33R116/20a – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hinger als Vorsitzenden sowie die Richterin Mag. Janschitz und den fachkundigen Laienrichter Patentanwalt Mag. Dr. Alge in der Patentrechtssache der klagenden Parteien 1. ***** , 2. ***** , vertreten durch die Gassauer-Fleissner Rechtsanwälte GmbH in Wien unter Mitwirkung der Schwarz Partner Patentanwälte OG, wider die beklagte Partei ***** , vertreten durch die Kletzer Messner Mosing Schnider Schultes Rechtsanwälte OG unter Mitwirkung der Wildhack Jellinek Patentanwälte OG, wegen (im Provisorialverfahren) Unterlassung (EUR 300.000) über die Rekurse der klagenden Partei (Rekursinteresse EUR 100.000) und der beklagten Partei (Rekursinteresse EUR 300.000) jeweils gegen die einstweilige Verfügung des Handelsgerichts Wien vom 18.9.2020, 58 Cg 55/20a 9, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
A. Dem Rekurs der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.
Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt EUR 30.000.
Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.
B. Dem Rekurs der klagenden Parteien wird nicht Folge gegeben.
Die einstweilige Verfügung wird mit der Maßgabe bestätigt, dass sie lautet:
«I. 1. Zur Sicherung des Anspruches klagenden Parteien auf Unterlassung des Eingriffs der beklagten Partei in das Klagspatent, worauf das Klagebegehren gerichtet ist, wird der beklagten Partei gegenüber den klagenden Parteien verboten, 40 O-(2 Hydroxyethyl)rapamycin zur Verwendung in Kombination mit einem Aromataseinhibitor bei der Behandlung von hormonrezeptorpositiven Brusttumoren, wobei es sich bei dem Aromataseinhibitor um Atamestan, Exemestan, Formestan, Aminoglutethimid, Roglethimid, Pyridoglutethimid, Trilostan, Testolacton, Ketokonazol, Vorozol, Fadrozol, Anastrozol oder Letrozol handelt, insbesondere „E***** r***** 5 mg Tabletten“ (Zulassungsnummer 137785) und/oder „E***** r***** 10 mg Tabletten“ (Zulassungsnummer 137786), in Österreich betriebsmäßig feilzuhalten.
2a. [unverändert wie in der angefochtene Entscheidung]
2b. [unverändert wie in der angefochtene Entscheidung]
II. Abgewiesen wird der Antrag, der beklagten Partei zu verbieten, 40 O-(2 Hydroxyethyl)rapamycin zur Verwendung in Kombination mit einem Aromataseinhibitor bei der Behandlung von hormonrezeptorpositiven Brusttumoren, wobei es sich bei dem Aromataseinhibitor um Atamestan, Exemestan, Formestan, Aminoglutethimid, Roglethimid, Pyridoglutethimid, Trilostan, Testolacton, Ketokonazol, Vorozol, Fadrozol, Anastrozol oder Letrozol handelt, insbesondere „E***** r***** 5 mg Tabletten“ (Zulassungsnummer 137785) und/oder „E***** r***** 10 mg Tabletten“ (Zulassungsnummer 137786), in Österreich betriebsmäßig in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen;
III. Abgewiesen wird der Antrag, der beklagten Partei aufzutragen, den klagenden Parteien die Rücknahme des Antrags nach Punkt 2b. des Spruchs nachzuweisen.»
Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt EUR 30.000.
Der ordentliche Revisionsrekurs ist zulässig.
C. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 4.341,89 (darin EUR 723,65 USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen; die Kosten ihres Rekurses hat sie endgültig selbst zu tragen.
Die beklagte Partei hat die Kosten ihres Rekurses endgültig selbst zu tragen. Die Kosten ihrer Rekursbeantwortung hat die klagende Partei vorläufig selbst zu tragen.
Begründung
Text
Die Erstklägerin ist Inhaberin des Klagspatents (EP 3 351 246 B1), welches für Österreich validiert (E 1 135 249) und aufrecht ist. Die Schutzdauer läuft bei regelmäßiger Zahlung der Jahresgebühren noch bis 18.2.2022. Die deutsche Übersetzung des Klagspatents wurde vom Österreichischen Patentamt zur AZ AT E 1 135 249 veröffentlicht.
Die Zweitklägerin ist exklusive Lizenznehmerin des Klagspatents und nach dem Lizenzvertrag zur Wahrnehmung von Durchsetzungsakten des Klagspatents berechtigt. Sie vertreibt in Österreich die durch das Klagspatent geschützten Produkte unter der Bezeichnung „Afinitor“.
Die Patentansprüche des Klagspatents lauten:
«1. 40 O-(2 Hydroxyethyl)rapamycin zur Verwendung in Kombination mit einem Aromataseinhibitor bei der Behandlung von hormonrezeptorpositiven Brusttumoren.
2. 40 O-(2 Hydroxyethyl)rapamycin zur Verwendung nach Anspruch 1, wobei es sich bei dem Aromataseinhibitor um Atamestan, Exemestan, Formestan, Aminoglutethimid, Roglethimid, Pyridoglutethimid, Trilostan, Testolacton, Ketokonazol, Vorozol, Fadrozol, Ansatrozol oder Letrozol handelt.»
Am 3.8.2017 erhielt die Beklagte die Marktzulassung für die Generika „E***** r***** 5 mg Tabletten“ (Zulassungsnummer l37785) und „E***** r***** 10 mg Tabletten“ (Zulassungsnummer 137786) für die Behandlung des hormonrezeptor-positiven, HER2/neu-negativen, fortgeschrittenen Mammakazinoms.
In den Gebrauchsanweisungen (./H) zu „E***** r***** 5 mg Tabletten“ und „E***** r***** 10 mg Tabletten“ findet sich nachstehender Hinweis:
«1. Was ist E***** r***** und wofür wird es angewendet?
E***** r***** ist ein Arzneimittel gegen Krebs, das den Wirkstoff E***** enthält. E***** vermindert die Blutversorgung des Tumors und verlangsamt das Wachstum und die Ausbreitung von Krebszellen.
E***** r***** wird angewendet zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit:
Hormonrezeptor-positivem fortgeschrittenem Brustkrebs bei postmenopausalen Frauen, bei denen die Erkrankung durch andere Behandlungen (sogenannte „nicht-steroidale Aromatasehemmer“) nicht mehr kontrolliert werden kann. Es wird zusammen mit dem Arzneimittel Exemestan, einem sogenannten „steroidalen Aromatasehemmer“, gegeben, der als Hormontherapie gegen Krebs angewendet wird.»
