JudikaturOLG Wien

32Bs54/20f – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
14. Mai 2020

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien als Vollzugssenat nach § 16a StVG hat durch den Senatspräsidenten Dr. Dostal als Vorsitzenden sowie die Richterin Dr. Vetter und den fac h kundigen Laienrichter Oberst Mörwald als weitere Senat s mitglieder in der Vollzugssache des L***** K***** über die Amtsbeschwerde der Bundesministerin für Justiz gegen den Beschluss des Landesgerichts ***** als Vollzug s gericht vom *****, *****, nach § 121b Abs 2 StVG in nichtöffentlicher Sitzung den

B e s c h l u s s

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerl i chen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

B e g r ü n d u n g

Mit dem bekämpften Beschluss wies das Vollzugsg e richt eine Beschwerde des L***** K***** gegen die Erl e digung GZ ***** vom ***** durch die Justizanstalt ***** als unzulässig zurück.

Begründend wurde ausgeführt, dass mit der angefoc h tenen Erledigung der Antrag des L***** K***** auf Vol l zug von Freiheitsstrafen im elektronisch überwachten Hausarrest (im weiteren: eüH) abgewiesen worden sei, da die zeitlichen Voraussetzungen nicht vorlägen. Die Beschwerde sei nicht zulässig, weil keine Bescheidausfe r tigung vorliege. Eine Ausfertigung eines Bescheides habe unter anderem den leserlichen Namen des Genehmigenden zu enthalten. Sie sei weiters von diesem einhändig (gemeint wohl: eigenhändig) zu unterzeichnen, durch die Kanzlei zu beglaubigen oder mit einer Amtssignatur nach § 19 E-GovG zu versehen. Der Namen des Genehmigenden sei auf der dem Beschwerdeführer zugegangenen Ausfertigung nicht zu erkennen, weil dessen Unterschrift nicht leserlich sei und andererseits der beigefügte leserliche (maschinenschriftliche) Name der Anstaltsleiterin nicht der des Genehmigenden sei. Die Unterschrift sei offenkundig nicht die der Anstaltsleiterin (arg: „iV“). Da es sich bei di e ser Erledigung nicht um einen Bescheid handle sei dagegen auch kein Rechtsmittel zulässig.

Dagegen richtet sich die rechtzeitige Amtsbeschwerde der Bundesministerin für Justiz (ON 7), die moniert, dass die Regelung des § 17 Abs 2 StVG das jeweilige Vollzug s gericht und das Oberlandesgericht Wien im Beschwerdeve r fahren nach § 121 StVG, nicht jedoch die Vollzugsbehörde erster Instanz im Zusammenhang mit dem Vollzug der Fre i heitsstrafe in Form des eüH betreffe. § 22 Abs 3 StVG besage, dass alle im Strafvollzug außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens ergehenden Anordnungen und En t scheidungen, soweit das StVG nichts anderes bestimme, ohne förmliches Verfahren (dh ohne Anwendung der §§ 37 ff AVG) und ohne Erlassung eines Bescheides zu treffen seien. Soweit es nötig erscheine, sei jedoch der wesen t liche Inhalt der Anordnung oder Entscheidung im Persona l akt des Strafgefangenen festzuhalten. Für die Entsche i dung über den Vollzug der Freiheitsstrafe in Form des eüH sei in §§ 156b ff StVG auch nichts besonderes bestimmt.

