JudikaturOLG Wien

133R131/19s – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
01. April 2020

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hinger als Vorsitzenden sowie den Richter Dr. Stiefsohn und den fachmännischen Laienrichter Patentanwalt DI Peter Puchberger in der Patentrechtssache der gefährdeten Parteien 1. G***** , und 2. F***** , beide vertreten durch die Kletzer Messner Mosing Schnider Schultes Rechtsanwälte OG in Wien, wider die Gegnerin der gefährdeten Parteien S***** , vertreten durch die Schwarz Schönherr Rechtsanwälte KG in Wien, wegen Erlassung einer einstweiligen Verfügung zur Beweissicherung (Streitwert: EUR 100.000) und einer einstweiligen Verfügung (Streitwert: EUR 100.000; Gesamtstreitwert: EUR 200.000) über den Rekurs der gefährdeten Parteien (Rekursinteresse: EUR 100.000) gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 22.10.2019, 30 Cg 43/19d-4, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die gefährdeten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der Gegnerin der gefährdeten Parteien die mit EUR 4.341,89 (darin EUR 723,65 USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Der Wert des Entscheidungsgegenstandes übersteigt EUR 30.000.

Der ordentliche Revisionsrekurs ist zulässig.

Begründung

Text

Die erste Gefährdete ist die Inhaberin der Verfügungspatente EP 2188302 B1 (EP ‘302) und EP 3327026 B1 (EP ‘026), welche die Priorität der US-Anmeldung US 948677 vom 9.7.2007 in Anspruch nehmen. Die Bekanntmachung des Hinweises auf die Erteilung der Patente und die Veröffentlichung der Patentschriften erfolgte am 1.11.2017 (EP ‘302) und 21.8.2019 (EP ‘026). Beide Patente sind in Österreich in Kraft.

Inhaltlich betreffen die Verfügungspatente einen Verfahrensschritt bei der Herstellung von Antikörpern, der weitgehend verhindert, dass die Antikörper nach ihrer Sekretion durch die Wirtszellen aufgrund der Reduktion der Disulfidbrücken in Einzelteile zerfallen, und so den Ertrag bei der Herstellung der Antikörper erhöht. Beide Verfügungspatente beanspruchen die Methode, nach der Fermentierung Luft durch die Zellkulturflüssigkeit der Wirtszelle hindurchzublasen („ air sparging “).

Die zweite Gefährdete hält eine ausschließliche Lizenz an den Verfügungspatenten für die Herstellung, die Vermarktung, das Anbieten, den Vertrieb und die Benutzung des Wirkstoffs Rituximab, sowie zum Import und zur Lagerung von Rituximab für die vorgenannten Zwecke ua für Österreich und ist berechtigt, Patentverstöße im eigenen Namen gerichtlich zu verfolgen.

Die Gegnerin produziert im Werk ***** biologische Arzneimittel, insbesondere Biosimilars, darunter den Antikörper Rituximab, den Wirkstoff in den Medikamenten R*****® und R*****®. Sie ist die Inhaberin der zentralen europäischen Zulassung für beide Produkte.

In ihrem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung zur Beweissicherung behaupteten die Gefährdeten auf das Wesentliche zusammengefasst, dass die Gegnerin bei der Herstellung des Wirkstoffs Rituximab für ihre Medikamente R*****® und R*****® das durch die Verfügungspatente geschützten Verfahren („air sparging“) anwende, weil dieses die effizienteste und ökonomisch sinnvollste Methode für die Antikörperherstellung im industriellen Maßstab sei. Es gebe kein anderes dem Stand der Technik entsprechendes, ökonomisch sinnvoll anwendbares Verfahren zur Verhinderung der Reduktion von Disulfidbrücken.

