132Bs176/19f – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien als Vollzugssenat nach § 16a StVG hat durch Senatspräsidenten Dr. Dostal als Vorsitzenden sowie die Richterin Dr. Vetter und den fachkundigen Laienrichter Oberstleutnant Posch-Fahrenleitner als weitere Senatsmitglieder in der Vollzugssache des M***** Ö***** , über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts ***** als Vollzugsgericht vom *****, AZ *****, nach § 121b Abs 2 StVG in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
In Stattgebung der Beschwerde und aus deren Anlass wird der Beschluss aufgehoben und die Sache dem Vollzugsgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen .
Text
Begründung:
Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Vollzugsgericht einer Beschwerde des M***** Ö***** gegen ein Straferkenntnis der Leiterin der Justizanstalt ***** vom *****, AZ *****, mit dem der Beschwerdeführer wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 107 Abs 1 Z 2 iVm § 21 Abs 2 StVG gemäß §§ 109 Z 4 und 113 StVG belangt und die Ordnungsstrafe der Geldbuße in Höhe von ***** verhängt wurde, nicht Folge. Weiters wurde dem Beschwerdeführer ein Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens in Höhe von ***** aufgetragen.
Begründend führte das Vollzugsgericht aus, dass sich aus den übereinstimmenden Angaben der Zeugen Y***** C***** und R***** G***** zweifelsfrei ergebe, dass M***** Ö***** mit einem Uhrenhandy telefoniert habe. Die diesen Sachverhalt bestreitende Verantwortung des Beschwerdeführer sei sohin widerlegt. Das Beschwerdegericht übernehme ausdrücklich die Feststellung im bekämpften Bescheid, wonach der Beschwerdeführer das Uhrenhandy auch selbst benützt habe. Ausgehend davon sei der Schuldspruch zu Recht erfolgt. Als erschwerend wurden drei bereits begangene Ordnungswidrigkeiten angenommen, als mildernd kein Umstand.
Die verhängte Ordnungsstrafe von ***** stelle eine schuld- und tatangemessene Sanktion dar, welche einer Reduktion nicht zugänglich sei. Bei der rechtlichen Subsumtion ging das Erstgericht davon aus, dass dem Strafgefangenen die Ordnungswidrigkeit nach § 107 Abs 2 Z 2 (und auch Z 5) StVG anzulasten sei (ON 6 S 1).
Gegen diese Entscheidung richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde des M***** Ö***** (ON 9), der, soweit leserlich, inhaltlich nachvollziehbar und Bezug zum Beschwerdegegenstand herstellend, moniert, dass die Aussagen von C***** und K***** vom ***** nicht der Wahrheit entsprächen, die Smartwatch gehöre C*****, dieser habe R***** die Uhr nicht geben wollen. C***** habe die Uhr bei einem Besuch erhalten. Für die Uhr habe C*****s Bruder eine SIM-Card. C***** habe ihm die Uhr nicht gegeben. Das mit dem Geschäftemachen sei Blödsinn. Er sei kein Anführer und habe keinen Grund, R***** zu schlagen. Weiters wird das Vollzugsgericht aufgefordert, die Ordinationsbefunde vom ***** beizuschaffen.
Rechtliche Beurteilung
Nach § 16a Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 StVG entscheidet das Oberlandesgericht Wien für das gesamte Bundesgebiet über Beschwerden gegen einen Beschluss des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 leg cit wegen Rechtswidrigkeit, wobei Letztere nicht vorliegt, soweit das Vollzugsgericht Ermessen im Sinne des Gesetzes geübt hat.
Gemäß § 16a Abs 3 StVG ist gegen den Beschluss des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 StVG eine Beschwerde nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder der Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, insbesondere, weil das Vollzugsgericht von der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung abweicht, eine solche fehlt oder uneinheitlich ist. Hat das Vollzugsgericht nach § 16 Abs 3 StVG Ermessen im Sinne des Gesetzes geübt, darf das Oberlandesgericht Wien den Beschluss weder aufheben noch um das Ermessen anders auszuüben, abändern ( Pieber in WK² StVG § 16a Rz 5).
