JudikaturOLG Wien

14R141/20p – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
12. April 2021

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Curd Steinhauer als Vorsitzenden sowie den Richter Mag. Robert Atria und die Richterin Mag. Elisabeth Bartholner in der Rechtssache der klagenden Partei U***** GmbH Wien, vertreten durch Dr. Alexander Milavec, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Republik Österreich , vertreten durch die Finanzprokuratur, wegen EUR 638,95 s.A., über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 28.8.2020, 31 Cg 8/20d-10, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

1. Die Bezeichnung der klagenden Partei wird auf „U***** GmbH“ berichtigt.

2. Der Berufung wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird als Teilurteil hinsichtlich

a) der Abweisung eines Teilbegehrens von EUR 62,30 s.A. bestätigt ;

b) der Abweisung eines Teilbegehrens von EUR 25,-- s.A. dahin abgeändert , dass es zu lauten hat:

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei EUR 25,-- samt 4% Zinsen seit 6.11.2019 binnen 14 Tagen zu zahlen.“

Dagegen ist die Revision jedenfalls unzulässig.

Im Übrigen, also hinsichtlich der Abweisung eines Teilbegehrens von EUR 576,65 s.A. sowie der Kostenentscheidung, wird das angefochtene Urteil mit Beschluss aufgehoben und die Rechtssache insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen .

Die Kosten des Berufungsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Entscheidungsgründe

und

Text

Begründung :

Vorweg ist festzuhalten, dass die Klägerin im Rubrum der Berufung auf ihre neue Parteibezeichnung hingewiesen hat, weshalb diese von Amts wegen richtigzustellen war.

I. Sachverhalt:

Die Klägerin stellte in folgenden Exekutionsverfahren bei den nachstehend angeführten Bezirksgerichten gegen verschiedene verpflichtete Parteien jeweils Anträge auf Bewilligung der Forderungsexekution gegen unbekannte Drittschuldner nach § 294a EO:

21 E 2587/17v des BG Leopoldstadt

69 E 1421/17p des BG Innere Stadt Wien

20 E 1175/17m des BG Meidling

61 E 2220/17t des BG Leopoldstadt

19 E 438/19b des BG Leopoldstadt.

Diese Exekutionsanträge enthielten jeweils die Bezeichnung des „bisherigen“ (offenbar schon bei früheren Forderungsexekutionen nach § 294a EO gegen die jeweilige verpflichtete Partei bekanntgegebenen) Drittschuldners sowie den Beisatz:

Sollte der bisherige Drittschuldner wieder als Drittschuldner bekanntgegeben werden, wird auf die Pfändung und Überweisung der Forderung sowie auf die Zustellung der Exekutionsbewilligung an diesen Drittschuldner verzichtet.

Weiters enthielten die Exekutionsanträge jeweils den Hinweis, dass eine solche Ausnahme eines bestimmten Drittschuldners vom Vollzug nach der Entscheidung 46 R 387/15z des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien zulässig sei.

Die genannten Wiener Bezirksgerichte bewilligten die beantragten Exekutionen jeweils antragsgemäß (ON 2: „ Exekutionsbewilligung antragsgemäß ) und holten gemäß § 294a Abs 1 Z 2 EO Drittschuldnerauskünfte des Hauptverbandes (jetzt: Dachverbandes) der österreichischen Sozialversicherungsträger ein. Dabei ergab sich folgendes Bild:

Alle Exekutionsbewilligungen wurden an die jeweils (erneut) bekanntgegebenen Drittschuldner zugestellt.

Im Verfahren 19 E 438/19b des BG Leopoldstadt erstattete der Drittschuldner G***** B***** eine Äußerung, wonach das Arbeitsverhältnis mit der verpflichteten Partei schon beendet sei. Die Kosten dieser Drittschuldneräußerung wurden mit EUR 25,-- bestimmt und von der Klägerin gezahlt.

Als die Klägerin später in den anderen vier Verfahren Anträge auf neuerlichen Vollzug der bewilligten Exekutionen durch neuerliche Abfragen beim Hauptverband (Dachverband) stellte, wurden diese Anträge durchwegs abgewiesen, weil die Exekution jeweils durch Zustellung an einen Drittschuldner bereits konsumiert bzw. „kanalisiert“ worden war.

