JudikaturOLG Wien

133R54/18s – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
14. November 2018

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hinger als Vorsitzenden und den Richter Dr. Schober sowie die Patentanwältin DI Bachinger-Fuchs in der Rechtssache der klagenden Partei ***** , vertreten durch WOLF THEISS Rechtsanwälte GmbH Co KG in Wien sowie Sonn Partner Patentanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei ***** , vertreten durch Schwarz Schönherr Rechtsanwälte KG in Wien sowie DI Dr. Andreas Weiser, Patentanwalt in Wien, wegen (zuletzt) Rechnungslegung (EUR 30.000) und Zahlung (EUR 50.000), über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 15.3.2018, 34 Cg 28/16y–55, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung wird zurückgewiesen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei EUR 6.427,32 (darin EUR 1.071,22 USt) an Kosten für das Berufungsverfahren binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt EUR 30.000.

Die Revision ist nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Text

Die Klägerin ist Inhaberin des europäischen Patents EP 2 319 556 (österreichisches Patent AT E 608 214) mit dem Titel „ Needle tip guard for hypodermic needles” (Deutsch: „ Nadelspitzenschutz für Subkutaninjektionen”). Das Patent wurde am 27.2.1997 unter der Inanspruchnahme der Prioritäten der Patente US 60/012,343P vom 27.2.1996 (= P 1), US 60/025,273P vom 19.9.1996 (= P 2) und US 60/031,399P vom 19.11.1996 (= P 3) angemeldet; erteilt wurde das Klagepatent am 24.4.2013. Gegenstand des Patents sind allgemein Schutzvorrichtungen für die Nadelspitzen von Subkutannadeln.

Die Ansprüche lauten:

1 Nadelschutzanordnung umfassend:

a) einen Katheteransatz (13);

b) einen Nadelansatz (9, 12, 112) mit einer daran fixierten Nadel (10) mit einem spitzen distalen Ende (11);

c) einen Nadelschutz (22, 22a, 220), der verschiebbar auf der Nadel (10) angebracht ist;

d) wobei der Nadelschutz (22, 22a, 220) einen beweglichen Nadelfänger (41) umfasst, der in Richtung auf die Nadel (10) vorgespannt ist;

e) wobei sich der Nadelfänger (41) des Nadelschutzes (22, 22a, 220) über das spitze distale Ende (11) der Nadel (10) vorwärts bewegt und dadurch das spitze distale Ende (11) abdeckt, wenn der Nadelschutz (22, 22a, 220) nach vorne in die Nähe des spitzen distalen Endes (11) der Nadel (10) gedrückt wird;

f) Begrenzungsmittel zum Begrenzen der Vorwärtsbewegung des Nadelschutzes (22, 22a, 220) längs der Nadel (10);

g) wobei die Nadelschutzanordnung ferner einen Kopplungsmechanismus umfasst, der eine mechanische Trennung der Nadelschutzanordnung vom Katheteransatz (13) verhindert, bis das spitze distale Ende (11) sicher von dem Nadelfänger (41) abgedeckt ist, wobei der Kopplungsmechanismus einen Arm (45) mit einem proximalen Ende und einem distalen Ende umfasst, wobei das proximale Ende des Arms an dem beweglichen Nadelfänger (41) angebracht ist, wobei das distale Ende des Arms (45) einen Vorsprung (42) aufweist, der lösbar mit dem Katheteransatz (13) gehalten wird,

dadurch gekennzeichnet, dass der Vorsprung (42) des distalen Endes des Arms (45) lösbar in einer Ausnehmung (32) des Katheteransatzes (13) gehalten wird;

h) und wobei das Begrenzungsmittel eine Anhängevorrichtung (24) umfasst.