Ein Bescheid im Sinne des § 58 AVG sei von der Vollzugsbehörde erster Instanz nach § 22 Abs 3 StVG somit lediglich in den Fällen des § 116 StVG und jenen des § 121 StVG zu erlassen. Nur in diesen Fällen gelte § 18 Abs 4 AVG auch für den Anstaltsleiter. Die Entscheidung über den Vollzug der Freiheitsstrafe mittels eüH erfolge damit im Sinne des § 22 Abs 3 StVG formlos. Gemäß § 120 Abs 1 StVG könnten sich Strafgefangene gegen jede ihrer Rechte betreffende Entscheidung oder Anordnung oder über jedes ihrer Rechte betreffende Verhalten der Strafvol l zugsbediensteten beschweren. Richte sich eine Beschwerde gegen eine Entscheidung oder Anordnung des Anstaltsle i ters und helfe er der Beschwerde nicht selbst ab, so habe darüber das Vollzugsgericht zu entscheiden. Die Entsche i dungspflicht der Gerichte setze sohin den Bestand eines Bescheids im Sinne des § 58 AVG nicht voraus. Vielmehr komme es lediglich darauf an, ob es sich um eine En t scheidung handle, die fallkonkret der Anstaltsleiterin der Justizanstalt ***** zuzurechnen sei. Gegebene n falls, ob diese Entscheidung subjektiv-öffentliche Rechte des Insassen betreffe und innerhalb der Beschwerdefrist nach § 120 Abs 1 StVG eingebracht worden sei.

Zwar sei eine Bescheiderlassung im Zusammenhang mit Entscheidungen über den Vollzug der Freiheitsstrafe in Form des eüH im Durchführungserlass BMJ-GD43401/0013- II3/2016 bei front-door-Antragstellungen vorgegeben, bei diesem Erlass handle es sich aber um eine interne Verwa l tungsanordnung, die nur nachgeordnete Verwaltungsorgane, nicht jedoch die Rechtsprechung präjudiziere und auch keine gesetzesgleiche Wirkung entfalten könne. Vielmehr setzte der Erlass behördenintern angestrebte Qualität s standards der Entscheidung fest, aber keine zwingenden Formerfordernisse.

Fallkonkret hätte das Landesgericht ***** die Frage zu klären gehabt, ob es sich bei dem Dokument um eine der Anstaltsleiterin zurechenbare Entscheidung im Sinne des § 22 Abs 3 StVG gehandelt habe oder überhaupt keine Entscheidung im Sinne der §§ 120 Abs 1, 121 Abs 1 iVm § 22 Abs 3 StVG vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 16a Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 StVG entscheidet das Oberlandesgericht Wien für das gesamte Bundesgebiet über Beschwerden gegen einen Beschluss des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 StVG wegen Rechtswidrigkeit, wobei Let z tere nicht vorliegt, soweit das Vollzugsgericht Ermessen im Sinne des Gesetzes geübt hat.

Gemäß § 16a Abs 3 StVG ist gegen den Beschluss des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 StVG eine Beschwerde nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bede u tung zukommt, insbesondere weil das Vollzugsgericht von der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung abweicht, eine solche fehlt oder uneinheitlich ist.

Der Beschwerde kommt Berechtigung zu.

Die Vollzugsbehörde erster Instanz hat primär die verfahrensrechtlichen Bestimmungen des StVG anzuwenden. Solche finden sich etwa in §§ 116, 116a, 120, 121 und 22 Abs 3 StVG. Subsidiär gelten gemäß Art I Abs 2 Z 1 und 2 EGVG das AVG für das behördliche Verfahren und das VstG für das Ordnungsstrafverfahren ( Drexler/Weger StV G 4 § 11 Rz 3).

Wie von der Bundesministerin für Justiz zutreffend aufgezeigt sind gemäß § 22 Abs 3 StVG – als primäre Ve r fahrensbestimmung des StVG zur Anwendung kommend – alle im Strafvollzug außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens ergehenden Anordnungen und Entscheidungen, soweit nichts anderes bestimmt wird, ohne förmliches Verfahren und ohne Erlassung eines Bescheids zu treffen; soweit es nötig scheint, ist jedoch der wesentliche Inhalt der Anordnung oder Entscheidung im Personalakt des Gefangenen festz u halten. Im Verfahren über den eüH ist auch keine Sonde r regelung getroffen, vielmehr verweist § 156b Abs 4 StVG sowohl auf § 22 als auch auf §§ 119 bis 122 StVG, die sinngemäß zu gelten haben.

