133R90/18k – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hinger als Vorsitzenden sowie die Richterin Mag. Janschitz und den fachkundigen Laienrichter Patentanwalt DI Peter Puchberger in der Patentrechtssache der klagenden Partei T***** , vertreten durch die Kletzer Messner Mosing Schnider Schultes Rechtsanwälte OG in Wien, wider die beklagte Partei G***** , vertreten durch Mag. Dr. Lothar Wiltschek, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung (Interesse: EUR 75.000) und Zurückziehung (Interesse: EUR 10.000) über den Rekurs der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 16.8.2018, 19 Cg 10/18v-7, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 3.879,72 (darin EUR 646,62 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt insgesamt EUR 30.000.
Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.
Begründung
Text
Die klagende und gefährdete Partei (im Folgenden Klägerin ) ist exklusive Lizenznehmerin des Europäischen Patents EP 2 949 335 B1, das in Österreich als E 858 588 T1 (im Folgenden Klagepatent) mit dem Titel „ Niederfrequente Glatirameracetattherapie ”, validiert ist. Gegen das Klagepatent sind derzeit sechs Einsprüche anhängig. Das Klagepatent wurde unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 20.8.2009 (US 274687P) und vom 11.2.2010 (US 337612P) am 4.1.2017 erteilt.
Es umfasst folgende Ansprüche:
1. Glatirameracetat zur Verwendung in einem Behandlungsschema von drei subkutanen Injektionen von einer 40 mg-Dosis Glatirameracetat alle sieben Tage mit mindestens einem Tag zwischen den einzelnen subkutanen Injektionen zur Verwendung in der Behandlung eines Patienten, der unter einer schubförmig verlaufenden Art von Multipler Sklerose leidet oder der einen ersten klinischen Schub erfahren hat und ein hohes Risiko trägt eine klinisch gesicherte Multiple Sklerose zu entwickeln und wobei die pharmazeutische Zusammensetzung zusätzlich Mannitol enthält.
2. Arzneimittel umfassend Glatirameracetat zur Verwendung in der Behandlung eines Patienten, der an einer schubförmig verlaufenden Art von Multipler Sklerose leidet oder der einen ersten klinischen Schub erfahren hat und ein hohes Risiko trägt, eine klinisch gesicherte Multiple Sklerose zu entwickeln, wobei das Arzneimittel zu verabreichen ist in einem Behandlungsschema von drei subkutanen Injektionen von einer 40 mg-Dosis Glatirameracetat alle sieben Tage mit mindestens einem Tag zwischen jeder subkutanen Injektion und wobei die pharmazeutische Zusammensetzung zusätzlich Mannitol enthält.
3. Glatirameracetat zur Verwendung nach Anspruch 1, wobei die Verträglichkeit der Glatirameracetat-Behandlung bei dem menschlichen Patienten durch Verringerung der Häufigkeit einer unmittelbaren Postinjektionsreaktion oder einer Reaktion an der Injektionstelle erhöht ist.
4. Arzneimittel umfassend Glatirameracetat zur Verwendung nach Anspruch 2, wobei die Verträglichkeit der Glatiramer-acetat-Behandlung in dem menschlichen Patienten durch Verringerung der Häufigkeit einer unmittelbaren Postinjektionsreaktion oder einer Reaktion an der Injektionsstelle erhöht ist.
Ausgehend von den Angaben in der Patentbeschreibung dient der im Arzneimittel Copaxone enthaltene Wirkstoff Glatirameracetat einer bewährten Therapie für Patienten mit schubweise remittierender Multipler Sklerose (im Folgenden: „MS”). Die Erfindung stellt ein wirksames niederfrequentiertes Behandlungsschema für die Verabreichung dar, das die Compliance verbessert und Nebenwirkungen, die durch das subkutane Injizieren auftreten, verringert.
Die Klägerin vertreibt das Arzneimittel „Copaxone 40 mg/ml Injektionslösung” mit einer empfohlenen Dosis von dreimal wöchentlich in Abständen von mindestens 48 Stunden zur Verringerung der Häufigkeit von Schüben bei der Erkrankung an MS.
Die Beklagte bietet in Österreich das Arzneimittel „Perscleran 40 mg/ml Injektionslösung” in einer Fertigspritze zur subkutanen Injizierung dreimal wöchentlich im Abstand von mindestens 48 Stunden mit derselben Indikation an.
