September 2021 ein Verbesserungsauftrag mit der Aufforderung zur Beibringung einer Beschäftigungsbestätigung, einer Einverständniserklärung und einer Einzugsermächtigung binnen 14 Tagen ergangen sei. Der Verbesserungsauftrag sei am 8. September 2021 durch Hinterlegung zugestellt worden. Da bis dato die geforderten Nachweise nicht eingelangt seien, sei der Antrag zurückzuweisen gewesen.

Der dagegen gerichteten Beschwerde des R*****-B***** M***** (ON 2) gab das Vollzugsgericht mit nunmehr bekämpften Beschluss Folge, hob den angefochtenen Bescheid auf und wies die Angelegenheit an den Anstaltsleiter der Justizanstalt ***** zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurück (ON 17).

Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass zu prüfen sei, ob die sachliche Behandlung des Antrags mangels einer fristgerechten Befolgung des Verbesserungsauftrags zu Recht verweigert worden sei. Dies setze voraus, dass dem Antrag ein „Mangel“ anhafte, also von für die Partei erkennbaren Anforderungen des Materiengesetzes an ein vollständiges fehlerfreies Anbringen abweiche. Ob es sich bei einer im Gesetz umschriebenen Voraussetzung um einen (zur Zurückweisung des Antrags führenden) „Mangel“ im Sinne des § 13 Abs 3 AVG oder aber um das (zur Antragsabweisung führende) Fehlen einer Erfolgsvoraussetzung handle, sei durch Auslegung der jeweiligen Bestimmungen des Materiengesetzes zu ermitteln. Weder den §§ 156b ff StVG noch der Hausarrestsverordnung sei eine Verpflichtung zur Vorlage bestimmter Unterlagen zu entnehmen. Auch der Grundsatzerlass des Bundesministeriums für Justiz für den eüH (Durchführungserlass idF März 2017), BMJ-GD43401/0013 II 3/2016, sehe keine Vorlagepflicht des Antragstellers vor, sondern beauftrage den Anstaltsleiter auf Grundlage der vorhandenen Informationen in der Sache zu entscheiden. Seite 22 dieses Erlasses sei zu entnehmen, dass eine Zurückweisung nicht in Betracht komme. Der zitierte Erlass stelle im Übrigen mangels entsprechender Kundmachung als Rechtsverordnung keine Rechtsnorm dar und könnte dem Beschwerdeführer auch nicht als Rechtsnorm entgegengehalten werden.

Existiere aber eine derartige gesetzliche Anordnung nicht, könne die unterlassene Beibringung von Unterlagen, deren die Behörde bedürfe und die sie sich nicht selbst beischaffen könne, allenfalls im Rahmen der freien Beweiswürdigung bei der Sachentscheidung Berücksichtigung finden. Es liege jedoch kein Mangel im Sinne des § 13 Abs 3 AVG vor, weshalb die Erteilung eines Verbesserungsauftrags unter Hinweis auf die Zurückweisung des Anbringens nach fruchtlosem Verstreichen der gesetzten Frist nicht in Frage komme. Der Anstaltsleiter werde nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Verfahrens und unter Bedachtnahme auf alle Unterlagen meritorisch über den eingebrachten Antrag zu entscheiden haben.

Dagegen richtet sich die rechtzeitige Amtsbeschwerde der Bundesministerin für Justiz gemäß § 121 Abs 5 StVG (ON 19). Eine Behörde dürfe dann gemäß § 13 Abs 3 AVG vorgehen, wenn das Anbringen einen Mangel aufweise, also von für die Partei erkennbaren Anforderungen des Materiengesetzes oder des AVG an ein vollständiges Anbringen abweiche. Bereits aus den allgemeinen Verfahrensgrundsätzen ergäbe sich, dass aufgestellte Behauptungen zu bescheinigen seien. Bei einem auf Antrag der Partei eingeleiteten Verwaltungsverfahren bestehe zwar eine Verpflichtung zur amtswegigen Feststellung des Sachverhalts, aber auch eine erhöhte Mitwirkungspflicht des Antragstellers gemäß § 39 AVG. Es obliege der Behörde von sich aus von der Partei Informationen zum Beweis der behaupteten Tatsache zu verlangen. Es bestehe aber schon im Hinblick auf den Antrag die Mitwirkungspflicht der Partei. Sei nämlich der Inhalt des verfahrenseinleitenden Antrags unklar, so sei die Behörde gemäß § 37 iVm § 39 Abs 2 AVG verpflichtet, den Antragsteller zur Präzisierung seines Begehrens aufzufordern. Im Verbesserungsauftrag habe die Behörde konkret anzugeben, welche vom Gesetz geforderten Eigenschaften dem Anbringen fehlen. Die Behörde könne auch nur die Vorlage von Unterlagen verlangen, die für die Entscheidung des Parteibegehrens notwendig seien.