2 Nadelschutzanordnung nach Anspruch 1, wobei sich der Arm (45) nach innen bewegt, wenn sich der Nadelfänger (41) zum Abdecken des spitzen distalen Endes (11) nach innen bewegt, wobei die Bewegung des Arms (45) nach innen dazu führt, dass der distale Vorsprung (42) des Arms (45) vom Katheteransatz (13) gelöst wird, wodurch eine Trennung des Nadelschutzes (22, 22a, 220) und des Katheteransatzes (13) ermöglicht wird.

3 Nadelschutzanordnung nach einem der vorhergehenden Ansprüche, wobei der Nadelschutz (22, 22a, 220) vom Anwender manuell längs dem Schaft der Nadel (10) nach vorne gedrückt wird.

4 Nadelschutzanordnung nach einem der vorhergehenden Ansprüche, wobei der Nadelfänger (41) durch eine inhärent gebildete Vorspannung des Nadelfängers (41) nach innen und vor das spitze distale Ende (11) gedrückt wird.

5 Nadelschutzanordnung nach einem der vorhergehenden Ansprüche, die ferner ein elastisches Teil (19) umfasst, dass den Nadelfänger (41) in Richtung auf die Nadel (10) drückt.

6 Nadelschutzanordnung nach Anspruch 5, wobei der Nadelfänger (41) einen Einführungsabschnitt (33) zur Positionierung des elastischen Teils (19) auf dem Nadelschutz (22, 22a, 220) in Kerben (60, 61) umfasst.

7 Nadelschutzanordnung nach Anspruch 5 oder 6, wobei das elastische Teil (19) in einer ringförmigen Art und Weise einen Abschnitt des Nadelschutzes (22, 22a, 220) umgebend angeordnet ist.

8 Nadelschutzanordnung nach einem der vorhergehenden Ansprüche, wobei der Nadelfänger (41) schwenkbar an den Nadelschutz (22, 22a, 220) angebracht ist.

9 Nadelschutzanordnung nach Anspruch 8, wobei der Nadelfänger (41) durch einen Gelenkabschnitt (40) schwenkbar an den Nadelschutz (22, 22a, 220) angebracht ist.

10 Nadelschutzanordnung nach einem der vorhergehenden Ansprüche, wobei der Nadelfänger (41) mit dem Rest des Nadelschutzes (22, 22a, 220) integral ist.

11 Nadelschutzanordnung nach einem der vorhergehenden Ansprüche, wobei der Nadelfänger (41) einen Arm umfasst, der sich parallel zur Nadel (10) erstreckt.

12 Nadelschutzanordnung nach Anspruch 11, wobei der Arm an seinem proximalen Ende schwenkbar an den Nadelschutz (22, 22a, 220) angebracht ist.

Das Merkmal g) des Anspruchs 1 untergliedert sich in folgende Untermerkmale:

g1) wobei die Nadelschutzanordnung ferner einen Kopplungsmechanismus umfasst, der eine mechanische Trennung der Nadelschutzanordnung vom Katheteransatz (13) verhindert, bis das spitze distale Ende (11) sicher von dem Nadelfänger (41) abgedeckt ist,

g2) wobei der Kopplungsmechanismus einen Arm (45) mit einem proximalen Ende und einem distalen Ende umfasst,

g3) wobei das distale Ende des Arms (45) einen Vorsprung (42) aufweist, der lösbar mit dem Katheteransatz (13) gehalten wird,

g4) dadurch gekennzeichnet, dass der Vorsprung (42) des distalen Endes des Arms (45) lösbar in einer Ausnehmung (32) des Katheteransatzes (13) gehalten wird.

Die Beklagte erhob gegen die Erteilung des Klagepatents beim Europäischen Patentamt (EPA) mit der Behauptung des Fehlens der Rechtsbeständigkeit Einspruch, den die Einspruchsabteilung des EPA mit Entscheidung vom 9.12.2014 abwies; sie hielt das Klagepatent in der erteilten Fassung aufrecht. Inhaltlich wurde darin angeführt, dass die Prioritätsdokumente P 1 und P 2 nicht ident mit der beanspruchten Erfindung seien. In Bezug auf das Prioritätsdokument P 3 sei eine enge Auslegung des Begriffs „dieselbe Erfindung” heranzuziehen. Die Patentschrift P 3 beziehe sich auf eine „innere Ausnehmung” („inner recess”). Diese Definition ziehe sich durch das ganze Dokument, ohne dass eine allgemeinere Beschreibung der Ausnehmung angesprochen werde. Damit beziehe sich P 3 nicht auf die in Punkt g) des Anspruchs 1 des Klagepatents beschriebene Ausführung, in der nur von einer „Ausnehmung” („recess”) die Rede sei.

