JudikaturOLG Wien

33R11/21m – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
07. Juli 2021

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hinger als Vorsitzenden sowie den Richter Dr. Schober und den fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wimmer, MBA MBL LL.M., in den verbundenen Markenschutzsachen der Antragstellerin G***** , vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH, gegen die Antragstellerinnen 1. G***** GmbH und 2. G*****, Inc. , beide vertreten durch die Puchberger Partner Patentanwälte OG in Wien, wegen Löschung der Marken AT 4 und AT 3 sowie Unwirksamerklärung der Marke IR 2 über die Berufung der Antragsgegnerinnen gegen die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung des österreichischen Patentamts vom 6.8.2020, Nm 44, 45, 46/2017 8, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:

Spruch

Der Berufung wird teilweise Folge gegeben.

I. Die angefochtene Entscheidung wird als Teilentscheidung teilweise bestätigt und teilweise geändert und lautet:

« 1. Die Marke IR 2 wird hinsichtlich der Waren „périodiques (Periodika/Zeitschriften)“ für unwirksam erklärt.

2. Die Marke AT 4 wird hinsichtlich der Dienstleistungen „Wählerstromanalysen, Wahlprognosen“ und „Veröffentlichungen“ gelöscht.

Abgewiesen wird der Antrag, diese Marke hinsichtlich der Dienstleistungen „Meinungsumfragen und -forschung“ zu löschen.

3. Die Marke AT 3 wird hinsichtlich der Diensleistungen „Markterhebungen und beobachtungen“ gelöscht.

Abgewiesen wird der Antrag, diese Marke hinsichtlich der Dienstleistungen „Durchführung von Meinungsumfragen und überprüfungen“ zu löschen.

4. Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.»

Die Kosten des Berufungsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt EUR 30.000. Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

II. In Bezug auf den Antrag, die Marke IR 2 hinsichtlich der Waren „Imprimés et écrits, ainsi que rapports concernant l’étude de l’opinion publique, ainsi que les problèmes sociaux, économiques, politiques, statistiques, religieux, techniques et hygiéniques, de même que des sujets d’art, d’horticulture, d’agriculture et de sylviculture, d’élevage, de pêche et relatifs à l’étude du marché et de la publicité (Druckerzeugnisse und Schriften, sowie Berichte betreffend die Erforschung der öffentlichen Meinung sowie sozialer, wirtschaftlicher, politischer, statistischer, religiöser, technischer und hygienischer Fragen, ebenso Themen der Kunst, des Gartenbaus, der Landwirtschaft und der Forstwirtschaft, der Viehzucht , der Fischerei und in Bezug auf Marktforschung und Werbung)“ für unwirksam zu erklären, wird die Entscheidung aufgehoben und der Nichtigkeitsabteilung des Patentamts eine neuerliche Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung aufgetragen.

Entscheidungsgründe

Text

I. Die betroffenen Marken

Der Antrag richtet sich gegen die Wortmarken

G***** ,

und zwar im Einzelnen gegen folgende Marken:

a) IR 2 , betroffen im Verfahren Nm 44/2017, eingetragen für folgende Waren:

16 Imprimés et écrits, ainsi que périodiques et rapports concernant l’étude de l’opinion publique, ainsi que les problèmes sociaux, économiques, politiques, statistiques, religieux, techniques et hygiéniques, de même que des sujets d’art, d’horticulture, d’agriculture et de sylviculture, d’élevage, de pêche et relatifs à l’étude du marché et de la publicité [Druckerzeugnisse und Schriften , sowie Periodika/Zeitschriften und Berichte betreffend die Erforschung der öffentlichen Meinung sowie sozialer, wirtschaftlicher, politischer, statistischer, religiöser, technischer und hygienischer Fragen, ebenso Themen der Kunst, des Gartenbaus, der Landwirtschaft und der Forstwirtschaft, der Viehzucht (richtig für „élevage“ = „Viehzucht“, auch „Zucht“), der Fischerei und in Bezug auf Marktforschung und Werbung];

b) AT 4 , betroffen im Verfahren Nm 45/2017, eingetragen für folgende Dienstleistungen:

35 Meinungsumfragen und -forschung, Wählerstromanalysen , Wahlprognosen ;

41 Veröffentlichungen .

c) AT 3 , betroffen im Verfahren Nm 46/2017, eingetragen für folgende Dienstleistungen:

35 Durchführung von Meinungsumfragen und überprüfungen, Markterhebungen und beobachtungen ;

(Auf Seite 2, auf Seite 35 und auch auf Seite 55 der angefochtenen Entscheidung sind die Marken AT 4 und AT 3 in Bezug auf die Dienstleistungen vertauscht.)

