132Bs391/19y – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien als Vollzugssenat nach § 16a StVG hat durch den Senatspräsidenten Dr. Dostal als Vorsitzenden sowie die Richterin Mag. Neubauer und den fachkundigen Laienrichter Brigadier Steinacher als weitere Senatsmitglieder in der Vollzugssache des Thomas W***** wegen Nichtgewährung des Strafvollzugs in Form des elektronisch überwachten Hausarrests (eüH) über die gemäß § 121 Abs 5 StVG erhobene Amtsbeschwerde des Bundesministers für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht vom 19. September 2019, GZ 25 Bl 76/19k-5, nach § 121b Abs 3 StVG in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Beschwerde wird als unzulässig zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Landesgericht für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht einer Beschwerde des Thomas W***** gegen den Bescheid des Leiters der Justizanstalt Klagenfurt vom 16. Juli 2018, EÜH 145/2018, mit welchem dessen Antrag auf Vollzug der mit Abwesenheitsurteil des Bezirksgerichts Villach vom 1. März 2018, 5 U 11/18d, wegen § 146 StGB verhängten unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten in Form des eüH abgewiesen worden war, nicht Folge.
Begründend führte das Vollzugsgericht – stark gekürzt zusammengefasst – aus, dass einerseits das Kriterium für eine geeignete Beschäftigung iSd § 156c Abs 1 Z 2 lit b StVG nicht vorliege, zumal die behauptete, Kranken- und Pensionsversicherungsschutz gewährende unternehmerische Tätigkeit in Form von Auftritten als Gitarren-Duo im Ausmaß von 30 Wochenstunden zumindest in diesem Ausmaß nicht belegt werden konnte, weil der Beschwerdeführer diesbezüglich für den Zeitraum vom 31. Oktober 2018 bis 30. November 2018 lediglich Belege über sechs Auftritte mit auf ihn entfallenden Einkünften von EUR 1.425,-- nachzuweisen vermochte und in Bezug auf die weitere behauptete Tätigkeit als Sportjournalist bei der K*****-Zeitung im Ausmaß von acht Wochenstunden ungeachtet einer per E-Mail übermittelten Aufforderung vom 23. April 2019, eine entsprechende Beschäftigungsbestätigung vorzulegen sowie eines am 24. Mai 2019 mit 14-tägiger Frist eigenhändig zugestellten Verbesserungsauftrags (§ 13 Abs 3 AVG) eine Anmeldung, die Arbeitsbestätigung sowie einen Lohnzettel vorzulegen, lediglich eine Press- Accreditation für das Jahr 2018/2019 vorwies.
Darüber hinaus verneinte das Vollzugsgericht die erforderlichen Kriterien des § 156c Abs 1 Z 4 StVG mit Blick auf das durch mehrere Vorstrafen getrübte Vorleben, des Rückfalls in einschlägige Delinquenz trotz bereits gewährter Rechtswohltat der bedingten Strafnachsicht bzw. bedingten Entlassung und der Erfahrung des Haftübels im Zusammenhalt mit dem Umstand, dass der Beschwerdeführer im Zuge des Ermittlungsverfahrens nach § 156d Abs 1 StVG längere Zeit für den Verein Neustart telefonisch nicht erreichbar war, eine am 23. April 2019 per E-Mail übermittelte Aufforderung des Vereins Neustart Villach, eine Beschäftigungsbestätigung der K*****-Zeitung zu übermitteln, ignorierte, darüber hinaus einem eigenhändig zugestellten Verbesserungsauftrag der Justizanstalt Klagenfurt in Bezug auf die Vorlage entsprechender Belege der K*****-Zeitung vom 23. Mai 2019 innerhalb der ihm eingeräumten 14-tägigen Frist nicht nachkam und auch den Termin zur Stellungnahme am 4. Juli 2019 nach eigenhändiger Zustellung der Ladung durch Hinterlegung am 27. Juni 2019 nicht wahrgenommen hatte, woraus eine für die Vollzugsform des eüH unzureichende Strukturierung und mangelnde Pakttreue abgeleitet wurde.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die fristgerecht eingebrachte Amtsbeschwerde des Bundesministers für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz (ON 6), die moniert, dem tragenden Verfahrensgrundsatz des Parteiengehörs wäre einzig durch den für 4. Juli 2019 in Aussicht genommenen Termin nachgekommen worden, sodass angesichts der Einlassung des Thomas W*****, er habe die Ladung innerhalb der Hinterlegungsfrist am 10. Juni (gemeint Juli) 2019 behoben und sich umgehend mit der Justizanstalt Klagenfurt in Verbindung gesetzt, insofern ein Verfahrensmangel vorliege, als im Ermittlungsverfahren die Abklärung verabsäumt worden sei, aus welchen Gründen Thomas W***** die Ladung erst am 10. Juli 2019 behob und ob allenfalls ein nachvollziehbarer Grund vorlag, dass der zeitlich knapp angesetzte Termin zur Wahrung des rechtlichen Gehörs nicht wahrgenommen werden konnte.