Die Beschwerdekammer des EPA beurteilte das Klagepatent ebenfalls als rechtsbeständig und wies die Beschwerde der Beklagten mit Beschluss vom 20.1.2016 zurück.

Zwischen den Parteien ist bereits zu 19 Cg 7/15y des Handelsgerichts Wien ein Verletzungsverfahren anhängig; Verletzungsgegenstand in jenem Verfahren ist das Produkt „ Venflon Pro Safety alt” („VPS alt”) der Beklagten. Im bereits rechtskräftig erledigten Provisorialverfahren (34 R 73/15b des OLG Wien, 4 Ob 141/16p) wurde ein Eingriff in das Klagepatent bejaht und eine einstweilige Verfügung in Bezug auf das Unterlassungsbegehren erlassen. Derzeit ist dieses Verfahren (noch nicht rechtskräftig; vgl 133 R 39/18k des OLG Wien) bis zur Rechtskraft der Entscheidung über die Rechtsbeständigkeit des Klagepatents in dem zu N 7/16 des österreichischen Patentamts anhängigen Verfahren gemäß § 156 Abs 3 PatG unterbrochen.

Die Klägerin behauptet nunmehr ein patentverletzendes Anbieten, Inverkehrbringen, den Gebrauch und die Einfuhr sowie den Besitz der Nadelschutzvorrichtungen „Venflon Pro Safety neu” („VPS neu”) durch die Beklagte und begehrte zunächst Unterlassung, Rechnungslegung, Beseitigung und Zahlung. Da zwischenzeitig mit 27.2.2017 das Klagepatent EP 2 319 556 (AT E 608 214) abgelaufen ist, schränkte die Klägerin das Klagebegehren auf Rechnungslegung und Schadenersatz ein.

Da nach wie von der Rechtsbeständigkeit des Klagepatents auszugehen sei, verletze die Beklagte (auch) mit dem Produkt VPS neu das Klagepatent. Die Produkte VPS alt und VPS neu seien im Hinblick auf die relevanten Aspekte des Klagepatents mit einer einzigen Ausnahme völlig ident. Die Abweichung bestehe nur darin, dass beim Produkt VPS neu am proximalen Ende des Katheteransatzes gegenüber dem Produkt VPS alt die Ausnehmung (bloß) abgeflacht worden sei. Es liege aber nach wie vor eine „Ausnehmung” („recess”) im Sinne des Klagepatents vor und der Kopplungsmechanismus funktioniere bei VPS neu wie vom Klagepatent beansprucht. Somit sei auch das Merkmal g4 erfüllt, weil bei VPS neu (auch) eine „Ausnehmung (32)” im Katheteransatz vorliege, in der ein entsprechender „Vorsprung (42)” lösbar gehalten werde. Der Katheteransatz bei VPS neu habe insgesamt eine zylindrische Form, und die Stelle, in der der Vorsprung des Arms eintauche, nehme sich als Vertiefung in Folge einer Wegnahme von Material aus, die an einem Teil des Umfangs der zylindrischen Form eingebracht sei. Die Vertiefung habe insofern an den beiden Seiten in axialer Richtung Seitenwände, während sie in Umfangsrichtung in den Zylindermantel übergehe. Der Vorsprung des Arms hintergreife die in Richtung Nadelansatz weisende Seitenwand und werde so lösbar mit dem Katheteransatz gehalten.

