32Bs405/21z – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien als Vollzugssenat nach § 16a StVG hat durch die Senatspräsidentin Mag. Seidl als Vorsitzende sowie die Richterin Dr. Vetter und den fachkundigen Laienrichter HR Mag. Dr. Mock als weitere Senatsmitglieder in der Vollzugssache des R***** T**** wegen Nichtgewährung des Strafvollzugs in Form des elektronisch überwachten Hausarrests (eüH) über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht vom 4. November 2021, GZ *****, nach § 121b Abs 3 StVG in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Beschwerde wird als unzulässig zurückgewiesen .
Text
Begründung:
Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Vollzugsgericht einer Beschwerde des R***** T***** gegen den Bescheid des Leiters der Justizanstalt ***** vom 21. September 2021, *****, mit welchem dessen Antrag auf Vollzug der mit Urteil des Landesgerichts ***** vom 8. Juli 2020 zu AZ ***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach §§ 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3 SMG, 12 zweiter Fall StGB, des Verbrechens des Suchtgifthandels nach §§ 12 zweiter Fall StGB, 28a Abs 1 zweiter Fall SMG sowie des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall, Abs 2 SMG verhängten Freiheitsstrafe von 26 Monaten in Form des eüH abgewiesen worden war, nicht Folge.
Begründend führte das Vollzugsgericht zusammengefasst aus, dass die zu verbüßende Strafzeit unter Berücksichtigung der Vorhaftanrechnung 24 Monate betrage und somit ein Strafvollzug in Form des eüH nur in Betracht komme, sofern mit einer bedingten Entlassung zum frühestmöglichen Zeitpunkt mit hoher Wahrscheinlichkeit gerechnet werden könnte. Eine derartige Annahme sei jedoch aus generalpräventiven Erwägungen aufgrund der durch die große Suchtgiftmenge und den langen Deliktszeitraum geprägten Schwere der Tat nicht gerechtfertigt. Die gesetzlichen Voraussetzungen des § 156c Abs 1 Z 1 StVG lägen somit nicht vor.
Darüber hinaus seien auch die Voraussetzungen des § 156c Abs 1 Z 4 StVG nicht gegeben. Denn die Fortsetzung der bereits im Zuge der nunmehr haftbegründenden strafbaren Handlung ausgeübten Tätigkeit als Geschäftsführer der T***** G***** KG begründe eine immanente Missbrauchsgefahr. So sei das Suchtgift üblicherweise in der Tiefgarage unter dem von der T***** G***** KG betriebenen Lokal „*****“ übergeben worden. Der daraus mit Blick auf einen neuerlichen Suchtgifthandel bestehenden Missbrauchsgefahr könne durch die vom Verein Neustart ***** vorgeschlagenen Harnkontrollen nicht wirksam begegnet werden.
Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des R***** T***** (ON 6), in der er moniert, dass das Vollzugsgericht das übertragene Ermessen nicht im Rahmen des Gesetzes ausgeübt habe. Das zeige sich bereits darin, dass seine Fortsetzung der Tätigkeit als Geschäftsführer der T***** G***** KG behauptetermaßen eine immanente Missbrauchsgefahr darstellen würde. Hingegen normiere § 156c Abs 1 Z 2 lit b StVG das Vorhandensein einer Beschäftigung als Bewilligungsvoraussetzung. Dass er durch die Bewilligung des eüH sozial integriert bleiben würde und nicht nach Verbüßung seiner Freiheitsstrafe neu anfangen müsse, sei vom Vollzugsgericht gänzlich unberücksichtigt geblieben.
Auch die Verhaltensprognose hinsichtlich einer voraussichtlichen bedingten Entlassung habe das Vollzugsgericht unrichtig beurteilt. Das Vollzugsgericht bediene sich lediglich einer pauschalen Argumentation, nämlich, dass aus generalpräventiven Erwägungen die Annahme einer bedingten Entlassung zum frühestmöglichen Zeitpunkt nicht gerechtfertigt wäre. Hiebei werde verkannt, dass generalpräventive Erwägungen in den gesetzlichen Bewilligungsvoraussetzungen keinen Niederschlag fänden. Nicht nur, dass er Ersttäter sei, erlange seine Verurteilung bei einer lebensnahen Betrachtungsweise keinesfalls eine Relevanz für die Allgemeinheit und Öffentlichkeit. Insofern stelle die Argumentation des Vollzugsgerichts eine Scheinbegründung dar. Das Vollzugsgericht habe weder auf den Umstand, dass er Ersttäter sei noch darauf Rücksicht genommen, dass er eine freiwillige Therapie gemacht und diese auch abgeschlossen habe. Er sei von Beginn an willens und in sämtlichen Aspekten kooperationsbereit gewesen. Weshalb in den vom Verein Neustart vorgeschlagenen Harnkontrollen kein geeignetes Kontrollinstrument zu ersehen sei, erschließe sich ihm nicht. Weiters habe das Vollzugsgericht unterlassen darzulegen, an welchen Parametern sich das Nichtvorliegen einer hohen Wahrscheinlichkeit einer bedingten Entlassung orientiere.
