132Bs398/18a – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien als Vollzugssenat nach § 16a StVG hat durch den Senatspräsidenten Dr. Dostal als Vorsitzenden sowie die Richterin Mag. Neubauer und den fachkundigen Laienrichter Oberst Turner in der Vollzugssache betreffend M***** L***** über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts ***** als Vollzugsgericht vom *****, GZ *****, nach § 121b Abs 3 StVG in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Zum Sachverhalt darf zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf die Beschlüsse des Landesgerichts ***** als Vollzugsgericht vom *****, AZ *****, und des Oberlandesgerichts Wien vom *****, AZ *****, verwiesen werden.
Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Vollzugsgericht einer Beschwerde des Strafgefangenen gegen das Straferkenntnis der Anstaltsleiterin der Justizanstalt ***** vom *****, AZ *****, mit welchem M***** L***** der Ordnungswidrigkeit nach §§ 107 Abs 1 Z 10 iVm 26 Abs 2 StVG schuldig erkannt und über ihn gemäß §§ 109 Z 4, 113 StVG die Ordnungsstrafe der Geldbuße in Höhe von EUR 25,-- sowie ein Verfahrenskostenbeitrag von EUR 2,50 verhängt worden war, nicht Folge und bemaß den Kostenbeitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens mit EUR 5,--.
Begründend führte das Vollzugsgericht nach auftragsgemäßer Beischaffung der Strafverfügung der LPD ***** vom ***** und des Straferkenntnisses der LPD ***** vom *****, jeweils GZ ***** sowie der Niederschrift der (bei den inkriminierten Vorfällen gegenwärtigen) Lebensgefährtin des Strafgefangenen, M***** R*****, vom ***** zusammengefasst aus, dass nach ständiger Rechtsprechung des EGMR ein Verfahren betreffend die disziplinäre Ahndung von Ordnungswidrigkeiten in einer Haftanstalt keine strafrechtliche Anklage iSd Art 6 EMRK zum Gegenstand habe, weshalb die strafrechtliche Seite des Art 6 MRK in einem solchen Fall nicht betroffen sei (VwGH 2009/06/088). Im Verhältnis zwischen gerichtlichem und verwaltungsbehördlichem Strafrecht werde die materiellrechtliche Komponente des ne bis in idem-Grundsatzes betont. Die Sperrwirkung eines Verwaltungsstrafverfahrens beziehe sich hinsichtlich der „erledigten Sache“ im Verhältnis zum gerichtlichen Strafverfahren daher nur auf den erledigten (verwaltungs-)rechtlichen Gesichtspunkt. Dieses prozessuale Verfolgungshindernis greife daher nur in der Überlagerung der normativ zu ermittelnden wesentlichen Tatbestandselemente, nicht aber, wenn zur vollen Auswertung des Unrechtsgehalts die Betrachtung ergänzender Tatbestände erforderlich ist. Im Übrigen sehe das Gesetz in § 118 Abs 1 StVG eine allfällige Doppelbestrafung ausdrücklich vor.
Der Verstoß gegen allgemeine Pflichten gemäß § 107 Abs 1 Z 10 StVG sei als Auffangtatbestand konzipiert, der im Verhältnis zu den übrigen Ziffern des Abs 1 dieser Bestimmung lediglich alternativ – und nicht zusätzlich – zur Anwendung gelange. Eine Bestrafung nach § 107 Abs 1 Z 10 StVG komme nur dann in Betracht, wenn das Verhalten nicht nach einer vorhergehenden Bestimmung (also Z 1 bis 9) oder nach der des § 107 Abs 3 StVG strafbar sei. Könne ein deliktisches Verhalten nach Abs 1 sowohl der Z 10 als auch einer anderen Ziffer unterstellt werden, werde im Hinblick auf die gleiche Strafdrohung durch eine allfällige rechtsirrtümliche Subsumtion im Rahmen des Abs 1 dieser Bestimmung der Täter nicht in seinen Rechten verletzt. § 107 Abs 1 Z 9 StVG sei die speziellere Norm gegenüber Z 10 und stelle ein vorsätzlich ungebührliches Benehmen des Strafgefangenen gegenüber bestimmten Personen unter Strafe. Gemäß Art 10 Abs 2 MRK könne die Meinungsfreiheit von Gesetz vorgesehenen Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, wenn sie in einer demokratischen Gesellschaft unter anderem im Interesse der Aufrechterhaltung der Ordnung unentbehrlich seien. Darunter sei auch die Ordnung eines spezifischen Ausschnittes der Gesellschaft oder einer Institution, wie beispielsweise eines Gefängnisses zu verstehen(Drexler/Weger, StVG 4 § 107 Rz 9, Rz 11).
