133R139/19t – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht ***** wegen Gewährung des Schutzes der internationalen Wortbildmarke selectiv (IR 1353098) über den Rekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss der Rechtsabteilung des Patentamts vom 10.9.2019, IR 431/2018 4, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt EUR 30.000.
Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.
Begründung
Text
Die Antragstellerin ist Inhaberin der am 22.3.2017 registrierten internationalen Wortbildmarke IR 1353098
für die Waren und Dienstleistungen der Klassen:
11 Apparatus for lighting, heating, steam generating, cooking, refrigerating, drying, ventilating, water supply and sanitary purposes.
20 Furniture, mirrors, picture frames.
35 Advertising; business management; business administration; office functions.
Die Rechtsabteilung des Patentamtes verweigerte am 15.3.2018 vorläufig den Schutz. Mit dem bekämpften Beschluss vom 10.9.2019 wird der Schutz der Marke in Österreich für alle beanspruchten Waren und Dienstleistungen verweigert. Rechtlich ging das Patentamt davon aus, dass dem Zeichen die Unterscheidungskraft fehle. Die beteiligten Verkehrskreise verstünden in diesem Zeichen nur eine werbliche Anpreisung, dass die Dienstleistungen mit Sorgfalt oder durch sorgfältige Auswahl erbracht würden.
Dagegen richtet sich der Rekurs der Antragstellerin, erkennbar aus dem Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung und mit dem Antrag, die Entscheidung der Rechtsabteilung aufzuheben und die Rechtssache mit der Auflage an die erste Instanz zurückzuverweisen, die Registrierung der Markenanmeldung zu veranlassen.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
1.1. Im Fall der Versagung des Schutzes einer internationalen Marke durch das österreichische Patentamt hat der Antragsteller dieselben Rechtsmittel, die er hätte, wäre ein Eintragungsantrag im Schutzverweigerungsland gestellt worden, er kann dagegen also auch mit Rekurs nach § 37 MSchG vorgehen (Asperger/Bartos/Ullrich in Kucsko/Schumacher, marken.schutz 2 § 2 Rz 101).
1.1. Nach § 4 Abs 1 Z 3 MSchG sind Zeichen von der Registrierung ausgeschlossen, die keine Unterscheidungskraft haben.
Ob einer Waren- oder Dienstleistungsbezeichnung Unterscheidungskraft zukommt, ist anhand des Gesamteindrucks des Zeichens zu beurteilen ( Koppensteiner, Markenrecht 4 82; RIS-Justiz RS0079038). Diese Eigenschaft kommt einer Marke zu, wenn sie unmittelbar als Hinweis auf die betriebliche Herkunft der fraglichen Waren oder Dienstleistungen wahrgenommen werden kann und so die Ursprungsidentität garantiert, sodass die maßgeblichen Verkehrskreise die Waren oder Dienstleistungen des Markeninhabers ohne Verwechslungsgefahr von denen anderer betrieblicher Herkunft unterscheiden können (C 108/97, Chiemsee; C 104/00 P, Companyline; C 398/08, Vorsprung durch Technik; C 104/01, Orange, Rn 62; EuG T 471/07, Tame it, Rn 15 mwN; RIS-Justiz RS0118396; zuletzt etwa 4 Ob 10/14w, Jimi Hendrix; 4 Ob 49/14f, My TAXI ) .
1.2. Fehlt die Unterscheidungskraft, so kann das Zeichen die Hauptfunktion der Marke als betrieblicher Herkunftshinweis nicht erfüllen (OBm 1/11, OXI-Effekt mwN; 4 Ob 38/06a, Shopping City mwN; RIS-Justiz RS0118396 [T7]). Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft die Eintragung verhindert, ist ein großzügiger Maßstab anzulegen (OBm 3/12, Lounge.at, unter Hinweis auf BGH I ZB 22/11, Starsat; OBm 1/13, Malzmeister mwN; ähnlich RIS-Justiz RS0122383). Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine Marke im Zweifel zuzulassen ist (vgl C 104/01, Orange, Rn 58 und 59; C 64/02, Das Prinzip der Bequemlichkeit ).