Dem Beschluss würden neben dem Umstand der Rechtswidrigkeit wie dargelegt Begründungsmängel und dem abgeführten Verfahren grobe und wesentliche Verfahrensfehler anhaften. Die Behörde hätte im Sinne des § 17 Z 2 StVG weitere Anhörungen vornehmen müssen, um den Sachverhalt abschließend und umfangreich erheben, klären und rechtlich richtig beurteilen zu können.
Der Beschwerde kommt keine Berechtigung zu.
Rechtliche Beurteilung
Nach § 16a Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 StVG entscheidet das Oberlandesgericht Wien für das gesamte Bundesgebiet über Beschwerden gegen einen Beschluss des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 StVG wegen Rechtswidrigkeit, wobei Letztere nicht vorliegt, soweit das Vollzugsgericht Ermessen im Sinne des Gesetzes geübt hat.
Gemäß § 16a Abs 3 StVG ist gegen den Beschluss des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 StVG eine Beschwerde nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder der Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Vollzugsgericht von der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung abweicht, eine solche fehlt oder uneinheitlich ist.
Hat das Vollzugsgericht Ermessen im Sinne des Gesetzes geübt, darf das Oberlandesgericht Wien den Beschluss weder aufheben noch – um das Ermessen anders auszuüben – abändern ( Pieber in WK 2 StVG § 16a Rz 5; Drexler/Weger , StVG 4 § 16a Rz 2).
Die Bewilligung eines eüH hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab und begründet nur dann eine erhebliche Rechtsfrage, wenn das Vollzugsgericht von der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung zu den gesetzlichen Rahmenbedingungen dieser Vollzugsform abweicht, eine solche fehlt oder uneinheitlich ist. Dabei zu treffende Ermessensentscheidungen bewirken gemäß § 16a Abs 2 StVG keine Rechtswidrigkeit.
Voraussetzung der Bewilligung des eüH ist gemäß § 156c Abs 1 Z 1 StVG unter anderem auch, dass die zu verbüßende oder noch zu verbüßende Strafzeit zwölf Monate nicht übersteigt oder nach sinngemäßer Anwendung des § 145 Abs 2 StVG voraussichtlich nicht übersteigen wird, wodurch bei Beurteilung der noch zu verbüßenden Strafzeit auch auf eine voraussichtliche bedingte Entlassung Bedacht zu nehmen ist ( Drexler/Weger , StVG 4 § 156c Rz 4). Die Vollzugsbehörde erster Instanz hat eine eigene auf den entscheidungsrelevanten Zeitpunkt bezogene Prognose darüber anzustellen, ob bzw wann der Beschwerdeführer voraussichtlich bedingt entlassen wird. Dabei ist nicht nur auf die Persönlichkeit des Strafgefangenen und seine Aussicht auf ein redliches Fortkommen nach der Haft zu blicken, sondern auch auf die Entscheidungspraxis der Vollzugsgerichte ( Drexler / Weger StVG 4 aaO; Walser , Recht und Wirklichkeit des elektronisch überwachten Hausarrests, S 94 mit Verweis auf EBRV 772 BlgNR 24. GP 6). Für die Annahme bedingter Entlassung ist jedenfalls hohe Wahrscheinlichkeit erforderlich ( Drexler / Weger aaO mwN). Die Einschätzung der voraussichtlich noch zu verbüßenden Strafzeit unter Berücksichtigung des voraussichtlichen Zeitpunkts der bedingten Entlassung ist eine typische Ermessensentscheidung im Sinne des § 16a Abs 2 StVG (Oberlandesgericht Wien 33 Bs 329/16y, Oberlandesgericht Wien 132 Bs 345/18g).
