JudikaturOLG Wien

132Bs232/18i – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
19. September 2018

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien als Vollzugssenat nach § 16a StVG hat durch den Senatspräsidenten Dr. Dostal als Vorsitzenden sowie die Richterin Dr. Vetter und den fachkundigen Laienrichter Oberst Wolf als weitere Senatsmitglieder in der Vollzugssache des Werner N***** über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Vollzugsgericht vom 1. Juni 2018, AZ 21 Bl 39/18m-8, nach § 121b Abs 2 StVG in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

In Stattgebung der Beschwerde wird der angefochtene Beschluss aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung

Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Erstgericht einer Beschwerde des Werner N***** gegen eine Entscheidung des Anstaltsleiters der Justizanstalt G***** vom 7. Februar 2018, mit der eine Überweisung von 305 Euro aus der Rücklage für einen Abonnementbezug der Zeitschrift „Österreichisches Anwaltsblatt“ nicht bewilligt wurde (ON 5 S 6), nicht Folge.

Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass das Rücklagenkonto des Werner N***** am 7. Februar 2018 einen Stand von 1.239 Euro aufgewiesen habe. In Anbetracht der vom Beschwerdeführer während seiner Haft gesamt eingezahlten Rücklage von 10.993,-- Euro (Hälftebetrag gemäß § 54a Abs 1 erster Satz StVG daher 5.496,50 Euro) und der tatsächlichen Höhe der Rücklage im Ausmaß von 1.239 Euro ergäbe sich, dass der tatsächliche Rücklagenstand bereits weit unter dem gesetzlich vorgesehenen Hälftebetrag liege. Die Einschränkung des verfügbaren Betrages im Sinne des § 54 Abs 1 StVG auf die Hälfte der Rücklage gelte nämlich auch für Anschaffungen nach der Regelung des Abs 3, da der Gesetzgeber mit der gesamten Regelung des § 54a StVG auf die wirtschaftliche Absicherung von Insassen in der ersten Zeit nach der Entlassung abziele und dies nur mit einem entsprechend zur Verfügung stehenden Rücklagenbetrag gewährleistet werden könne. Ein Verneinen dieser Hälftebeschränkung würde im Ergebnis zu einer laufenden Verminderung der Rücklage durch Anschaffungen, die den Anforderungen des Abs 3 entsprechen, führen, und zwar bis zur Grenze des in Abs 1 angeführten Mindestbetrags.

Darüber hinaus handle es sich bei der Zeitschrift „Österreichisches Anwaltsblatt“ um eine juristische Fachzeitschrift. Es sei nicht zu erschließen, inwieweit sich der Beschwerdeführer als gelernter Buchbinder und Installateur damit konkret zu einer rechtschaffenen Lebenseinstellung verhelfen wolle, vielmehr sei diese Anschaffung für dessen Fortkommen nach der Entlassung nicht fördernd. Zwar handle es sich um ein laufendes Abonnement, die Vollzugsbehörden würden aber keine Ausfallshaftung für jegliche von einem Strafgefangenen eingegangene und zuvor genehmigte Verpflichtung übernehmen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde des Werner N*****, der zunächst eine Verletzung von Verfahrensvorschriften kritisiert, da ihm - entgegen der Bestimmung des § 45 AVG - weder sein zu AZ 21 Bl 26/18 übermittelter Personalakt noch die Rechtsprechung des Landesgerichts Linz zu AZ 21 Bl 124/17 und AZ 21 Bl 65/14 zur Kenntnis gebracht worden sei. Darüber hinaus moniert er, dass der Bezug des Abonnements durch den Vollzugsleiter der Justizanstalt G***** mit einer Entscheidung zum Ansuchen Nummer ***** vom 27. April 2015, unter der Voraussetzung, dass jährlich und mindestens 436 Euro auf der Rücklage verbleiben, bewilligt worden sei. Dabei handle es sich um eine unwiderrufene Vergünstigung der Justizanstalt G*****, die Anschaffungen von der Rücklage bis zum pfändungsfreien Grundbetrag zugelassen habe.