Daraufhin stellte die Klägerin gegen alle fünf Verpflichteten neuerliche Exekutionsanträge, wofür ihr Rechtsanwaltskosten von insgesamt EUR 551,65 entstanden.

II. Parteienvorbringen:

1. Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin aus dem Titel der Amtshaftung den Ersatz von EUR 25,-- für die Drittschuldneräußerung und von zusammen EUR 576,65 für die fünf neuerlichen Exekutionsanträge. Dazu begehrte sie weitere EUR 62,30 für die vier abgewiesenen Anträge auf neuerliche Drittschuldneranfragen, die sie allerdings – wie sie später außer Streit stellte - jedenfalls aufzuwenden gehabt hätte.

Sie brachte dazu im Wesentlichen vor, die Exekutionen seien mit der von ihr im Exekutionsantrag genannten Einschränkung bewilligt worden. Trotz der derart bewilligten Zustellverzichte seien die Exekutionsbewilligungen trotzdem an die bisherigen Drittschuldner zugestellt worden. Dagegen gebe es kein Rechtsmittel. Sie habe erst davon erfahren, als ihre Anträge auf neuerliche Drittschuldnerabfragen abgewiesen bzw. im Verfahren 19 E 438/19b des BG Leopoldstadt die Kosten der Drittschuldneräußerung bestimmt worden seien. Die dadurch frustrierten Kosten hätten bisher von den Verpflichteten nicht einbringlich gemacht werden können; auch in absehbarer Zeit sei nicht damit zu rechnen.

Der somit entstandene Schaden sei durch ein zumindest fahrlässiges Fehlverhalten der bearbeitenden Gerichtsorgane verursacht worden. Mit der erfolgreichen Zustellung der Exekutionsbewilligung an einen bestimmten Drittschuldner werde nämlich die Exekution konsumiert bzw. „kanalisiert“; nach der Kanalisierung einer Forderungsexekution sei ein neuerlicher Vollzug durch eine Anfrage beim Dachverband nicht mehr möglich. Werde aber von der betreibenden Partei ein bestimmter Drittschuldner im Exekutionsantrag ausgenommen, sei die Exekution zu bewilligen; werde dann vom Dachverband der ausgenommene Drittschuldner bekanntgegeben, sei dies nach der Judikatur des Landesgerichts Wiener Neustadt, des Landesgerichts Ried im Innkreis und des Senates 46 des Erstgerichts dem Fall gleichzuhalten, dass gar kein Drittschuldner bekanntgegeben werde, sodass eine neuerliche Anfrage beim Dachverband möglich sei.

Richtig sei, dass das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz und ein Rechtsmittelsenat des Erstgerichtes (der Senat 47, Anmerkung des Berufungsgerichts ) eine davon abweichende Rechtsansicht judizierten. Das sei aber für dieses Amtshaftungsverfahren nicht relevant, weil in den in Rede stehenden Exekutionsverfahren die Exekutionen mit den beantragten Ausnahmen bewilligt worden und diese Exekutionsbewilligungen in Rechtskraft erwachsen seien. Die Exekutionsgerichte hätten daher keine Zustellungen an die ausgenommenen Drittschuldner vornehmen dürfen; diese Zustellungen beruhten nicht auf einer vertretbaren Rechtsansicht der Gerichtsorgane.

2. Die Beklagte wandte im Wesentlichen ein, die Rechtsansicht der Bezirksgerichte sei vertretbar gewesen. Sowohl der Senat 47 des Erstgerichtes als auch der Senat 4 des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz gingen nämlich gut begründet davon aus, dass aus § 294a Abs 1 Z 3 EO die Unzulässigkeit des Verzichts auf Zustellung an an einen oder mehrere bestimmte Drittschuldner abzuleiten sei.

Außerdem habe die Klägerin die Rettungspflicht des § 2 Abs 2 AHG verletzt, weil sie jeweils einen auf den jeweiligen Drittschuldner eingeschränkten Einstellungsantrag hätte stellen können. Mit dieser Vorgangsweise hätte sie die mit der Zustellung bewirkte Kanalisierung aufgehoben; eine neuerliche Hauptverbandsabfrage wäre möglich gewesen und der eingetretene Schaden hätte abgewendet werden können.