An vorveröffentlichten Dokumenten liegt das am 9.1.2007 angemeldete Patent US 2007/0161566 A1 mit auszugweise folgenden Ansprüchen vor:
1. A method of alleviating a symptom of a patient suffering from a relapsing form of multiple sclerosis which comprises periodically administering to the patient by subcutaneous injection a single dose of a pharmaceutical composition comprising 40 mg of glatiramer acetate so as to thereby alleviate the symptom of the patient.
2. The method of claim 1, wherein the periodic administration is daily.
3. The method of claim 1, wherein the periodic administration is every other day.
4. The method of claim 1, wherein the relapsing form of multiple sclerosis is relapsing-remitting multiple sclerosis.
5. The method of claim 1, wherein the symptom is the frequency of relapses.
6. The method of claim 1, wherein the pharmaceutical composition is in the form of a sterile solution.
7. The method of claim 1, wherein pharmaceutical composition further comprises mannitol.
Die Methode dient dazu, die Symptome von Patienten zu lindern, die an einer schubartigen Form von MS leiden. Beschrieben wird eine über neun Monate an 90 Patienten durchgeführte Studie zur (täglich verabreichten) 40 mg/ml-Dosis statt der bisher gebräuchlichen 20 mg/ml, die eine verbesserte Wirksamkeit bei guter Verträglichkeit zeige, wie sie bei einer Verdopplung der Dosis nicht habe erwartet werden können.
In der Beschreibung heißt es:
[0019] „This invention provides a method of alleviating a symptom of a patient suffering from a relapsing form of multiple sclerosis which comprises periodically administering to the patient by subcutaneous injection a single dose of a pharmaceutical composition comprising 40 mg of glatiramer acetate so as to thereby alleviate the symptom of the patient.”
Eine Verabreichungsform sei täglich, zu einer weiteren heißt es:
[0021] ”In another embodiment, the periodic administration is every other day.”
und weiters:
[0025] ”In another embodiment, the pharmaceutical composition further comprises mannitol.”
Klinische Erfahrungen mit der alle zwei Tage erfolgten Verabreichung werden in US 2007/0161566 A1 nicht offengelegt.
Am 7.7.2008 veröffentlichte die Klägerin eine Presseaussendung, wonach 40 mg/ml Copaxone zwar keine höhere Wirksamkeit als 20 mg/ml aufgewiesen habe, es aber gleich sicher und verträglich sei. Man arbeite aber weiter daran, die Wirkung von 40 mg/ml zu verstehen.
2008 wurde in Khan et al, Multiple Sclerosis 2008, Vol 14, S 296, eine auf vier Jahre ausgelegte Studie zum Vergleich der täglichen im Verhältnis zur zweitägigen Verabreichung von 20 mg/ml beschrieben. Die tägliche Gabe von 20 mg/ml werde empfohlen, die optimale Dosis sei nach wie vor unbekannt. Es bestehe ein besonderes Interesse an alternativen Dosierungen, weil die tägliche Injizierung eine Herausforderung an die Compliance bei Langzeitbehandlungen darstelle. Nach zwei Jahren habe sich bei einer Konzentration von 20 mg/ml kein nennenswerter Unterschied zwischen der Verabreichung jeden zweiten Tag und der täglichen Verabreichung ergeben. Beide Arten des Dosierschemas schienen eine gleichwertige Wirkung aufzuweisen.
Die Klägerin begehrt die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, mit der der Beklagten – zusammengefasst – verboten werden soll, in Österreich Glatirameracetat und/oder Arzneimittel umfassend Glatirameracetat zur Verwendung in einem Behandlungsschema von drei subkutanen Injektionen von einer 40 mg Dosis alle sieben Tage mit mindestens einem Tag Abstand zwischen den einzelnen subkutanen Injektionen zur Verwendung in der Behandlung eines menschlichen Patienten, der unter einer schubförmig verlaufenden Art von MS leide oder der einen ersten klinischen Schub erfahren habe und ein hohes Risiko trage, eine klinisch gesicherte MS zu entwickeln, herzustellen, anzubieten, feilzuhalten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen und/oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen, insbesondere „Perscleran 40 mg/ml-Injektionslösung in einer Fertigspritze”.