Auch das Vorbringen der Bundesministerin für Justiz, wonach ein Bescheid im Sinne des § 58 AVG von der Vol l zugsbehörde erster Instanz lediglich in den Fällen des § 116 StVG und jenen des § 121 StVG zu erlassen ist, ist zutreffend. Somit werden Ordnungsstrafsachen - abgesehen vom abgekürzten Verfahren nach § 116a StVG - mit Bescheid entschieden. Weiters wird in Fällen, in denen sich der Strafgefangene durch eine Entscheidung in einem su b jektiv-öffentlichen Recht verletzt behauptet, ein forme l les, mit Bescheid zu erledigenden Beschwerdeverfahren nach §§ 120 f durchgeführt ( Drexler/Weger StV G 4 § 22 Rz 5; Pieber in WK² § 16 Rz 11/3).

Die Schlussfolgerung der Bundesministerin für Ju s tiz, wonach die Entscheidungspflicht der Gerichte den Bestand eines Bescheids im Sinne des § 58 AVG nicht vo r aussetze, ist daher berechtigt.

Ausschlaggebend ist vielmehr, ob eine (der Anstalt s leiterin zurechenbare) Entscheidung im Sinne des § 22 Abs 3 StVG vorliegt.

Entscheidungen sind inhaltliche Erledigungen von Ansuchen oder Beschwerden sowie Ordnungsstraferkenntnisse ( Pieber in W K 2 § 16 Rz 11/3). Entscheidungen sind gemäß § 22 Abs 3 StVG – wie bereits angesprochen – grundsät z lich ohne förmliches Verfahrens und ohne Erlassung eines Bescheids zu treffen, erforderlichenfalls wird der wesentliche Inhalt der Anordnung oder Entscheidung im Personalakt des Strafgefangenen festgehalten. Formlosen Entscheidungen nach § 22 Abs 3 StVG kommt damit gerade keine Bescheidqualität zu ( Drexler / Weger StVG4 § 22 Rz 4).

Dass in Umsetzung des Erlasses BMJ-GD 43401/0013- II3/2016 in der Praxis förmliche Bescheide auch über front door-Anträge auf elektronisch überwachten Hausa r rest ergehen (vgl Pieber in WK² § 16 Rz 11/4), vermag daran nicht zu ändern. Beim in Rede stehenden Erlass des Bundesministers für Justiz handelt es sich nämlich um eine ausschließlich an unterstellte Verwaltungsorgane adressierte, die allgemeine Rechtslage nicht berührende, sogenannte „Verwaltungsverordnung“, die keine Bindung der Gerichte bewirkt, sondern eine nur für Verwaltungsb e dienstete kraft Weisung verbindliche Interpretation von Gesetzen bedeutet (vgl Raschauer , Allgemeines Verwa l tungsrecht 5 , Rz 741).

Das Vollzugsgericht wird sohin im erneuerten Verfa h ren zunächst zu klären haben, ob eine der Anstaltsleit e rin zurechenbare Entscheidung im Sinne des § 22 Abs 3 StVG vorliegt oder überhaupt keine Entscheidung im Sinne des §§ 120 Abs 1, 121 Abs 1 iVm § 22 Abs 3 StVG getroffen wurde. Eine Beschwerde nach dem StVG setzt nämlich – abgesehen von den angesprochenen Ausnahmen - keinen (wirksam erlassenen) Bescheid voraus ( Drexler / Weger StVG4 § 22 Rz 5). Nur wenn der angefochtenen Erledigung Bescheidcharakter ( Drexler / Weger , aaO mit Verweis auf den VwGH) nicht zukommt, dh eine inhaltliche Erledigung eines Ansuchens nicht vorliegen würde, wäre eine Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen.

Rückverweise