Überdies hat das Gericht gemäß § 17 Abs 2 StVG im Verfahren nach den §§ 16 Abs 3 und 16a StVG folgende Bestimmungen sinngemäß anzuwenden:
Demzufolge ist § 45 AVG anzuwenden, der wie folgt lautet:
Der gleichfalls anzuwendende § 37 AVG normiert, dass Zweck des Ermittlungsverfahrens ist, den für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzustellen und den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben.
Nach § 45 Abs 2 AVG gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung, dh dass lediglich die Überzeugungskraft der Beweismittel im gegebenen Zusammenhang für ihre Bewertung maßgebend ist. Die Beweiswürdigung ist jedoch insofern nicht frei, als der maßgebende Sachverhalt vollständig erhoben und die Beweisführung tragfähig sein muss ( Thienel/Zeleny , Verwaltungsverfahrensgesetze 20 § 45 AVG Anm 4).
Im gegenständlichen Verfahren ist gemäß § 17 Abs 2 Z 2 StVG auch § 25 VStG anzuwenden. In Abs 2 leg cit ist festgehalten, dass die der Entlastung des Beschuldigten dienlichen Umstände in gleicher Weise zu berücksichtigen sind wie die belastenden. Der Verwaltungsgerichtshof hielt auch zu dieser Bestimmung fest, dass eine freie Beweiswürdigung erst nach vollständiger Beweiserhebung einsetzen kann (VwGH 4.9.2003, 2002/09/0037). Zudem hält der VwGH zu § 37 AVG fest, dass die Behörde amtswegig zur Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhalts erforderlichen Beweise verhalten ist; dies bedeute, dass (auch) möglichst an einem Sachverhalt unmittelbar Beteiligte als Zeugen niederschriftlich einzuvernehmen sind (VwGH 12.9.2002, 2012, 2011/08/0094).
Der bekämpften Entscheidung haften schon amtswegig wahrzunehmende Rechtswidrigkeiten an (vgl Pieber in WK² StVG, § 121b Rz 4).
Aufgrund des Vorbringens des M***** Ö***** bezüglich eines Raufhandels im Zusammenhang mit einer Smartwatch wurde vom Oberlandesgericht Wien erhoben, dass das Landesgericht ***** als Vollzugsgericht zu AZ ***** mit Beschluss vom ***** einer Beschwerde des M***** Ö***** gegen ein Straferkenntnis der Anstaltsleiterin der Justizanstalt ***** vom ***** AZ ***** Folge gab, dieses aufhob und das Ordnungsstrafverfahren einstellte (vgl Ausdruck dieses Beschlusses aus der Verfahrensautomation Justiz). Aus diesem Beschluss - der auch das Ordnungsstraferkenntnis wiedergibt - ist abzuleiten, dass es am ***** im 5-Mannhaftraum ***** zu Streitigkeit kam und E***** R***** verletzt wurde. Dieser nannte als Grund der Streitigkeiten, dass es ein Uhrenhandy im Haftraum gebe, mit dem er auch telefonieren habe wollen, was ihm verwehrt worden sei. Im Haftraum befanden sich neben dem Verletzten R***** G*****, Y***** C*****, M***** Ö***** und H***** K*****. Bei der Haftraumvisite am ***** wurde ein Uhrenhandy (Smartwatch) sichergestellt.
Das Vollzugsgericht ist dem Gebot umfassender Beweisaufnahme nicht nachgekommen.
Eine Befragung der Zeugen E***** R***** und H***** K***** ist nicht aktenkundig, obwohl diese - wie sich aus dem gerade angesprochenen Straferkenntnis der Justizanstalt ***** vom ***** ergibt - im potentiellen Tatzeitraum mit dem Beschwerdeführer sowie den Zeugen Y***** C***** und R***** G***** im selben Haftraum untergebracht waren. Überdies wird H***** K***** auch in der Meldung der Justizanstalt ***** vom ***** als Anwesender bei der an diesem Tag stattfindenden Haftraumvisitation angeführt (ON 2).