Weiters beantragte die Klägerin, der Beklagten zu verbieten, einen Antrag auf Aufnahme von „Perscleran 40 mg/ml-Injektionslösung in einer Fertigspritze” in den Erstattungskodex zu stellen oder, soweit sie einen solchen bereits gestellt habe, sie zur Zurückziehung zu verpflichten.
Zur Begründung ihres Anspruchs brachte sie vor, dass das Klagepatent rechtsbeständig sei. Sein Gegenstand sei neu, weil die Offenbarung im Patent US 2007/0161566 nicht identisch mit den Ansprüchen 1 und 2 des Klagepatents sei. Dort sei eine Verabreichung an jedem zweiten Tag festgehalten. Das Klagepatent sehe eine dreimalige Verabreichung alle sieben Tage vor. Die damit erzielbare geringere Anzahl von Injektionen sei ein wertvoller technischer Effekt. Die Verabreichung von 40 mg/ml sei kein Ausgangspunkt für den nächstliegenden Stand der Technik, weil 40 mg/ml täglich verabreicht ein Sichheitsprofil ähnlich 20 mg/ml täglich verabreicht aufweise, es komme aber zu mehr unmittelbaren Reaktionen. Das Dosierschema 20 mg/ml täglich verabreicht sei daher der nächstliegende Stand der Technik. Die alternative Dosierung von 40 mg/ml drei Mal wöchentlich sei für den Fachmann zum Prioritätszeitpunkt auch nicht naheliegend gewesen. Das Dosierschema biete den Nutzen eines freien Wochenendes. Die Einsparung von 26 Injektionen sei zudem kosteneffizient nicht nur im Hinblick auf die reduzierten Medikamentenkosten sondern auch für das Gesundheitssystem, wo die Verabreichung durch medizinisches Personal durchgeführt werden müsse. Für die Patienten sei es ferner einfacher, sich daran zu erinnern, sich das Arzneimittel beispielsweise jeden Montag, Mittwoch und Freitag zu verabreichen, statt an ständig wechselnden Wochentagen.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Antrags, es komme dem Klagepatent keine Rechtsbeständigkeit zu. Sämtliche Merkmale der Ansprüche 1 und 2 seien vor dem frühesten Priortätsdatum bereits Stand der Technik gewesen oder durch den Stand der Technik jedenfalls nahe gelegen. Bereits das Patent US 2007/0161566 A1 schlage eine Behandlung von schubförmiger remittierender MS durch periodisch wiederkehrende subkutane Injektionen in einer Dosis von 40 mg/ml vor.
Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht den Sicherungsantrag ab, weil das Patent US 2007/01611566 A1 den nächstliegenden Stand der Technik darstelle. Für eine Dauerbehandlung mit diesem Medikament ergebe sich eine Verminderung von 2 Injektionen pro Monat. Welcher signifikante Vorteil dadurch entstehen sollte, sei im Klagepatent nicht beschrieben. Allein die unwesentliche Verringerung der monatlichen Anzahl von Injektionen könne die notwendige Erfindungshöhe nicht indizieren.
Dagegen richtet sich der Rekurs der Klägerin aus den Rekursgründen der Aktenwidrigkeit, der unrichtigen Tatsachenfeststellung auf Grund unrichtiger Beweiswürdigung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, den Beschluss zu ändern und dem Sicherungsantrag stattzugeben.
Die Beklagte beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
Vorweg ist festzuhalten, dass die Klägerin zwar formal den gesamten Umfang des erstgerichtlichen Beschlusses anficht, jedoch inhaltlich nur zu Spruchpunkt 1. (Unterlassung) Ausführungen macht.