Die Beklagte bestritt die Klagebegehren und wandte zusammengefasst ein, dass sie mit ihrem Produkt VPS neu nicht in das nicht rechtsbeständige Klagepatent eingreife. VPS neu sei so konstruiert, dass der Katheteransatz (13) keine Ausnehmung („recess”) mehr aufweise; Merkmal g4 des Klagepatents könne daher nicht verwirklicht sein. Außerdem liege kein Arm vor, wie er nach Merkmal g2 des Klagepatents vom Kopplungsmechanismus umfasst sei.

Mit dem nunmehr angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Rechnungs- und Zahlungsbegehren ab, wobei es von dem auf den Seiten 6 bis 12 der Urteilsausfertigung ersichtlichen Sachverhalt ausging, auf den zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird. Rechtlich folgerte es, dass das Klagepatent nicht verletzt werde, weil in der angegriffenen Ausführungsform VPS neu das Merkmal g4 des Anspruchs 1 des Klagepatents, das fordere, dass der Vorsprung (42) des distalen Endes des Arms lösbar in einer Ausnehmung (32) des Katheteransatzes (13) gehalten sei, nicht verwirklicht sei; und zwar weder wortwörtlich noch äquivalent. Eine äquivalente Verwirklichung sei aufgrund der Nichtexistenz einer Ausnehmung auszuschließen, weil das Streitpatent das Vorsehen einer Ausnehmung vorschlage, um den Vorsprung des distalen Endes des Arms zu halten, und somit auf die (reine) Oberfläche als Haltemittel (also ohne Ausnehmung) gerade verzichte. Somit könne das Weglassen einer solchen Ausnehmung jedenfalls nicht als eine für den Fachmann naheliegende Alternative angesehen werden. Aus dem Gesamtzusammenhang des Anspruchs ergebe sich außerdem, dass eine bewusste Einschränkung auf ein Lösungsmittel (nämlich die Ausnehmung) vorgenommen worden sei. Es erübrige sich daher, auf die von den Streitteilen zitierte Judikatur des BGH näher einzugehen. Da keine Patentverletzung vorliege, sei auch die Frage der Rechtsbeständigkeit des Klagepatents nicht zu prüfen.

Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie „sekundärer Verfahrensmängel” verbunden mit den Anträgen, eine mündliche Berufungsverhandlung anzuberaumen und das angefochtene Urteil im klagsstattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, der Berufung keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

1. Eine Berufungsverhandlung ist nur anzuberaumen, wenn das Berufungsgericht dies im Einzelfall für erforderlich hält (§ 480 Abs 1 ZPO). Die amtswegige Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung ist nicht erforderlich; der darauf gerichtete, unzulässige Antrag der Klägerin war daher zurückzuweisen.

2. Nach Ansicht der Klägerin sei die Auffassung des Erstgerichts unrichtig, dass die angegriffene Ausführungsform VPS neu das Merkmal g4 des Klagepatents nicht verwirkliche. Der konische Abschnitt des Katheteransatzes in VPS neu bilde eine Ausnehmung im Sinne dieses Merkmals. Der OGH habe im parallelen Verfahren die Ausführungsform VPS alt geprüft und sei zum Ergebnis gekommen, dass der Katheteransatz insgesamt eine zylindrische Form habe und sich die Stelle, in die der Vorsprung eintauche, als Vertiefung in Folge einer Wegnahme von Material ausnehme, die an einem Teil des Umfangs der zylindrischen Form eingebracht sei, welcher als Ausnehmung zu qualifizieren sei. Eine solche Wegnahme von Material sei aber auch beim Katheteransatz von VPS neu gegeben.