Der Wirkstoff von „E***** r*****“ ist E*****. E***** ist 40 O-(2 Hydroxyethyl)rapamycin.
Exemestan ist ein (im Patentanspruch 2 erwähnter) Aromatasehemmer. „E***** r*****“ wird in Kombination mit Exemestan zur Therapie des hormonrezeptor-positiven, HER2/neu-negativen, fortgeschrittenen Mammakarzinoms bei postmenopausalen Frauen ohne symptomatische viszerale Metastasierung angewendet, nachdem es zu einem Rezidiv oder einer Progression nach der Behandlung mit einem nicht-steroidalen Aromataseinhibitor gekommen ist. Es wird zusammen mit dem Arzneimittel Exemestan verabreicht, das als Hormontherapie gegen Krebs angewendet wird.
Die Beklagte bietet seit Juni 2019 „E***** r***** 5 mg Tabletten“ und „E***** r***** 10 mg Tabletten“ in Österreich an und hat die Aufnahme ins Warenverzeichnis I der österreichischen Apothekertaxe erreicht.
Mit Wirksamkeit ab 3.6.2019 wurde die Aufnahme der Produkte „E***** r***** 5 mg Tabletten“ und „E***** r***** 10 mg Tabletten“ in den roten Bereich und mit Wirksamkeit ab 1.9.2019 die Aufnahme in den grünen Bereich des österreichischen Erstattungskodex genehmigt.
Die Klägerinnen begehrten zur Sicherung ihres mit ihrer Klage geltend gemachten inhaltsgleichen Unterlassungsanspruchs die Erlassung einer einstweiligen Verfügung. Das von der Beklagten in Österreich unter dem Markennamen „E***** r*****“ vertriebene Generika verletze das Klagspatent.
Sie begehrten,
1. der Beklagten zu verbieten, in Österreich betriebsmäßig 40 O-(2 Hydroxyethyl)rapamycin in Kombination mit einem Aromataseinhibitor bei der Behandlung von hormonrezeptorpositiven Brusttumoren zu verwenden (in Verkehr zu bringen feilzuhalten, zu gebrauchen oder zu diesem Zweck einzuführen), insbesondere wobei es sich beim Aromataseinhibitor um Atemastan, Exemestan (etc) handelt, insbesondere „E***** r***** 5 mg Tabletten“ und/oder „E***** r***** 10 mg Tabletten“;
2a. der Beklagten zu verbieten, die Ausführungsformen der genannten Medikamente im Warenverzeichnis I des Österreichischen Apotheker-Verlags zu listen, sofern dabei nicht gleichzeitig Angaben über die Lieferfähigkeit ihrer Arzneimittel gemacht werden, aus denen ersichtlich sei, dass das gelistete Arzneimittel derzeit nicht lieferbar sei;
2b. die Beklagte zu verpflichten, einen Antrag auf Löschung der Produkte aus dem Erstattungscodex des Hauptverbands der österreichischen Sozialversicherungsträger zu stellen und keinen neuen Antrag auf Aufnahme der Produkte zu stellen, solange das Klagspatent aufrecht sei, sowie den Klägerinnen den Löschungsantrag nachzuweisen.
Die Beklagte äußerte sich nicht.
Mit der angefochtenen Einstweiligen Verfügung gab das Erstgericht dem Antrag teilweise Folge und verbot der Beklagten, in Österreich betriebsmäßig 40 O-(2 Hydroxyethyl)rapamycin in Kombination mit einem Aromataseinhibitor bei der Behandlung von hormonrezeptorpositiven Brusttumoren, insbesondere wenn es sich bei dem Aromataseinhibitor um Atamestan, Exemestan, Formestan, Aminoglutethimid, Roglethimid, Pyridoglutethimid, Trilostan, Testolacton, Ketokonazol, Vorozol, Fadrozol, Ansatrozol oder Letrozol handelt, insbesondere „E***** r***** 5 mg Tabletten“ (Zulassungsnummer 137785) und/oder „E***** r***** 10 mg Tabletten“ (Zulassungsnummer 137786) feilzuhalten (Punkt 1 des Sicherungsantrags, eingeschränkt auf das Feilhalten).
Es verpflichtete die Beklagte, die Listung von Ausführungsformen gemäß Punkt 1 des Verfügungsbegehrens, insbesondere die Produkte „E***** r***** 5 mg Tabletten“ und „E***** r***** 10 mg Tabletten“, im Warenverzeichnis I des Österreichischen Apotheker-Verlages unter Nennung der Verkaufspreise zu unterlassen, sofern dabei nicht gleichzeitig Angaben über die Lieferfähigkeit ihrer Arzneimittel gemacht werden, aus denen ersichtlich ist, dass das gelistete Arzneimittel derzeit nicht lieferbar ist (Punkt 2a).
Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte weiters, einen Antrag auf Löschung der Produkte gemäß Punkt 1. des Verfügungsbegehrens, insbesondere der Produkte „E***** r***** 5 mg Tabletten“ (Zulassungsnummer 137785) und „E***** r***** 10 mg Tabletten“ (Zulassungsnummer 137786) aus dem Erstattungskodex des Hauptverbands der österreichischen Sozialversicherungsträger zu stellen und keinen neuen Antrag auf Aufnahme der Produkte zu stellen (Punkt 2b, nicht enthaltend die Verpflichtung, dies den Klägerinnen nachzuweisen).
Hingegen wurde der Antrag abgewiesen, der Beklagten zu verbieten, 40 O-(2 Hydroxyethyl)rapamycin in Kombination mit einem Aromataseinhibitor bei der Behandlung von hormonrezeptor-positiven Brusttumoren zu verwenden, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen; sowie der Beklagten aufzutragen, den Klägerinnen die Rücknahme des Antrags iSd Punkts 2b des Begehrens nachzuweisen.
Es nahm dazu neben dem eingangs wiedergegebenen den auf den Seiten 3 bis 4 der Beschlussausfertigung ersichtlichen Sachverhalt als bescheinigt an, auf den verwiesen wird.
In rechtlicher Hinsicht beurteilte das Erstgericht den Sachverhalt dahin, dass das Eingriffspräparat E***** r***** den Wirkstoff 40-O-(2-Hyroxyethyl)rapamycin enthalte und es somit das Merkmal 1 des Klagspatents aufweise. Ein Aromataseinhibitor sei im Eingriffspräparat selbst nicht enthalten. Durch die Benutzungshandlungen werde daher nicht unmittelbar in das Patent eingegriffen. In der Fachinformation sei aber eine Anleitung zur Kombination mit Exemestan zur Behandlung von erwachsenen Patientinnen mit hormonrezeptorpositivem Brustkrebs enthalten, sodass eine mittelbare Patentverletzung im Sinne des § 22 Abs 3 PatG vorliege. Es sei daher im Unterlassungsausspruch die Eingriffshandlung auf das Anbieten einzuschränken.