Tabellarisch dargestellt ergibt sich somit folgendes Bild:

Tabelle 1

Unterstrichen sind jene Waren und Dienstleistungen, für die die NA ausdrücklich keine Benutzungshandlungen festgestellt hat (Seite 57 der Entscheidungsausfertigung; in der Folge beziehen sich Seitenangaben ohne weitere Bezeichnung stets auf die Entscheidungsausfertigung).

Inhaberin der Marke IR 2 ist die erste Antragsgegnerin (in der Folge: Antragsgegnerin I). Inhaberin der beiden anderen Marken ist die zweite Antragsgegnerin (in der Folge: Antragsgegnerin II).

Die Nichtigkeitsabteilung des Patentamts (in der Folge: NA) hat über alle drei Anträge gemeinsam verhandelt und entschieden.

II. Der Antrag

Die Antragstellerin stützte ihre Anträge auf § 33a MSchG (Nichtbenutzung der Marken in den letzten fünf Jahren). Sie brachte in den am 9.10.2017 eingebrachten Anträgen dazu vor, dass keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die jeweiligen Marken innerhalb der letzten fünf Jahre für die Dienstleistungen und Waren, für die sie registriert seien, in Österreich rechtserhaltend benutzt worden seien. Die Antragsgegnerinnen müssten die kennzeichenmäßige Benutzung nachweisen. Der relevante fünfjährige Zeitraum ist somit die Zeit vom 9.10.2012 bis zum 9.10.2017 .

III. Die Bestreitung

Die Antragsgegnerinnen bestritten das Begehren und trugen vor, dass die Antragsgegnerin I eine Tochtergesellschaft der Antragsgegnerin II sei. Sie benutzten die Marken jeweils mit der wechselseitigen Zustimmung. Die Antragsgegnerinnen unterschieden in ihrem Vorbringen nicht weiter und bezeichneten sich jeweils nur als „G*****“ (vgl Gegenschrift vom 6.4.2018 in Nm 44/17, Seite 3). Sie legten Benutzungsnachweise vor und behaupteten – kurz zusammengefasst (§ 500a ZPO) – Benutzungshandlungen in Österreich (zur besseren Referenzierung weiter unten tabellarisch aufbereitet und nummeriert).

IV. Die angefochtene Entscheidung

Die NA gab den Anträgen statt. Auf den Seiten 2 bis 35 wird das wechselseitige Vorbringen der Parteien ausführlich wiedergegeben. Unter der Überschrift „verfahrensrelevante Feststellungen“ werden auf den Seiten 35 bis 47 die vorgelegten und in Augenschein genommenen Urkunden und Bücher beschrieben. Auf den Seite 47/48 werden die Aussage des Zeugen ***** sowie schriftliche Erklärungen dieses Zeugen und von ***** beschrieben.

Auf Seite 48 findet sich die Aussage, dass der festgestellte Sachverhalt als erwiesen anzusehen sei, weil die vorgelegten Urkunden hinsichtlich der Echtheit unbedenklich seien.

Klarzustellen ist, dass das Berufungsgericht zwischen der Beschreibung von Beweismitteln und den Tatsachenfeststellungen, die die Nichtigkeitsabteilung in Würdigung dieser Beweise formuliert, zu unterscheiden hat. Dabei ist das Berufungsgericht mit dem Umstand konfrontiert, dass die NA die Beweiswürdigung von den Feststellungen nicht trennt.

Auf Seite 57 findet sich – disloziert und nur aus dem Hinweis auf das Fehlen von Unterlagen ableitbar – die vermutbare Negativfeststellung, dass die Antragsgegnerinnen die (jeweilige) Marke nicht (im Sinne von „überhaupt nicht“ oder „jedenfalls nicht“) für folgende Waren und Dienstleistungen benutzt haben:

16 Schriften, Periodika/Zeitschriften;

35 Markterhebungen und -beobachtungen, Wählerstromanalysen, Wahlprognosen;

41 Veröffentlichungen.

V. Die Feststellungen der NA

In der Folge werden den von den Antragsgegnerinnen behaupteten Tatsachen korrespondierende Feststellungen der NA zugeordnet.

