JudikaturOLG Wien

32Bs64/21b – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
29. April 2021

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien als Vollzugssenat nach § 16a StVG hat durch die Senatspräsidentin Mag. Seidl als Vorsitzende sowie die Richterin Dr. Vetter und den fac h kundigen Laienrichter Oberst Wolf als weitere Senatsmi t glieder in der Vollzugssache des B***** C***** über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Vollzugsgericht vom 16. Februar 2021, GZ ***** , nach § 121b Abs 3 StVG in nichtöffentlicher Sitzung den

B e s c h l u s s

gefasst:

Spruch

Die Beschwerde wird mit der Maßgabe, dass das inkr i minierte Verhalten unter § 107 Abs 3 StVG zu subsumieren ist, als unzulässig zurückgewiesen .

Text

B e g r ü n d u n g

Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Vollzugsg e richt einer Beschwerde des B***** C***** gegen das Straferkenntnis des Leiters der Justizanstalt ***** vom 17. September 2020, ***** (ON 4 S 31 ff), dahin Folge, dass die verhängte Geldbuße auf 70 Euro herabgesetzt wurde.

Begründend führte das Vollzugsgericht zusammeng e fasst aus, dass B***** C***** am ***** den im Bett liegenden S***** P***** in die rechte Brustwarze gebissen habe. S***** P***** habe durch den Angriff eine Bisswunde in der rechten Brustwarze und diverse Abschürfungen erlitten. In weiterer Folge habe P***** dem Beschwerdeführer einen heftigen Stoß versetzt, sodass dieser rückwärts über einen Sessel und dann auf den Boden gefallen sei. B***** C***** habe sich zumindest eine Schürfwunde am Rücken zugezogen. Das Erstgericht konnte nicht feststellen, dass S***** P***** B***** C***** vor dem Angriff mit einem Messer bedroht oder einem Bese n stiel geschlagen hätte. Es habe vielmehr keinen Übergriff des S***** P***** gegeben, der eine Notwehr in Form eines Bisses gerechtfertigt hätte.

Beweiswürdigend stützte sich das Vollzugsgericht auf

die Aussagen des B***** C***** und des S***** P***** sowie der Zeugen M***** R*****, D***** P*****, G***** K***** und R***** M*****, weiters auf die in ON 3 und 4 erliegenden Lichtbilder. Die Verantwortung des sich mit Notwehr rechtfertigenden Beschwerdeführers wurde im Hi n blick auf die im Wesentlichen übereinstimmenden Zeuge n aussagen verworfen. Die Feststellungen zur subjektiven Tatseite wurden aus dem objektiven Geschehen abgeleitet.

Indem der Beschwerdeführer vorsätzlich entgegen der Bestimmung des § 26 Abs 2 StVG eine tätliche Auseinande r setzung mit dem Insassen P***** gehabt und diesen dabei am Körper verletzt habe, sei die Ordnungswidrigkeit nach §§ 107 Abs 1 Z 10 iVm 26 Abs 2 StVG in objektiver und subjektiver Hinsicht verwirklicht.

Bei der Strafzumessung wurde kein Umstand als erschwerend gewertet, mildernd hingegen, dass über den Beschwerdeführer bislang keine Ordnungsstrafe verhängt werden musste. Die vom Anstaltsleiter verhängte Geldbuße von 100 Euro wurde mit Blick auf den in Frage kommenden Höchstbetrag nach § 113 StVG von 200 Euro als zu hoch erachtet und mit 70 Euro bemessen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des B***** C***** (ON 19), der zusammengefasst moniert, dass sich das Vollzugsgericht bei Ansicht der Lichtbilder davon überzeugen hätte müssen, dass er mehr als eine Verletzung erlitten habe. Er habe mehrere Beulen am Kopf erlitten, was durch die Haare verdeckt gewesen sei, am Rücken seien Narben geblieben, die nicht von einem Schubser bzw Stoß und einem Sturz über einen Stuhl herrühren könnten. Man sehe auch den Abdruck eines ger a den Gegenstandes. S***** P***** lüge. Eine beigelegte Skizze des Haftraum belege, dass es unmöglich sei, dass er über einen Sessel gefallen sei. Weiters sei ihm nach ein paar Tagen sogar ein ganzer Stiftzahn „rausgeflogen“, was sich aus der Krankenakte der Justizanstalt ***** ergebe. Die Zeugenaussagen seien nicht relevant, da er nach Schlägen aus Notwehr gehandelt habe. Er ersuche um persönliche Vorsprache bzw eine Verhandlung, weil er alles lieber mündlich schildern wolle.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 16a Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 StVG entscheidet das

Oberlandesgericht Wien für das gesamte Bundesgebiet über Beschwerden gegen einen Beschluss des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 StVG wegen Rechtswidrigkeit, wobei Let z tere nicht vorliegt, soweit das Vollzugsgericht Ermessen im Sinne des Gesetzes geübt hat. Gemäß § 16a Abs 3 StVG ist gegen den Beschluss des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 StVG eine Beschwerde nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder der Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, in s besondere weil das Vollzugsgericht von der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung abweicht, eine solche fehlt oder uneinheitlich ist.