Es sei kein Grund ersichtlich, weshalb die Beurteilung aller drei Instanzen im parallelen Verletzungsverfahren zu den Voraussetzungen einer erfindungsgemäßen „Ausnehmung” nicht auch in gleicher Weise für das hier vorliegende Verfahren gelten sollte. Das Produkt VPS neu sei mit dem Produkt VPS alt im Hinblick auf die relevanten Aspekte des Klagepatents mit einer einzige Ausnahme völlig ident. Die einzige Abweichung bestehe darin, dass das Produkt VPS neu am proximalen Ende des Katheteransatzes gegenüber dem Produkt VPS alt bloß abgeflacht worden sei. Somit gehe der Einwand des Erstgerichts ins Leere, die Beurteilungen des parallele Verletzungsverfahrens betreffend VPS alt seien nicht haranzuziehen.

Die Begründung des Erstgerichts, der Eingriffsgegenstand VPS neu bestehe – anders als VPS alt – gleichsam „aus zwei Teilen”, nämlich aus einem zylindrischen Abschnitt (B) und einem abschließenden konischen Abschnitt (A), sei künstlich und entferne sich vom tatsächlichen Sachverhalt. Dem Erstgericht sei dabei der gedankliche Fehler unterlaufen, die Referenzoberfläche viel zu weit gefasst zu haben; bei richtigem Verständnis umfasse die Referenzoberfläche nicht die gesamte Oberfläche des rotationssymmetrischen Zylinders, sondern bloß die Stelle, in die der Vorsprung (42) am Katheteransatz (13) eintauche (somit den Abschnitt (A) in Abbildung 8). Genau an dieser Stelle befinde sich jedoch unstrittig eine Vertiefung (32) in Folge einer Wegnahme von Material, wobei der Neigungswinkel unstrittig zumindest 0,69° (tatsächlich 1,3°) betrage. Somit treffe auch die Ansicht des Erstgerichts nicht zu, die Oberfläche des zylindrischen Abschnitts (B) werde nach dem konischen Abschnitt (A) nicht fortgesetzt.

Um eine Verletzung zu verhindern, hätte die Beklagte den zylindrischen Lauf des Katheteransatzes weiterführen müssen. Dennoch habe sie bewusst Material von der zylindrischen Form des Katheteransatzes weggenommen. Dies sei eine bewusste Produktgestaltung der Beklagten, die in das Patent der Klägerin eingreife.

Aus der Entscheidung der technischen Beschwerdekammer des EPA ergebe sich unzweifelhaft, dass (auch) der Eingriffsgegenstand VPS neu eine erfindungsgemäß „Ausnehmung” aufweise und deshalb das Klagepatent verletze. Es könne dem Erstgericht in seiner Beurteilung des Kopplungsmechanismus nicht zugestimmt werden.

Nicht richtig gewürdigt worden sei der beim Eingriffsgegenstand abgefräste Umfangswandabschnitt (F). Dabei handle es sich um eine modifizierte Ausführungsform von VPS alt , die erkennbar zeige, dass die Erhöhung ab der Referenzoberfläche des Umfangswandabschnitts (F) keine Funktion erfülle und dass es sich beim Umfangswandabschnitt (F) um eine Verlängerung der Oberfläche (B) und beim konischen Abschnitt (A) um eine Ausnehmung im Sinne des Klagepatents handle.

Die Nichtberücksichtigung des Augenscheinsobjekts Beilage ./AI begründe einen wesentlichen Verfahrensfehler, der eine erschöpfende Beurteilung des Sachverhalts verhindere. Hätten sich das Erstgericht und der Sachverständige mit diesem Beweismittel befasst, dann wären sie zum Ergebnis gekommen, dass der Umfangswandabschnitt (F) fiktiv durch Wegnahme von Material von der zylindrischen Oberfläche (B) entstanden sei, die um den ganzen Katheteransatz herum verläuft, und dass somit auch VPS neu eine Ausnehmung aufweise, zumal es beim Abschnitt (A) um eine die umgebende Oberfläche unterbrechende Vertiefung handle und Abschnitt (A) daher eine Unterbrechung der zylindrischen Oberfläche des Abschnitts (B) bilde. Rechtlich komme man daher zum Schluss, der Eingriffsgegenstand VPS neu erfülle das Merkmal g4 des Klagepatents. Folgende Feststellungen seien zu treffen:

„Beim Eingriffsgegenstand VPS neu ist der Teil des Umfangswandabschnitts F in Höhe der gedachten Verlängerung der Oberkante des zylindrischen Abschnitts (B) (= F [fiktiv]) durch Wegnahme von Material dieses zylindrischen Abschnitts (B) entstanden; dieser Teil F (fiktiv) des Umfangswandabschnitts F läuft um den Katheteransatz herum.

