1R160/20m – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Dr. Jesionek als Vorsitzende sowie die Richterin und den Richter des Oberlandesgerichts Mag. Istjan, LL.M. und Dr. Thunhart in der Rechtssache der klagenden Partei K***** S***** , *****, vertreten durch Mag. Simon P. Weikinger, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei R***** AG , *****, vertreten durch Fellner Wratzfeld Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, und die Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei C***** GmbH ***** , vertreten durch Wess Kux Kispert Eckert Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen EUR 346.873,32 samt Anhang und Feststellung (Streitwert EUR 20.000,--) über den Rekurs der klagenden Partei (Rekursinteresse EUR 17.771,82) gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 14.10.2020, 14 Cg 26/13b-49 , den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der Nebenintervenientin binnen vierzehn Tagen die mit EUR 837,72 (hierin USt EUR 139,62) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens zu ersetzen.
Der weitere Rekurs ist jedenfalls unzulässig.
Text
Begründung:
Mit dem angefochtenen Beschluss verhielt das Erstgericht den Kläger zu einem weiteren Kostenersatz von EUR 17.771,82 an die Nebenintervenientin. Es handelt sich dabei um die Pauschalgebühr für die Berufung der Nebenintervenientin gegen das Urteil des Erstgerichts vom 29.9.2015 (ON 31) zuzüglich der Einhebungsgebühr (EUR 17.551,--) und der Kosten des Kostenbestimmungsantrags von EUR 260,82.
Am 27.10.2015 hatte die Beklagte Berufung gegen dieses Urteil (ON 32) erhoben und darin die entrichtete Pauschalgebühr von EUR 17.502,50 verzeichnet. Am 28.10.2015 erhob auch die Nebenintervenientin eine Berufung gegen dieses Urteil (ON 33) und nahm in ihr Kostenverzeichnis keine Pauschalgebühr auf. Gegen das Urteil des Berufungsgerichts vom 28.4.2016 (ON 36) richtete sich nicht nur die Revision des Klägers, sondern auch jene der Beklagten vom 22.6.2016 (ON 39) und jene der Nebenintervenientin vom 24.6.2016 (ON 40). Beide nahmen in ihr Kostenverzeichnis je die Pauschalgebühr von EUR 14.532,-- auf.
Der OGH bestätigte mit Teilurteil vom 18.5.2017 die Entscheidung des Berufungsgerichts zum Teil, änderte sie zum Teil ab und hob sie zu einem weiteren Teil auf. Mit Urteil des Berufungsgerichts vom 24.8.2017 (ON 46) wurde das Klagebegehren schließlich zur Gänze abgewiesen und der Kläger zum Ersatz der Kosten aller drei Instanzen an die Beklagte und die Nebenintervenientin einschließlich der von ihnen verzeichneten Pauschalgebühren verurteilt.
Mit Zahlungsauftrag (Mandatsbescheid) vom 11.8.2020 schrieb die Präsidentin des Handelsgerichts Wien der Nebenintervenientin Pauschalgebühr für die Berufung ON 33 in Höhe von EUR 17.503,-- zuzüglich einer Einhebungsgebühr nach § 6a Abs 1 GEG von EUR 8,--, insgesamt daher EUR 17.511,-- unter Hinweis auf die Entscheidung des VwGH zu Ra 2019/16/0103 vom 6.6.2019 vor.
Mit Schriftsatz vom 1.9.2020 beantragte die Nebenintervenientin, dem Kläger den Ersatz dieser der Nebenintervenientin nachträglich entstandenen Kosten gemäß § 54 Abs 2 ZPO aufzuerlegen. Die Nebenintervenientin führte dazu aus, dass nach der damaligen ständigen Rechtsprechung des OGH die Pauschalgebühr für die Berufung nur einmal zu entrichten gewesen sei, wenn die Hauptpartei und der Nebenintervenient ein hinsichtlich des Anfechtungsumfangs deckungsgleiches Rechtsmittel erhoben. Bei Erhebung der Berufung sei daher nicht davon auszugehen gewesen, dass eine Pauschalgebühr anfallen würde, weshalb auch keine Pauschalgebühr verzeichnet worden sei. Erst mit dem Erkenntnis des VwGH vom 6.6.2019 Ra 2019/16/0103 habe der VwGH seine Judikaturlinie geändert und erkannt, dass der Nebenintervenient die Pauschalgebühr für ein von ihm erhobenes Rechtsmittel unabhängig davon zu entrichten habe, ob auch die Hauptpartei ein Rechtsmittel erhoben habe.