Vorliegend ergäben sich die Anforderungen an ein vollständiges, fehlerfreies Anbringen aus § 39 Abs 2 AVG; im Sinne der Mitwirkungspflicht habe der Antragsteller die von ihm aufgestellten Behauptungen fallkonkret durch Vorlage von Urkunden zu bescheinigen. Diese Anforderung sei für den Antragsteller auch erkennbar gewesen, zumal im standardisierten Antragsformular klar und deutlich zum Ausdruck komme, dass erforderliche Unterlagen, Belege und Nachweise dem Antrag anzuschließen seien. Im konkreten Fall sei daher sowohl der Verbesserungsauftrag als auch die darauffolgende Zurückweisung des Antrags im Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften erfolgt.

Dem Rechtsmittel kommt keine Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 16a Abs 1 Z 1 StVG entscheidet das Oberlandesgericht Wien für das gesamte Bundesgebiet über Beschwerden gegen einen Beschluss des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 StVG wegen Rechtswidrigkeit, wobei Letztere nicht vorliegt, soweit das Vollzugsgericht Ermessen im Sinne des Gesetzes geübt hat (Abs 2). Gemäß § 16a Abs 3 StVG ist gegen den Beschluss des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 StVG eine Beschwerde nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, insbesondere wenn das Vollzugsgericht von der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung abweicht, eine solche fehlt oder uneinheitlich ist.

Die Vollzugsbehörde erster Instanz hat primär die verfahrensrechtlichen Bestimmungen des StVG anzuwenden. Solche finden sich etwa in §§ 116a, 120, 121 und 22 Abs 3 StVG. Subsidiär gelten gemäß Art I Abs 2 Z 1 und 2 EGVG das AVG für das behördliche Verfahren und das VStG für das Ordnungsstrafverfahren ( Drexler/Weger , StVG 5 § 11 Rz 3), sodass der Anstaltsleiter § 13 AVG grundsätzlich anzuwenden hat.

Eine auf § 13 Abs 3 AVG gestützte Zurückweisung kommt aber - wie von der Beschwerdeführerin zutreffend aufgezeigt - nur bei solchen schriftlichen Anbringen in Frage, die mit Mängeln behaftet sind, also von für die Partei erkennbaren Anforderungen des Materiengesetzes oder des AVG an ein vollständiges, fehlerfreies Anbringen abweichen. Ein solcher Mangel kann auch im Fehlen von Unterlagen gelegen sein, deren Anschluss an eine Eingabe das Gesetz (vgl etwa VwGH 25. Mai 2016, Ro 2016/10/0011, mwN) oder eine Verordnung, die in Ausübung einer vom Gesetz eingeräumten Ermächtigung ergangen ist, ausdrücklich vorschreibt (vgl VwGH 29. April 2010, 2008/21/0302). Existiert eine derartige Anordnung nicht, dann kann die unterlassene Beibringung von Unterlagen, derer die Behörde bedarf und die sie sich nicht selbst verschaffen kann, allenfalls im Rahmen der freien Beweiswürdigung bei der Sachentscheidung Berücksichtigung finden ( Hengstschläger/Leeb , AVG § 13 Rz 27 mwN, § 39 Rz 16 mwN; zuletzt VwGH 15. Juni 2020, Ra 2019/10/0183). In einem solchen Fall liegt jedoch kein „Mangel“ im Sinne des § 13 Abs 3 AVG vor, weshalb weder die Erteilung eines Verbesserungsauftrages noch – nach fruchtlosem Verstreichen der zu Unrecht gesetzten Frist – die Zurückweisung des Anbringens in Frage kommt (vgl etwa VwGH 23. Mai 2017, Ra 2017/10/0043; VwGH 15. Juni 2020, Ra 2019/10/0183).