Tabelle 2

VI. Die rechtliche Beurteilung der NA

Rechtlich erwog die NA – vom Berufungsgericht gebilligt –, dass eine allfällige Verwendung des Zeichens wegen der engen Verflechtung wechselseitig beiden Antragsgegnerinnen zugerechnet werden könne. Soweit die Antragsgegnerinnen das Zeichen in einer verschiedenen optischen Gestaltung verwendet hätten, schade das bei der Beurteilung der Benutzung nicht.

Für Periodika/Zeitschriften und Schriften (Klasse 16), für Markterhebungen, Marktbeobachtungen, Wählerstromanalysen und Wahlprognosen (Klasse 35) und für Veröffentlichungen (Klasse 41) lägen keine Benutzungsnachweise vor, sodass von einer Benutzung für diese Waren und Dienstleistungen nicht ausgegangen werden könne.

Für Berichte und Druckerzeugnisse und für „Kits“ und Bücher lägen zwar Benutzungsnachweise vor, aber keine Rechnungen und keine Hinweise über die Anzahl dieser Druckwerke, die in Österreich vertrieben worden wären; daher könne von einer Benutzung der Marken für diese Waren in Österreich nicht ausgegangen werden.

Die Antragsgegnerinnen hätten in Österreich zwar Meinungsumfragen, Meinungsüberprüfungen und Meinungsforschung im Auftrag anderer Unternehmen durchgeführt; einige Urkunden zeigten aber nur, dass die Antragsgegnerinnen für sich selbst Umfragen durchgeführt hätten. Knapp außerhalb des Beobachtungszeitraums liege eine Vorbereitungshandlung für eine Umfrage für Dritte (Tabelle 2 Feld 23). Da diese Umfragen aber für international tätige Konzerne erbracht worden seien, die auch in Österreich eine Niederlassung hätten, und da nicht feststehe, ob diese Dienstleistungen (Umfragen) für die Erschließung des österreichischen Markts gedacht gewesen seien, oder ob diese Dienstleistungen nur zufällig auch für österreichische Niederlassungen internationaler Konzerne erbracht worden seien, sei von einer rechtserhaltenden Benutzung in Österreich nicht auszugehen.

Die Dienstleistungen der Klasse 35 (Meinungsumfragen, Meinungsüberprüfung) würden typischerweise von Unternehmen und Zeitungen (Medien) in Anspruch genommen, weil sie teuer seien. Die maßgeblichen Verkehrskreise seien somit Unternehmen, Zeitungen und Medien. Voraussetzung sei auch, dass immer eine bestimmte Menge von Menschen aus der Gesamtbevölkerung notwendig sei (gemeint: als befragte Personen). Die befragten Personen gehörten aber nicht zu den relevanten Verkehrskreisen. Es sei damit nicht davon auszugehen, dass sich diese Dienstleistungen an die „große Allgemeinheit der Bevölkerung“ richteten (Seite 59 oben).

Zum Beleg der rechtserhaltenden Benutzung hätten die Antragsgegnerinnen nachweisen müssen, dass größer angelegte Umfragen durchgeführt worden seien als nur solche innerhalb von Betrieben (Seite 59 Mitte). Die Antragsgegnerinnen hätten im relevanten Beobachtungszeitraum an acht Unternehmen die Dienstleistung von Meinungsumfragen und Meinungsüberprüfungen verkauft und für ein weiteres Unternehmen eine Vorbereitungshandlung getroffen (diese allerdings außerhalb des Beobachtungszeitraums). Durchschnittlich sei somit von weniger als zwei Aufträgen pro Kalenderjahr auszugehen. Dies sei für eine rechtserhaltende Benutzung in quantitativer Hinsicht zu wenig.

Die Umfragen im Zuge des „G***** World Poll“ könnten den Antragsgegnerinnen nicht zugerechnet werden.

VII. Die Berufung

Dagegen richtet sich die Berufung der Antragsgegnerinnen, die unrichtige Sachverhaltsfeststellung, Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtige Beweiswürdigung und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend machen. Sie beantragen, die Entscheidung zu ändern und die Löschungsanträge abzuweisen. In eventu das Verfahren an die NA zurückzuverweisen. Die Berufung richtet sich auch gegen die Kostenentscheidung.