Der Kläger sprach sich gegen die nachträgliche Bestimmung dieser Kosten aus, weil die Nebenintervenientin die Pauschalgebühr für ihre Berufung schon in ihr Kostenverzeichnis hätte aufnehmen können. Es sei keineswegs gängige Gerichtspraxis gewesen, derart verzeichnete Pauschalgebührenbeträge nicht einzuziehen; mit einer Judikaturänderung müsse stets gerechnet werden; eine solche sei einer nachträglichen Änderung der Rechtslage nicht gleichwertig.
Mit dem angefochtenen Beschluss schloss sich das Erstgericht der Argumentation der Nebenintervenientin an und verpflichtete den Kläger zum Ersatz der Pauschalgebühr und der mit EUR 260,82 bestimmten Kosten des Kostenbestimmungsantrags unter Bezugnahme auf die Entscheidung des OLG Linz 1 R 180/17x.
Dagegen wendet sich der Rekurs des Klägers mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Abweisung des Kostenbestimmungsantrags.
Die Nebenintervenientin beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
Der VwGH vertrat in seinem Erkenntnis vom 20.4.1989, 88/16/0215 unter Bezugnahme auf Arnold , Das neue Gerichtsgebührengesetz, AnwBl 1/1985, 3 ff, insb 10, die Auffassung, dass die nochmalige Entrichtung der Pauschalgebühr für das Berufungsverfahren für eine zusätzliche Berufungsschrift des auf der Seite des das Berufungsverfahren bereits eingeleitet habenden Rechtsmittelwerbers beigetretenen Nebenintervenienten vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt gewesen sei. Dieses Verständnis bekräftigte er im Erkenntnis vom 26.2.2015, 2013/16/0233, in welchem er obiter ausführte, dass eine zusätzliche Rechtsmittelschrift des auf der Seite des das Rechtsmittelverfahren bereits eingeleitet habenden (anderen) Rechtsmittelwerbers beigetretenen Nebenintervenienten nicht geeignet wäre, die Pauschalgebühr nochmalig auszulösen. Dementsprechend judizierte auch der OGH, zuletzt 7 Ob 175/13f, dass die Pauschalgebühr (bei identem Streitgegenstand) nur einmal zu entrichten ist, wenn die Partei und der auf ihrer Seite beigetretene Nebenintervenient Berufung erheben (RIS-Justiz RS0111757).
Mit Erkenntnis vom 22.12.2016, Ra 2016/16/0095, revidierte der VwGH seinen Standpunkt unter Bezugnahme auf die mittlerweile erfolgte Einführung des § 19a GGG: Die Lagerung von Rechtsmittelinteressen von Partei und Nebenintervenient und der Zeitpunkt der Einbringung der Rechtsmittel würden dem maßgeblichen Grundsatz der Anknüpfung an formale äußere Tatbestände nicht gerecht, um eine möglichst einfache Handhabung des Gerichtsgebührengesetzes zu gewährleisten, weil die rechtlichen Interessen von Partei und Nebenintervenient durchaus auch divergieren und Rechtsmittel auch gleichzeitig eingebracht werden könnten. Die sachliche Rechtfertigung für eine höhere Gebühr liege in einem höheren Aufwand in Verfahren, die Ansprüche zum Gegenstand hätten, die mehr als zwei Personen beträfen. Im Falle der Einbringung weiterer Berufungen durch Nebenintervenienten sei nicht die (für den Kostenbeamten zumeist nicht erkennbare) Identität oder Kongruenz von Interesse, sondern es sei schon die Mehrzahl von Berufungen entscheidend, nach dem jede einzelne Berufung ihrer gesonderten Behandlung bedürfe, weshalb auch die Berufung von Nebenintervenienten eine Gebührenpflicht nach § 7 Abs 1 Z 1, § 19a iVm TP 2 GGG auslöse. Während diesem Erkenntnis (gesonderte) Berufungen mehrerer Nebenintervenienten ohne Berufung der Hauptpartei zugrunde lagen, bestätigte der VwGH dieses Abgehen von seiner früheren Rechtsprechung mit Erkenntnis vom 6.6.2019 Ra 2019/16/0103 dahin, dass jeden Rechtsmittelwerber ohne Differenzierung zwischen Haupt- und Nebenpartei die Pflicht zur Entrichtung der vollen Pauschalgebühr nach TP 2 GGG trifft.
Nach § 54 Abs 1 ZPO hat die Partei, welche Kostenersatz anspricht, das Kostenverzeichnis bei sonstigem Verlust des Ersatzanspruchs, wenn die Beschlussfassung ohne vorgängige Verhandlung erfolgen soll, gleichzeitig mit dem der Beschlussfassung zu unterziehenden Antrag dem Gericht zu übergeben. Deshalb muss in den Rechtsmittelschriften auch die Kostenaufstellung für die im Rechtsmittelverfahren angesprochenen Kosten enthalten oder gesondert beigegeben sein ( M. Bydlinski in Fasching/Konecny 3 II/1 § 54 ZPO Rz 8; vgl auch RS0036034).