Gegen den abweisenden Teil der einstweiligen Verfügung richtet sich der Rekurs der Klägerinnen aus den Rekursgründen der unrichtigen rechtliche Beurteilung, der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger rechtlicher Beurteilung und der unrichtigen Tatsachenfeststellungen aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung. Sie beantragen die Erlassung der beantragten einstweiligen Verfügung; hilfsweise die Aufhebung des abweisenden Teils des angefochtenen Beschlusses.
Gegen den stattgebenden Teil der einstweiligen Verfügung richtet sich der Rekurs der Beklagten aus den Rekursgründen der Nichtigkeit, der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Sie beantragt die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Abweisung des gesamten Sicherungsbegehrens.
Beide Parteien beantragen jeweils, dem gegnerischen Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Beide Rekurse sind nicht berechtigt.
[...] Weiters ist noch festzuhalten, dass das Erstgericht den Inhalt der Gebrauchsanweisung nicht wörtlich festgestellt hat. Da die betreffenden – im Verfahren vorgelegten – Urkunden jedoch ihrem Inhalt nach unstrittig sind, sind sie der Entscheidung des Rekursgerichtes ohne Weiteres zugrunde zu legen (vgl RS0121557), wobei zum besseren Verständnis die wesentliche Passage bereits eingangs wiedergegeben wurde.
I. Zum Rekurs der Klägerin :
Die Klägerinnen haben in ihrer Anfechtungserklärung die Entscheidung im gesamten Umfang der Abweisung angefochten, im Rekursantrag aber die Verpflichtung der Beklagten zum Nachweis des Löschungsantrags laut Punkt 2b des Sicherungsbegehrens nicht mehr begehrt . Dieser Teil der erstgerichtlichen Entscheidung ist daher in Rechtskraft erwachsen.
1. Zur Tatsachenrüge:
Die Klägerin bekämpft die Feststellung:
„Es kann nicht festgestellt werden, dass die beklagte Partei E***** r***** in Österreich mit einem Aromataseinhibitor gebraucht oder verwendet.“
und begehrt stattdessen die Ersatzfeststellung:
„Die beklagte Partei verwendet und nutzt den Wirkstoff E***** in Österreich durch sinnfälliges Herrichten zur Behandlung von hormonrezeptorpositiven Brusttumoren in Kombination mit einem Aromataseinhibitor, in Form der Produkte ‚E***** r***** 5 mg Tabletten‘ (Zulassungsnummer 137785) und ‚E***** r***** 10 mg Tabletten‘ (Zulassungsnummer 137786).“
Um die Feststellungsrüge gesetzmäßig auszuführen muss die angestrebte Ersatzfeststellung im Widerspruch zur bekämpften Feststellung stehen (OLG Wien 133 R 90/18k; vgl RS0041835 [T2]; RS0043150 [T9]). Die Negativfeststellung in Bezug auf die Verwendung von E***** „ mit einem “ Aromataseinhibitor widerspricht nicht der Feststellung, dass die Beklagte E***** „zur Behandlung in Kombination mit einem Aromataseinhibitor“ (ergänze: nur) herrichtet, denn auch in diesem Fall verwendet sie E***** nicht „mit einem“ Aromataseinhibitor.
Die Frage, ob die Beklagte im vorliegenden Fall ihr Produkt „sinnfällig hergerichtet“ hat, ist im übrigen eine Rechtsfrage, deren Beurteilung entsprechende (hier ohnehin vorliegende) Tatsachenfeststellungen erfordern (vgl RS0043493). Die Klägerinnen zielen mit dieser Tatsachenrüge somit auf die rechtliche Unterscheidung zwischen einer unmittelbaren und einer mittelbaren Patentverletzung ab.
2. Zur Rechtsrüge :
2.1. Gemäß § 24 PatV-EG sind auf Verfahren, die europäische Patente betreffen, ergänzend zu dessen Bestimmungen die Vorschriften des EPÜ (Europäisches Patentübereinkommen), des PCT (Vertrag über die internationale Zusammenarbeit im Patentwesen) und des Patentgesetzes sinngemäß anzuwenden. Für das Verfahren bei Patentverletzungsstreitigkeiten und für die Rechtsfolgen einer Patentverletzung gilt nach Art 64 Abs 3 EPÜ nationales Recht.
2.2.1. Die Klägerinnen begehren in ihrem Rekurs, dem Spruch der einstweiligen Verfügung eine klarere Fassung zu geben und regen an, nach dem Begriff 40 O-(2 Hydroxyethyl)rapamycin die Wortfolge „zur Verwendung“ einzufügen.
Die Beklagte vertritt in ihrem Rekurs (Punkt 2.2. und Punkt 2.3.) die Rechtsansicht, dass die Anwendung von § 405 ZPO im vorliegenden Fall nicht zulässig sei.
Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird dieser Punkt an dieser Stelle gemeinsam behandelt:
2.2.2. Die Dispositionsmaxime ist der Grundsatz der Verfügungsfreiheit über den Verfahrensgegenstand. Aufgrund der Dispositionsmaxime hat das Gericht nur über den vom Kläger behaupteten Anspruch zu entscheiden ( Rechberger in Rechberger/Klicka, ZPO 5 § 411 Rz 11). Das Gericht ist nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, das nicht beantragt ist (§ 405 ZPO). Das Gericht darf weder ein Plus noch ein Aliud zusprechen (4 Ob 2038/96a).
Der Streitgegenstand wird nach herrschender Meinung durch den Entscheidungsantrag (Sachantrag) und die zu seiner Begründung erforderlichen, vom Kläger vorgebrachten Tatsachen (rechtserzeugender Sachverhalt, Klagegrund) bestimmt (sog zweigliedriger Streitgegenstand; RS0037419; RS0039255; RS0037522), nicht hingegen durch die rechtliche Beurteilung dieses Vorbringens (RS0037551). Maßgeblich sind jedenfalls stets das Begehren und der vorgetragene anspruchsbegründende Sachverhalt (RS0076813; RS0037419).