Die Antragstellerin beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

VIII. Erwägungen des Berufungsgerichts

Zur Gewährleistung einer gewissen Systematik ist der Entscheidung voranzustellen, dass sich die Berufung nicht dagegen wendet, dass die NA für bestimmte Waren und Dienstleistungen keine Benutzungsnachweise erkannt hat, nämlich für Schriften und Periodika/Zeitschriften in der Klasse 16, für Wählerstromanalysen und Wahlprognosen sowie für Markterhebungen und beobachtungen in der Klasse 35 und für Veröffentlichungen in der Klasse 41.

An sich hätte es somit in Bezug auf diese Waren und Dienstleistungen sein Bewenden mit der Löschung, doch ist bei dieser Überlegung zu differenzieren: Eine Löschung für „Schriften“ lässt sich nicht isoliert vom Bestand der Waren „Druckerzeugnisse“ durchführen, weil Druckerzeugnisse jedenfalls als Schriften zu betrachten sind und Schriften meistens auch als Druckerzeugnisse. Dieser Zusammenhang bringt mit sich, dass diese Waren jedenfalls dasselbe rechtliche Schicksal haben müssen. Auch die Dienstleistung „Veröffentlichungen“ lässt sich prima vista nicht abgekoppelt von den Druckerzeugnissen und den Schriften beurteilen, sodass die Löschungsentscheidung im Ergebnis vorerst im Umfang der Wählerstromanalysen, der Wahlprognosen, der Markterhebungen und der Marktbeobachtungen zu bestätigen ist.

Als Thema der weiteren Betrachtungen verbleiben somit folgenden Waren :

Tabelle 3

und folgende Dienstleistungen :

Tabelle 4

Die Rechtsrüge der Antragsgegnerinnen veranlasst das Berufungsgericht zur allseitigen rechtlichen Überprüfung der Entscheidung.

Auf das Berufungsverfahren sind die Vorschriften der ZPO anzuwenden. Das Verfahren vor der NA richtet sich nach § 35 MSchG, dessen Abs 5 unter anderem auf § 123 PatG verweist. Dort normiert Z 4, dass die Entscheidung in einer gedrängten Darstellung den Sachverhalt enthalten muss, der sich aus der mündlichen Verhandlung ergeben hat.

Unter „Sachverhalt“ versteht man das historische Geschehen, an das die Rechtsfolgen geknüpft werden. Im konkreten Fall muss sich der festgestellte Sachverhalt somit auf jenes Geschehen und auf jene Handlungen beziehen, mit denen die Antragsgegnerinnen nach ihrer eigenen Behauptung die Marken benutzt haben. Ob dieses Geschehen und diese Handlungen tatsächlich stattgefunden haben, muss die NA auf der Grundlage der vorgelegten und vorhandenen Beweismittel beantworten.

Der damit verbundene Vorgang ist die Beweiswürdigung. Zur Begründung dafür, welche Tatsachen festgestellt werden, und auch zur Begründung dafür, welche Tatsachen – obwohl behauptet – nicht festgestellt werden konnten, sowie auch zur Begründung dafür, welche Inexistenz behaupteter Tatsachen festgestellt wird, hat sich die NA mit dem Inhalt der Beweismittel, etwa mit dem Inhalt der Urkunden oder mit dem Inhalt der Aussagen der Zeugen und Parteien auseinanderzusetzen. Der Inhalt der Urkunden selbst oder der Inhalt der Aussagen selbst ist hingegen nicht Thema der Sachverhaltsfeststellung, sondern nur das Mittel, um den historischen Sachverhalt festzustellen. Eine Diskussion im Rechtsmittelverfahren darüber, welchen Inhalt Urkunden haben, wäre somit nicht der Bekämpfung des Sachverhalts zuzurechnen, sondern der Rüge der Beweiswürdigung.

Ob der auf diese Weise festgestellte Sachverhalt (das historische Geschehen) den Tatbestand der „rechtserhaltenden Benutzung“ (das ist ein Rechtsbegriff) erfüllt, ist sodann ein Prozess, der der rechtlichen Beurteilung zugerechnet wird. Dabei wird überprüft, ob sich der konkret festgestellte Sachverhalt unter den abstrakt formulierten Tatbestand subsumieren lässt, wie er – konkret auf den vorliegenden Fall bezogen – in § 10a MSchG beschrieben ist.