Durch die Einvernahme von Oberst G***** und Oberstleutnant R***** sowie Beiholung der Berichte der Generaldirektion könne erschlossen werden, dass ihm die Verwendung der Rücklage bis auf den pfändungsfreien Grundbetrag gestattet worden sei. Durch Nichtbeischaffung der Stellungnahme der Justizanstalt G***** vom 3. Mai 2017, GZ *****/59159/86-A2/2017, die sich auf die Verwendung der Rücklage zum Ankauf juristischer Fachliteratur beziehe, sei die Aufnahme von Beweisen verweigert worden und sohin die Klärung des Sachverhalts. Weiters gehe das Vollzugsgericht mit keinem Wort darauf ein, dass er die finanzielle Verpflichtung des Ankaufs der Zeitschrift nur deshalb tätigte, da ein bewilligtes Ansuchen der Justizanstalt G***** vorgelegen habe und die Jahresbeträge 2015, 2016 und 2017 ohne jede Beanstandung von der Justizanstalt G***** überwiesen worden seien. Seine amtswegige Verlegung in eine andere Justizanstalt könne nicht dazu führen, dass er nicht mehr in der Lage sei, zivilrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen, zumal der Kündigungszeitpunkt des Abonnements vor der amtswegigen Verlegung verstrichen sei. Darüber hinaus sei der Bezug dieser Zeitschrift unerlässlich, da er sich mit gesetzlich möglichen Projekten beschäftige, die auch sein Fortkommen nach der Entlassung fördere, nämlich die Tätigkeit als Generalanwalt diverser Gefangenengewerkschaften. Der Gesetzgeber habe § 54a Abs 3 StVG als selbstständige Rücklagenregelung verstanden, die Argumentation des Vollzugsgerichts mit einer Ausfallshaftung sei als reine Schutzbehauptung zu werten.

Weiters sei die Entscheidung des Anstaltsleiters zum Ansuchen Nummer ***** vom 26. Jänner 2018 sowie die Entscheidung von Oberst G***** und Oberstleutnant R*****, die Rücklage bis zum pfändungsfreien Grundbetrag zu verwenden, einer strafrechtlichen Würdigung zu unterziehen.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 16a Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 StVG entscheidet das Oberlandesgericht Wien für das Bundesgebiet über Beschwerden gegen einen Beschluss des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 leg cit StVG wegen Rechtswidrigkeit, wobei Letztere nicht vorliegt, soweit das Vollzugsgericht Ermessen im Sinne des Gesetzes geübt hat.

Gemäß § 16a Abs 3 StVG ist gegen den Beschluss des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 StVG eine Beschwerde nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder der Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Vollzugsgericht von der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung abweicht, eine solche fehlt oder uneinheitlich ist. Hat das Vollzugsgericht nach § 16 Abs 3 StVG Ermessen im Sinne des Gesetzes geübt, darf das Oberlandesgericht Wien den Beschluss weder aufheben, noch um das Ermessen anders auszuüben, abändern ( Pieber in WK 2 StVG § 16a Rz 5; Drexler/Weger StVG 4 § 16a Rz 2).

Soweit der Beschwerdeführer moniert, ihm sei entgegen § 45 AVG nicht Gelegenheit gegeben worden, in den Personalakt, der dem Vollzugsgericht im Verfahren 21 Bl 26/18z übermittelt worden sei, Einsicht zu nehmen und Stellung zu beziehen, wurde diese Möglichkeit mittlerweile vom Vollzugssenat eingeräumt (vgl Aktenvermerk der Justizanstalt G***** vom 28. August 2018).

Soweit die Rechtsprechung des Landesgerichts Linz nicht vorliege, ist darauf zu verweisen, dass sich das Recht auf Akteneinsicht auf alle die Sache der Partei betreffenden Akten und Aktenbestandteile erstreckt ( Hengstschläger/Leeb AVG 2 § 17 Rz 5; Drexler/Weger StVG 4 § 19 Rz 3). Als Aktenbestandteil kommt aber nur in Betracht, was die Behörde zum Zweck der Beweissicherung anlegt (Oberlandesgericht Wien 132 Bs 292/17m, Hengstschläger/Leeb aaO § 17 Rz 5), sodass die angesprochene Rechtsprechung nicht als Aktenbestandteil anzusehen ist. Gleiches gilt für (nicht im Akt aufscheinende) Berichte der Justizanstalt G***** an die Generaldirektion.