III. Angefochtenes Urteil und Rechtsmittel:

Das Erstgericht wies die Amtshaftungsklage ab. Es ging von den auf den Seiten 4 - 5 der Urteilsausfertigung enthaltenen Feststellungen aus, auf die verwiesen wird.

Rechtlich folgerte es im Wesentlichen, sein Senat 47 vertrete, so wie auch das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz, in ständiger Rechtsprechung die Rechtsansicht, dass ein Verzicht auf die Zustellung an irgendwelche Drittschuldner unzulässig sei, weil dies aus der Formulierung des § 294a Abs 1 Z 3 EO folge. Dieser Senat habe in zahlreichen Entscheidungen - zuletzt 47 R 123/20s und 47 R 17/20b - festgehalten, dass der Wortlaut des § 294a Abs 1 Z 3 EO („hat“) zwingend sei, woraus sich ergebe, dass ein Verzicht der betreibenden Partei auf die Zustellung der Exekutionsbewilligung an bestimmte, bei der Hauptverbandsauskunft bekannt gegebene und konkret bezeichnete Drittschuldner unwirksam und unbeachtlich sei. In der Entscheidung 47 R 123/20s habe er auch auf die gegenteilige Ansicht des Landesgerichts Linz hingewiesen, diese aber ausdrücklich verworfen.

Grundsätzlich sei eine Rechtsansicht jedenfalls dann als vertretbar zu beurteilen, wenn sie mit begründeten Argumenten von zumindest Teilen der maßgebenden Judikatur, bei fehlender Judikatur allenfalls von der Lehre, vertreten werde. Im konkreten Fall, in welchem die beteiligten Bezirksgerichte der Rechtsprechung des Erstgerichts als Rechtsmittelgericht unterstünden, sei die Übernahme dieser Rechtsansicht jedenfalls nachvollziehbar und nicht zu beanstanden. Die Zustellung der Exekutionsbewilligungen an die Drittschuldner sei daher vertretbar gewesen, weshalb kein Amtshaftungsanspruch bestehe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, der Klage stattzugeben.

Die Beklagte beantragt in ihrer Berufungsbeantwortung, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

IV. Berufungsentscheidung:

Die Berufung ist im Ergebnis teilweise berechtigt.

1. Die Klägerin hat außer Streit gestellt, dass sie die geltend gemachten EUR 62,30 für die vier abgewiesenen Anträge auf neuerliche Drittschuldneranfragen jedenfalls aufzuwenden gehabt hätte. Es handelt sich dabei also um sogenannte „Sowiesokosten“, durch die ihr kein Schaden entstanden ist. Das Klagebegehren und damit auch die Berufung sind daher insoweit nicht berechtigt.

2. Es steht außer Frage und wird auch von der Klägerin nicht ernsthaft bestritten, dass zur Zulässigkeit eines Verzichts auf die Zustellung an einen oder mehrere bestimmte Drittschuldner bei der Forderungsexekution nach § 294a EO die von der Klägerin und vom Erstgericht referierten unterschiedlichen Judikaturlinien bestehen, die schon mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung grundsätzlich beide vertretbar sind.

Das Erstgericht hat aber verkannt, dass die Klägerin den Exekutionsgerichten in den Anlassfällen gar nicht die Übernahme der Rechtsansicht des Senates 47 zum Vorwurf macht. Die Klage wird vielmehr darauf gestützt, dass die Exekutionsanträge jeweils „antragsgemäß“ (also durchaus mit der gewünschten Ausnahme betreffend bestimmte Drittschuldner) bewilligt, die Exekutionsbewilligungen aber trotzdem den betreffenden Drittschuldnern zugestellt wurden. In diesem Widerspruch zwischen Bewilligung und Vollzug der Exekutionen liege die Rechtswidrigkeit und Unvertretbarkeit der inkriminierten Verfahrenshandlungen. Damit hat sich das Erstgericht nicht auseinandergesetzt.