Die Unterscheidung zwischen Sachverhalt, Beweiswürdigung und rechtlicher Beurteilung ist essentiell für die Überprüfbarkeit der Entscheidung durch die Berufungsinstanz. Wenn sich aus dem Text der Entscheidung nicht ohne Zuhilfenahme der Urkunden erkennen lässt, von welchem Sachverhalt die NA ausgegangen ist, kann nicht beurteilt werden, ob ein bestimmter Sachverhalt den Tatbestand der rechtserhaltenden Benutzung erfüllt oder ob er ihn – wie laut der angefochtenen Entscheidung – nicht erfüllt. Nicht die Beweismittel (vorliegend überwiegend Urkunden) sind rechtlich zu beurteilen, sondern ein vorher festgestellter Sachverhalt ist Grundlage der rechtlichen Beurteilung.

Wenn die beschriebene Abgrenzung in der angefochtenen Entscheidung nicht ausdrücklich eingehalten wurde, sich jedoch im Gesamtzusammenhang mit ausreichender Deutlichkeit erschließen lässt, welche Teile des Texts sich jeweils als Beschreibung eines Sachverhalts erkennen lassen, ist es dem Berufungsgericht möglich, diesen Sachverhalt selbst rechtlich zu beurteilen. In der oben ersichtlichen Tabelle 2 wurden solche Sachverhaltselemente aus der umfangreichen Entscheidung der NA gefiltert.

IX. Allgemeines zur rechtserhaltenden Benutzung

Eine Marke wird „ernsthaft benutzt“, wenn sie entsprechend ihrer Funktion, über die Herkunft der Waren oder Dienstleistungen zu informieren, benutzt wird, um für diese Waren und Dienstleistungen einen Absatzmarkt zu erschließen oder zu sichern (C 40/01, Ansul, Rz 43; C 416/04 P, Sunrider, Rz 70; C 259/02, La Mer Technology, Rz 27; Om 8/11, WEG; 17 Ob 11/08d, BUZZ!; RIS-Justiz RS0123519; RW0000854).

Nur eine kennzeichenmäßige Benutzung kann rechtserhaltend sein. Sie liegt vor, wenn im geschäftlichen Verkehr eine wörtliche oder bildliche Bezeichnung zur Kennzeichnung einer Ware oder Dienstleistung oder in Bezug auf sie so gebraucht wird, dass der durchschnittlich informierte, aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher annimmt oder annehmen kann, das Zeichen diene der Unterscheidung der Waren oder Dienstleistungen von gleichen oder gleichartigen Waren oder Dienstleistungen anderer Herkunft (4 Ob 391/84, Ford-Spezialwerkstätte; 4 Ob 79/06f, Smiley; 4 Ob 134/06v, BUZZ!; 17 Ob 1/08h, Feeling/Feel I; RIS-Justiz RS0066671; Beetz in Kucsko/Schumacher, marken.schutz 3 § 33a Rz 18 ff).

Die Frage, ob eine Benutzung mengenmäßig ausreicht, um Marktanteile für die durch die Marke geschützten Waren oder Dienstleistungen zu behalten (oder hinzuzugewinnen), hängt von einer Einzelfallbeurteilung ab (RW0000806). Es gibt kein Mindestmaß einer Benutzung; selbst eine geringfügige, aber wirtschaftlich tatsächlich gerechtfertigte Benutzung kann ausreichen, um die Ernsthaftigkeit zu belegen (C 416/04 P, Vitafruit ; Om 14/06, Dreher; Om 4/09, Sallaki; Om 10/10, Nuke mwN; vgl auch Ingerl/Rohnke, Markengesetz 3 § 26 Rn 234 f).

Auch eine mengenmäßig geringfügige Benutzung kann also ernsthaft sein, wenn sie im betreffenden Wirtschaftszweig als gerechtfertigt angesehen wird, um Marktanteile zu behalten (C 259/02, La Mer Technology; C 416/04 P, Sunrider, Rn 72). Die Größe des Vertriebsgebietes ist dabei nur einer der zu berücksichtigenden Faktoren (C 416/04 P, Sunrider, Rn 76). Auch die Eigenschaften des Markts, die einen unmittelbaren Einfluss auf die kaufmännische Strategie des Markeninhabers haben können, können dabei herangezogen werden (C 259/02, La Mer Technology, Rn 3; Om 10/10, Nuke; Om 11/09, BT ). Letztlich ist auch zu unterscheiden, ob die Marke zur Kennzeichnung von Massenartikeln oder von Nischenprodukten verwendet wird (Om 11/09, BT ).

Im Zweifel sind aber keine hohen Anforderungen an den Gebrauch der Marke zu stellen (Om 3/11, Jones ; Om 5/10, Coolwater ; RS0066797 [das Löschungsverfahren betreffend]).