1. Zur Aktenwidrigkeit und zur Tatsachenrüge :
1.1. Unter dem Rekursgrund der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen Tatsachenfeststellung auf Grund unrichtiger Beweiswürdigung bekämpft die Klägerin die vom Erstgericht im Rahmen der rechtlichen Beurteilung getroffene dislozierte Feststellung:
„ Das Dokument US 2007/0161566 A1 offenbart eine Anwendung von Glatirameracetat in der patentgemässen Dosis in Abständen von einem Tag, also jeden zweiten Tag. Hinsichtlich der Dosis von 40 mg wird darin beschrieben, dass sich versuchsweise eine verbesserte Wirkung bei vertretbaren – jedenfalls nicht im gleichen Verhältnis ansteigenden – Nebenwirkungen ergeben habe. ”
und begehrt statt dessen:
„ US 2007/016566 A1 erwähnt zwei Behandlungsschemata, nämlich 40 QD (täglich) und 40 QOD (jeden zweiten Tag). Aus dem Dokument gehen zu 40 QOD keine Daten hervor, die eine praktische Umsetzung vermuten lassen. Vielmehr offenbart US 2007/016566 A1 eine klinische Studie, in welcher der Focus ausschließlich auf 40 QD liegt. Bei der Offenbarung der Verabreichung 40 QOD gemäß den Ansprüchen 1 und 3 und Absatz [0021] handelt es sich lediglich um eine nicht in die Tat umgesetzte, theoretisch genannte Alternative. Gemäß US 2007/016566A1 zeigt das Behandlungsschema 40 QD ein ähnliches Sicherheitsprofil wie 20 QD (siehe Absatz [0062] von Gut ./8) jedoch ein höheres Aufkommen von unmittelbaren Nacheinspritzungsreaktionen (siehe Tabelle 4). ”
Die Klägerin beruft sich darauf, dass das Erstgericht den Inhalt der Patenturkunde US 2007/016566 A1 unrichtig zusammengefasst habe. In US 2007/016566 A1 werde gezeigt, dass das Behandlungsschema 40 QD (tägliche Verabreichung) ein ähnliches Sicherheitsprofil wie 20 QD aufweise, jedoch komme es zu einem höheren Aufkommen von unmittelbaren Nachspritzungsreaktion und die Nebenwirkungen seien häufiger und schwerer. Zur Dosierung von 40 mg/ml jeden zweiten Tag würden sich keine Daten ergeben.
1.2. Abgesehen vom Fehlen der Relevanz der bekämpften Feststellung, was die Ausführungen der Behandlung der Rechtsrüge noch zeigen werden, ist nicht ersichtlich, mit welchen Inhalt die bekämpfte Feststellung in Widerspruch zur begehrten Feststellung stehen soll. Die Klägerin erblickt offenbar einen Widerspruch darin, dass das Erstgericht feststellte, dass es mit der Verabreichung von 40 mg zu einer verbesserten Wirkung bei vertretbaren Nebenwirkungen gekommen sei, während die Klägerin die Festellung begehrt, dass es zu einem höherem Aufkommen von unmittelbaren Nacheinspritzungsreaktionen komme. Das Erstgericht stellte das Intervall der Verabreichung nicht fest. Dass es zu Nebenwirkungen kommt, steht aber fest. Unbekämpft steht ferner fest, dass eine Studie zur täglichen Verabreichung von 40 mg Glatimeracetat eine verbesserte Wirkung bei guter Verträglichkeit gezeigt hat.
Zum Argument, dass sich aus US 2007/016566 A1 zur Verabreichung von 40 mg Glatimeracetat jeden zweiten Tag keine Daten ergeben würden, ist die Klägerin auf die Feststellung des Erstgerichts zu verweisen, wonach klinische Erfahrungen mit der alle zwei Tage erfolgten Verabreichung nicht offengelegt wurden.
1.3. Um die Beweisrüge gesetzmäßig auszuführen muss die angestrebte Ersatzfeststellung im Widerspruch zur bekämpften Feststellung stehen (RIS-Justiz RS0041835, RS0043150 [T9]; Kodek in Rechberger 4 § 471 Rz 8). Wie bereits ausgeführt, liegt ein solcher Widerspruch zwischen begehrter und bekämpfter Feststellung nicht vor. Soweit der Inhalt der begehrten Feststellung über jenen der bekämpften Feststellungen hinausgeht, kommt ihm – wie die Ausführungen zur Rechtsrüge noch zeigen werden – keine Relevanz zu.
1.4. Eine Aktenwidrigkeit liegt nur dann vor, wenn für die bekämpften Tatsachenfeststellungen überhaupt keine beweismäßige Grundlage besteht, nicht aber dann, wenn sie – wie hier – durch Schlussfolgerungen aus Urkunden gewonnen werden (RIS-Justiz RS0043397 [T1]).
