JudikaturOLG Wien

134Ds2/19m – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
04. Juli 2019

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Disziplinargericht für Richter und Staatsanwälte durch die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Dr. Habl als Vorsitzende sowie die Senatspräsidentinnen des Oberlandesgerichts Dr. Stöger-Hildbrand und Dr. Hradil-Miheljak als weitere Senatsmitglieder in nichtöffentlicher Sitzung in der Disziplinarsache gegen den Richter des Bezirksgerichts ***** im Ruhestand ***** wegen Verletzung der allgemeinen Pflichten nach § 57 Abs 4 iVm § 158 Z 2 RStDG den

Beschluss

gefasst:

Spruch

*****, ehemaliger Richter des Bezirksgerichts ***** und nunmehr im Ruhestand, hat dadurch die in § 57 Abs 4 iVm § 158 Z 2 RStDG normierte Pflicht auch im Ruhestand das Standesansehen angemessen zu wahren, verstoßen, dass er am 13. November 2018 in ***** als Fahrgast einer Straßenbahngarnitur der Linie 5 anlässlich einer Kontrolle im Auftrag der Grazer Verkehrsbetriebe die Fahrscheinkontrollorin Stefanie ***** mit Gewalt an der Feststellung seiner Identität sowie der Verständigung der Polizei zu hindern versucht hat, indem er ihr das Mobiltelefon aus der Hand gerissen und kurz darauf in eine Wiese geworfen hat.

***** hat hiedurch mit Rücksicht auf die Verbindlichkeit im Ruhestand eine dem Standesansehen angemessene Haltung zu bewahren, ein Dienstvergehen im Sinne des § 101 Abs 1 RStDG begangen. Es wird über ihn hiefür gemäß § 110 Abs 2 RStDG iVm § 104 Abs 1 lit a RStDG die Disziplinarstrafe des

Verweises

verhängt.

Text

Begründung:

Der am ***** geborene Disziplinarbeschuldigte wurde mit 1.1.1975 zum Richteramtsanwärter und mit 1.1.1976 zum Richter des Bezirksgerichts ***** ernannt. Anschließend war er ab 1.11.1987 Richter am (seinerzeitigen) Bezirksgericht ***** und dann an dessen Nachfolgegerichten, dem Bezirksgericht ***** und dem Bezirksgericht *****, wo er jeweils in bezirksgerichtlichen Strafsachen eingesetzt wurde. Mit Ablauf des 31.3.2009 wurde er in den Ruhestand versetzt. Während seiner dienstlichen Laufbahn erhielt er im Juni 1989 zwei Ausstellungen wegen erheblich und schuldhaft verursachter Verfahrensverzögerungen, im Dezember 1989 eine weitere Ausstellung wiederum wegen unbegründeter Verfahrensverzögerungen. Eine weitere Ausstellung wegen verzögerter Entscheidungsausfertigungen erfolgte schließlich im März 1998.

Rechtliche Beurteilung

Aufgrund der Disziplinaranzeige des Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz vom 26.3.2019, *****, beantragte der Disziplinaranwalt der Oberstaatsanwaltschaft Wien am 1.4.2009 Erhebungen gemäß § 122 RStDG wegen § 57 Abs 4 iVm § 158 Z 2 RStDG durch Einholung einer schriftlichen Stellungnahme des Beschuldigten zur Disziplinaranzeige des Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz vom 26.3.2019, AZ *****, zu veranlassen und die Staatsanwaltschaft Graz – allenfalls unter Anschluss des Ermittlungsaktes oder einer Kopie desselben - um Auskunft zu ersuchen, ob ***** das Diversionsangebot angenommen bzw den Geldbetrag gezahlt hat. Die Staatsanwaltschaft Graz übermittelte daraufhin eine Kopie der Ermittlungsakten, AZ ***** mit der Mitteilung, dass von der Verfolgung des Beschuldigten nach Bezahlung einer Geldbuße am 5. April 2019 gemäß § 200 Abs 5 StPO zurückgetreten wurde. Der Disziplinarbeschuldigte gab eine mit 7.6.2019 (richtig: 7.5.2019) beim Oberlandesgericht Wien am 10.5.2019 eingelangte Stellungnahme ab.