Die Benutzung einer Marke für Dienstleistungen erfordert, dass die Dienstleistungen für Dritte erbracht werden. Dienstleistungen für das eigene Unternehmen, etwa zur Produktion der geschützten Waren, fallen nicht unter die Benutzung der Dienstleistung selbst ( Ströbele in Ströbele/Hacker/Thiering, Markengesetz 13 § 26 Rz 61).

Das Berufungsgericht sieht es als zweckmäßig an, die weitere Systematik der Entscheidung nach den betroffenen Waren und Dienstleistungen auszurichten.

X. Dienstleistungen: Meinungsumfragen, Meinungsforschung, Meinungsüberprüfungen (Klasse 35)

Zuerst wird dabei die Dienstleistungsklasse 35 betrachtet, bei der die Meinungsumfragen, die Meinungsforschung, und die Meinungsüberprüfungen als eine Einheit angesehen werden können.

Dazu hat die NA festgestellt, dass die Antragsgegnerinnen in Österreich Befragungen unter den Gästen des R***** in Wien, unter den Mitarbeitern der Unternehmen D***** und M***** durchgeführt haben sowie dass sie Umfragen für Ak*****, J*****, V***** Paper, B***** und P***** durchgeführt haben (vgl die Tabelle 2, Felder 1, 3, 4 und 19). Das Berufungsgericht hat keinen Anhaltspunkt, daran zu zweifeln, dass die NA damit auch zum Ausdruck bringen will, dass die Antragsgegnerinnen dabei das Wortzeichen verwendet haben.

Die Parteien wenden sich in den Rechtsmittelschriften nicht gegen diese Feststellungen. Das Berufungsgericht hat diese Feststellungen somit eigenständig zu würdigen.

Zu prüfen ist vorerst, ob Kundenbefragungen und Mitarbeiterbefragungen unter den Begriff „Meinungsumfragen“ zu subsumieren sind; die Antragstellerin bestreitet dies (vgl Berufungsbeantwortung Punkt I.2.1; Seiten 5 ff). Das Berufungsgericht hat dagegen aber keine Bedenken.

Maßgeblich dafür ist der allgemeine Sprachgebrauch. Die Systematik der Nizzaer Klassifikation entfaltet keine normative Wirkung auf die Begriffsauslegung.

Der Begriff der Meinungsumfrage ist nicht darauf beschränkt, dass zum Beispiel vor Wahlen die Gesamtbevölkerung befragt wird oder dass zum Beispiel für die Feststellung einer Verkehrsgeltung breite Bevölkerungskreise befragt werden. Auch die Befragung überschaubarer Zielgruppen kann der Meinungserforschung dienen und unterfällt somit dem Begriff der Meinungsumfrage und der hier relevanten verwandten Begriffe der Meinungsforschung und der Meinungsüberprüfung.

Für den vorliegenden Fall relevant ist die Benutzungsdefinition des § 10a Z 2 MSchG, nach dem es als Benutzung angesehen wird, wenn unter dem Zeichen Dienstleistungen „erbracht“ werden. In wessen Auftrag diese Dienstleistungen im relevanten Gebiet gebracht werden, ist somit nicht bedeutsam. Deshalb entfalten die Negativfeststellungen der NA, wonach bei diversen Dienstleistungen nicht festgestellt werden könne, ob der Auftrag von der Muttergesellschaft im Ausland oder von der österreichischen Niederlassung erteilt wurde, keine rechtliche Wirkung. Zu prüfen ist nur, ob eine Dienstleistung in Österreich erbracht wurde, was sich aus den Feststellungen der NA ergibt.

Zur Frage der Quantität: Da der Judikatur nicht entnommen werden kann, es müsse zwingend die Vergrößerung des Marktanteils beabsichtigt sein, weil der EuGH schon in C 40/01, Ansul, erklärt hat, es genüge auch die Erhaltung des Marktanteils (zu ergänzen: sei er auch gering), sieht auch das Berufungsgericht im konkreten Fall keinen Grund, hier von einer „zu geringen“ Benutzung auszugehen. Dass die Tätigkeit der Antragsgegnerinnen nur darauf gerichtet gewesen sei, die Marke als solche zu erhalten, somit quasi nur einen „Symbolcharakter“ hätte (vgl C 40/01, Ansul: „unter Ausschluss einer symbolischen Verwendung“), lässt sich aus dem Sachverhalt nach Einschätzung des Berufungsgerichts nicht ableiten.