Das Rekursgericht übernimmt daher den vom Erstgericht als bescheinigt angenommenen Sachverhalt und legt ihn seiner Entscheidung zugrunde.
2. Zur Rechtsrüge :
2.1. Unstrittig ist, dass das von der Beklagten vertriebene Produkt „Perscleran 40 mg/ml Injektionslösung” den Gegenstand des Patents der Klägerin verwirklicht. Die Beklagte hat die Nichtigkeit der Patente der Klägerin eingewendet.
2.2. Gemäß § 24 PatV-EG sind auf Verfahren, die europäische Patente betreffen, ergänzend zu dessen Bestimmungen die Vorschriften des EPÜ (Europäisches Patentübereinkommen), des PCT (Vertrag über die internationale Zusammenarbeit im Patentwesen) und des Patentgesetzes sinngemäß anzuwenden. Für das Verfahren bei Patentverletzungsstreitigkeiten und für die Rechtsfolgen einer Patentverletzung gilt nach Art 64 Abs 3 EPÜ nationales Recht.
2.3. Die Patenterteilung schafft nach ständiger Rechtsprechung im Provisorialverfahren eine durch Gegenbescheinigungen entkräftbare Vermutung für das Bestehen des Patentrechts (RIS-Justiz RS0071369; RS0103412 [T1]). Die Vorfrage der Gültigkeit oder Wirksamkeit eines Patents muss aber auch im Provisorialverfahren geprüft werden, wenn in dieser Richtung eine Gegenbescheinigung angeboten wurde, wobei diese Prüfung freilich nur mit den Mitteln des Provisorialverfahrens und in dessen Grenzen vorgenommen werden kann (RIS-Justiz RS0071408). Da die Beklagte zur Bescheinigung der behaupteten Nichtigkeit Urkunden vorgelegt hat, die auch im Provisorialverfahren jedenfalls zu berücksichtigen sind, ist die behauptete Nichtigkeit des Patents im Sicherungsverfahren selbständig zu prüfen (RIS-Justiz RS0103412 [T2]). Liegt ein Nichtigkeitsgrund vor, so ist dem Patentinhaber der einstweilige Rechtsschutz zu versagen (RIS-Justiz RS0103412 [T3]).
2.4. Nach § 10 Abs 1 PatV-EG iVm Art 138 Abs 1 lit a EPÜ kann ein europäisches Patent mit Wirkung für einen Vertragsstaat für nichtig erklärt werden, wenn sein Gegenstand nach Art 52 bis 57 EPÜ nicht patentierbar ist. Nach Art 52 Abs 1 EPÜ werden europäische Patente für Erfindungen auf allen Gebieten der Technik erteilt, sofern sie neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind. Eine Erfindung gilt nach Art 56 EPÜ als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Nach Art 54 Abs 2 EPÜ bildet den Stand der Technik alles, was vor dem Anmeldetag der Öffentlichkeit durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benutzung oder in sonstiger Weise zugänglich gemacht worden ist.
Nach dem vom Europäischen Patentamt entwickelten „Aufgabe Lösungs-Ansatz” ist dabei zunächst der nächstliegende Stand der Technik zu ermitteln, sodann die zugrunde liegende technische Aufgabe zu bestimmen und schließlich zu beurteilen, ob die Erfindung angesichts des nächstliegenden Standes der Technik und der technischen Aufgabe für den Fachmann naheliegend war (mwN Kinkeldey/Karamanli in Benkard 2 Art 56 EPÜ Rn 23).
2.5. Die Klägerin kritisiert, dass das Erstgericht auch beim Heranziehen des Patents US 2007/0161566 A1 als nächstliegenden Stand der Technik von der Rechtsbeständigkeit des Klagepatent ausgehen hätte müssen. Die zu lösende technische Aufgabe liege in der Bereitstellung eines einfachen Dosierschemas mit möglichst wenig Arzneimittel. Diese Art der Verabreichung bringe eine Reduzierung von 26 Injektionen pro Jahr mit sich. Werde das Arzneimittel am Montag, Mittwoch und Freitag verabreicht, liege der zusätzliche Nutzen des Patienten in einem „freien Wochenende”. Dies sei für Patienten mit dieser chronischen Erkrankung und bei langfristiger Verabreichung relevant. Zudem reduziere dieses Dosierschema die Medikamentenkosten und entlaste auch das Gesundheitssystem, weil das Arzneimittel durch medizinisches Personal verabreicht werden müsse.