1.3. Ob die Unterscheidungskraft vorliegt, ist anhand der konkret beanspruchten Waren und Dienstleistungen, für die das Zeichen angemeldet wurde, nach objektiven Kriterien unter Berücksichtigung der Branchenüblichkeit zu prüfen ( Asperger in Kucsko/Schumacher, marken.schutz 2 § 4 Rz 57; 4 Ob 10/14w, Jimi Hendrix mwN). Abzustellen ist auf die Wahrnehmung der beteiligten Verkehrskreise, also auf den Handel und/oder den normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher dieser Waren und Dienstleistungen ( Asperger in Kucsko/Schumacher, marken.schutz 2 § 4 Rz 67 mwN der Rsp; Ingerl/Rohnke, MarkenG 3 § 8 Rz 73; C 104/01, Orange, Rn 46 und 63; RIS-Justiz RS0079038 [T1]; RIS Justiz RS0114366 [T5]).
1.4. Die Gründe nach § 4 Abs 1 Z 3 bis 5 MSchG (Art 3 Abs 1 lit b bis d MarkenRL) sind zwar nach der Rsp des EuGH gesondert zu prüfen (C 304/06, Eurohypo ). Unterscheidungskraft fehlt einer Wortmarke aber dann, wenn die maßgebenden Verkehrskreise sie als Information über die Art der mit ihr gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen verstehen, nicht aber als Hinweis auf die Herkunft dieser Waren oder Dienstleistungen (C 304/06 P, Eurohypo, Rn 69); eine beschreibende Marke iSv § 4 Abs 1 Z 4 MSchG und Art 3 Abs 1 lit c MarkenRL ist daher auch nicht unterscheidungskräftig iSv § 4 Abs 1 Z 3 MSchG und Art 3 Abs 1 lit b MarkenRL (C 363/99, Postkantoor, Rn 86). Insofern überschneiden sich daher die Anwendungsbereiche von § 4 Abs 1 Z 3 und Z 4 MSchG (OM 10/09, Lümmeltütenparty; 4 Ob 11/14t, EXPRESSGLASS; 4 Ob 49/14f, My TAXI ).
1.5. Unterscheidungskraft haben bei Wortmarken grundsätzlich nur frei erfundene, keiner Sprache angehörende Phantasiewörter (im engeren Sinn) oder Zeichen, die zwar dem allgemeinen Sprachgebrauch angehören, jedoch mit der Ware, für die sie bestimmt sind, in keinem Zusammenhang stehen (Phantasiewörter im weiteren Sinn). Entscheidend ist, ob die Worte im Verkehr als Phantasiebezeichnungen aufgefasst werden (RIS-Justiz RS0066644). Ein Schutzhindernis besteht hingegen, wenn der im Wort enthaltene Hinweis auf die Herstellung, die Beschaffenheit oder die Bestimmung der Ware oder Dienstleistung innerhalb der beteiligten Verkehrskreise allgemein und ohne besondere Denkarbeit erfasst werden kann (ständige Rechtsprechung: RIS-Justiz RS0066456; 4 Ob 26/93, Smash ).
1.6 Der EuGH hat auch ausgesprochen, dass nicht nur die Eintragung einer ausschließlich beschreibenden Wortverbindung, sondern auch einer solchen Wortverbindung unzulässig ist, die geeignet ist, von anderen Wirtschaftsteilnehmern zur Bezeichnung eines Merkmals ihrer Waren- oder Dienstleistungen verwendet zu werden (C 191/01 P, Doublemint Rn 32). Dies erklärt sich aus der Überlegung, dass ein allgemeines Interesse daran besteht, dass Zeichen oder Angaben, die Waren- oder Dienstleistungen beschreiben, von jedermann frei verwendet werden können, weshalb es nicht erlaubt ist, dass solche Zeichen oder Angaben einem einzigen Unternehmen vorbehalten werden (C 191/01 P, Doublemint, Rn 31; C 265/00, Biomild, Rn 36).
2. Die von der Antragstellerin beanstandete rechtliche Beurteilung des Patentamts entspricht den angeführten Grundsätzen der Rechtsprechung, sodass vorab darauf verwiesen werden kann (§ 39 PatG iVm § 37 Abs 3 MSchG und § 60 Abs 2 AußStrG).
2.1 Die Antragstellerin führt aus, dass das Wort selectiv ein Kunstwort und der deutsche Begriff selektiv ein eher weniger gebräuchliches Wort sei, weil es nicht zu den 10.000 häufigsten Wörtern zähle.