Sie begehrten zusammengefasst (in Punkt 9.1 des verfahenseinleitenden Antrags), der Gegnerin werde zum Zwecke der Feststellung, ob sie das geschützte Verfahren anwende, mittels einstweiliger Verfügung zur Beweissicherung geboten, die Durchsuchung ihrer Betriebsräumlichkeiten und die Beschlagnahme und gerichtliche Beschreibung der Drug Master Files der Arzneimittel R*****® und R*****® zu dulden, und es werde ihr untersagt, eigenmächtig Veränderungen an den zu begutachtenden Anlagen zur Antikörperproduktion vorzunehmen; hilfsweise strebten sie an, der Gegnerin aufzutragen, eine ausführliche und uneingeschränkte Beschreibung des Herstellungsverfahrens der Arzneimittel vorzulegen.

Weiters begehrten die Gefährdeten (in Punkt 9.2 des Antrags) die Erlassung einer einstweiligen Verfügung mit dem Inhalt, die Gegnerin habe es zu unterlassen, das geschützte Verfahren in Österreich betriebsmäßig zu benutzen und damit gewonnene Erzeugnisse zu verwerten.

Die Gegnerin beantragte die Abweisung der Sicherungsanträge und entgegnete zusammengefasst, die Gefährdeten würden den Eingriff in die Verfügungspatente nicht hinreichend bescheinigen. Die Gegnerin stelle Rituximab seit mehr als zehn Jahren vor dem Prioritätstag der Verfügungspatente großtechnisch her, ohne das geschützte Verfahren („air sparging“) zu verwenden.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung zur Beweissicherung (Punkt 9.1 des Antrags) im Wesentlichen mit der Begründung ab, es gebe keinen ausreichend konkreten Hinweis, dass sich die Gegnerin der geschützten Methode bediene. (Der zweite, auf Unterlassung gerichtete Sicherungsantrag laut Punkt 9.2 des Antrags war nicht Gegenstand dieser Entscheidung.)

Dagegen richtet sich der rechtzeitige Rekurs der Gefährdeten wegen unrichtiger Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den Beschluss abzuändern und die einstweilige Verfügung zur Beweissicherung zu erlassen. Hilfsweise streben die Gefährdeten die Aufhebung des Beschlusses an.

Die Gegnerin beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

1. Zur Beweisrüge:

Das Rekursgericht darf von den tatsächlichen Feststellungen des Erstgerichts grundsätzlich nicht abgehen. Es ist jedoch dazu berechtigt, wenn das Erstgericht ohne mündliche Verhandlung entschieden und seine tatsächlichen Feststellungen – wie hier – nur aufgrund von Urkunden oder mittelbar aufgenommenen Beweisen getroffen hat (RIS-Justiz RS0044018; RS0012391 [T3]). Dies folgt aus dem Umstand, dass im Provisorialverfahren (ebenso wie im Zivilprozess) über den Rekurs gemäß § 526 Abs 1 ZPO iVm § 78 EO in nicht öffentlicher Sitzung ohne vorangehende mündliche Verhandlung zu entscheiden ist.

Die Gefährdeten monieren zunächst die folgende „Feststellung“ (BS 16):

«Im Versuch Anlage ./Y wird allerdings Rituximab einer bei der Herstellung eines anderen Antikörpers (Ocrelizumab) erhaltenen Lösung (“ocrelizumab FT”) ausgesetzt. Diese Lösung wurde verwendet, weil sich gezeigt hatte, dass diese Lösung ein aktives Thioredoxin-System enthält:

„obtained the ocrelizumab FT for this experiment because previous internal experiments at G***** had shown that ocrelizumab FT includes an active thioredoxin system“

Wenn nun anhand der Behandlung von Rituximab mit dieser Lösung gezeigt wird, dass Rituximab für die Reduktion durch ein aktives Thioredoxin-System anfällig ist, so ist damit noch nicht dargelegt, dass ein solches aktives Thioredoxin-System auch zwingend im Rahmen der Herstellung von Rituximab durch die gefährdende Partei vorliegt.