Rechtliche Beurteilung
Der Beschwerde kommt keine Berechtigung zu.
Nach § 16a Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 StVG entscheidet das Oberlandesgericht Wien für das gesamte Bundesgebiet über Beschwerden gegen einen Beschluss des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 StVG wegen Rechtswidrigkeit, wobei Letztere nicht vorliegt, soweit das Vollzugsgericht Ermessen im Sinne des Gesetzes geübt hat.
Gemäß § 16a Abs 3 StVG ist gegen den Beschluss des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 StVG eine Beschwerde nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder der Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Vollzugsgericht von der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung abweicht, eine solche fehlt oder uneinheitlich ist.
Hat das Vollzugsgericht nach § 16 Abs 3 StVG Ermessen im Sinne des Gesetzes geübt, darf das Oberlandesgericht Wien den Beschluss weder aufheben, noch – um das Ermessen anders auszuüben – abändern (Pieber in WK 2 StVG § 16a Rz 5; Drexler/Weger, StVG 4 § 16a Rz 2).
Vorauszuschicken ist, dass die Ladung zum Termin für das Parteiengehör am 4. Juli 2019 Thomas W***** gemäß § 17 Abs 3 dritter Satz ZustG am 27. Juni 2019 als zugestellt gilt. Die Zustellfiktion des § 17 Abs 3 dritter Satz ZustG bewirkt, dass der erste Tag der Abholfrist so betrachtet wird, als wenn an diesem die Übergabe der Sendung an den Empfänger erfolgt wäre. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird die durch den dritten Satz des § 17 Abs 3 ZustG normierte Zustellwirkung der Hinterlegung nicht durch die Abwesenheit von der Abgabestelle schlechthin, sondern nur durch eine solche Abwesenheit von der Abgabestelle [§ 2 Z 4 ZustG] ausgeschlossen, die bewirkt, dass der Empfänger wegen seiner Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte (vgl die Erkenntnisse vom 24. Mai 2007,
2006/07/0101, vom 25. April 2014, 2012/10/0060, und vom 26. Juni 2014, 2013/03/0055). Eine derartige Abwesenheit von der Abgabestelle wurde vom Verurteilten jedoch weder in seinem E-Mail vom 10. Juli 2019, noch in seiner Beschwerde vom 1. August 2019 behauptet, sondern lediglich moniert, dass die Hinterlegungsfrist zum Zeitpunkt des anberaumten Parteiengehörs noch nicht abgelaufen gewesen sei. Auch ein die (längerfristige) Abwesenheit von der Abgabestelle relevierender Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 71 AVG) des Verurteilten liegt nicht vor.
Ein Verurteilter, der den Vollzug einer Freiheits- strafe in Form des eüH beantragt hat, ist im Falle einer Hinterlegungsanzeige mit dem Absender „Justizanstalt“ angesichts des vorangegangenen, von ihm eingeleiteten Verfahrens gehalten, sich umgehend vom Inhalt dieses Schreibens Kenntnis zu verschaffen (vgl. im Zusammenhang mit dem Entzug einer Lenkerberechtigung VwGH 24.7.2019, Ra 2019/02/0115).