3. Aus den Exekutionsanträgen in den vom Erstgericht beigeschafften Exekutionsakten geht mit hinreichender Deutlichkeit hervor, dass die Klägerin die Pfändung allfälliger Forderungen der Verpflichteten gegen die jeweils genannten „bisherigen Drittschuldner“ gerade nicht beantragen wollte. Unabhängig davon, ob eine solche Ausnahme bestimmter Drittschuldner vom Exekutionsantrag an sich zulässig ist oder nicht, haben die Entscheidungsorgane aller beteiligten Exekutionsgerichte auf den Urschriften jeweils den vorgedruckten Entscheidungsvorschlag „ Exekutionsbewilligung antragsgemäß “ unterschrieben. Der Ausdruck „antragsgemäß“ ohne beigesetzte Einschränkung umfasst zweifellos den gesamten Antrag einschließlich der Ausklammerung bestimmter Drittschuldner. Weichen die Ausfertigungen davon ab (was hier durchwegs der Fall war, wie das Berufungsgericht durch Einsicht in das VJ-Register feststellen musste), so liegt ein Fall der Berichtigung nach §§ 78 EO, 430 iVm 419 ZPO vor.

Hätten die Entscheidungsorgane demgegenüber der Ansicht des Senates 47 des Erstgerichts folgen wollen, wonach die Exekutionsanträge aufgrund der darin enthaltenen Ausnahmen bestimmter Drittschuldner unschlüssig seien (vgl. etwa 47 R 123/20s des Erstgerichts; anders 47 R 17/20b, wo die betreibende Gläubigerin nicht auf die Pfändung, sondern nur auf die Zustellung der Exekutionsbewilligung an die Drittschuldnerin verzichtet hatte, was als unbeachtlich und die Exekutionsbewilligung nicht hindernd qualifiziert wurde), so hätten sie die Anträge abweisen oder wenigstens in einem Beisatz zum Ausdruck bringen müssen, dass die beantragte Ausklammerung bestimmter Drittschuldner nicht bewilligt werde.

Alle Exekutionen wurden daher mit der von der Klägerin gewünschten Ausnahme im Sinne der Judikatur des Senates 46 bewilligt und umfassten folglich nicht die Pfändung und Überweisung von Forderungen gegen die „bisherigen Drittschuldner“. Die Zustellungen der Exekutionsbewilligungen an genau diese Drittschuldner, um trotzdem die Pfändung und Überweisung der Forderungen zu bewirken, waren somit nicht von den jeweiligen Exekutionsbewilligungen – an die die Exekutionsgerichte gemäß §§ 78 EO, 416 Abs 2 ZPO gebunden sind ( M. Bydlinski in Fasching/Konecny ³ III/2 § 416 ZPO Rz 6) – gedeckt und somit rechtswidrig.

Sie waren auch unvertretbar bzw. schuldhaft, weil von den handelnden Justizorganen erwartet werden muss, dass ihnen der Umfang und die Tragweite einer von ihnen „antragsgemäß“ erteilten Exekutionsbewilligung einschließlich ihrer Bindung an eine solche Entscheidung bekannt ist (Haftungsmaßstab des § 1299 ABGB; vgl. Schragel , AHG 3 , Rz 158). Die insoweit behauptungs- und beweisbelastete Beklagte (RIS-Justiz RS0049794) hat nichts Gegenteiliges vorgebracht.

4. Gemäß § 2 Abs 2 AHG besteht allerdings kein Ersatzanspruch, wenn der Geschädigte den Schaden durch Rechtsmittel hätte abwenden können. Unter den weiten Rechtsmittelbegriff dieser Bestimmung fallen alle Rechtsbehelfe, die sich unmittelbar gegen die schädigende Amtshandlung richten und nach der gesetzlichen Ordnung deren Beseitigung oder Berichtigung ermöglichen ( Schragel aaO Rz 183). Der Geschädigte hat deshalb zunächst seine Interessen selbst zu wahren und alle Behelfe, die ihm das Verfahrensrecht zur Verfügung stellt und den Schaden verhindern können, zu nützen; dies wird als „Rettungspflicht“ bezeichnet. Dabei wird vom Geschädigten nichts Unzumutbares gefordert; der Verlust des Amtshaftungsanspruches wegen Unterlassung eines Rechtsmittels setzt Verschulden oder besser gesagt Sorglosigkeit des Amtshaftungsklägers im Umgang mit seinen eigenen Rechtsgütern voraus ( Schragel aaO Rz 192).