Das Berufungsgericht teilt auch die Einschätzung der NA nicht, wonach von einer Meinungsumfrage etc nur dann gesprochen werden könne, wenn diese im Auftrag von Medien durchgeführt würde.

Zur Frage, ob die Dienstleistungen von den Markeninhabern „eigenhändig“ erbracht werden, ist darauf hinzuweisen, dass eine Marke auch dann benutzt wird, wenn die Dienstleistung durch dritte Personen erbracht wird, sofern dabei das Zeichen verwendet wird und die Empfänger der Dienstleistungen oder die durch die Dienstleistungen angesprochenen Personen eine gedankliche Verbindung zum Unternehmen des Markeninhabers herstellen. Wenn – wie hier – juristische Personen als Markeninhaberinnen aufscheinen, ist eine „eigenhändige“ Erbringung von Dienstleistungen ohnedies nicht möglich.

Das Berufungsgericht sieht daher den Benutzungsnachweis zumindest auf der Basis des Vorbringens und der Feststellungen zu den Feldern 1, 3, 4 und 19 der Tabelle 2 als erbracht an.

Der Löschungsantrag in Bezug auf die noch verbliebenen Dienstleistungen der Klasse 35 ist daher abzuweisen, weil die von der NA unbekämpft festgestellten Tatsachen die Löschung nicht rechtfertigen.

XI. Waren: Druckerzeugnisse, Schriften, Berichte (Klasse 16)

Auch diese Gruppe von Waren ist als eine Einheit zu betrachten. Dies entspricht der sogenannten „erweiterten Minimallösung“ bei der Ermittlung des Benutzungsumfangs, wenn die konkrete Benutzung nur für bestimmte Teile des geschützten Waren- oder Dienstleistungsbereichs nachweisbar ist, die übrigen Definitionen allerdings unter einem nicht zu breiten Waren-Oberbegriff geschützt sind ( Ströbele in Ströbele/Hacker/Thiering, Markengesetz 13 § 26 Rz 302; Beetz in Kucsko/Schumacher, marken.schutz 3 § 33a Rz 65 ff). Im konkreten Fall bedeutet dies, dass, falls die Benutzung für „Berichte“ nachgewiesen werden kann, nicht zusätzlich geprüft werden muss, ob die Berichte auch alle im Warenverzeichnis formulierten Themen betreffen.

Zu dieser Warengruppe reichen die Feststellungen der NA nicht für eine abschließende Beurteilung aus, und auch die für die Feststellungen herangezogenen beweiswürdigenden Ausführungen sind nicht ausreichend, was in Erledigung der Berufung zur Rüge der Mangelhaftigkeit (Punkt 2 der Berufung, Seiten 5 ff) aufzugreifen ist.

Vorweg ist festzustellen, dass der Umstand, dass Publikationen in englischer Sprache vorliegen, nicht ausschließt, dass die entsprechenden Druckwerke auch in Österreich verbreitet wurden. Soweit Druckwerke in deutscher Sprache vorliegen, liegt die Vermutung nahe, dass sich die Verbreitung nicht nur auf Deutschland, sondern auf den ganzen deutschsprachigen Raum bezieht, dem auch Österreich angehört.

Nach der Einschätzung des Berufungsgerichts erfordert die markenmäßige Benutzung des Zeichens nicht, dass die Antragsgegnerinnen bei Druckwerken als Verlegerinnen auftreten. Auch die Verantwortung des Inhalts mit gleichzeitiger Benutzung des Zeichens ist als markenmäßige Benutzung zu beurteilen.

Überdies ist nach Überzeugung des Berufungsgerichts auch eine Verfügbarkeit eines Druckwerks in digitaler Form als eine Benutzung der hier in Frage kommenden Waren anzusehen, was einerseits dem allgemeinen Sprachgebrauch (jedenfalls für „Berichte“), andererseits der technischen Entwicklung bei der Lektüre von Texten und somit den allgemeinen Marktgewohnheiten entspricht.