Beim Abschnitt (A) handelt es sich daher um eine eine umgebende Oberfläche unterbrechende Vertiefung und Abschnitt (A) stellt somit eine Unterbrechung der zylindrischen Oberfläche des Abschnitt (B) dar.”

Die Begründung des Erstgerichts, Merkmal g4 sei bei der Ausführungsform VPS neu deshalb nicht verwirklicht, weil der Vorsprung des distalen Endes des Arms die Oberfläche des konischen Abschnitts (A) des Katheteransatzes nur reibschlüssig kontaktiere, bleibe unverständlich. Bereits die Feststellung, der Vorsprung des distalen Endes des Arms kontaktiere die Oberfläche des konischen Abschnitts (A) des Katheteransatzes nur reibschlüssig, stehe dazu im Widerspruch. Es sei auch die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts, VPS neu verwende einen anderen Kopplungsmechanismus – nämlich einen Reibschluss – nicht relevant für die Beurteilung, ob VPS neu die Merkmale von Anspruch 1 des Klagepatents erfülle. Tatsächlich sei weder aus dem Patentanspruch noch aus der Erfindungsbeschreibung oder den Zeichnungen ein Anhaltspunkt abzuleiten, aus der sich ein Unterschied im Kopplungsmechanismus aus der Frage ergebe, ob der Vorsprung (42) auf der Oberfläche des Katheteransatzes „lösbar mittels Reibungskräften” gehalten werde oder durch ein „Halten innerhalb einer Ausnehmung des Katheteransatzes” (Formschluss). Das eine schließe das andere nicht aus.

Das Erstgericht hätte daher zum Ergebnis gelangen müssen, dass das Merkmal g4 bei der angegriffenen Ausführungsform VPS neu durch den Reibschluss, der zwischen dem Vorsprung des distalen Endes des Arms und der Oberfläche des Katheteransatzes bestehe, als wortwörtlich verwirklicht anzusehen sei, weil der Anspruch 1 des Klagepatents keine Einschränkungen auf einen bestimmten Kopplungsmechanismus offenbare. Zudem habe das Erstgericht eine mögliche Äquivalenz alleine schon deshalb ausgeschlossen, weil angeblich keine Ausnehmung vorliege, somit keine wortgemäße Patentverletzung gegeben sei. Somit sei aufgrund der derartig eingeschränkten Interpretation des Kopplungsmechanismus den Äquivalenten nicht gebührend Rechnung getragen worden.

3. Voranzustellen ist, dass im Berufungsverfahren nur mehr die Verwirklichung des Merkmals g4 bei VPS neu strittig ist; der Eingriffsgegenstand erfüllt (unstrittig) die Merkmale a) bis f), g1), g2) (ist nicht [von der Beklagten] in der Berufungsbeantwortung beanstandet), g3) und h). Davon ausgehend kann das Berufungsgericht die Bedenken der Klägerin aber trotzdem nicht teilen, sodass vorab auf die zutreffende Beurteilung des Erstgerichts verwiesen werden kann (§ 500a ZPO).

3.1 Das Anspruchsmerkmal g4

«dadurch gekennzeichnet, dass der Vorsprung (42) des distalen Endes des Arms (45) lösbar in einer Ausnehmung (32) des Katheteransatzes (13) gehalten wird»

fordert eine Ausnehmung, die den Vorsprung des Arms in der Ausnehmung lösbar halten kann, also mit ihrer proximalen Ausnehmungswand einen entsprechenden Anschlag bildet, der ohne Verlagerung des Arms zufolge der Bewegung des Nadelfängers vom Vorsprung des Arms nicht überwunden werden kann.