2.2.3. Ausgehend vom Antragsvorbringen, insbesondere betreffend die Patentansprüche, und dem Vorbringen, dass das Arzneimittel der Beklagten den Wirkstoff 40 O-(2 Hydroxyethyl)rapamycin, aber keinen Aromataseinhibitor enthalten würde, ergibt sich klar, dass sich das Antragsbegehren nicht auf ein Kombinationspräparat, sondern auf das Arzneimittel E***** mit dem Wirkstoff 40 O-(2 Hydroxyethyl)rapamycin bezieht, und zwar zur Verwendung in Kombination mit einem Aromataseinhibitor bei der Behandlung von hormonrezeptorpositiven Brusttumoren.
Das Gericht ist, auch noch in höherer Instanz, berechtigt und sogar verpflichtet, dem Spruch der Entscheidung eine von der Formulierung des Begehrens abweichende klare und deutlichere Fassung zu geben, sofern diese in den Behauptungen des Klägers ihre eindeutige Grundlage findet und sich im Wesentlichen mit dem Begehren deckt (RS0038852; RS0041254 [T18]).
Die Klägerinnen haben beantragt, der Beklagten zu verbieten, 40 O-(2 Hydroxyethyl)rapamycin in Kombination mit einem Aromataseinhibitor [...] „zu vewenden, in Verkehr zu bringen, feilzuhalten, zu gebrauchen oder [...] einzuführen“. Das Rekursgericht geht davon aus, dass sich das Begehren der Klägerinnen auf die Patentansprüche und auf den Inhalt von § 22 PatG bezieht und darauf gerichtet ist, der Beklagten zu verbieten, 40 O-(2 Hydroxyethyl)rapamycin zur Verwendung in Kombination mit einem Aromataseinhibitor in Verkehr zu bringen, feilzuhalten, zu gebrauchen oder [...] einzuführen (das Begehren nicht auf das „Besitzen“ auszudehnen, beruht offenkundig auf einer bewussten Entscheidung der Klägerinnen).
Bei der Fassung des Spruchs war auch zu berücksichtigen, dass der Patentanspruch 2 der Aufzählung der möglichen Aromataseinhibitoren kein „insbesodere“ voranstellt. Überdies ist der in § 22 Abs 1 PatG nicht vorkommende Terminus „verwenden“ vom Gesetzesbegriff „gebrauchen“ abgedeckt.
2.3. Zum Vortrag der Klägerinnen, dass das zu verbietende „Verwenden“ auch das „augenfällige (sinnfällige) Herrichten“ des Stoffs umfasse, ist auszuführen:
2.3.1 Nach § 22 Abs 1 PatG berechtigt das Patent den Patentinhaber, andere davon auszuschließen, den Gegenstand der Erfindung betriebsmäßig herzustellen, in Verkehr zu bringen, feilzuhalten oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen.
Nach Abs 3 leg cit hat das Patent ferner die Wirkung, dass es jedem Dritten verboten ist, ohne Zustimmung des Patentinhabers anderen als den zur Benützung der Erfindung berechtigten Personen Mittel, die sich auf ein wesentliches Element der Erfindung beziehen, zur Benützung der Erfindung anzubieten oder zu liefern, wenn der Dritte weiß oder es aufgrund der Umstände offensichtlich ist, dass diese Mittel dazu geeignet und bestimmt sind, für die Benützung der Erfindung verwendet zu werden.
2.3.2. Nach § 22a PatG wird der Schutzbereich des Patents und der bekanntgemachten Anmeldung durch den Inhalt der Patentansprüche bestimmt. Die Beschreibung und die Zeichnungen sind zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen. Dabei ist das Protokoll über die Auslegung des Art 69 des Europäischen Patentübereinkommens, BGBl 1979/350, in der jeweils geltenden Fassung sinngemäß anzuwenden.
Das Klagspatent lässt sich in die folgenden Merkmale gliedern:
1. 40 O-(2 Hydroxyethyl)rapamycin
2. zur Verwendung in Kombination mit einem Aromataseinhibitor
3. bei der Behandlung von hormonrezeptorpositiven Brusttumoren.
2.3.3. Voraussetzung für eine unmittelbare Verletzung ist, dass das Arzneimittel für den geschützten Therapiezweck „sinnfällig hergerichtet“ oder auf eine solche Verwendung ausgerichtet ist, wenn es also vorhersehbar ist, dass das Arzneimittel für den geschützten Zweck zur Verwendung gelangen wird. Diese Ausrichtung oder sinnfällige Herrichtung kann auf unterschiedliche Weise erfolgen, so beispielsweise durch eine entsprechende Fach- oder Gebrauchsinformation (vgl Adocker/Wildhack/Petsche/Strobl in Stadler/Koller, PatG, § 22 Rz 103 ff).
Unter Schutz gestellt wird nur der Stoff, und zwar seine Eignung und Benutzbarkeit für einen bestimmten Zweck, nämlich die Behandlung einer bestimmten Erkrankung, nicht hingegen seine Anwendung bei der Behandlung ( Mellullis in Benkard, EPÜ 3 Art 54 Rz 306; BGH, X ZR 29/15, Rz 83, Pemetrexed ).
Von den Klägerinnen bleibt im vorliegenden Fall unberücksichtigt, dass sich die „augenfällige Herrichtung“ nur auf den betreffenden Stoff beziehen kann, dessen Schutz nicht unter das Verbot fällt, Therapieverfahren zu patentieren (zweckgebundener Stoffschutz gemäß Art 54 Abs 5 EPÜ und § 3 Abs 3 PatG). Dieser Schutz, der für die „zweite (und weitere) medizinische Indikation“ eingeräumt wird, ist nicht „zahnlos“, wie von den Klägerinnen vermutet, sondern kann – neben der eigentlichen Indikation – auch andere am Stoff selbst idR nicht erkennbare Merkmale umfassen, die sich auf die Anwendung des Stoffs selbst, aber auch auf die Formulierung dieses Stoffs als Arzneimittel beziehen können. Dieser Schutz ist aber auf genau diesen Stoff (oder auf das Stoffgemisch) begrenzt und findet seine Grenze in Art 54 Abs 5 EPÜ und § 3 Abs 3 PatG. Daher kann die mit einem derartigen Anspruch verliehene Schutzwirkung auch nicht durch Anspruchsformulierungen, die scheinbar auf die Inklusion weiterer Stoffe abzielen, unter den Tatbestand der Schützbarkeit von Wirkstoffen subsumiert und über diesen gesetzlichen Rahmen hinaus vergrößert werden.