Anlassbezogen sei der Beschwerdeführer hinsichtlich des Vorfalls vom ***** um ***** bis ***** in *****, PI *****, mit Straferkenntnis der LPD ***** vom *****, GZ *****, wegen Lärmerregung und Störung des örtlichen Gemeinschaftslebens nach § 1 Abs 1 StLSG und wegen aggressiven Verhaltens gegenüber Organen der öffentlichen Aufsicht oder gegenüber militärischen Organen im Wachdienst nach § 82 Abs 1 SPG zu einer Geldstrafe inklusive der Kosten des Strafverfahrens von insgesamt EUR ***** bestraft worden. Dagegen habe der Beschwerdeführer das Rechtsmittel der Beschwerde erhoben, wobei die Entscheidung des Landesverwaltungsgerichts noch ausständig sei und das Verfolgungshindernis der entschiedenen Sache bereits mangels Rechtskraft dieses Straferkenntnisses nicht gegeben sei.
Unabhängig davon würde im konkreten Fall keine unzulässige Doppelbestrafung vorliegen, weil es nach ständiger Rechtsprechung des EGMR in Verfahren betreffend die disziplinäre Ahndung von Ordnungswidrigkeiten in einer Haftanstalt nicht um eine strafrechtliche Anklage iSd Art 6 MRK gehe und folglich kein Anwendungsfall des Art 4 des 7.Zusatzprotokolls zur MRK vorliege.
Im Übrigen seien die geschützten Rechtsgüter der Bestimmungen des § 107 Abs 1 Z 9 bzw Z 10 StVG zum einen die Aufrechterhaltung der Ordnung (in der Justizanstalt) und zum anderen die allgemeinen Pflichten des Strafgefangenen nach § 26 StVG. Dem gegenüber zielen die Bestimmung des § 1 Abs 1 StLSG auf die Vermeidung von ungebührlichem störendem Lärm und die Bestimmung des § 82 SPG auf das aggressive Verhalten gegenüber Organen der öffentlichen Aufsicht oder gegenüber militärischen Organen im Wachdienst (allgemein, insbesondere außerhalb einer Haftanstalt) ab, weshalb mit dem bekämpften Straferkenntnis der Anstaltsleiterin lediglich der disziplinäre Überhang bestraft worden sei und einer darüber hinausgehenden verwaltungsrechtlichen Ahndung des Beschwerdeführers nicht entgegenstehe.
Auf Grund von Widersprüchen in den Aussagen des Beschwerdeführers sowie der Zeugin M***** R***** im Zusammenhalt mit dem Umstand, dass es sich bei M***** R***** um die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers handelt und deren Angaben daher als Gefälligkeitsaussage gewertet wurden, erachtete das Vollzugsgericht die Angaben des amtshandelnden Polizeibeamten RevInsp. S***** für glaubwürdig und nachvollziehbar, wobei keine Anhaltspunkte für die Annahme vorlägen, dass der Polizeibeamte S***** den Beschwerdeführer zu Unrecht belasten sollte, wobei dessen Angaben darüber hinaus von der Zeugin RevInsp. K***** bestätigt worden seien.
Das Vollzugsgericht gelangte daher zur Entscheidung, dass die Anstaltsleiterin die Feststellungen aktenkonform traf, weshalb der Schuldspruch grundsätzlich zu Recht erfolgt sei und der Beschwerdeführer durch die unrichtige Subsumtion der Ordnungswidrigkeit unter § 107 Abs 1 Z 10 StVG anstatt richtig § 107 Abs 1 Z 9 StVG nicht beschwert sei.
Da sich der Beschwerdeführer bereits einmal einer Ordnungswidrigkeit schuldig gemacht habe, sei die Ordnungsstrafe der Geldbuße in Höhe von EUR 25,-- schuld- und tatangemessen und keiner Reduktion zugänglich.