Nach Ansicht des Rekursgerichts werden die beteiligten Verkehrskreise im Zeichen selectiv nicht wie von der Antragstellerin aufgezeigt ein Kunstwort erkennen. Die beteiligten Verkehrskreise werden darin das der deutschen Sprache angehörende Wort „selektiv“ oder den englischen Begriff „selective“ erkennen. Der nur geringe Unterschied in der Schreibweise wird den vom Patentamt festgestellten durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher dieser Waren und Dienstleistungen nicht weiter auffallen. Im täglichen Sprachgebrauch wird das Adjektiv selektiv als „auf einer Auswahl oder Auslese beruhend“ oder als „auswählend“ verstanden. Der Begriff ist auch nicht derart veraltet, dass er dem Durchschnittsverbraucher nicht geläufig wäre. Der englische Begriff selective wird als „zielgerichtet“ (vgl https://www.duden.de/rechtschreibung/selektiv) oder – wie vom Patenamt festgestellt – als „die Auswahl betreffend“ verwendet.
Wie im Eintragungsverfahren zu prognostizieren ist, liegt es für den angesprochenen Verkehrskreis nahe, dass das Zeichen angesichts des beanspruchten und von der Antragstellerin selbst definierten Schutzumfangs ohne relevante Gedankenoperation als werbemäßige Anpreisung im Hinblick auf die vom Anbieter besonders ausgewählte Produktqualität und/oder ihrer Wirkungsweise wahrgenommen oder aufgefasst werden. Das Zeichen vermittelt den beteiligten Verkehrskreisen auch, dass der Anbieter die beanspruchten Waren und Dienstleistungen durch Auslese ausgewählt hat. Es trifft eine Werbe-/Qualitätsaussage, sodass es von den maßgeblichen Verkehrskreisen wegen ihres eigentlichen Aussagegehalts in erster Linie als Beschreibung einer besonderen Qualität/Eigenschaft, nicht aber als Marke – im Sinne eines betrieblichen Herkunftshinweises – wahrgenommen wird ( Asperger in Kucsko/Schumacher, marken.schutz 2 § 4 Rz 104 f).
2.2. Dem Bildanteil im angemeldeten Zeichen kommt keine Kennzeichnungskraft zu, weil sich die grafische Gestaltung des Zeichens in einem in dunkelgrau gehaltenen und leicht schraffierten Rechteck erschöpft. Bei einem aus Wort und Bild zusammengesetzten Zeichen ist aber ohnehin in der Regel der Wortbestandteil maßgebend, weil sich der Geschäftsverkehr meist an diesem – sofern er unterscheidungskräftig ist – zu orientieren pflegt und vor allem den Wortbestandteil im Gedächtnis behält (RIS-Justiz RS0066779). Im vorliegenden Fall ist der Bildanteil des Zeichens im Verhältnis zum Gesamteindruck derart geringfügig, dass von einer einprägsamen bildlichen Komponente nicht gesprochen werden kann. Es tritt die gegenständliche Marke dem Konsumenten nicht als Wort-Bildmarke, sondern als Wortmarke vor Augen.
2.3 Dem Argument, dass bereits Schutzzulassungen für dieses Zeichen in anderen Staaten erfolgt seien und vergleichbare Wortmarken bereits eingetragen worden seien, ist entgegenzuhalten, dass eine präjudizielle Bindung zu verneinen ist (4 Ob 11/14t, EXPRESSGLASS; RIS-Justiz RS0125405; C 37/03 P, BioID, Rn 47; C 39/08 und C 43/08, Schwabenpost und Volks.Handy, Rn 39; Asperger in Kucsko/Schumacher, marken.schutz 2 § 4 Rz 75 ff mwN; Koppensteiner, Markenrecht 4 70).
3. Da die Entscheidung keine Rechtsfragen von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG aufwirft, die über den Einzelfall hinaus bedeutsam ist (RIS-Justiz RS 0111880), ist der Revisionsrekurs nicht zulässig.
In diesem Fall hat das Rekursgericht nach § 59 Abs 2 AußStrG auszusprechen, ob der Wert des Entscheidungsgegenstands, der – wie hier – rein vermögensrechtlicher Natur ist, aber nicht in einem Geldbetrag besteht, EUR 30.000 übersteigt. Diese Voraussetzung ist angesichts der Bedeutung des Markenschutzes im Wirtschaftsleben gegeben.