Eine Herrichtung einer Kombinationstherapie wird noch nicht dadurch „augenfällig“, dass nur der eine Stoff (E*****) im Produkt vorliegt, nicht aber der andere (Exemestan). Wenn daher – wie im vorliegenden Fall – beim einen (tatsächlich augenfällig hergerichteten) Stoff (E*****) nur die Anleitung vorliegt, einen anderen Stoff (hier: Exemestan) in für die beanspruchte Anwendung hergerichteter Form zusätzlich bereitzustellen, kann sich der Patentschutz nicht direkt und unmittelbar auf die Kombination (hier: von E***** mit Exemestan) erstrecken.
Dabei muss auch berücksichtigt werden, dass – vor allem in Anbetracht des Stands der Technik, der beide Stoffe (E***** und Exemestan) jeweils als Mittel zur Tumorbehandlung ausweist – der Patentanspruch (und damit der Schutzbereich) keine augenfällige Herrichtung von (nur) E***** für eine Monotherapie betreffen kann, sondern dass der vorliegende Patentanspruch (nur) die augenfällige Herrichtung für eine Kombinationstherapie mit Exemestan betrifft. Demgemäß kann durch einen derartigen Anspruch auch kein Schutz für die augenfällige Herrichtung auch auf andere – nicht augenfällig vorhandene – Produkte (hier: Exemestan) erstreckt werden. Eine unmittelbare Patentverletzung würde im vorliegenden Fall beispielsweise nur durch das Anbieten oder den Verkauf einer konkreten Kombination (zB in Form eines Sets) eintreten, was die Klägerinnen aber gar nicht behauptet haben.
Zu Recht ging das Erstgericht daher von einer mittelbaren Patentrechtsverletzung aus.
3. Nach dem maßgeblichen Sachverhalt konnte nicht festgestellt werden, dass die Beklagte das Produkt „E***** r*****“ gebraucht.
Macht die Klägerin auf eine Patentverletzung gegründete Ansprüche geltend, hat sie ihr Patentrecht und die Eingriffshandlung der Beklagten zu behaupten und zu beweisen (RS0111375).
Aufgrund der mittelbaren Patentverletzung ist gem § 22 Abs 3 PatG nur das „Anbieten“ und „Liefern“ zu untersagen (vgl hiezu Kühnen, Handbuch Patentverletzung 10 Kapitel A Rz 414 ff, S 187 f).
Der zwingend mit der Bekanntgabe des Preises und der Bestätigung der Lieferfähigkeit zu verbindende Antrag auf Aufnahme eines Arzneimittels in den Erstattungskodex des Hauptverbands der österreichischen Sozialversicherungsträger erfüllt den Tatbestand des Feilhaltens (RS0125407). Gleiches gilt für die Aufnahme des Produkts der Beklagten in das Warenverzeichnis des Österreichischen Apotheker-Verlags (vgl 4 Ob 54/12p).
Zu den Eingriffshandlungen der Beklagten stellte das Erstgericht fest, dass die Beklagte seit Juni 2019 die Aufnahme von „E***** r***** Tabletten“ ins Warenverzeichnis I der österreichischen Apothekertaxe erreicht hat. Mit Wirksamkeit ab 1.9.2019 erfolgte die Aufnahme in den grünen Bereich des Erstattungskodex der Österreichischen Sozialversicherungen. Damit hat die Beklagte den Tatbestand des Anbietens ( Feilhaltens) nach § 22 Abs 3 PatG erfüllt.
Der Begriff des „Lieferns“ entspricht im wesentlichen dem „Inverkehrbringen“ des § 22 Abs 1 PatG, bringt jedoch die Übertragung der Verfügungsgewalt auf spezifische Abnehmer zum Ausdruck (vgl Adocker/Wildhack/Petsche/Strobl in Stadler/Koller , PatG, § 22 Rz 183 f).
Die Eingriffshandlung „Liefern“ wurde von den Klägerinnen nicht behauptet.
Den in diesem Zusammenhang in Punkt 2.b. des Rekurses aufgezeigten sekundären Feststellungsmängel kommt keine rechtliche Relevanz zu, weil diese Relevanz nur im Fall einer unmittelbaren Patentverletzung gegeben wäre.
II. Zum Rekurs der Beklagten:
1. Zur Nichtigkeit:
1.1. Als gemäß § 477 Abs 1 Z 4 ZPO nichtig rügt die Beklagte, dass ihr der Antrag auf Erlassung einer Einstweiligen Verfügung nicht gesetzmäßig zugestellt worden sei.
1.2. Die Beklagte bringt im Rekurs zusammengefasst dazu vor, sie sei zur elektronischen Zustellung im USP-Portal angemeldet und habe eine USP-Administratorin benannt. Die Registrierung von NN als Postbevollmächtigte der Beklagten sei unter Verwendung ihrer Finanz-Online Daten erfolgt, sie habe zu jenem Zeitpunkt noch über keine Handy-Signatur oder Bürgerkarte verfügt. NN habe am 27.7.2020 und am 29.7.2020 jeweils eine „Verständigung über die Bereithaltung eines behördlichen Dokuments zur Abholung“ samt Hinweisen zum Abruf des Dokuments erhalten, sie habe aber das Dokument nicht abrufen können, weil im „meinPostkorb“ kein Dokument angezeigt worden sei. Die Postbevollmächtigte sei im vorliegenden Fall zu Recht davon ausgegangen, dass beide zur Verfügung gestellten Anmeldeoptionen ausreichten, um Zustellungen mit Zustellnachweis abzuholen.
1.3. Das Berufungsgericht stellt nachstehenden Sachverhalt fest:
Die Klage samt Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung (ON 1) und die Aufforderung zur Äußerung wurden der Beklagen am 28.7.2020 durch Hinterlegung gemäß § 35 ZustG zugestellt. NN verfügt über keine Bürgerkarte, aber über einen Zugang ins USP-Portal mittels Handysignatur.