Zur Pflichtverletzung:

***** hielt sich am 13.11.2018 seit der Mittagszeit in der Grazer Innenstadt auf und bestieg am späteren Nachmittag die Straßenbahnlinie 5 am Jakominiplatz. Bei Fahrtantritt überprüfte er nicht, ob er im Besitz eines gültigen Fahrscheins ist, nahm auf einem Sitzplatz ca. drei Meter entfernt vom Entwertungsapparat Platz und widmete sich dem Lesen seiner E-Mails. Aufgrund des Ausrufs „Fahrscheinkontrolle“ und der allgemeinen Aufforderung, die Fahrscheine bereit zu halten, fiel ihm ein, dass sein Fahrschein schon abgelaufen sein könnte, worauf er zum Entwertungsapparat eilte, um einen mitgeführten Einzelfahrschein zu entwerten. Dies wurde von der Kontrollorin, Frau ***** verhindert. Daraufhin verließ ***** die Straßenbahn. Die Kontrollorin stieg mit ihm aus und erklärte ihm, dass er die Strafe bezahlen müsse, bzw die Möglichkeit hätte ins Büro zu kommen, um Kulanz zu bekommen, sollte es wirklich das erste Mal gewesen sei, dass er „schwarz“ gefahren sei und dabei kontrolliert worden sei. Daraufhin ging ***** davon. Frau ***** folgte ihm und teilte einem Kollegen telefonisch mit, dass sie die Polizei anrufen werde. Bevor sie 133 wählen konnte, riss ihr ***** das Mobiltelefon aus der Hand und warf es ein paar Meter weiter in eine Wiese. Mit einer Beschädigung des Geräts hatte ***** dabei nicht gerechnet.

***** hat es ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden, durch sein Verhalten, nämlich seinen Übergriff gegen die Fahrscheinkontrollorin durch das Aus-der-Hand-Reißen des Mobiltelefons und das Wegwerfen desselben gegen seine Verpflichtung, das Standesansehen auch als Richter im Ruhestand angemessen zu wahren, zu verstoßen.

Die Staatsanwaltschaft Graz hat ***** mit Schreiben vom 1. März 2019, AZ *****, gemäß § 200 Abs 4 StPO mitgeteilt, dass die Polizeiinspektion Lendplatz gegen ihn am 30.11.2018 Strafanzeige zu GZ ***** erstattet hat. Danach stehe ***** im Verdacht, am 13.11.2018 in Graz die Fahrscheinkontrollorin Stefanie ***** mit Gewalt an der Feststellung seiner Identität sowie der Verständigung der Polizei zu hindern versucht zu haben, indem er ihr das Mobiltelefon aus der Hand gerissen und kurz darauf in eine Wiese geworfen hat. Er stehe daher im Verdacht, das Vergehen der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB begangen zu haben. Anzumerken sei, dass die zusätzliche Erfüllung des Tatbestandes nach § 91a Abs 1 StGB nicht angenommen und das Verfahren wegen des Verdachts der Sachbeschädigung nach § 125 StGB teilweise gemäß § 190 Z 2 StPO eingestellt worden sei. Die Staatsanwaltschaft beabsichtige, wegen des Vorwurfs der versuchten Nötigung ein Strafverfahren gegen ***** zu führen. Dieses würde unterbleiben, wenn er einen Geldbetrag in Höhe von EUR 6.100,-- innerhalb von 14 Tagen bezahlt. ***** nahm dieses Diversionsangebot an, woraufhin von der Verfolgung des Beschuldigten nach Bezahlung einer Geldbuße seitens der StA Graz am 5.4.2019 gemäß § 200 Abs 5 StPO zurückgetreten wurde.