Gemäß § 46 Abs 1 StGB ist ein Verurteilter nach Verbüßung zumindest der Hälfte der im Urteil verhängten Freiheitsstrafe nur dann bedingt zu entlassen, wenn anzunehmen ist, dass der Verurteilte durch die bedingte Entlassung nicht weniger als durch den weiteren Vollzug der Freiheitsstrafe von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abgehalten wird. Hat ein Verurteilter die Hälfte, aber noch nicht zwei Drittel einer Freiheitsstrafe verbüßt, so ist er trotz Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs 1 solange nicht bedingt zu entlassen, als es im Hinblick auf die Schwere der Tat ausnahmsweise des weiteren Vollzuges der Strafe bedarf, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken (§ 46 Abs 2 StGB). Demnach müssen gewichtige Umstände, welche sich aus Sicht der Allgemeinheit von den regelmäßig vorkommenden Begleiterscheinungen strafbaren Verhaltens auffallend abheben, ein Absehen von der vorzeitigen Entlassung unumgänglich erscheinen lassen.
Dabei ist nicht nur der bloße Abschreckungseffekt bei potentiellen Tätern, sondern (im Sinne positiver Generalprävention) auch das Interesse an der Festigung genereller Normentreue in der Bevölkerung zu beachten. Diese Aspekte generalpräventiver Natur müssen aus der Schwere der Tat ableitbar sein; liegen sie vor, sind sie gleichrangig mit den Erfordernissen der Spezialprävention zu berücksichtigen. Eine aus spezialpräventiver Sicht durchaus zulässige bedingte Entlassung kann demnach auch allein wegen eines in der Schwere der Tat gelegenen (besonderen) generalpräventiven Grundes verweigert werden ( Jerabek in WK² StGB § 46 Rz 16).
Der Anlassverurteilung des Landesgerichts Klagenfurt vom 8. Juli 2020 zu AZ ***** ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer unter anderem im Zeitraum von Juli 2018 bis 13. September 2019 in einer Vielzahl von Angriffen anderen Personen vorschriftswidrig Suchtgift in einer das rund 19 fache der Grenzmenge übersteigenden Menge, nämlich 1.047,50 Gramm Kokain, durch gewinnbringenden Verkauf überlassen, sowie einen anderen dazu bestimmt hat, vorschriftswidrig Suchtgift in einer das rund 13 fache der Grenzmenge übersteigenden Menge, nämlich 720 Gramm Kokain, von Slowenien nach Österreich einzuführen.
Dem Vollzugsgericht ist beizupflichten, dass bei einer Gesamtbetrachtung aller entscheidungsrelevanten Umstände bereits ob der beanstandungsfrei aus dem langen Deliktszeitraum und dem Umfang der verfangenen Suchtgiftmenge abgeleiteten Schwere der Tat(en) mit Blick auf die Spruchpraxis der Gerichte ungeachtet des Umstands, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen Ersttäter handelt und allfällige weitere positive spezialpräventive Aspekte vorliegen mögen nicht von einer bedingten Entlassung zum frühestmöglichen Zeitpunkt auszugehen ist, würde fallkonkret eine bedingte Entlassung bereits nach Verbüßung nur der Hälfte der Strafzeit doch nicht nur dem Gebot der Abschreckung potentieller Täter, sondern auch dem Interesse der Festigung der generellen Normtreue in der Bevölkerung zuwiderlaufen. Die in casu mit generalpräventiven Erwägungen begründete Ermessensentscheidung des Vollzugsgerichts ist somit entgegen der Beschwerdekritik nicht zu beanstanden.
Da das Vollzugsgericht seine (negative) Prognose hinsichtlich der hohen Wahrscheinlichkeit einer bedingten Entlassung zum Hälftestichtag ausschließlich mit entgegenstehenden generalpräventiven Erwägungen begründet hat, kann in Bezug darauf auch nicht ersehen werden, inwiefern die vom Beschwerdeführer vermissten (im Übrigen auch nicht näher konkretisierten) weiteren Anhörungen im Sinne des § 17 Z 2 StVG zu einer Verbreiterung der Entscheidungsbasis führen hätten sollen.
Da bereits das Fehlen auch nur einer der geforderten gesetzlichen Voraussetzungen zur Ablehnung des Antrags auf Bewilligung des Vollzugs einer Freiheitsstrafe in Form des eüH führt ( Drexler/Weger , StVG 4 § 156d Rz 5), ist die auf § 156c Abs 1 Z 1 StVG gestützte Abweisung nicht zu beanstanden, wurde doch die dabei vorzunehmende Ermessensentscheidung innerhalb des gesetzlichen Rahmens in vertretbarer Weise getroffen. Vor diesem Hintergrund konnte die weitere Beschwerdekritik an den Erwägungen des Vollzugsgerichts zur Verneinung der Voraussetzungen für den Vollzug einer Freiheitsstrafe in Form des eüH nach § 156c Abs 1 Z 4 StVG auf sich beruhen.
Die Beschwerde war daher als unzulässig zurückzuweisen.