Aus den vorliegenden Unterlagen ist zwar ersichtlich, dass im Verfahren der gefährdenden Partei auch CHO-Wirtszellen eingesetzt werden, deren Verwendung beispielsweise in Verfügungspatent ./D konkret beansprucht wird. Ob sich daraus aber ableiten lässt oder lassen muss, dass sich auch im Verfahren der gefährdenden Parteien die in den Verfügungspatenten beschriebenen Probleme ergeben, kann nicht festgestellt werden.»

Diese „Feststellung“ enthält sowohl Tatsachenelemente als auch beweiswürdigende Erwägungen, die zur Annahme der Tatsachen geführt haben. Nach ihrem zentralen Inhalt, gegen den sich die Gefährdeten wenden, konnte das Erstgericht nicht feststellen, dass bei dem von der Gegnerin für die Gewinnung von Rituximab angewendeten Verfahren ein aktives Thioredoxin-System entsteht, das die Stabilität der Disulfidbindungen gefährdet. Das Erstgericht schloss daraus, wenn auch im Rahmen der „Würdigung der Bescheinigungsmittel“, dass nicht einmal „hinreichend wahrscheinlich“ sei, dass die Gegnerin überhaupt Schritte zur Verhinderung der Disulfidbindungsreduktion treffen müsse (BS 17).

Dagegen begehren die Gefährdeten eine Ersatzfeststellung, die ebenso aus Tatsachenelementen und beweiswürdigenden Erwägungen besteht. Auf der Tatsachenebene hat sie den wesentlichen Inhalt, dass bei (sämtlichen) großtechnischen Verfahren zur Gewinnung von Rituximab ein aktives Thioredoxin-System entstehe und der Antikörper Rituximab für eine Disulfidbindungsreduktion anfällig sei, wenn er einem solchen ausgesetzt sei. Die Gefährdeten schließen daraus, es sei „naheliegend“, dass die Gegnerin ein Verfahren anwenden müsse, das die Reduktion von Disulfidbindungen verhindere (S 3 4 des Rekurses).

Das Rekursgericht teilt die Ansicht des Erstgerichts (BS 17 18) und der Gegnerin (S 7 8 der Rekursbeantwortung), dass diese begehrte Ersatzfeststellung rechtlich unerheblich ist:

Selbst wenn die Gegnerin Rituximab in einem Verfahren gewinnen würde, bei dem ein aktives Thioredoxin-System entsteht, das die Stabilität der Disulfidbindungen gefährdet, wäre damit noch nicht gesagt, dass es hinreichend wahrscheinlich wäre, dass die Gegnerin dieser Gefahr mit der patentgemäßen Methode des „air sparging“ begegnen würde oder gar darauf „angewiesen“ (S 6 des Rekurses) wäre (vgl dazu unten 2.).

Nur der guten Ordnung halber wird auch inhaltlich auf die Beweisrüge eingegangen.

Das Erstgericht hat die Negativfeststellung zusammengefasst wie folgt begründet: Zum einen lasse sich weder aus der ./Y (Erklärung von S*****) noch aus dem Umstand, dass die Gegnerin in ihrem Verfahren auch CHO-Wirtszellen einsetze, ableiten, dass sich die in den Verfügungspatenten beschriebenen Probleme auch im Verfahren der Gegnerin ergäben (BS 16). Zum anderen sei den in der ./Z (Eidesstattliche Erklärung von Prof. Dr. F*****) zitierten Literaturstellen Anlage G und Anlage H nicht zu entnehmen, dass diese Probleme konkret bei der Herstellung von Rituximab beobachtet worden wären (BS 17).

Die Gefährdeten treten diesen Erwägungen inhaltlich überhaupt nicht entgegen, sondern begnügen sich mit einem neuerlichen Verweis auf die ./Y und die ./Z (mit denen sich das Erstgericht ohnehin auseinandergesetzt hat).