In seiner Stellungnahme hat ***** den Übergriff gegen die Fahrscheinkontrollorin zugegeben und glaubhaft versichert, dass er den Vorfall und sein eigenes Verhalten sehr bereue. Er hat insbesondere darauf hingewiesen, sich nicht nur bei Frau ***** entschuldigt zu haben, sondern auch den von ihr geforderten Schadenersatz von EUR 210,-- für das beschädigte Mobiltelefon unverzüglich geleistet zu haben.

***** hat durch die festgestellte Vorgangsweise gegenüber Frau ***** gegen die ihm nach § 57 Abs 4 iVm § 158 Z 2 RStDG auferlegte Pflicht, auch im Ruhestand das Standesansehen angemessen zu wahren, vorsätzlich verstoßen. Die Verbindlichkeit im Ruhestand eine dem Standesansehen angemessene Haltung zu bewahren, legt dem Richter bzw StA des Ruhestands die Pflicht auf, unabhängig von der Verpflichtung zur Beachtung der in Österreich geltenden Rechtsordnung das Standesansehen zu wahren. Diese Verbindlichkeit des Richters bzw StA des Ruhestands deckt sich dem Objekt nach mit der nahezu gleichnamigen Verbindlichkeit des Richters bzw StA des Dienststands, weist jedoch (arg: „angemessen“) im § 57 Abs 4 RStDG eine geringere Intensität auf als dies bei der Verbindlichkeit nach Abs 3 der Fall ist ( Fellner/Nogratnig RStDG, GOG 4 § 57 E 60). Unter dem Standesansehen ist das positive Vorstellungsbild zu verstehen, das sich die mit allgemein anerkannten Werten verbundene Bevölkerung von Richtern und StA und deren Berufen macht. Verbindlichkeit zum vorwurfsfreien Benehmen im und außer Dienst bedeutet, dass der Richter bzw StA zu jeder Zeit von einem schuldhaft gesetzten nicht gerechtfertigten Verhalten (Tun oder Unterlassen) abzustehen hat, das entweder

a) sich als ein Verstoß gegen die in Österreich geltende Rechtsordnung darstellt oder

b) den Vorstellungen der mit allgemein anerkannten Werten verbundenen Bevölkerung über das von einem Richter bzw StA im oder außer Dienst zu erwartende Verhalten zuwiderläuft. Ein Verstoß gegen die in Österreich geltende Rechtsordnung ist in jeder Nichtbeachtung derselben zu erblicken, wobei es keinen Unterschied macht, ob die nicht beachteten, also verletzten Rechtsnormen dem Strafrecht oder einem anderen Rechtsbereich zuzuzählen sind ( Fellner/Nogratnig , aaO § 57 E 52).

Das Verhalten von ***** stellt im Hinblick auf die bestehende Vorsatz- und Aggressionsdelinquenz gegenüber einem öffentlichen Kontrollorgan ein Dienstvergehen im Sinne des § 101 Abs 1 RStDG dar, zumal die Tat von ***** als grobe Verletzung gegen die in § 57 Abs 4 iVm § 158 Z 2 RStDG normierte angemessene Verhaltenspflicht zu qualifizieren ist.

Bei der Strafbemessung wertete das Disziplinargericht als mildernd den bisher ordentlichen Lebenswandel, die Schadensgutmachung sowie die gezeigte Schuldeinsicht; dem steht kein Erschwerungsgrund gegenüber.

Bei gebührender Abwägung dieser Strafzumessungsgründe erscheint die mildeste Form der Disziplinarstrafe, nämlich ein Verweis gemäß § 104 Abs 1 lit a RStDG als dem Schuld- und Unrechtsgehalt der Pflichtverletzungen angemessen und geeignet, allen Strafzwecken gerecht zu werden. Es war daher gemäß § 110 Abs 2 RStDG in Übereinstimmung mit den Anträgen des Disziplinaranwalts mit Beschluss die Disziplinarstrafe des Verweises zu verhängen.

Ein Kostenausspruch hatte in Ermangelung einer mündlichen Disziplinarverhandlung im Sinn des § 137 Abs 2 RStDG zu entfallen (vgl OLG Wien Ds 2/13, Ds 6/13).

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