Die Feststellung zur (wirksamen) Zustellung der Poststücke an die Beklagte ergibt sich aus dem im Akt erliegenden Rückschein und aus der mit dem Rekurs der Beklagten vorgelegten Verständigung über die Bereithaltung eines behördlichen Dokuments zur Abholung (./4). Nach der Aktenlage wurden daher die Poststücke am 27.7.2020 an den elektronischen Zustelldienst übergeben und am 28.7.2020 durch elektronische Hinterlegung zugestellt. Dieser Zustellnachweis ist eine öffentliche Urkunden, die den Beweis erbringt, dass die Zustellung vorschriftsmäßig erfolgt ist (RS0040471 [T8]). Gegen diesen unbedenklichen Zustellnachweis steht der Beklagten als Empfängerin der Gegenbeweis nach § 292 ZPO offen (6 Ob 93/09h; RS0040471 [T9, T10]). Die Beklagte behauptet unter Verweis auf die im Rekurs ersichtlichen Screenshots, dass ihr ein Herunterladen des zugestellten Schriftstücks nicht möglich gewesen sei, weil der Postkorb leer gewesen sei. Der behauptete Einstieg der Postbevollmächtigten mit ihren Finanz-Online-Daten ins Portal ist kein tauglicher Einstieg – wie unten noch näher ausgeführt wird –, um Poststücke mit Zustellnachweis abzuholen. Soweit die Postbevollmächtigte in der eidesstattlichen Erklärung ./1 erklärt, sie sei am 16.9.2016 mit ihrer Handy-Signatur eingestiegen und habe einen Screenshot gemacht, lässt sich daraus weder der behauptet Einstieg noch der Umstand, dass der Sicherungsantrag nicht zur Abholung bereit gewesen sei, anhand des vorliegenden Screenshots überprüfen. Es sind schließlich nur die Zustellungen im Zeitraum vom 27.8.2020 bis 15.9.2020 ersichtlich. Die Hinterlegung erfolgt aber bereits am 28.7.2020. Im Rahmen der Bescheinigungstagsatzung wurde NN zu den Vorgängen rund um die Zustellung der Klage samt Sicherungsantrag einvernommen. Aus ihrer Einvernahme ergibt sich kein Hinweis darauf, dass das Herunterladen der Poststücke auch bei einem Einstieg in das Portal mit ihrer Handy-Signatur nicht möglich gewesen wäre. Der Beklagten ist der Gegenbeweis daher nicht gelungen. Die Feststellung, dass NN über keine Bürgerkarte, aber über einen Zugang ins USP-Portal mittels Handysignatur verfügt, ergibt sich aus ihrer eidesstattlichen Erklärung (./1).
1.4. Nach § 35 Abs 1 ZustG hat der im Auftrag der Behörde tätige Zustelldienst im Fall einer Zustellung mit Zustellnachweis oder einer nachweislichen Zusendung beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 34 Abs 1 erster Satz ZustG die Daten gemäß § 29 Abs 1 Z 6 ZuStG an das Anzeigemodul zu übermitteln. Das Anzeigemodul hat den Empfänger unverzüglich davon zu verständigen, dass ein Dokument für ihn zur Abholung bereitliegt. Diese elektronische Verständigung ist an die dem Teilnehmerverzeichnis gemäß § 28b Abs 1 Z 4 ZustG bekanntgegebene elektronische Adresse des Empfängers zu versenden.
Nach § 35 Abs 3 ZustG kann die Abholung des bereitgehaltenen Dokuments ausschließlich über das Anzeigemodul erfolgen. Der Zustelldienst hat sicherzustellen, dass zur Abholung bereitgehaltene Dokumente nur von Personen abgeholt werden können, die zur Abholung berechtigt sind und im Falle einer Zustellung mit Zustellnachweis oder einer nachweislichen Zusendung ihre Identität und die Authentizität der Kommunikation mit der Bürgerkarte (§ 2 Z 10 E-GovG) nachgewiesen haben. Zur Abholung berechtigt sind der Empfänger und, soweit dies von der Behörde nicht ausgeschlossen worden ist, eine zur Empfangnahme bevollmächtigte Person. Identifikation und Authentifizierung können auch durch eine an die Verwendung sicherer Technik gebundene Schnittstelle erfolgen. Der Zustelldienst hat alle Daten über die Verständigungen und die Abholung des Dokuments zu protokollieren und dem Absender unverzüglich zu übermitteln; die Gesamtheit dieser Daten bildet den Zustellnachweis.
Nach § 35 Abs 6 ZustG gilt die Zustellung als am ersten Werktag nach der Versendung der ersten elektronischen Verständigung bewirkt, wobei Samstage nicht als Werktage gelten. Sie gilt als nicht bewirkt, wenn sich ergibt, dass die elektronischen Verständigungen nicht beim Empfänger eingelangt waren, doch wird sie mit dem dem Einlangen einer elektronischen Verständigung folgenden Tag innerhalb der Abholfrist (Abs 1 Z 3) wirksam.
1.5. Im vorliegenden Fall behauptet die Beklagte, ihre Postbevollmächtigte habe durch Anmeldung mit der USP-Kennung (Teilnehmeridentifikation, Benutzeridifikation und PIN) versucht, die Zustellung des Antrags auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung abzuholen. Nach den gesetzlichen Bestimmungen ist eine Abholung aber nur mit Bürgerkarte oder Handy-Signatur möglich. Nach dem bescheinigten Sachverhalt wurde die Postsendung der Beklagten am 28.7.2020 zugestellt; das bestätigt auch die Beklagten im Rekurs. Nach ihrem Rekursvorbringen hat die Postbevollmächtigte die Verständigungen am 27.7.2020 erhalten, sodass die Zustellung am 28.7.2020 wirksam erfolgte. Nach dem Behauptungen im Rekurs stieg die Postbevollmächtigte mit ihren Finanz-Online-Daten in das USP-Portal ein. Die Postbevollmächtigte der Beklagten konnte schon aufgrund der gesetzlichen Vorgaben das Poststück nicht vorfinden, weil der Zustelldienst den Zugriff auf das zuzustellende Dokument erst nach dem Einlangen des eindeutigen Nachweises des Zugriffs des berechtigten Empfängers durch dessen elektronische Signatur zu ermöglichen hat ( Sander in Frauenberger-Pfeiler/Raschauer/Sander/Wessely (Hrsg), Österreichisches Zustellrecht 2 (2011) zu § 35 ZustG Rz 9). Die Postbevollmächtigte hätte die Postsendung nur durch den Einstieg ins Portal mit ihrer Handysignatur abrufen können.
Die Frage der Gesetzmäßigkeit einer Zustellung wird auf Grund der dem öffentlichen Recht zuzuordnenden Zustellvorschriften beantwortet (3 Ob 1088/92). Die diesbezügliche Unkenntnis der Postbevollmächtigten über die Möglichkeiten zum Herunterladen des vorliegenden Sicherungsantrags ist allein der Sphäre der Beklagten zuzuordnen und für die Frage der Gesetzmäßigkeit der Zustellung ohne Belang.