Auch die beiden weiteren Argumente der Gefährdeten zur Begründung der Ersatzfeststellung überzeugen das Rekursgericht nicht: Sie berufen sich auf die Assessment Reports zu R*****® und R*****® (./L, ./M), auf die das Erstgericht nicht eingegangen ist, können daraus aber nur – nachvollziehbar und ohne dass die Gegnerin dies in der Rekursbeantwortung beanstanden würde – ableiten, dass das von der Gegnerin hergestellte Rituximab aus einem ähnlichen Muster von Disulfidbrücken wie das Referenzprodukt der Gefährdeten besteht (S 20 in ./L und ./M) und ebenfalls in einem Fed-Batch-Verfahren hergestellt wird (S 14 in ./L und ./M). Das Problem des aktiven Thioredoxin-Systems samt dessen Auswirkungen auf die Disulfidbindungen ist in den ./L und ./M kein Thema. Schließlich führen die Gefährdeten die Patentschrift ./B ins Treffen; deren S 37 ist aber entgegen der Darstellung im Rekurs nicht zu entnehmen, dass die Gegnerin bei der großtechnischen Herstellung von Antikörpern Maßnahmen ergreifen „muss“, um die Reduktion des Antikörpers zu verhindern, sondern nur, dass das patentierte Verfahren „zur Verhinderung der Reduktion von Disulfidbindungen von rekombinanten Proteinen während der Verarbeitung nach der Fermentation [...] besonders wertvoll für [die] großtechnische Herstellung von Disulfidbindung enthaltenden Proteinen“ ist (S 37 in ./B).

Die Ansicht der Gefährdeten, daraus sei auf die begehrte Ersatzfeststellung zu schließen, kann das Rekursgericht nicht nachvollziehen.

Soweit sich die Gefährdeten auf die Feststellungen des Erstgerichts zur Methode des „air sparging“ beziehen (S 6 11 des Rekurses), machen sie inhaltlich keine Beweisrüge geltend, sondern eine Rechtsrüge. Sie gehen von den folgenden Feststellungen aus (BS 17):

«In Anspruch 1 des Verfügungspatents ./A sind abgesehen vom „air sparging“ (Maßnahme vii) sechs (6) weitere Möglichkeiten einer Inhibition von Thioredoxin beschrieben.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die beschriebene Methode des „air sparging“ die einzige gangbare Methode wäre, um die Reduktion der Disulfidbrücken zu verhindern.»

In der Folge bezweifeln sie nicht, dass diese Feststellungen richtig sind, sondern begehren inhaltlich ergänzende Feststellungen zu den Vorteilen des „air sparging“ und zum Verhalten der Gegnerin, die Zulassung von R*****® in den Vereinigten Staaten nicht weiter zu verfolgen. Sie machen damit „sekundäre“ Feststellungsmängel geltend, die der Rechtsrüge zuzuordnen und bei deren Behandlung zu prüfen sind.

2. Zur Rechtsrüge:

Mit Beziehung auf Ansprüche auf Unterlassung, Beseitigung, angemessenes Entgelt, Schadenersatz und Herausgabe des Gewinns nach dem Patentgesetz können einstweilige Verfügungen sowohl zur Sicherung des Anspruchs selbst als auch zur Sicherung von Beweismitteln erlassen werden (§ 151b Abs 1 PatG).

Die Sicherung von Beweismitteln durch einstweilige Verfügung setzt keine Gefährdungsbescheinigung voraus. Die Gefahr eines drohenden Schadens oder der Beweismittelvernichtung (§ 151b Abs 4 PatG) ist keine Anspruchsgrundlage des selbstständigen Anspruchs auf Sicherung von Beweismitteln, sondern nur die Voraussetzung für die Erlassung der einstweiligen Verfügung ohne Anhörung des Gegners (4 Ob 83/17k; Koller in Stadler/Koller, PatG [2019] § 151b Rz 26).