Die NA hat dazu auf den Seiten 49 f festgestellt, dass die Antragsgegnerinnen Druckereierzeugnisse und Berichte veröffentlicht haben, dass allerdings unklar bleibe, wie viele dieser Druckexemplare in Österreich verkauft worden seien. Weiters wurde festgestellt, dass die Antragsgegnerinnen auch Berichte zu „diversen Themen“ und Bücher über Managementthemen auch in gedruckter Form veröffentlicht haben, allerdings „nicht in erster Linie“ für den deutschsprachigen Markt. Aus bestimmten Beilagen ergebe sich aber, dass es auch deutschsprachige Druckwerke der Antragsgegnerinnen gebe. Wie viele davon tatsächlich von den österreichischen Verkehrskreisen erworben worden seien, stehe nicht fest.

Die NA hat sich dabei auch auf die ./07k bis ./07p bezogen und dort vermisst, dass diese Unterlagen bestimmten Druckwerken zugeordnet werden können. Diesbezüglich ist die Entscheidung mangelhaft begründet, und auch das Verfahren unterliegt einem Mangel, weil die NA in der mündlichen Verhandlung die Antragsgegnerinnen darauf hinweisen hätte müssen, wenn bestimmte Urkunden unklar seien, um Gelegenheit zu geben, die Unklarheiten zu beseitigen oder zu erläutern. Dies gilt umso mehr, als die Antragsgegnerinnen in der mündlichen Verhandlung Bücher zur Ansicht vorgelegt haben, aus denen sich auch die Urheberschaft der Antragsgegnerinnen und die Markenbenutzung ergeben hat.

Die Feststellungen der NA sind insgesamt nicht ausreichend klar, weil einerseits die Existenz von Druckwerken festgestellt wird, andererseits aber als unbeantwortete Frage im Raum stehen bleibt, in welchem Umfang die Werke in Österreich auf den Markt gebracht worden sind. Eine eindeutige Beurteilung, ob die NA somit vom völligen Fehlen einer Benutzung in Österreich ausgegangen ist oder nur von der Unbestimmtheit der – allerdings existierenden – Quantität, ist somit nicht möglich.

Zu diesem Warensegment leidet das Verfahren somit an einem wesentlichen Mangel, der eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Sache verhindert (§ 496 Abs 1 Z 2 ZPO). Die NA wird deutliche Feststellungen zu treffen haben und sich dabei in rechtlicher Hinsicht davon leiten lassen müssen, dass auch Onlinepublikationen zur markenmäßigen Benutzung des Zeichens beitragen können und dass die Tatsache, dass eine Publikation in englischer Sprache vorlegt, für sich genommen eine Benutzung in Österreich nicht ausschließt.

XII. Dienstleistung: Veröffentlichungen (Klasse 41)

Dass diese Dienstleistung für Dritte (siehe dazu oben) erbracht worden wäre, haben die Antragsgegnerinnen nicht konkret vorgetragen. Auch in der Berufung findet sich dazu nichts Substanzielles. Es ist daran zu erinnern, dass die Veröffentlichung eigener Werke nicht als Dienstleistungserbringung im Sinne einer markenmäßigen Benutzung anzusehen ist, sondern nur die Veröffentlichung von Inhalten im Auftrag Dritter. Eine inhaltliche oder sonstige Beziehung zu den veröffentlichten Inhalten wäre dabei nicht erforderlich.

Soweit sich die Antragsgegnerinnen hier auf den „G***** World Poll“ beziehen, argumentieren sie nicht für die Dienstleistung der Veröffentlichung, sondern für die oben schon behandelte Dienstleistung der Meinungsumfrage. Nach dem Vorbringen der Antragsgegnerinnen liegt hier die Meinungsumfrage durch sie selbst vor, sodass eine allfällige Veröffentlichung der Ergebnisse nicht im Auftrag Dritter stattgefunden hätte. Wer die Ergebnisse einer von ihm selbst durchgeführten Meinungsumfrage veröffentlicht, benutzt das Zeichen somit nicht kennzeichenmäßig für die Dienstleistung „Veröffentlichung“.

Zu dieser Dienstleistung hat es mit der Löschung durch die Entscheidung der NA sein Bewenden.

XIII. Kosten, Wert des Entscheidungsgegenstands, Revisionszulassung

Der Kostenvorbehalt (auch hinsichtlich der Kosten des Berufungsverfahrens) beruht auf § 52 Abs 4 ZPO iVm § 122 PatG und § 35 Abs 5 MSchG. Der Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstands orientiert sich an der Bedeutung des Markenrechts im Wirtschaftsleben.

Da die Entscheidung über die Benutzung einer Marke überwiegend dem Tatsachenbereich angehört und weil keine Rechtsfragen von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zu beantworten waren, ist die ordentliche Revision nicht zulässig.

Rückverweise