Das Vorliegen einer derartigen Anordnung ist - wie vom Erstgericht auch unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Linz, Vk 25/11, zutreffend erkannt - den in den Blick zu nehmenden Bestimmungen der §§ 156b ff StVG, aber auch der Verordnung der Bundesministerin für Justiz über den Vollzug von Strafen und der Untersuchungshaft durch elektronisch überwachten Hausarrest (Hausarrestverordnung), BGBl II 2010/279, nicht zu entnehmen.

Soweit die Beschwerdeführerin, die das Vorliegen einer derartigen Anordnung gar nicht behauptet, mit der Bestimmung des § 39 AVG und der dazu vorliegenden Judikatur, insbesondere zur erhöhten Mitwirkungspflicht der Partei bei einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren argumentiert, ist vorauszuschicken, dass die Verpflichtung zur amtswegigen Feststellung der materiellen Wahrheit die Behörde grundsätzlich auch dann trifft, wenn das Verwaltungsverfahren auf Antrag eingeleitet wird ( Hengstschläger/Leeb , aaO § 39 Rz 13 mwN). Allerdings wird eine erhöhte Mitwirkungspflicht des Antragstellers angenommen und die amtswegige Ermittlungspflicht der Behörde auf jene Ermittlungsschritte eingeschränkt, die innerhalb der Grenzen ihrer Möglichkeiten und innerhalb des vom Verfahrenszweck her gebotenen und zumutbaren Aufwands liegen ( Hengstschläger/Leeb , aaO Rz 15 mwN). Unterlässt daher die Partei die gehörige Mitwirkung an der Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts, obwohl ihr dazu im Rahmen der Gewährung des Parteiengehörs Gelegenheit gegeben wurde und sie erforderlichenfalls über die Folgen ihrer Unterlassung gemäß § 13a AVG belehrt wurde, so kann ihr das insofern zum Nachteil gereichen, als die Behörde befugt ist, daraus gemäß § 45 Abs 2 AVG im Rahmen der Beweiswürdigung auch für die Partei negative Schlüsse zu ziehen. Dies gilt etwa auch für die unterlassene Beibringung von Unterlagen , derer die Behörde zwar bedarf und die sie sich nicht selbst beschaffen kann, deren Anschluss an ein Anbringen das Gesetz aber nicht vorschreibt , sodass ihr Fehlen keinen gemäß § 13 Abs 3 AVG sanktionierbaren Mangel bedeutet ( Hengstschläger/Leeb, aaO Rz 16 mwN).

Da es – wie bereits angesprochen – keine gesetzliche Bestimmung gibt, welche die Folgen unzureichend vorgelegter Unterlagen bei einem Antrag auf eüH regelt, kann die zur Entscheidung berufene Behörde, so sie infolge Fehlens von Urkunden der Auffassung ist, nicht in der Sache selbst entscheiden zu können, den Beschwerdeführer – ohne die an § 13 Abs 3 AVG geknüpften Konsequenzen der Zurückweisung des Antrags – im Rahmen des Ermittlungsverfahrens zur Stellungnahme bzw Urkundenvorlage auffordern (vgl VwGH vom 23. Februar 2011 zu 2008/11/003 und im Ergebnis auch gleichlautend Drexler/Weger, StVG 5 § 156d Rz 7/1, die sich ebenso auf die Möglichkeit der Erteilung eines lediglich ganz allgemein gehaltenen Verbesserungsauftrages [nach § 13 Abs 3 AVG] beziehen, mit der Konsequenz, den Antrag widrigenfalls ab- und nicht zurückzuweisen). Entspricht der Antragsteller diesem Auftrag nicht innerhalb der gesetzten Frist oder ist der Antrag noch immer ungenügend, dann ist er ab- und nicht zurückzuweisen, weil eine inhaltliche Berechtigung nicht zuerkannt werden kann.

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