JudikaturOLG Wien

33R126/21y – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
10. Januar 2022

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht ***** wegen Eintragung der Wortmarke „TSCHIN“ über den Rekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss der Rechtsabteilung des Patentamts vom 3.11.2021, AM 12541/2020 5, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Wert des Entscheidungsgegenstandes übersteigt EUR 30.000.

Der ordentliche Revisionsrekurs ist zulässig.

Begründung

Text

1. Die Antragstellerin beantragte die Eintragung der Wortmarke „ TSCHIN “ in diesen Warenklassen und mit diesem Schutzumfang:

32 Biere; Mineralwässer und kohlensäurehaltige Wässer und andere alkoholfreie Getränke; Fruchtgetränke und Fruchtsäfte; Sirupe und andere Präparate für die Zubereitung von Getränken;

33 Alkoholische Getränke [ausgenommen Biere]; alkoholhaltige Fruchtextrakte; alkoholische Mixgetränke; alkoholische Präparate für die Zubereitung von Getränken; Spirituosen; Liköre; Weine; Weingetränke.

2. Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Patentamt den Antrag ab, in Ansehung der Waren der Klasse 32 wegen Täuschungseignung (§ 4 Abs 1 Z 8 MSchG) und in Ansehung der Waren der Klasse 33 wegen Fehlens der Unterscheidungskraft (§ 4 Abs 1 Z 3 MSchG). Mit der für das Patentamt typischen Verweisungstechnik auf die Amtsschreiben vom 6.8.2021 und 7.10.2021 verwies es begründend im Wesentlichen darauf, die beteiligten Verkehrskreise würden das Zeichen nur als Hinweis darauf sehen, dass es sich bei den damit bezeichneten Waren um Gin und „verwandte“ Produkte (also mit Gin versetzte oder dafür einsetzbare Substanzen) handle. Der Bedeutungsgehalt des Worts „Tschin“ erschließe sich jedenfalls nach kurzer Betrachtung (oder gedanklicher Aussprache des Zeichens). Für Waren, die keinen Gin enthalten, sei das Zeichen daher wegen Täuschungseignung von der Registrierung ausgeschlossen. Davon abgesehen sei es nicht geeignet, als individualisierender Unternehmenshinweis zu dienen, sodass ihm die Unterscheidungskraft fehle.

3. Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Antragstellerin. Sie gibt an, die Rekursgründe der unrichtigen rechtlichen Beurteilung und der „unrichtigen Beweiswürdigung“ geltend zu machen, beschränkt sich aber inhaltlich auf die Rechtsrüge. Sie beantragt, den Beschluss zu ändern und die Wortmarke vollumfänglich in das Markenregister einzutragen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

4.1. Gemäß § 4 Abs 1 Z 3 MSchG sind solche Zeichen von der Registrierung ausgeschlossen, die keine Unterscheidungskraft haben. Fehlt nämlich die Unterscheidungskraft, kann das Zeichen die Hauptfunktion der Marke als betrieblicher Herkunftshinweis nicht erfüllen (RS0132933; RS0118396 [T7]). Originär unterscheidungskräftig ist eine Marke, wenn sie geeignet ist, die Waren oder Dienstleistungen, für die die Eintragung beantragt wird, als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und sie damit von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden (C-108/97, Chiemsee; C-104/00 P, Companyline; RS0118396). Ob ein Zeichen unterscheidungskräftig ist, ist anhand seines Gesamteindrucks zu beurteilen (RS0066749; Koppensteiner, Markenrecht 4 82), und zwar für die konkreten Waren und Dienstleistungen, für die das Zeichen angemeldet wurde (Asperger in Kucsko/Schumacher, marken.schutz 3 § 4 Rz 53 ff). Maßgeblich ist die Auffassung der beteiligten Verkehrskreise im Inland (RS0079038), idR also der normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher der jeweiligen Waren und Dienstleistungen (RS0114366 [T5]; Asperger, aaO Rz 64-65; Ingerl/Rohnke, MarkenG³ § 8 Rz 73; Koppensteiner , aaO 83).