Mangels Rechtskraft des Straferkenntnisses der LPD ***** sei die dort verhängte Strafe auch nicht mildernd zu werten.
Dagegen richtet sich die fristgerechte Beschwerde des Strafgefangenen (ON 17), in der er moniert, das Thema Doppelbestrafung werde bei Justizschulungen sehr wohl behandelt, wobei die Ordnungsstrafe auch nicht vollständig zitiert worden sei, weil sie neben einer Geldstrafe von EUR 25,-- auch ein Ausgangsverbot von ***** sowie die Aufhebung des § 126 Abs 4 StVG bis Mitte ***** umfasst habe. Die Beweiswürdigung des Vollzugsgerichts kritisierte der Beschwerdeführer mit der Behauptung, dass die für glaubwürdig erachtete Aussage der RevInsp. K***** nur eine von zwei Aussagen darstelle (beide aufgenommen am *****, GZ ***** und *****), die nicht miteinander in Einklang stünden. Im Übrigen seien die Aussagen seiner Lebensgefährtin verzerrt dargestellt und aus dem Kontext gerissen wiedergegeben worden.
Rechtliche Beurteilung
Nach § 16a Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 StVG entscheidet das Oberlandesgericht Wien für das gesamte Bundesgebiet über Beschwerden gegen einen Beschluss des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 StVG wegen Rechtswidrigkeit, wobei Letztere nicht vorliegt, soweit das Vollzugsgericht Ermessen im Sinne des Gesetzes geübt hat. Gemäß § 16a Abs 3 StVG ist gegen den Beschluss des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 StVG eine Beschwerde nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Vollzugsgericht von der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung abweicht, eine solche fehlt oder uneinheitlich ist.
Vorauszuschicken ist, dass die Feststellungen zum Sachverhalt und die vom Vollzugsgericht angeführte Beweiswürdigung keinen Bedenken begegnet, wobei der Beschwerdeführer mit seinem bloßen Hinweis auf ein weiteres Verwaltungsstrafverfahren, dessen Gegenstand nicht näher erörtert wird, und die pauschale Behauptung von Widersprüchen, ohne diese Divergenzen im Einzelnen darzulegen, die sorgfältige Beweiswürdigung des Vollzugsgerichts nicht zu erschüttern vermag.
Es mag zutreffen, dass die verfahrensgegenständliche Ordnungswidrigkeit in weiterer Folge auch Konsequenzen in Bezug auf Ausgänge (§ 126 StVG) nach sich gezogen hat, die Behauptung des Beschwerdeführers, die verhängte Ordnungsstrafe habe auch ein Ausgangsverbot sowie die Aufhebung des § 126 Abs 4 StVG bis Mitte ***** umfasst, wird jedoch durch den klaren Wortlaut des im Akt befindlichen Ordnungsstraferkenntnisses widerlegt. Ganz abgesehen davon sind die Ordnungsstrafen in § 109 StVG taxativ aufgezählt (Verweis (Z 1); Beschränkung oder Entziehung von Vergünstigungen (Z 2); Beschränkung oder Entziehung der Rechte auf Verfügung über das Hausgeld, Fernsehempfang, Briefverkehr, Besuchsempfang oder Telefongespräche (Z 3); Geldbuße (Z 4) und Hausarrest (Z 5).
Bei Beschwerden gegen einen Beschluss des Vollzugsgerichtes gem § 16 Abs 3 StVG ist das OLG Wien die zweite gerichtliche Beschwerdeinstanz. In diesem Verfahren besteht Neuerungsverbot , weil Beschlüsse des Vollzugsgerichtes nach § 16 Abs 3 StVG nur wegen Rechtswidrigkeit angefochten werden können und gemäß § 17 Abs 2 Z 1 und 2 StVG die Bestimmung des § 65 AVG , wonach Neuerungen im Berufungsverfahren zulässig wären, nicht anzuwenden ist (stRsp OLG Wien, 132 Bs 15/18b, 132 Bs 374/17w, 132 Bs 350/17s uvm). Beschwerden gem § 16a Abs 3 StVG gegen eine bloß von einer Tatfrage abhängenden Entscheidung sind jedenfalls unzulässig (OLG Wien 33 Bs 41/16w; Pieber, W K 2 § 16 Rz 8). Geltend zu machen sind vielmehr nur Fehler in der rechtlichen Beurteilung des maßgeblichen Sachverhalts (OLG Wien 132 Bs 91/17b; Pieber, WK 2 StVG § 16 Rz 2).