Gemäß § 54a Abs 1 StVG stehen dem Strafgefangenen das Hausgeld sowie die Hälfte der Rücklage, sofern diese die Hälfte des nach § 291a Abs 1 iVm § 291 EO, RGBl Nr. 79/1896, in der jeweils geltenden Fassung, nicht der Pfändung unterliegenden Betrags übersteigt, auch für Leistungen an unterhaltsberechtigte Angehörige oder an Personen, die durch die strafbare Handlung in ihren Rechten verletzt worden sind, sowie zur Schuldentilgung zur Verfügung. Gemäß Abs 3 leg cit dürfen die Strafgefangenen außer den Fällen des Abs 1 sowie des hier nicht in Betracht zu ziehenden § 54 Abs 2 Hausgeld und Rücklage im Vollzug auch für Anschaffungen verwenden, die ihr Fortkommen nach der Entlassung fördern.

Durch Zahlungen aus der Rücklage kann grundsätzlich deren eigentlicher und in § 54 Abs 2 StVG normierter Zweck, nämlich die finanzielle Sicherung der ersten Zeit nach der Entlassung, unterlaufen werden. Dem Strafgefangenen steht daher während der Haft nur derjenige Teil der Rücklage zur Verfügung, der das halbe Existenzminimum übersteigt. Dieser Teil darf für Zahlungen nach Abs 3 zur Gänze , für Zahlungen nach Abs 1 zur Hälfte verwendet werden. Die Rücklage ist somit in Höhe des halben Existenzminimums bis zur Entlassung gesperrt. Da Strafgefangenen somit die Rücklage in der Höhe der Hälfte des Existenzminimums (für den ersten Monat nach der Entlassung) verbleibt, ist die für eine Zahlung nach § 150 Abs 3 StVG erforderliche Bedürftigkeit nicht mehr gegeben ( Drexler/Weger, StVG 4 § 54a Rz 1).

Dass seit BGBl I 111/2010 im Rahmen des § 54a Abs 1 StVG nur mehr die Hälfte der Rücklage herangezogen werden darf, diente der Missbrauchsvermeidung und budgetären Gründen. Mit der (neuen) Regelung sollte sichergestellt werden, dass die Rücklage dem Strafgefangenen jedenfalls in der Höhe des halben Existenzminimums für den ersten Monat nach der Entlassung erhalten bleibt, um zu vermeiden, dass durch entlassungsnahe Verfügungen über Hausgeld und Rücklage der Kontostand (gezielt) so weit absinkt, dass ein Anspruch auf einen Zuschuss nach § 150 Abs 3 StVG entsteht (vgl Zagler, Strafvollzugsrecht 2 S 150; Vorblatt und Erläuterungen der RV zu 981 der Beilagen XXIV. GP S 95 zu Art 45).

Überdies ist schon dem Gesetzeswortlaut zu entnehmen, dass die Rücklage für Leistungen nach § 54a Abs 1 StVG – also für Unterhaltszahlungen, Zahlungen an Opfer und Schuldentilgung - in einem geringeren Ausmaß zur Verfügung stehen soll, als für Anschaffungen nach § 54a Abs 3 , die das Fortkommen des Strafgefangenen nach der Entlassung fördern. Eine Auslegung dahingehend, bis zur Entlassung zumindest die Hälfte der insgesamt einbezahlten Rücklage ansparen zu müssen, und mit diesen angesparten Mitteln keinerlei Anschaffungen oder Maßnahmen bezahlen zu dürfen, die dem Fortkommen nach der Entlassung förderlich sind, hätte etwa zur Folge, dass vorhandene Mittel nicht für eine zweckmäßige Fortbildung oder den Erhalt einer Wohnung eingesetzt werden dürften, obwohl diese Ausgaben allenfalls nach den besonderen Umständen des Einzelfalls, dem Fortkommen nach der Haft dienlicher wären, als der Erhalt einer bestimmten Geldsumme bei der Entlassung. Eine solche Interpretation entspricht daher nicht dem Sinn und Zweck der Regelung.

Auch § 150 Abs 3 StVG ist lediglich zu entnehmen, dass, wenn die dem Strafgefangenen bei der Entlassung auszuzahlenden Beträge ohne sein Verschulden nicht die Hälfte des unpfändbaren Freibetrags nach § 291a Abs 1 iVm § 291 EO erreicht, und für den Unterhalt des Strafgefangenen in der ersten Zeit nach der Entlassung nicht anderweitig ausreichend vorgesorgt ist, ihm ein Zuschuss bis zur Höhe dieses Betrages zu gewähren ist. Die letzte Aufgabe die den Strafvollzugsbehörden bei der Entlassung nämlich bleibt, ist einen Strafgefangene mit ausreichenden Mitteln auszustatten, um ihm in menschenwürdiger Weise die Reise zu seinem zukünftigen Aufenthaltsort (vgl § 150 Abs 1 StVG) zu ermöglichen und ihn in Stand zu setzen, die ersten Tage bis zum Einsetzen eigener Einkünfte oder sozialer Unterstützung seinen Unterhalt tragen zu können ( Drexler/Weger, StVG 4 § 150 Rz 1).