Gemäß § 45 Abs 2 AVG gilt bei der Feststellung von Tatsachen der Grundsatz der freien Beweiswürdigung, somit ist lediglich die Überzeugungskraft der Beweismittel im gegebenen Zusammenhang für ihre Bewertung maßgebend. Die dabei vorgenommenen Erwägungen müssen schlüssig sein, dh mit den Gesetzen der Logik und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut in Einklang stehen. Allein der Umstand, dass aus den vorliegenden Ermittlungsergebnissen auch andere Schlüsse gezogen werden könnten, macht die Beweiswürdigung nicht unschlüssig ( Thienel/Zeleny, Verwaltungsverfahrensgesetz e 2 0 § 45 Anmerkung 4; Hengstschläger/Leeb , AVG § 45 Rz 8 mwN).

Das Vollzugsgericht hat unter Berücksichtigung aller

in Frage kommenden Erkenntnisquellen unter Vornahme einer lebensnahen Beweiswürdigung plausible Feststellungen getroffen. Insbesondere wird aktenkonform dargestellt, dass keiner der Zeugen einen Angriff des S***** P***** auf B***** C***** wahrnehmen konnte. Zudem hat das Erstg e richt keinen für den Beschwerdeführer sprechenden Umstand außer Acht gelassen und etwa berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer verletzt wurde und zumindest eine Schürfwunde am Rücken erlitten hat. Mit dem Vorbringen, dass etwa seine Verletzungen nicht mit einem Sturz über einen Sessel in Einklang zu bringen wären, die Verletzung am Rücken einen „geraden“ Abdruck aufweise und die Ei n sicht in die Lichtbilder das Gericht zu anderen Schlus s folgerungen führen hätte müssen, stellt der Beschwe r deführer nur eigene – die belastenden Zeugenaussagen vollständig ausblendende - beweiswürdigende Erwägungen an, die aber die Schlussfolgerungen des Erstgerichts nicht unschlüssig machen, zumal gerade eine Sesselkante geeignet ist, einen geraden Abdruck zu hinterlasse n . Gleiches gilt für den mittels Skizze untermauerten - Einwand, in der Justizanstalt ***** dürften die Hafträume nicht verstellt und die Betten nicht beliebig verrückt werden.

Allerdings hat das Erstgericht übersehen, dass die

Feststellungen, wonach B***** C***** sich über S***** P***** beugte und diesen in die rechte Brustwarze biss, wodurch Letzterer eine Bisswunde an der rechten Brus t warze erlitt (US 2), die Annahme einer Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB zu tragen vermögen und damit die Bestimmung des § 107 Abs 3 StVG zur Anwendung kommt. § 107 Abs 3 StVG erfasst strafbare Handlungen gegen die körperliche Sicherheit, Ehre und Vermögen, sohin solche des ersten, vierten und sechsten Abschnittes des besond e ren Teils des StGB, deren Aburteilung in die Zuständi g keit der Bezirksgerichte fällt, und ist gegenüber § 107 Abs 1 Z 10 (iVm § 26 Abs 2) StVG die speziellere Norm ( Drexler / Weger, StVG4 § 107 Rz 11, 17 mwn).

Bei der Strafbemessung im Ordnungsstrafverfahren ist gemäß § 107 Abs 4 erster Satz StVG (unter anderem auch) § 19 VstG anzuwenden. Nach Abs 1 dieser Bestimmung sind Grundlage für die Bemessung der Strafe die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsguts und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat. Dabei ist nicht nur auf das Ausmaß des Verschuldens besonders Bedacht zu nehmen, sondern unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechts sind auch die §§ 32 bis 35 StGB sinngemäß anzuwenden (§ 19 Abs 2 zweiter und dritter Satz VStG).

Ausgehend vom Umstand, dass eine Geldbuße von bis zu

200 Euro (§ 113 StVG) verhängt werden kann, ist die Höhe der Strafe schon aufgrund des Unwerts der Tat nicht zu beanstanden, zumal das Opfer keine Möglichkeit hatte, sich vor der völlig anlasslosen Attacke auf seine körpe r liche Unversehrtheit zu schützen.

Dem Begehren auf persönliche Vorsprache und Durc h führung einer mündlichen Verhandlung steht entgegen, dass gemäß § 39 Abs 2 zweiter Satz AVG, der gemäß § 17 Abs 2 Z 1 StVG zur Anwendung kommt, es im Ermessen der Behörde liegt von Amts wegen oder auf Antrag eine mündliche Ve r handlung durchzuführen, fallkonkret aber weder aus dem Vorbringen noch dem Akteninhalt abzuleiten wäre, dass dem Grundsatz der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs dadurch besser und effizienter entsprochen werden kann (vgl Hengstschläger/Leeb, AVG § 39 Rz 26 mwN).

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