Entstehen einer Partei nach dem Zeitpunkt, bis zu dem nach § 54 Abs 1 ZPO das Kostenverzeichnis einzureichen ist, weitere Kosten, deren Ersatz sie von dem anderen Teil verlangen kann, so kann sie eine Ergänzung der Entscheidung über die Höhe der zu ersetzenden Kosten beantragen. Bestehen die Kosten in einer Zahlungspflicht, so gelten sie als mit deren Begründung entstanden. Der Antrag auf Ergänzung der Kostenentscheidung ist binnen einer Notfrist von vier Wochen ab dem Entstehen der Kosten zu stellen (§ 54 Abs 2 ZPO).
§ 54 Abs 2 ZPO ist nicht anwendbar, wenn Eingabegebühren, die richtigerweise schon vor der Überreichung des Schriftsatzes zu entrichten gewesen wären, erst nachträglich aufgrund einer Zahlungsaufforderung gezahlt worden sind (RS0036052). Hat die Partei rechtsirrtümlich Barauslagen (Gebühren), die sie schuldet, aber noch nicht geleistet hat, in der Frist des § 54 ZPO mit einem zu niedrigen Betrag verzeichnet, so ist ihr nach dieser Frist geleistetes Begehren um Zuspruch des Fehlbetrags dem Gegner gegenüber verspätet (RS0036045 [3 Ob 958/32 = SZ 16/22]).
Obermaier (Kostenhandbuch 3 Rz 1114, 1377) will das durch die dargestellte Judikaturwende des VwGH ausgelöste Dilemma dennoch durch Qualifikation dieser Pauschalgebühr als nachträglich entstandene Kosten in sinngemäßer Anwendung des § 54 Abs 2 ZPO lösen und einen Zuspruch ermöglichen, wenn der Kostenbestimmungsantrag binnen vier Wochen ab Einleitung des Gebühreneinhebungsvorgangs gestellt wird.
In diesem Sinne führte auch das OLG Linz (1 R 180/17x) aus, dass es sich in einem solchen Falle um eine Judikaturwende und nicht um einen Gesetzesänderung handle. Die Zahlungspflicht sei gemäß § 2 Z 1 lit c GGG bereits mit der Überreichung der Berufungsschrift begründet worden und damit entstanden, sodass es sich nicht um nachträglich entstandene Kosten handle. Die hier zu beurteilende Konstellation sei aber einer nachträglichen rückwirkenden Änderung der Rechtslage – im Sinne einer nachträglich rückwirkend gesetzlich eingeführten Gebührenpflicht – gleichwertig, weshalb § 54 Abs 2 ZPO sinngemäß Anwendung finden könne.
Dem vermag der Kläger letztlich nur entgegenzuhalten, dass mit einer Änderung der VwGH-Judikatur zu Gerichtsgebühren stets hätte gerechnet werden müssen, dies einer Gesetzesänderung nicht gleichgehalten werden könne, keine planwidrige Lücke vorliege und daher die analoge Anwendung von § 54 Abs 2 ZPO unzulässig sei.
Richtig ist, dass die Gebühr nach § 2 Z 1 lit c GGG mit der Überreichung der Rechtsmittelschrift entstanden ist, weshalb es sich nicht um nachträgliche Kosten iSd § 54 Abs 2 ZPO handelt. Im Zeitpunkt der Erhebung ihrer Berufung musste und konnte die Nebenintervenientin angesichts der zitierten Judikatur des VwGH und des OGH aber nicht damit rechnen, dass ihr noch eine Pauschalgebühr vorgeschrieben werde. Entgegen der Auffassung des Klägers musste die Nebenintervenientin auch nicht damit rechnen, dass sich die VwGH-Rechtsprechung in dieser Frage grundlegend ändern würde. Es wäre zudem als überaus problematisch anzusehen, wenn eine Partei den Ersatz von Barauslagen ansprechen würde, obwohl sie weiß, dass ihr diese nicht entstanden und nach der Rechtsprechung des in der Gebührenfrage maßgeblichen Höchstgerichts auch nicht vorzuschreiben sind. Aus dem Umstand, dass die Nebenintervenientin die Pauschalgebühr nicht in ihr Kostenverzeichnis aufgenommen hat, kann ihr daher kein Vorwurf gemacht werden.
Das Rekursgericht erachtet somit die analoge Anwendung von § 54 Abs 2 ZPO auf den Fall der nachträglichen Vorschreibung einer zuvor nicht absehbaren Gerichtsgebühr iS von Obermaier und der genannten E des OLG Linz 1 R 180/17x für legitim.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.
Die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses ist in § 528 Abs 2 Z 3 ZPO gegründet.