Verletzt der Geschädigte seine Rettungspflicht, so kann ein Amtshaftungsanspruch unabhängig von den inhaltlichen Voraussetzungen des § 1 Abs 1 AHG (unvertretbar rechtswidrige Schadenszufügung) gar nicht entstehen. Ein hypothetischer Nachvollzug, was geschehen wäre, wenn der Kläger von den ihm offen stehenden Rechtsbehelfen zeitgerecht Gebrauch gemacht hätte, kommt im Amtshaftungsverfahren nicht in Betracht. Auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs 2 AHG hat das Gericht daher schon im Rahmen der Schlüssigkeitsprüfung (somit von Amts wegen) Bedacht zu nehmen ( Schragel aaO Rz 182).

5. Die geltend gemachten Kosten der Drittschuldneräußerung des G***** B***** im Verfahren 19 E 438/19b des BG Leopoldstadt in Höhe von EUR 25,-- sind nach dem Klagsvorbringen entstanden, bevor die Klägerin überhaupt Kenntnis von der verfehlten Zustellung an den „bisherigen Drittschuldner“ erlangte, und von der dortigen verpflichteten Partei nicht einbringlich. Zu diesem Vorbringen hat das Erstgericht zwar nichts festgestellt; die Beklagte hat es aber auch nicht substanziiert bestritten, weshalb das Berufungsgericht - auch im Hinblick auf die Geringfügigkeit des Betrages (§ 273 Abs 2 ZPO) - davon ausgeht, dass es unstrittig ist.

Somit hat die Klägerin in diesem Umfang schlüssig und unbestritten einen durch Rechtsmittel nicht mehr abwendbaren Schaden behauptet, der – wie oben dargelegt - auch rechtswidrig und schuldhaft verursacht wurde. Daher steht ihr ein Amtshaftungsanspruch in Höhe von EUR 25,-- zu. Das Klagebegehren – und damit die Berufung - sind in diesem Umfang berechtigt.

6. Es bleibt zu prüfen, ob die Klägerin auch die verbleibenden Kosten von EUR 576,65 für fünf neuerliche Exekutionsanträge durch Rechtsmittel hätte abwenden können. Dazu hat sie vorgebracht, dass es gegen die unberechtigten Zustellungen der Forderungsexekutionen an die „bisherigen Drittschuldner“ „kein Rechtsmittel“ gebe (Schriftsatz vom 29.5.2020, ON 7, S 4). Dieses Vorbringen umfasst implizit auch die Aussage, dass sie kein solches Rechtsmittel erhoben habe. Dies wird durch die beigeschafften Exekutionsakten belegt, von der Beklagten nicht bestritten, und kann daher ebenfalls als unstrittig gelten.

Damit ist die Amtshaftungsklage aber hinsichtlich des Teilbegehrens von EUR 576,65 unschlüssig geblieben. Die Klägerin hat nämlich übersehen, dass gegen fehlerhafte Vollzugsakte wie die inkriminierten Zustellungen an die „bisherigen Drittschuldner“ sehr wohl ein geeignetes Rechtsmittel zur Verfügung steht.

6.1. Dabei handelt es sich aber nicht um den von der Beklagten ins Spiel gebrachten Einstellungsantrag „nach § 39 Abs 1 Z 6 iVm Z 2 EO“:

Fest steht, dass die Exekutionsgerichte in den Anlassverfahren die Exekutionen „antragsgemäß“ bewilligt, jedoch die Exekutionsbewilligungen an die vom Antrag ausgenommenen „bisherigen Drittschuldner“ zugestellt haben, wodurch entgegen den ausdrücklichen Anträgen der Klägerin die Exekutionen auf diese Drittschuldner „kanalisiert“ wurden (vgl. Oberhammer in Angst/Oberhammer , EO³, § 294a EO Rz 2 mwN). Ergibt nämlich die Anfrage beim Hauptverband (Dachverband) der österreichischen Sozialversicherungsträger Namen und Anschrift des möglichen Drittschuldners, so verwandelt sich die Forderungsexekution mit unbekanntem Drittschuldner nach § 294a EO in eine gewöhnliche Lohnpfändungsexekution mit bekanntem Drittschuldner nach § 294 EO (3 Ob 131/88 u.a.; Oberhammer aaO Rz 5). Würde nun die Exekution gerade hinsichtlich des einzigen verbliebenen Drittschuldners eingestellt, so hätte dies zwangsläufig die vollständige Einstellung des Verfahrens zur Folge. Hätte die Klägerin daher diesem Ansinnen der Beklagten entsprochen, so wäre sie danach erst recht gezwungen gewesen, neuerliche Exekutionsanträge einzubringen.

Wieso die Beklagte der Ansicht ist, dass durch die Einstellung der Exekution gegen den einzigen verbliebenen Drittschuldner die „Kanalisierung“ rückwirkend beseitigt werde und die Forderungsexekution nach § 294a EO wieder ins Stadium vor der Drittschuldnerbekanntgabe zurücktrete, sodass ein Antrag auf neuerlichen Vollzug durch Anfrage beim Dachverband zulässig sei, erschließt sich dem Berufungsgericht mangels erkennbarer gesetzlicher Grundlage oder bekannter einschlägiger Judikatur nicht.

6.2. Das probate Rechtsmittel gegen fehlerhafte Akte des Exekutionsvollzugs wie die vorliegenden ist vielmehr die Vollzugsbeschwerde nach § 68 EO : Nach dieser Bestimmung kann, wer sich durch einen Vorgang des Exekutionsvollzugs für beschwert erachtet, vom Exekutionsgericht Abhilfe verlangen. Vollzugsbeschwerden sind innerhalb von 14 Tagen nach Kenntnis vom Exekutionsvollzug einzubringen. Es handelt sich um einen durchaus üblichen und keineswegs ungewöhnlichen Rechtsbehelf gegen fehlerhafte Vollzugshandlungen, über den der zuständige Richter (nicht Rechtspfleger) zu entscheiden hat (RIS-Justiz RS0002113, RGZ0000002) und der dem Klagevertreter als Rechtsanwalt bekannt sein müsste.

Die Erhebung solcher Vollzugsbeschwerden anstelle der Einbringung neuer Exekutionsanträge hätte – anders als die von der Beklagten angesprochenen Einstellungsanträge - dazu führen können, dass die durch die bekämpften Zustellungen bewirkten Pfändungen aufgehoben und die damit erfolgten „Kanalisierungen“ der Forderungsexekutionen beseitigt worden wären. Damit hätte die Klägerin den von ihr angestrebten Zustand erreichen und sich die Kosten für neuerliche Exekutionsanträge sparen können. Ob es tatsächlich dazu gekommen wäre, ist, wie erwähnt, im Amtshaftungsverfahren nicht zu prüfen.

Die Klägerin hat nach ihrem Vorbringen von den Zustellungen an die „bisherigen Drittschuldner“ durch die Abweisung ihrer Anträge auf neuerliche Drittschuldnerabfragen bzw. in einem Fall durch die Zustellung der Kostenbestimmung für die Drittschuldneräußerung, also jedenfalls vor Einbringung der neuerlichen Exekutionsanträge erfahren. Die Erhebung von Vollzugsbeschwerden binnen 14 Tagen ab Zustellung der abweisenden Beschlüsse bzw. des Kostenbestimmungsbeschlusses wäre daher zweifellos geeignet gewesen, das Auflaufen der eingeklagten Kosten zu vermeiden. Es handelt sich somit um ein geeignetes Rechtsmittel im Sinne des § 2 Abs 2 AHG, dessen schuldhafte Unterlassung das Entstehen eines Amtshaftungsanspruchs verhindert.

Da die Klägerin nicht behauptet hat, dass sie die möglichen und zur Schadensabwendung geeigneten Vollzugsbeschwerden vergeblich erhoben hat oder ohne ihr Verschulden daran gehindert war, sie zu erheben, hat sie das Entstehen eines Amtshaftungsanspruchs im Umfang der Kosten für die neuerlichen Exekutionsanträge nicht schlüssig dargetan.