2.6. Die Neuheitsfiktion für den Stoff oder das Stoffgemisch gemäß § 3 Abs 3 Satz 2 PatG (vgl Art 54 Abs 5 EPÜ) gilt seit der EPÜ 2000 Nov 2007 (BGBl I 2007/81) auch für weitere chirurgische, therapeutische oder diagnostische Behandlungsverfahren ( Weiser, PatG 3 § 3 PatG 135). Die Beurteilung der Neuheit und/oder der erfinderischen Tätigkeit einer zweiten medizinischen Indikation ist in vielen Fällen schwierig; sie ist aber von einer nicht schutzfähigen Entdeckung klar und eindeutig abzugrenzen.
In der Entscheidung vom 19.2.2010 der Großen Beschwerdekammer des EPA wurde zu G 2/08 ausgesprochen, dass eine neue Dosieranleitung als einziges nicht im Stand der Technik enthaltenes Anspruchsmerkmal die Patentierbarkeit begründen kann. Die Große Beschwerdekammer betonte aber, dass bei der Beurteilung der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit eines Anspruchs, dessen einziges neues Merkmal die Dosieranleitung wäre, unabhängig von der Rechtsfiktion des Artikels 54 Abs 5 EPÜ auch die gesamte Rechtsprechung zur Beurteilung der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit generell anwendbar ist. Eine typische Frage, die in solchen Fällen zu beantworten wäre, ist, ob die in dem Anspruch definierte Dosieranleitung gegenüber dem bekannten Stand der Technik nachweislich eine besondere technische Wirkung hervorgebracht habe.
Dazu ist eine umfassende Rechtsprechung zur Frage entwickelt worden, wann eine im Stand der Technik noch nicht beschriebene therapeutische Anwendung einer Anwendung Neuheit verleiht, und diese Rechtsprechung ist noch immer auf die Beurteilung der jeweils zu prüfenden Einzelfälle anwendbar (vgl G 2/08).
Der BGH sieht diese Möglichkeit kritisch (vgl BHG, X ZR 236/01A, Carvedilol II; Haedicke / Timmann, Handbuch des Patentrechts, § 7 Rn 59; Melullis in Benkard 2 Art 54 Rz 219).
Der Patentschutz nach § 3 Abs 3 Satz 2 PatG ist häufig indikationsbezogen. Er wird dafür gewährt, dass Möglichkeiten zur Behandlung von Erkrankungen aufgezeigt werden, nicht für die Erkenntnis der Wirkungszusammenhänge. Die medizinische Eignung und die spezifische Anwendbarkeit eines Stoffs zur therapeutischen Behandlung werden zum einen durch die zu behandelnde Krankheit und durch die Dosierung, zum anderen aber auch durch alle weiteren Parameter bestimmt, die auf die Wirkung des Stoffs Einfluss haben und damit für den Eintritt des mit der Anwendung angestrebten Erfolgs von wesentlicher Bedeutung sein können (OLG Wien 34 R 113/16m, Dexmedetomidine, mwN).
Der Begriff der therapeutischen Behandlung erfasst in seinem Kern die Wiederherstellung der Gesundheit durch die Heilung von Krankheiten sowie die Linderung von Leiden, aber auch Verfahren zur Erhaltung der Gesundheit durch prophylaktische Behandlungen. Der therapeutische Charakter einer Behandlung setzt voraus, dass dadurch ein pathologischer Zustand oder eine Störung mit Krankheitswert in einen Normalzustand zurückgeführt wird oder dass einem pathologischen Zustand vorgebeugt werden soll.
Der Begriff Therapie ist nicht eng auszulegen: Auch die Linderung von Schmerzen oder von Beschwerden und die Wiederherstellung der körperlichen Leistungsfähigkeit sind als therapeutische Behandlung anzusehen (vgl 17 Ob 35/09k, Isoflavon, mwN).
2.7. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass bereits das am 9.1.2007 angemeldete Patent US 2007/0161566 A1 die Behandlung von Patienten, die an schubförmiger MS leiden, mit einer periodischen Verabreichung einer Einzeldosis von 40 mg Glatirameracet jeden zweiten Tag mittels einer subkutanen Injektion vorsah.