Die Rechtsansicht des Vollzugsgerichts, dass die Rücklage jedenfalls bis zur Hälfte aller insgesamt erfolgter Einzahlungen nicht für Zahlungen nach § 54a Abs Abs 3 StVG zur Verfügung stehe, findet daher weder im Wortlaut des § 54a StVG, noch – auch bei Miteinbeziehung der Bestimmung des § 150 StVG - im Gesetzeszweck Deckung.

Darüber hinaus moniert der Beschwerdeführer zutreffend, dass sein Vorbringen, wonach ihm der Bezug des Abonnements als Vergünstigung gewährt wurde, keiner ausreichenden sachverhaltsmäßigen Klärung unterzogen wurde.

In diesem Zusammenhang ist vorauszuschicken, dass eine allfällig gewährte Vergünstigung gemäß § 24 auch bei einer Vollzugsortsänderung in der Folgeanstalt fortwirkt. Die dauerhafte Verlegung in eine andere Justizanstalt stellt sohin keinen alleinigen Grund für die Entziehung von Vergünstigungen dar. Die Beschränkung oder Entziehung einer Vergünstigung durch die übernehmende Justizanstalt kann daher nur unter den Voraussetzungen des § 24 Abs 4 StVG erfolgen ( Drexler/Weger, StVG 4 § 24 Rz 11).

Mangels Feststellungen zum Inhalt der Vergünstigung ist eine abschließende Beurteilung des Sachverhalts nicht möglich, sondern wird das Vollzugsgericht im zweiten Rechtsgang zu erheben haben, ob, wann und unter welchen Voraussetzungen die von Werner N***** angesprochene Vergünstigung erteilt wurde. Dabei wäre die Entscheidung des Anstaltsleiters der Justizanstalt G***** beizuschaffen, um auch abklären zu können, welche Modalitäten in Bezug auf die Bezahlung des Abonnements allenfalls festgelegt wurden. Weiters wäre aufzuklären, ob - wie vom Beschwerdeführer vorgebracht - ihm die Zahlungen der Abonnements für die Vorjahre tatsächlich aus der Rücklage bewilligt wurden.

Darüber hinaus wird das Vollzugsgericht zu beachten haben, dass ein Entzug von Vergünstigungen außerhalb des dafür vorgesehenen Verfahrens nicht rechtmäßig ist ( Drexler / Weger StVG 4 § 24 Rz 9 f). Die Beschränkung oder Entziehung einer gewährten Vergünstigung nach § 24 Abs 4 StVG würde nämlich voraussetzen, dass ein Strafgefangener die ihm gewährten Vergünstigungen missbraucht oder sonst die Voraussetzungen, unter denen sie gewährt worden sind, nachträglich wieder wegfallen. Schließlich sei darauf hingewiesen, dass der bloße Umstand, dass der nunmehr zuständige Anstaltsleiter andere Wertevorstellungen als sein Vorgänger vertritt und die an sich zulässige Vergünstigung nicht gewährt hätte, weil sie seiner subjektiven Einschätzung nach den Vollzugszwecken nicht entspricht oder weil sie in einem von ihm erstellten Katalog möglicher Vergünstigungen nicht vorgesehen ist, keinen tauglichen Widerrufsgrund darstellt ( Drexler / Weger, StVG 4 § 24 Rz 11).

Aufgrund des vom Vollzugsgericht festgestellten Sachverhalts ist sohin eine abschließende rechtliche Beurteilung nicht möglich. Der angefochtene Beschluss war gemäß § 121b Abs 2 StVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Durchführung geeigneter Sachverhaltserhebungen, an das Vollzugsgericht zurückzuverweisen.

Im Hinblick auf behauptete strafrechtliche Verfehlungen von Justizorganen wurde die Eingabe an die zuständige Staatsanwaltschaft G***** übermittelt.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel zulässig.

Rückverweise