Unter diesen Prämissen ist W***** – wie vom Vollzugsgericht angenommen - die Ladung am ersten Tag der Abholfrist (am 27. Juni 2019), somit eine Woche vor dem Termin des Parteiengehörs zugekommen, wobei diese Frist angesichts des bereits seit geraumer Zeit anhängigen Erhebungsverfahrens nach § 156d Abs 1 StVG unter Einbindung des Vereins Neustart gemäß §§ 29c iVm 15 BewHG – in dessen Zuge am 17. Dezember 2018 ein Gespräch mit Thomas W***** durchgeführt wurde und am 27. Dezember 2018 eine Besichtigung der für den Vollzug des eüH in Aussicht genommenen Unterkunft erfolgte – keineswegs als (zu) kurzfristig zu bezeichnen ist.
Unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Voraussetzungen der in §§ 156b und 156c StVG genannten Kriterien bei der Frontdoor-Variante des eüH grundsätzlich bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung vorliegen und nicht erst im Zuge des Erhebungsverfahrens nach § 156d StVG geschaffen werden sollen, sind kurze Fristen für Verbesserungsverfahren nach § 13 Abs 3 AVG bzw. Ladungen zur Wahrung des Parteiengehörs bei einem vom Verurteilten durch seinen Antrag initiierten Verfahren nicht zu kritisieren. Vom Verurteilten darf nämlich (auch unter Beachtung, dass § 3 Z 7 und Z 10 HausarrestV erst während der Durchführung des eüH und nicht schon im vorangehenden Erhebungsverfahren anwendbar ist) – insbesondere mit Blick auf die regelmäßig vorgenommene vorläufige Hemmung des Strafvollzugs gemäß § 156d Abs 4 StVG - erwartet werden, aktiv am Erhebungsverfahren mitzuwirken und allfällige Änderungen seiner Erreichbarkeit in Bezug auf die im Antrag genannte Adresse [Änderung der Abgabestelle – vgl RIS-Justiz RS0115725], Telefonnummer (aM OLG Wien 33 Bs 272/15i) bzw. Ortsabwesenheiten [Abwesenheit von der Abgabestelle] nach Einbringung des Antrags umgehend und unaufgefordert dem gemäß § 156d Abs 1 StVG für die Bearbeitung seines Antrags zuständigen Anstaltsleiter bekannt zu geben, widrigenfalls dem Antragsteller die Möglichkeit eröffnet würde, durch mangelnde Erreichbarkeit und schleppende Vorlage abgeforderter Unterlagen die Entscheidung über die Gewährung des eüH (und damit auch den Strafantritt) nach Belieben zu verzögern. Unterlässt der Verurteilte derartige Mitteilungen und ist im Erhebungsverfahren für die Justizbehörden nicht greifbar, darf dieser Umstand in das Kalkül der gemäß § 156c Abs 1 Z 4 StVG vorzunehmenden Prognoseentscheidung in Hinblick auf die Missbrauchsannahme der Vollzugsform einfließen.
Sofern die Amtsbeschwerde zur Untermauerung der Argumentation eines vorliegenden Verfahrensmangels die Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien vom 29. Oktober 2015, GZ 33 Bs 272/15i, ins Treffen führt, vermag diese Begründung insofern nicht zu überzeugen, als dieser Entscheidung eine andere Sachverhaltskonstellation zugrunde lag: In diesem Verfahren war dem Antragsteller auf Grund einer Fehlbezeichnung in der Hinterlegungsanzeige der Absender (Justizanstalt) nicht erkennbar, sodass der Empfänger des Schreibens die Ladung zum rechtlichen Gehör nicht dem Verfahren über die Gewährung eines eüH zuordnete.