Einstweilige Verfügungen zur Sicherung von Beweismitteln setzen auch keine Behauptung oder Bescheinigung eines der in § 151b Abs 1 PatG genannten Ansprüche voraus. Mit der Umsetzung des Art 7 Durchsetzungs-RL in § 151b PatG wurde ein Sicherungsanspruch eigener Art eingeführt, der eigenen Anspruchsvoraussetzungen unterliegt. Um welche Anspruchsvoraussetzungen es sich dabei konkret handelt, lässt sich aus § 151b PatG nicht unmittelbar entnehmen. Unter Rückgriff auf Art 7 Abs 1 Durchsetzungs-RL ergibt sich jedoch, dass die Erlassung einer einstweiligen Verfügung zur Beweissicherung voraussetzt, dass der Schutzrechtsinhaber das Bestehen seines Schutzrechts nachweist und alle vernünftigerweise verfügbaren Beweismittel vorlegt, die auf eine gegenwärtige oder zukünftige Verletzung dieses Schutzrechts hindeuten. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Schutzrechtsverletzung fordert Art 7 Abs 1 Durchsetzungs-RL nicht. Das Vorhandensein (bloßer) konkreter Anhaltspunkte, die die Möglichkeit einer Rechtsverletzung nahelegen, reicht aus ( Koller, aaO Rz 17 mwN).

In einem Verfahren über die Erlassung einer einstweiligen Verfügung zur Sicherung von Beweismitteln geht es somit nicht um die Frage des Patenteingriffs, sondern nur um die Sicherstellung eventuell patentverletzenden Materials. Der Aspekt eines allfälligen Eingriffs ist damit in diesem Verfahren nicht zu prüfen. Es kommt allein darauf an, ob der Gefährdete ein ([abstrakt] durch die Rechtsordnung gerechtfertigtes) rechtliches Interesse an der Beweissicherung hat (OLG Wien 34 R 129/16i ua). Ein solches ist, wie eben dargelegt, zu bejahen, wenn sich konkrete Anhaltspunkte ergeben, die die Möglichkeit einer Rechtsverletzung nahelegen.

Die Gefährdeten zeigen damit in ihrem Rekurs richtig auf, dass es für die Erlassung der einstweiligen Verfügung zur Beweissicherung ausreichend wäre, wenn es (nur) „wahrscheinlich“ wäre, dass die Gegnerin das Verfahren des „air sparging“ verwendet (S 11 14 des Rekurses).

Damit ist für sie aber nichts gewonnen: Sie haben nämlich, wie das Erstgericht zutreffend erkannt hat, keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte geliefert, die die Möglichkeit einer Rechtsverletzung nahelegen würden, und somit kein rechtliches Interesse an der Beweissicherung.

Die Verfügungspatente unterscheiden sich vom Stand der Technik im Wesentlichen dadurch, dass als Mittel zur Verhinderung der Reduktion der Disulfidbindungen die Zellkulturflüssigkeit nach der Fermentierung mit Luft durchgeblasen wird („air sparging“); die Patente bezeichnen dies ausdrücklich als „eine“ Möglichkeit der Verhinderung der Reduktion von Disulfidbindungen. Selbst den Verfügungspatenten ist zu entnehmen, dass die Aufgabe, die Verluste von Antikörpern während der Produktion im Großmaßstab zu verhindern, nach dem Stand der Technik auch auf andere Weise gelöst werden kann, wenn auch mit höherem zeitlichen und finanziellen Aufwand. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Gegnerin hierzu die patentgemäße Lösung, nicht aber die nach dem Stand der Technik bekannte oder eine andere Lösung verwendet, lässt sich durch keine objektiven Indizien belegen. Die Gefährdeten stützen sich für diese (entscheidende) Voraussetzung ihres Beweissicherungsanspruchs allein auf die eidesstattliche Erklärung des Prof. Dr. F***** (./Z), der wiederum nur auf die wirtschaftlichen Vorteile der patentgemäßen Methode abstellt. Insofern wird nur der patentgemäße Vorteil aus der Patentschrift dargestellt.