7. Diese Unschlüssigkeit ist offenbar weder den Parteien, noch dem Erstgericht aufgefallen. Gemäß § 182a ZPO darf aber das Gericht seine Entscheidung (außer in Nebenansprüchen) nur dann auf rechtliche Gesichtspunkte stützen, die eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, wenn es diese mit den Parteien erörtert und ihnen Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat. Ist daher das Berufungsgericht im Gegensatz zum Erstgericht und entgegen den bisherigen Prozessstandpunkten der Parteien der Ansicht, dass ausreichende Behauptungen fehlen, aus denen sich die Berechtigung des Klagebegehrens ableiten ließe, so muss es entweder selbst den Kläger in mündlicher Verhandlung zur Verbesserung seines Begehrens anleiten oder das angefochtene Urteil aufheben und dem Erstgericht ein Verbesserungsverfahren auftragen (8 Ob 78/04k; RIS-Justiz RS0037166, RS0036355).

Zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung ist daher das angefochtene Urteil im Umfang der Abweisung des Teilbegehrens von EUR 576,65 s.A. aufzuheben. Das Erstgericht wird mit den Parteien die angesprochene Unschlüssigkeit zu erörtern und der Klägerin Gelegenheit zur allfälligen Schlüssigstellung ihres Vorbringens zu geben haben. Dies kann freilich nur gelingen, wenn sie entweder behaupten kann, dass sie erfolglos rechtzeitige Vollzugsbeschwerden erhoben hat, oder dass sie ohne Verschulden ihres Rechtsvertreters (Haftungsmaßstab nach § 1299 ABGB) daran gehindert war.

Sollte die Schlüssigstellung gelingen, wird das Erstgericht die dazu allenfalls angebotene Beweise aufzunehmen und neuerlich über den Amtshaftungsanspruch der Klägerin im Umfang der Aufhebung zu entscheiden haben. In diesem Fall wird - im Hinblick auf § 74 EO in Verbindung mit § 2 Abs 2 AHG - auch zu beachten sein, dass der Klägerin insoweit nur dann ein Schaden entstanden sein kann, wenn sie die Bestimmung dieser Kosten erwirkt und vergeblich versucht hätte, diese bei den jeweiligen Verpflichteten einzubringen.

Gelingt die Schlüssigstellung nicht, wird es bei der Abweisung des Teilbegehrens von EUR 576,65 s.A. zu bleiben haben.

7. Zusammenfassend ist von einem rechtswidrigen und schuldhaften Verhalten der beteiligten Gerichtsorgane auszugehen. Da der Klägerin hiedurch die nicht mehr durch Rechtsmittel abwendbaren Kosten von EUR 25,-- für eine Drittschuldneräußerung entstanden sind, ist der Amtshaftungsanspruch hinsichtlich dieser Kosten berechtigt. Hinsichtlich der „Sowieso-Kosten“ von EUR 62,30 für vier Anträge auf neuerliche Drittschuldneranfrage ist er unberechtigt. Ob er hinsichtlich der Kosten für fünf neuerliche Exekutionsanträge in Höhe von EUR 576,65 berechtigt ist, kann noch nicht abschließend gesagt werden, weil erst zu erörtern ist, ob der Klägerin insoweit ein Schaden entstanden ist und ob sie alle zur Abwendung dieses Schadens geeigneten Rechtsmittel ergriffen hat.

Somit ist in teilweiser Stattgebung der Berufung das angefochtene Urteil als Teilurteil im Umfang von EUR 25,-- s.A. im stattgebenden Sinne abzuändern und im Umfang von EUR 62,30 s.A. zu bestätigen, im Umfang von EUR 576,65 s.A. jedoch mit Beschluss aufzuheben.

8. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.

Gemäß § 502 Abs 2 in Verbindung mit § 519 ZPO sind die Revision gegen den bestätigenden und abändernden Teil sowie der Rekurs gegen den aufhebenden Teil der

Berufungsentscheidung jedenfalls unzulässig.

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