Die Klägerin führt in ihrem Rechtsmittel zur Neuheit und/oder der erfinderischen Tätigkeit einer zweiten medizinischen Indikation nur ins Treffen, dass die dem Klagepatent zugrundeliegende Art der Verabreichung eine Reduzierung von 26 Injektionen pro Jahr mit sich bringe. Der zusätzliche Nutzen des Patienten bei Verabreichung am Montag, Mittwoch und Freitag liege darin, dass er sich am Wochenende keine Injektion verabreichen müsse. Ein weiterer Nutzen liege in der Reduktion von Medikamentenkosten und in der Entlastung des Gesundheitssystems.
Diese Argumente zielen jedoch nicht auf eine erfinderische Tätigkeit ab. Dass es bei Einhaltung des vom Klagepatent umfassten Dosierschemas zur jährlichen Reduktion von 26 Injektionen kommt, liegt ohnehin auf der Hand. Weder die Reduktion von Medikamentenkosten noch eine Entlastung des Gesundheitssystems ist ein die Patentierbarkeit begründender erfinderischer Schritt. Die Klägerin beruft sich im übrigen gar nicht auf besondere (zusätzliche) technische oder therapeutische Wirkungen, Eigenschaften oder Effekte bei Anwendung des in Rede stehenden Dosierschemas.
Bei der gleichen Menge des Arzneimittels je Einzelinjektion kommt es bei der Anwendung dieses Dosierschemas nur zu einer geringfügig abweichenden Verabreichung, welche jedenfalls nahe zum Dosierschema des Patents US 2007/0161566 A1 liegt, das bereits im Stand der Technik nachgewiesen ist (vgl auch BGH, X ZR 236/01A, Carvedilol II ). Das Dosierschema der Patentansprüche 1 und 2 beruht daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
2.8. Zuletzt moniert die Rekurswerberin noch, dass eigentlich das Dosierschema von 20 mg täglich der nächstliegende Stand der Technik und das Klagepatent dann rechtsbeständig sei. Die 40 mg-Dosierung zeige dieselbe Wirksamkeit wie die 20 mg-Dosierung mit allerdings schlimmeren Nebenwirkungen.
Die Rechtsrüge ist in diesem Punkt nicht gesetzmäßig ausgeführt, weil sie nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgeht. Das Erstgericht hat zur Wirksamkeit der 40 mg-Dosierung gegenüber der 20 mg-Dosierung festgestellt, dass die 40 mg-Dosierung eine verbesserte Wirksamkeit bei guter Verträglichkeit zeige.
Die Klägerin zeigt mit diesen Ausführungen keine Umstände auf, die darauf schließen ließen, dass das Erstgericht zu Unrecht von der 40 mg-Dosierung als nächstliegendem Stand der Technik ausgegangen wäre.
2.9. Der Klägerin ist es nicht gelungen, ihren Anspruch zu bescheinigen. Der Beklagten hingegen ist die Gegenbescheinigung gelungen, wonach das Klagepatent der Klägerin nicht rechtsbeständig ist. Die Abweisung des Sicherungsantrags war daher zu bestätigen (RIS-Justiz RS000569 [T4]).
3. Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens beruht auf § 393 EO, §§ 50 Abs 1, 41 ZPO. Der Zuschlag für die Beiziehung eines Patentanwalts steht zu, weil nicht nur prozessual-juristische Fragen Gegenstand des Rekursverfahrens waren. Der für die Rekursbeantwortung geringfügig überhöht verzeichnete Honoraransatz nach TP 3B RATG war zu korrigieren.
4. Der Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstands nach §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 500 Abs 2 Z 1 lit b ZPO ergibt sich aus der wirtschaftlichen Bedeutung des Patentrechts und orientiert sich auch an der Bewertung durch die Klägerin.
5. Ob der Gegenstand eines Patents erfinderisch ist, kann nur im Einzelfall beurteilt werden und wirft demnach keine Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO auf, weshalb der ordentliche Revisionsrekurs nicht zuzulassen war.
[Der Oberste Gerichtshof wies den außerordentlichen Revisionsrekurs gegen diese Entscheidung am 20.12.2018 zurück, 4 Ob 228/18k.]