Soweit sich die Beklagte noch darauf beruft, dass auch eine Abholung durch die Postbevollmächtigte mittels Bürgerkarte nicht möglich gewesen wäre, ist darauf zu verweisen, dass ausgehend vom bescheinigten Sachverhalt die Postbevollmächtigte über keine Bürgerkarte verfügt.
Das Berufungsgericht kann weder einen Verstoß gegen § 88 ff ZustG (gemeint wohl § 88 ff ZPO) noch eine Verletzung des Gebots der Waffengleichheit und der Grundsätze eines fairen Verfahrens iSd Art 6 EMRK im vorliegenden Zustellvorgang erblicken. Weshalb Zustellbenachrichtigungen durch E Mails, die der Zustelldienst versendet, das Recht auf ein faires Verfahren verletzen sollten, erschließt sich dem Berufungsgericht genausowenig wie der Einwand der Beklagten, dass im Exekutionsverfahren die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unzulässig ist.
Die behauptete Nichtigkeit des Verfahrens liegt nicht vor .
2. Zur Rechtsrüge:
2.1. Die Beklagte rügt als Mangelhaftigkeit des Verfahrens, dass das Erstgericht jene Nichtigkeitsgründe als Vorfrage prüfen hätte müssen, die sich aus dem Vorbringen der Klägerinnen und den von diesen vorgelegten Bescheinigungsmitteln ergeben hätten.
Damit macht die Berufung keine Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend. Soweit sich die Kritik der Beklagten auf das Antragsvorbringen bezieht, macht sie damit eine Unschlüssigkeit des Antrags geltend. Die Bestimmtheit und Schlüssigkeit eines Tatsachenvorbringens (§§ 226 Abs 1, 236 Abs 1, 182 ZPO) ist eine Frage der rechtlichen Beurteilung (RS0037532) und daher mit der Rechtsrüge zu behandeln.
Soweit die Beklagte meint, dass sich die Nichtigkeitsgründe aus den von der Klägerin vorgelegten Urkunden ergeben würden, bekämpft sie den Rechtsbestand des Klagspatents mit dem Argument, dass aus den von den Klägerinnen vorgelegten Urkunden bereits die Schutzfähigkeit des Patents widerlegt werde. Sie begehrt dazu die in Punkt 3.1. des Rekurses ersichtlichen Feststellungen. Ob entscheidungswesentliche Feststellungen fehlen, ist aber ebenfalls eine Frage, die der Rechtsrüge zuzuordnen ist.
2.2. Die von den Klägerinnen im Antrag unter Punkt 10. vorsorglich gemachten Ausführungen gegen allfällige Argumente der Beklagten im Zusammenhang mit der Rechtsbeständigkeit des Klagspatents ergeben sich aus dem Vortrag der Einsprechenden in dem beim Europäischen Patentamt anhängigen Einspruchsverfahren und dem niederländischen Verletzungsverfahren. Im Lichte der in jenen Verfahren gemachten Einwendungen hinsichtlich der Überschreitung der ursprünglichen Offenbarung, des Fehlens der Ausführbarkeit, der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit argumentieren die Klägerinnen (vor allem auf Basis eines Gutachtens von PA [...]), dass die Einwände gegen die Rechtsbeständigkeit des Klagspatents unzutreffend seien und das Klagspatent rechtsbeständig sei. Eine Unschlüssigkeit des Antrags liegt daher nicht vor.
Die Vorfrage der Gültigkeit oder Wirksamkeit eines Patents kann auch im Provisorialverfahren geprüft werden, wenn in dieser Richtung eine Gegenbescheinigung angeboten ist, doch kann diese Prüfung nur mit den Mitteln des Provisorialverfahrens und in dessen Grenzen vorgenommen werden (RS0071408). Die Registrierung eines Patents begründet einen – allenfalls durch Gegenbescheinigung zu entkräftenden – prima-facie-Beweis für die Rechtsbeständigkeit (RS0071369). Im Provisorialverfahren ist die Rechtsbeständigkeit des Patents damit eine (widerlegbare) Vermutung (RS0103412).
Dem Argument der Beklagten, dass die Klägerinnen die Rechtsbeständigkeit des Patents durch die von ihr vorgelegten Urkunden selbst widerlegt hätten, kann nicht beigepflichtet werden. Soweit die Beklagte vorbringt, dass das Patent weder neu noch erfinderisch sei und das Erstgericht – auch ohne entsprechende Einwendungen – die Neuheit und die erfinderische Tätigkeit anhand der vorgelegten Urkunden prüfen hätte müssen, wird auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 17 Ob 12/09b verwiesen. In jenem Verfahren brachten die Beklagten – abgesehen von Hinweisen auf anhängige Einsprüche – nur vor, dem Klagspatent und dem Klagsgebrauchsmuster fehle die Neuheit und die erfinderischen Tätigkeit. Der OGH wertete dieses Vorbringen als bloße Rechtsfolgenbehauptung, die das Gericht nicht verpflichtet, ein Bescheinigungsverfahren zur Frage der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit einzuleiten. Gleiches muss für den hier vorliegenden Fall gelten, wenn gar kein Bestreitungsvorbringen erstattet wurde.
Soweit die Beklagte mit weiteren Vorbringen die Rechtsbeständigkeit des Klagspatents angreift, verstößt sie gegen das im Rekursverfahren herrschende Neuerungsverbot.
2.3. Die Beklagte beruft sich noch darauf, dass die Unterlassungsverpflichtung überschießend sei, weil es keine Begehungsgefahr hinsichtlich der in Punkt 1.2. der angefochtenen Entscheidung aufgezählten Aromataseinhibitoren gebe.
Die Fassung des Unterlassungsgebots hat in erster Linie auf jenes Verwertungsrecht abzustellen, das durch die konkrete Verletzungshandlung berührt wird (RS0037645).
Allerdings ist bei Unterlassungsansprüchen eine gewisse allgemeine Fassung des Begehrens in Verbindung mit Einzelverboten meist schon deshalb erforderlich, um die Umgehung des Verbots nicht allzu leicht zu machen. Ein Unterlassungsgebot umfasst nämlich auch gleichartige oder ähnliche Handlungsweisen. Auch ist es praktisch unmöglich, alle nur denkbaren Eingriffshandlungen zu beschreiben (RS0000845). Deshalb ist es zulässig, dem Verletzer nicht nur eine konkret beschriebene Handlung zu verbieten, sondern auch ähnliche.