Zieht man weiters in Betracht, dass Thomas W***** entsprechend des Berichts des Vereins Neustart, Alexander K*****, vom 8. Mai 2019 seit längerer Zeit telefonisch nicht erreichbar war, der Aufforderung des Vereins Neustart vom 24. April 2019, die noch ausstehende Bestätigung seiner Beschäftigung bei der K*****-Zeitung an die Justizanstalt Klagenfurt zu übermitteln, nicht nachkam, wobei er auch den diesbezüglichen Verbesserungsauftrag der Justizanstalt Klagenfurt vom 23. Mai 2019 ignorierte, der eine ausdrückliche Belehrung über Säumnisfolgen enthielt (Drexler/Weger, StVG 4 § 156d Rz 7), liegt weder eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 156d Abs 1 iVm § 135 Abs 2 erster Satz letzter Halbsatz, Abs 3 StVG), noch ein Mangel des im Vorfeld der Gewährung des eüH durchzuführenden Ermittlungsverfahrens vor.
Nach § 156c Abs 1 Z 4 StVG ist der Vollzug einer Freiheitsstrafe in Form des eüH auf Antrag zu bewilligen, wenn unter anderem nach Prüfung der Wohnverhältnisse, des sozialen Umfelds und allfälliger Risikofaktoren sowie über Einhaltung der Bedingungen (§ 156b Abs 2 StVG) anzunehmen ist, dass der Rechtsbrecher diese Vollzugsform nicht missbrauchen wird. Bereits begangene strafbare Handlungen stellen Risikofaktoren dar, die in die Beurteilung der Missbrauchsgefahr einzufließen haben. Darüber hinaus stellen die Gefährlichkeit des Betroffenen, Art und Beweggrund der Anlasstat oder frühere Verurteilungen, der nunmehrige Lebenswandel und die Chancen auf ein redliches Fortkommen nach der Haft weitere Aspekte dar, die bei der Beurteilung der Missbrauchsgefahr zu berücksichtigen sind.
Unter diesen Prämissen ist die zu Lasten des Antragstellers ausschlagende Missbrauchsprognose des Vollzugsgerichts mit Blick auf dessen durch – exklusive Anlassverurteilung – sieben Verurteilungen, davon sechs wegen Vermögensdelikten, getrübtes Vorleben im Zusammenhalt mit dessen mangelnder Kooperationsbereitschaft und Pakttreue nicht zu beanstanden.
Die Vollzugsform des eüH setzt beim Antragsteller nämlich ein hohes Maß an Zuverlässigkeit und Kooperationsbereitschaft voraus, sodass es für das Vollzugsgericht statthaft ist, im Rahmen einer nach § 156c Abs 1 Z 4 StVG vorzunehmenden, im Ermessen liegenden Prognoseentscheidung aus der Nichtvorlage abgeforderter Unterlagen und ungerechtfertigter Nichteinhaltung mit den Justizbehörden vereinbarter Termine entsprechende Rückschlüsse auf die (mangelnde) Verlässlichkeit des Antragstellers zu ziehen (RW0000956).
Der Vollständigkeit halber bleibt anzumerken, dass auch die in Bezug auf die Verneinung des Kriteriums einer geeigneten Beschäftigung (§ 156c Abs 1 Z 2 lit b StVG) vorgenommene Ermessensentscheidung des Vollzugsgerichts gesetzeskonform getroffen wurde, vermochte doch der Antragsteller - ungeachtet wiederholter Aufforderungen – weder im Zuge des vom Verein Neustart durchgeführten Erhebungsverfahrens, noch nach Erteilung eines förmlichen Verbesserungsauftrags (§ 13 Abs 3 AVG) durch den Anstaltsleiter den Nachweis seiner behaupteten Beschäftigung und des diesbezüglichen Umfangs als Sportjournalist bei der K*****-Zeitung zu erbringen (RW0000957).
Da die in den §§ 156b und 156c StVG genannten Voraussetzungen für die Gewährung eines eüH nach den Intentionen des Gesetzgebers kumulativ vorliegen müssen, wobei das Fehlen auch nur einer dieser Voraussetzungen zur Ablehnung des Antrags führt, wich das Vollzugsgericht gegenständlich weder von der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung ab, noch traf es seine Ermessensentscheidung außerhalb des gesetzlichen Rahmens bzw. in unvertretbarer Weise, wobei auch das der Entscheidung zugrunde liegende Ermittlungsverfahren keinen Mangel aufweist.
Die Amtsbeschwerde war daher als unzulässig zurückzuweisen.