4.2. Bei Wortmarken bejaht die Rechtsprechung die Unterscheidungskraft nur bei frei erfundenen, keiner Sprache angehörenden Phantasiewörtern (im engeren Sinn) oder bei Zeichen, die zwar dem allgemeinen Sprachgebrauch angehören, jedoch mit den Waren oder Dienstleistungen, für die sie bestimmt sind, in keinem Zusammenhang stehen (Phantasiewörtern im weiteren Sinn). Entscheidend ist, ob die beteiligten Verkehrskreise die Wörter als Phantasiebezeichnungen auffassen (RS0066644). Eigenartige sprachliche Neubildungen sind somit schützbar (RS0078658; RS0078963; 4 Ob 161/93, Eurostock; 4 Ob 14/01i, Dorf Alm) . Beschränkt sich die Neubildung aber auf eine Verballhornung, Falschschreibung oder sonstige Abwandlung eines nicht unterscheidungskräftigen Worts, und ist die Abwandlung ohne Weiteres, also zweifelsfrei und ohne gedankliche Operation, als solche erkennbar, so ist auch die Abwandlung nicht unterscheidungskräftig (vgl Asperger in Kucsko/Schumacher, marken.schutz 3 § 4 Rz 98; ebenso Newerkla in Kucsko/Schumacher, marken.schutz 3 § 4 Rz 220, 223 zu beschreibenden Zeichen).

5.1. Nach § 4 Abs 1 Z 8 MSchG sind Zeichen von der Registrierung ausgeschlossen, die geeignet sind, das Publikum zum Beispiel über die Art, die Beschaffenheit oder die geografische Herkunft der Ware oder Dienstleistung zu täuschen. Dieses Registrierungshindernis entspricht exakt der Vorgabe des Art 4 Abs 1 lit g MarkenRL. Das Zeichen als solches muss seinem Inhalt nach zur Täuschung des Publikums geeignet sein; die irreführende Verwendung eines an sich nicht täuschenden Zeichens wäre allenfalls nach § 2 UWG wettbewerbswidrig ( Schwarzenbacher in Kucsko/Schumacher, marken.schutz³ § 4 Rz 354).

5.2. Ob ein Zeichen zur Täuschung des Publikums geeignet ist, ist allein danach zu beurteilen, wie die angesprochenen Verkehrskreise die darin enthaltenen Angaben auffassen. Darauf, ob diese Angaben objektiv wahr sind und ob der Anmelder gutgläubig ist, kommt es nicht an. Die Möglichkeit der Täuschung eines rechtlich nicht völlig unbeachtlichen Teils des Publikums genügt (RS0067004). Das Registrierungshindernis liegt schon dann vor, wenn einzelne Bestandteile des Zeichens zu Irrtümern über die damit bezeichneten Waren Anlass geben können (RS0067006). Sind die Angaben mehrdeutig, muss der Anmelder die für ihn ungünstigste Auslegung gegen sich gelten lassen. Das Zeichen ist daher schon dann von der Registrierung ausgeschlossen, wenn es nach einer einzigen von mehren möglichen Bedeutungen nicht als Marke schützbar ist (RS0067007; zu alldem auch Schwarzenbacher, aaO Rz 355 ff).

6.1. Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung der Rechtsabteilung nicht zu beanstanden:

6.2. „Gin“ ist allgemein als Bezeichnung für eine Spirituose mit Wacholder bekannt. Die Antragstellerin zeigt an sich zutreffend auf, dass sich „Tschin“, das kein Wort der deutschen Sprache ist, optisch klar von „Gin“ unterscheidet. Damit ist für sie aber nichts gewonnen, weil das Publikum das Zeichen – jedenfalls im Zusammenhang mit den angemeldeten Waren (im Wesentlichen: Getränke) – zweifelsfrei und ohne gedankliche Operation als Verballhornung (konkret: als Eindeutschung) von „Gin“ erkennt. Die Rechtsabteilung hat dafür plakativ auf die „gedankliche Aussprache“ des Zeichens durch das Publikum verwiesen (Amtsschreiben vom 6.8.2021). Die von der Antragstellerin ins Treffen geführte Assoziation, dass die Getränke „mit Pauken und Trompeten“ für Aufsehen sorgen, wäre zu diskutieren, wenn sie das Zeichen „Tschin Bumm“ angemeldet hätte oder mit dem Zeichen „Tschin“ andere Waren bezeichnet hätte. Hier ist aber allein das Wortzeichen „Tschin“ im Zusammenhang mit Getränken zu beurteilen. Das Publikum wird das Zeichen ohne Weiteres als Verballhornung von „Gin“ verstehen. Es mag zutreffen, dass das englische Wort „Gin“, wie die Antragstellerin betont, wie „dschin“ ausgesprochen werden müsste; die österreichische Umgangssprache kennt diese sprachliche Feinheit aber nicht.

6.3. Damit bedürfen aber auch die Schlussfolgerungen der Rechtsabteilung keiner Korrektur: Zumindest ein rechtlich nicht ganz unerheblicher Teil des Publikums verbindet „Tschin“ gedanklich ohne weiteres mit „Gin“ – und denkt, dass so gekennzeichnete Getränke tatsächlich Gin oder für diesen typische Bestandteile enthalten. Für die Waren der Klasse 32 und für jene der Klasse 33, für die das nicht zutrifft, besteht daher die Gefahr der Irreführung zumindest eines rechtlich nicht ganz unerheblichen Teils des Publikums. Das Vorbringen der Antragstellerin, die Konsumenten würden – üblicherweise nüchtern – eine sorgfältige Kaufentscheidung treffen, mag für viele Konsumenten zutreffen; für die Täuschungseignung genügt aber bereits die Möglichkeit der Täuschung eines rechtlich nicht völlig unbeachtlichen Teils des Publikums. Der weitere Hinweis der Antragstellerin, dass im Supermarkt alkoholische und antialkoholische Getränke getrennt angeboten werden, geht schon deshalb ins Leere, weil es allein darauf ankommt, ob das Zeichen als solches seinem Inhalt nach zur Täuschung geeignet ist. Für die Waren der Klasse 33 schließlich, die Gin enthalten, ist „Gin“ von vornherein kein Phantasiewort, weder im engeren noch im weiteren Sinn, sodass es auch seiner Verballhornung (Eindeutschung) „Tschin“ an der Unterscheidungskraft fehlt.

6.4. Der Hinweis der Antragstellerin auf die Vorregistrierungen und die Eintragungspraxis des DPMA und des EUIPO schließlich führt schon deshalb zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung, weil Markeneintragungen grundsätzlich keine präjudizielle Wirkung für andere Verfahren entfalten (stRsp, zuletzt zB 4 Ob 78/18a, Schneewette; 4 Ob 90/20v, Kulinarium Catering ).

6.5. Zusammengefasst bedarf somit die Ansicht der Rechtsabteilung keiner Korrektur.

7. Die Bewertung des Entscheidungsgegenstands beruht auf § 59 Abs 2 AußStrG iVm § 37 Abs 3 MSchG iVm § 139 PatG und der Bedeutung des Markenschutzes im Wirtschaftsleben.

8. Der Ausspruch über die Zulässigkeit des ordentlichen Revisionsrekurses beruht auf den §§ 59 Abs 2, 62 Abs 1 AußStrG iVm § 37 Abs 3 MSchG iVm § 139 PatG. An sich wirft die Beurteilung der markenrechtlichen Unterscheidungskraft oder Täuschungseignung im Einzelfall keine Rechtsfragen von der in § 62 Abs 1 AußStrG geforderten Qualität auf. Zur über den Einzelfall hinaus bedeutsamen grundsätzlichen Behandlung von Verballhornungen, Falschschreibungen und anderen Abwandlungen bekannter Begriffe im Anwendungsbereich von § 4 Abs 1 Z 3 und Z 8 MSchG fehlt aber bisher Rechtsprechung des OGH, weshalb der ordentliche Revisionsrekurs zuzulassen war.

Rückverweise