VPS neu umfasst einen Katheteransatz, der im Anschluss an einen zylindrischen Abschnitt einen sich gegen das proximale Ende hin verschmälernden konischen Abschnitt bildet, der am proximalen Ende zwei einander gegenüberliegende Luer-Flügel und zwischen den Luer-Flügeln einen radial vorstehenden Umfangswandabschnitt aufweist, der von der Klägerin mit Wand W und von der Beklagten mit Flansch F bezeichnet wird.

Zutreffend verweist die Beklagte darauf, dass die vergrößerte Schnittansicht des Katheteransatzes der Klägerin auf Seite 4 der Berufung irreführend ist. Die konische Verjüngung des Katheteransatzes beträgt nur 0,69° (∆R = 0,066 mm), wobei mit diesem Maß die Höhe des Umfangswandabschnitts keine (Halte-)Funktion haben kann. Die Vertiefung ist ohnedies bereits durch den Umfangswandabschnitt proximal begrenzt. Nur im Fall, dass sich die zylindrische Referenzoberfläche im Bereich des proximalen Umfangswandabschnitts fortsetzen würde (Höhe H dieses Wandabschnitts würde dem ∆R entsprechen), läge im Bereich der Länge des Umfangswandabschnitts eine Vertiefung des Katheteransatzes gegenüber der zylindrischen Referenzoberfläche vor.

Zweck der Ausnehmung des Streitpatents ist es, den Vorsprung des distalen Endes des Arms des Kopplungsmechanismus derart zu halten, dass eine mechanische Trennung der Nadelschutzanordnung vom Katheteransatz verhindert wird. Diese Aufgabe wird bei VPS neu durch den radial vorstehenden Umfangswandabschnitt gelöst, der einen entsprechenden Anschlag für den Vorsprung am distalen Ende des Arms darstellt. Die durch den konischen Abschnitt A in Verbindung mit dem Umfangswandabschnitt gebildete Vertiefung, deren größte Tiefe ∆R = 0,066 mm beträgt, ist aber nicht geeignet, den Vorsprung des distalen Endes des Arms des Kopplungsmechanismus derart zu halten, dass eine mechanische Trennung der Nadelschutzanordnung vom Katheteransatz verhindert wird. Das Maß ist zu gering, um einen ausreichenden Anschlag zum Halten des Arms sicherzustellen, was den wesentlichen Unterschied gegenüber dem Merkmal g4 des Anspruchs 1 des Klagepatents ausmacht und den Eingriffsgegenstand damit klar vom Klagepatent abgrenzt.

3.2 Beim Eingriffsgegenstand wird der hakenförmige Finger (42) auf der flachen Oberfläche des Katheteransatzes (13) lösbar mittels Reibungskräften – beabstandet vom Flanschsektor am proximalen Ende des Katheteransatzes – gehalten. Ein Zurückhalten innerhalb einer Ausnehmung des Katheteransatzes – wie es das Merkmal g4 verlangt – liegt bei VPS neu nicht vor und ist aufgrund der durch die flächige Berühung entstehenden Reibverbindung auch nicht erforderlich.

Somit ist, unabhängig davon, ob man diese Verjüngung durch den konischen Abschnitt als „Vertiefung” oder „Kanal” beurteilt, das Merkmal g4 weder wortsinngemäß noch äquivalent benützt. Die bei VPS neu verwendeten unterschiedlichen Merkmale sind einerseits in der Beschreibung als mögliche, nicht aber durch den Patentanspruch 1 ausgewählte Konstruktionsvarianten angeführt und entsprechen andererseits dem Stand der Technik; gegenüber dem Anspruch 1 ist VPS neu durch das ausgewählte Mittel („Halten auf der flachen Oberfläche des Katheteransatzes lösbar mittels Reibungskräften”) abgegrenzt.