Zum vom Vollzugsgericht abgeurteilten Sachverhalt, wonach M***** Ö***** zu nicht genannten Tatzeitpunkten (das Straferkenntnis der Anstaltsleiterin deutet auf einen dreiwöchigen Zeitraum vor dem angesprochenen Raufhandel hin) mit dem Uhrenhandy telefoniert habe (ON 6 S 7), müssten sohin H***** K***** und E***** R***** Wahrnehmungen gemacht haben. So verweist die Anstaltsleiterin im Straferkenntnis auch darauf, dass die Verantwortung des M***** Ö***** durch drei anderslautende Aussagen widerlegt sei. Indem das Vollzugsgericht den festgestellten Sachverhalt auf die Aussagen der Zeugen Y***** C***** und R***** G***** stützt, aber E***** R***** und H***** K***** völlig unerwähnt lässt, ist das Ermittlungsverfahren unvollständig geblieben.
Die Beweiswürdigung erweist sich somit schon ob der unvollständigen Beweisführung als nicht tragfähig.
In Stattgebung der Beschwerde und aus deren Anlass war der angefochtene Beschluss daher wegen Rechtswidrigkeit gemäß § 121b Abs 2 StVG aufzuheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung nach Einbeziehung der Wahrnehmungen der Zeugen E***** R***** und H***** K***** (die auch nach dem Vorbringen des Beschwerdeführer zumindest zur Entstehung der Verletzung des E***** R***** befragt worden sein dürften) – zurückzuverweisen. Dabei wird zu beachten sein, dass M***** Ö***** vor Fällung einer neuerlichen Entscheidung zu den Beweisergebnissen zu hören sein wird ( Drexler/Weger , StVG³ § 116 Rz 7).
Weiters ist anzumerken, dass das Vollzugsgericht in weiterer Folge unter Berücksichtigung aller Beweisergebnisse zur abschließenden Beurteilung des Sachverhalts Feststellungen dahingehend zu treffen haben wird, wann (Tatzeitpunkt/Tatzeitraum; allenfalls wie oft) M***** Ö***** die Handyuhr benutzt haben soll und - soweit das Beweisverfahren Ergebnisse dazu ergibt - mit welchen Personen (vgl § 107 Abs 1 Z 2 StVG) er verkehrt haben soll. Abgesehen von der näheren Konkretisierung der als erwiesen angenommenen Tat, wobei der den Deliktstatbestand erfüllende Sachverhalt mit allen rechtserheblichen Merkmalen nach Ort und Zeit konkretisiert umschrieben werden muss ( Thienel/Zeleny , Verwaltungsverfahren 20 § 44a VStG Anm 3), was auch eine detailliertere Befragung der Zeugen Y***** C***** und R***** G***** notwendig machen kann, wären auch Feststellungen zur subjektiven Tatseite zu treffen (vgl Drexler/Weger , StVG 4 § 116 Rz 14).
Weiters wäre die gemäß § 17 Abs 2 Z 2 StVG anzuwendende Bestimmung des § 22 VStG, nach deren Abs 2 für den Fall, dass eine Tat unter mehrere einander nicht ausschließende Strafdrohungen fällt, die Strafen nebeneinander zu verhängen sind (Kumulationsprinzip [vgl Lewisch/Fister/Weilguni, VStG § 22 Rz 9]), zu beachten, zumal das Vollzugsgericht offensichtlich § 107 Abs 1 Z 2 und 5 StVG als verwirklicht erachtet, sowie auch die Rechtsprechung zur echten und scheinbaren Gesetzeskonkurrenz ( Lewisch/Fister/Weilguni , VStG § 22 Rz 12 ff).
Der Rechtsmittelwerber wird mit seiner (weiteren) Beschwerde auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.