Da das Straferkenntnis der LPD *****, GZ *****, zum Zeitpunkt der Entscheidung durch das Vollzugsgericht nicht rechtskräftig war, zumal das zu AZ ***** vor dem Landesverwaltungsgericht ***** anhängige Beschwerdeverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen war, geht der auf eine unzulässige Doppelbestrafung abzielende Einwand des Beschwerdeführers ins Leere.
Der Vollständigkeit halber bleibt anzumerken, dass inzwischen mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts ***** vom *****, GZ ***** die Beschwerde des M***** L***** unter der Maßgabe, dass im Spruchpunkt 2 die Passage „...sodass diese durch ihren Speichel nass wurde“ zu entfallen hat, dem Grund nach abgewiesen, ihr jedoch insoweit Folge gegeben wurde, als die verhängten Strafen für den Verstoß nach § 1 Abs 1 Steiermärkisches Landes-Sicherheitsgesetz mit ***** Euro (im Uneinbringlichkeitsfall Ersatzfreiheitsstrafe von ***** Stunden) bzw. gegen § 82 SPG mit ***** Euro (im Uneinbringlichkeitsfall ***** Tage Ersatzfreiheitsstrafe) neu bemessen wurden. Dieses Erkenntnis ist bislang nicht in Rechtskraft erwachsen, die sechswöchige Frist zur Erhebung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof bzw. einer außerordentlichen Revision an den Verwaltungsgerichtshof (§ 30 VwGVG) ist noch offen.
Da vom Vollzugsgericht die Milderungs- und Erschwerungsgründe zutreffend erfasst und gewichtet wurden, ist die ohnehin moderate Sanktion unter Berücksichtigung der Kriterien des § 19 VStG einer Reduktion nicht zugänglich, auch der Kostenbeitrag entspricht der in § 64 Abs 2 VStG iVm § 107 Abs 4 StVG vorgesehenen Relation.
Der Beschwerde war daher kein Erfolg beschieden.
Lediglich der Vollständigkeit halber bleibt noch anzumerken, dass die Erwägungen des Vollzugsgerichts, wonach mit dem bekämpften Ordnungsstraferkenntnis der Anstaltsleiterin lediglich der disziplinäre Überhang bestraft worden sei und einer darüber hinausgehenden verwaltungsstrafrechtlichen Ahndung des Beschwerdeführers nicht entgegenstehe, lediglich in Hinblick auf die Bestrafung nach § 1 Abs 1 StLSG geteilt wird, nicht aber in Bezug auf die Bestrafung nach § 82 SPG.
Als Verstoß nach § 82 SPG wird dem Beschwerdeführer nämlich aggressives Verhalten gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht während Wahrnehmung seiner gesetzlichen Aufgaben vorgeworfen (Herumgestikulieren und wiederholtes Anschreien des Meldungslegers in der Parteienschleuse der PI *****, Verspannen der Gesichtszüge und Ballen der Hände zu Fäusten – ON 13). Das Vollzugsgericht hat sich aber bedeckt gehalten, worin fallkonkret der disziplinäre Überhang zu erblicken ist, für welchen der Beschwerdeführer mit § 107 Abs 1 Z 9 StVG - ungebührliches Benehmen gegenüber einer sonst für die Anstalt tätigen Person bzw einem Bediensteten der öffentlichen Verwaltung gegenüber – darüber hinaus zusätzlich zu belangen wäre. Insbesondere wurde nicht dargelegt, inwiefern sich der Tatbestand des § 107 Abs 1 Z 9 StVG in seinen wesentlichen Elementen von jenem des § 82 SPG unterscheidet (vgl. Erkenntnis des VfGH vom 2. Juli 2009, B559/08).
Im Übrigen vermag auch die Berufung auf § 118 StVG nicht zu überzeugen, weil diese Bestimmung die strafrechtliche Verfolgung einer Tat, nicht aber die verwaltungsstrafrechtliche Ahndung einer zugleich als Ordnungswidrigkeit beurteilten Tat zum Gegenstand hat ( Pieber in Höpfel/Ratz , WK 2 StVG § 118).