Das Ersetzen einer für das Halten des Arms des Kopplungsmechanismus unzureichend tiefen Vertiefung durch einen über die Vertiefung radial nach außen vorstehenden Umfangswandabschnitt kann nicht zu einer äquivalenten Benützung des Merkmals g4 führen, weil eine solche Wand zum Stand der Technik zählt. Das Klagepatent hat dem gegenüber eine Abgrenzung dadurch erreicht, dass anstelle der vorstehenden Wand eine Ausnehmung vorgesehen ist. Ein Rückgriff auf einen Vorsprung oder einen erhöhten Teil, der eine Oberfläche unterbricht, liegt somit außerhalb des Schutzbereichs des Klagepatents.

3.3 Dass die Ausführungen „sämtlicher Instanzen” zur „Ausnehmung” in VPS alt im parallelen Verletzungsverfahren VPS nicht auf VPS neu umzulegen sind, zeigen schon die nachstehenden Abbildungen.

VPS alt

VPS neu

Ergänzend dazu kann auf die Ausführungen in 3.1 und 3.2 hingewiesen werden.

3.4 Es liegt auch der von der Klägerin behauptete „sekundäre Verfahrensmangel” nicht vor, weil das Erstgericht Feststellungen getroffen hat, nur nicht in ihrem Sinn. Der Eingriffsgegenstand wurde sowohl in einer Seitenansicht, in einer perspektivischen Ansicht und in einer Frontansicht (bildlich) festgestellt, und es wurde ergänzend angeführt, dass der Vorsprung (42) an der Oberfläche des Katheteransatzes anliegt und dort reibschlüssig gehalten wird. Die durch den konischen Abschnitt A in Verbindung mit dem Umfangswandabschnitt gebildete Vertiefung (wird von der Klägerin mit „Y” bezeichnet), die die Klägerin als „Ausnehmung” im Sinne des Merkmals g4 festgestellt haben möchte, ist jedoch aufgrund ihre größte Tiefe von ∆R = 0,066 mm nicht geeignet, den Vorsprung des distalen Endes des Arms des Kopplungsmechanismus derart zu halten, dass eine mechanische Trennung der Nadelschutzanordnung vom Katheteransatz verhindert wird. Bei VPS neu bewegt sich aufgrund der Bewegung des Nadelfängers vor das spitze distale Ende der Nadel der Vorsprung (42) in eine Position, in der er am Umfangswandabschnitt (F) vorbei gezogen werden kann (der Bereich „Y” hat somit keine Haltefunktion), so dass der Katheteransatz und der Arm entkoppelt werden können.

3.5 Soweit die Klägerin in Punkt 2.3 der Berufung die Rechtsansicht des Erstgerichts bekämpft, ein Reibschluss in VPS neu verletze nicht das Klagepatent, und Widersprüche mit „Feststellungen” behauptet, ist darauf hinzuweisen, dass es sich dabei um Ausführungen des Erstgerichts im Rahmen der Beweiswürdigung und nicht um dislozierte Feststellungen handelt. Ungeachtet des Umstands, dass eine derartige Form der Beweisrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt wäre, ist auf Basis der getroffenen Feststellungen die Beurteilung nicht zu korrigieren, dass VPS neu einen anderen Kopplungsmechanismus verwendet (siehe 3.1 und 3.2).

Der Berufung war daher der Erfolg zu versagen.

4. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 122 Abs 1 und 141 PatG iVm §§ 41 Abs 1 und 50 ZPO.

5. Die ordentliche Revision war gemäß § 502 Abs 1 ZPO nicht zuzulassen, weil keine Rechtsfrage zu lösen war, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukäme. Der Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstands nach § 500 Abs 2 Z 1 ZPO beruht auf der Bedeutung von Patentansprüchen im Wirtschaftsleben.

[Der Oberste Gerichtshof wies die außerordentliche Revision am 29.1.2019 zurück, 4 Ob 4/19w.]

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