Voraussetzung für die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs ist eine Unterlassungspflicht und die Gefahr, dass dieser Unterlassungspflicht zuwidergehandelt wird (RS0037660, RS0012064). Bei der Gefahr des Zuwiderhandelns ist zu unterscheiden, ob der zu einer bestimmten Unterlassung Verpflichtete bereits einmal zuwidergehandelt hat oder ob er sich bisher rechtmäßig verhalten hat. Im ersten Fall wird vermutet, dass er wieder zuwiderhandeln werde (Wiederholungsgefahr). Es ist daher Sache des Beklagten, Umstände zu behaupten und zu beweisen, die die Gefahr der Wiederholung seiner Handlung als völlig ausgeschlossen oder doch als äußerst unwahrscheinlich erscheinen lassen (RS0037661, RS0080065, RS0079652). Entscheidend für das Vorliegen der Wiederholungsgefahr ist, dass ein fortdauernder Zustand dem Kläger keine Sicherheit vor weiteren Eingriffen in sein Eigentum bietet (RS0010497 [T3]).
Im vorliegenden Fall umfasst die Unterlassungsverpflichtung auch die in Anspruch 2 aufgezählten Aromataseinhibitoren. Den Unterlassungsanspruch nur auf Exemestan einzuschränken wäre zu eng gefasst, weil dadurch die Gefahr der Wiederholung nicht völlig ausgeschlossen wäre. Bei der Prüfung der Wiederholungsgefahr darf nicht engherzig vorgegangen werden. Diese liegt schon im Fortbestehen eines Zustandes, der keine Sicherungen gegen weitere Rechtsverletzungen bietet. Wiederholungsgefahr ist daher auch anzunehmen, wenn der mit der Unterlassungsklage Belangte sein Unrecht nicht einsieht (RS0010497). Die Begehungsgefahr ist im vorliegenden Fall nicht zweifelhaft, beharrt doch die Beklagte selbst im Rekursverfahren noch darauf, das Streitpatent nicht verletzt zu haben .
2.4. Letztlich stellt die Beklagte noch das auch im exekutionsrechtlichen Rekursverfahren geltende Neuerungsverbot mit dem Argument in Frage, dass ihr keine Gelegenheit zur Stellungnahme geboten worden sei.
Im vorliegenden Fall wurde der Antrag (ON 1) samt Aufforderung zur Äußerung der Beklagten wirksam zugestellt. Dass die Beklagte durch ihre Unwissenheit im Umgang mit elektronischen Zustellungen davon keine Kenntnis erlangte, ist ihrer Sphäre zuzurechnen und hindert nicht die Wirksamkeit der Zustellung. Das rechtliche Gehör der Beklagten wurde daher nicht verletzt.
Soweit die Beklagte sich auf eine planwidrige Lücke beruft, die durch Gesetzesanalogie zum Widerspruch zu schließen sei, ist ihr zu entgegnen:
Bei der Gesetzesanalogie (Gesetzeseinzelanalogie) ist zu prüfen, ob nach der im Gesetz zum Ausdruck kommenden Wertung angenommen werden muss, dass der geregelte und der ungeregelte Fall in den maßgeblichen Voraussetzungen des Tatbestands übereinstimmen, sodass die vom Gesetzgeber an den geregelten Tatbestand geknüpfte Rechtsfolge auch beim ungeregelten Tatbestand eintreten soll.
Gegen die Bewilligung einer einstweiligen Verfügung können der Gegner der gefährdeten Partei und der Drittschuldner Widerspruch nach § 397 Abs 1 EO erheben, wenn sie nicht bereits vor der Beschlussfassung einvernommen wurden und somit keine Möglichkeit zur Äußerung hatten. Im vorliegenden Fall hatte die Beklagte hingegen die Möglichkeit, sich zu äußern, denn der Antrag samt Aufforderung zur Äußerung wurde ihr zugestellt. Eine analoge Anwendung des § 397 Abs 1 ABGB für den Fall, dass die Beklagte die Möglichkeit, sich zu äußern versäumte, kommt nicht in Betracht, weil keine planwidrige Lücke vorliegt .
III. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 393 Abs 1 EO sowie auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm §§ 43 Abs 2 erster Fall, 50 Abs 1 ZPO.
Ob die verzeichneten Kosten für die Beiziehung eines Patentanwalts zuzusprechen sind, hängt davon ab, ob seine Fachkenntnisse für die jeweils verzeichnete Leistung erforderlich und damit zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren (17 Ob 19/08f). Dabei kommt es auf eine ex ante- Betrachtung an und nicht darauf, welche Rechtsfragen das Rechtmittelgericht ex post betrachtet beantwortet hat. Die Beiziehung eines Patentanwalts kann auch nicht generell nur dann als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendig angesehen werden, wenn ausschließlich technische Fragestellungen zu klären waren, denn oft sind Fragen des materiellen Patentrechts nicht präzise von technischen Fragen zu trennen. Die zentrale (Rechts )Frage, die die Klägerin im Rekurs aufwarf, ob die Beklagte ausgehend vom bescheinigten Sachverhalt eine unmittelbare Patentrechtsverletzung durch „sinnfälliges Herrichten“ begangen habe, erfordert zwar keine technische Expertise im Sinne des betroffenen Fachbereichs (hier: Pharmazie und Medizin), ist jedoch patentrechtlich komplex (vgl hiezu den Vortrag in Punkt 4 der Rekursbeantwortung). Ob das Rechtmittelgericht den Argumenten des Rechtsmittelwerbers inhaltlich folgt oder sie im Ergebnis für entscheidungswesentlich hält, ist für die Frage des Kostenersatzes grundsätzlich nicht entscheidend.
Der Zuschlag steht somit im vorliegenden Fall zu.
IV. Der Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstands stützt sich auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 500 Abs 2 Z 1 lit b ZPO.
V. Der ordentliche Revisionsrekurs war hinsichtlich der Entscheidung des Rekursgerichts über den Rekurs der Klägerin im Zusammenhang mit der Frage der unmittelbaren Patentrechtsverletzung durch „sinnfälliges Herrichten“ zuzulassen, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dazu fehlt.
Hinsichtlich jener Rechtsfragen, die die Entscheidung über den Rekurs der Beklagten betreffen, war der ordentliche Revisionsrekurs nicht zuzulassen. Hier waren keine Rechtsfragen der in § 528 Abs 1 ZPO genannten Qualität und von über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung zu lösen.
Das Rekursgericht hält sich an die zitierte Rechtsprechung. Ob eine Sicherungsmaßnahme zumutbar und erforderlich ist, hängt zudem immer von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0078150).
[Ein gegen diese Entscheidung eingebrachter Revisionsrekurs wurde zurückgezogen.]