Würde diese Vermutung ausreichen, wäre jeder den Schutzbereich des Patents respektierende Marktteilnehmer, der damit wirtschaftliche Nachteile in Kauf nimmt – oder eine Alternativlösung entwickelt hat – zwangsläufig einem Beweissicherungsanspruch (wie hier etwa: Durchsuchung der Betriebsräumlichkeiten und Beschlagnahme der Drug Master Files) ausgesetzt, der mit einem massiven Eingriff in seine Rechte verbunden ist, ohne hierfür in tatsächlicher Hinsicht irgendeinen Anlass gesetzt zu haben. Ein solcher Eingriff nur auf der Basis einer Vermutung oder theoretischen Denkbarkeit der Patentverletzung – ohne Vorliegen konkreter Anhaltspunkte, die die Möglichkeit einer Rechtsverletzung nahelegen – wäre auch unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Wertung in § 151b PatG sowie der Durchsetzungs-RL nicht zu rechtfertigen. Dies gilt umso mehr, als nicht einmal bescheinigt ist, dass die Gegnerin selbst überhaupt Schritte zur Verhinderung der Reduktion der Disulfidbrücken setzen muss.

Entgegen der im Rekurs vertretenen Ansicht (S 14 des Rekurses) ist somit der Umstand, dass das „air sparging“ gegenüber anderen Verfahren Vorteile hat, für sich allein – unabhängig vom Ausmaß dieser Vorteile, die nur den patentgemäßen Vorteil aus der Patentschrift repräsentieren – kein hinreichend konkreter Anhaltspunkt für die Möglichkeit der Rechtsverletzung durch die Gegnerin. Damit erübrigen sich auch die von den Gefährdeten begehrten ergänzenden Feststellungen zu diesen Vorteilen.

Auch das Argument der Gefährdeten, die Gegnerin habe in der Vergangenheit aus Eigenem entschieden, die Zulassung von R*****® in den Vereinigten Staaten nicht weiter zu verfolgen (S 9 11 des Rekurses), bietet kein hinreichendes Indiz für eine Patentverletzung in Österreich. Die Gründe für die (wirtschaftliche) Entscheidung der Gegnerin, die Zulassung von R*****® in den Vereinigten Staaten nicht weiter zu verfolgen, können vielfältig sein. Konkrete Hinweise dafür, dass die Gegnerin dies getan habe, weil sie in den Vereinigten Staaten entsprechende Informationen über ihr Herstellungsverfahren offenbaren habe müssen (S 10 des Rekurses), bietet das Rekursvorbringen nicht.

Weitere Anhaltspunkte für die Möglichkeit der Rechtsverletzung durch die Gegnerin zeigen die Gefährdeten nicht auf. Dem unberechtigten Rekurs ist daher der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 393 Abs 1 EO iVm §§ 41, 52 Abs 1 ZPO. Soweit dem Gegner der gefährdeten Partei die Abwehr des Sicherungsantrags gelingt, ist die Entscheidung über seine Kosten des Provisorialverfahrens nicht vorzubehalten (RIS-Justiz RS0005667 [T4]). Da die Gegnerin der gefährdeten Parteien im Rechtsmittelverfahren zur Gänze obsiegte, hat sie Anspruch auf Ersatz der Kosten der

Rekursbeantwortung. Der

Zuschlag für die Beiziehung eines

Patentanwalts steht zu, weil nicht nur prozessual-juristische Fragen Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens waren (4 Ob 71/19y).

Der Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstandes stützt sich auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 500 Abs 2 Z 1 lit b ZPO.

Der ordentliche Revisionsrekurs war gemäß § 528 Abs 1 ZPO zuzulassen, weil zu der über den Einzelfall hinaus bedeutenden Frage, welche inhaltlichen Voraussetzungen für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung zur Beweissicherung (§ 151b Abs 1 PatG) erfüllt sein müssen, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehlt.

[Die Entscheidung blieb unangefochten.]

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