133R40/18g – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht ***** wegen Nichtigerklärung des Patents AT 503760 über die Berufung der Antragstellerin gegen die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung des Patentamts vom 23.5.2017, N 19/2015 4, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die Antragstellerin ist schuldig, der Antragsgegnerin binnen 14 Tagen die mit EUR 1.829,16 (darin EUR 304,86 USt) bestimmten Kosten der Berufungsverfahrens zu ersetzen.
Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt EUR 30.000.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Text
Die Antragsgegnerin (deren im Kopf der Entscheidung genannter aktueller Sitz sich aus dem Firmenbuch ergibt) ist Inhaberin des am 15.3.2008 erteilten Patents AT 503760 mit der Bezeichnung „ Einputzleiste sowie Verfahren zur Herstellung einer Einputzleiste ” (angegriffenes Patent).
Die angemeldeten und damals erteilten Patentansprüche lauteten:
1. Verfahren zur Herstellung einer Einputzleiste aus Kunststoff mit einem daran befestigten Armierungsgewebe, dadurch gekennzeichnet,
a) dass eine Einputzleiste mit einer Auflagefläche für das Armierungsgewebe bereitgestellt oder hergestellt wird,
b) dass die Auflagefläche in einem Bereich, in dem das Armierungsgewebe befestigt wird, erhitzt und an deren Oberfläche in einen plastischen Zustand versetzt wird,
c) dass ein Haltebereich des Armierungsgewebes auf die Auflagefläche aufgebracht wird, sowie
d) dass zumindest ein Haltestreifen aus erhitztem Kunststoff auf den Haltebereich des Armierungsgewebes aufgebracht, vorzugsweise aufextrudiert, wird.
2. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass der zumindest eine Haltestreifen durch das Armierungsgewebe in den plastischen Bereich der Auflagefläche durchgreift.
3. Verfahren nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass der auf den Haltebereich aufgebrachte oder aufextrudierte Haltestreifen mit der Einputzleiste verpresst wird.
4. Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, dass der Auflagebereich der Einputzleiste derart erhitz[t] wird, dass die Oberfläche aufschmilzt.
5. Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, dass der Auflagebereich durch Heißluft oder durch Infrarotstrahlung erhitzt wird.
6. Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 5, dadurch gekennzeichnet, dass die Einputzleiste nach der Befestigung des Armierungsgewebes kalibriert und abgekühlt wird.
7. Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 6, dadurch gekennzeichnet, dass für die Einputzleiste oder zumindest für deren Auflagefläche und für den zumindest einen Haltestreifen das selbe Kunststoffmaterial verwendet wird.
8. Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 7, dadurch gekennzeichnet, dass die Einputzleiste gemäß Schritt a) im gleichen Arbeitsgang extrudiert, kalibriert und derart abgekühlt wird, dass sie formstabil ist.
9. Einputzleiste (1) aus Kunststoff mit einem daran befestigten Armierungsgewebe (2), wobei die Einputzleiste (1) eine Auflagefläche (10) für das Armierungsgewebe (2) aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass zumindest ein Haltestreifen (2) aus Kunststoff unter Einschluss des Armierungsgewebes (2) auf einen nachträglich erhitzten, plastischen Oberflächenbereich (12) der Auflagefläche (10) aufgebracht, vorzugsweise aufextrudiert, ist.
10. Einputzleiste (1) nach Anspruch 9, dadurch gekennzeichnet, dass die Einputzleiste (1) und der zumindest eine Haltestreifen (4) aus dem selben Kunststoffmaterial bestehen.
Die Antragstellerin beantragte die Nichtigerklärung des angegriffenen Patents, weil sein Gegenstand von den Vorveröffentlichungen
EP 0638697 A1 (Beilage ./A),
DE 19611468 A1 (Beilage ./B),
DE 19803034 A1 (Beilage ./C),
EP 0875641 A2 (Beilage ./D) und
EP 0915215 A2 (Beilage ./E)
vorweggenommen oder zumindest nahegelegt werde. Die Entgegenhaltungen nähmen insbesondere alle Merkmale des Anspruchs 1 vorweg, weil das angegriffene Patent keine Vorgaben zur Gestaltung der Auflagefläche enthalte, sodass auch eine U förmige Auflagefläche, wie sie schon in DE 19611468 A1 (Beilage ./B) beschrieben werde, der Neuheit des Patents entgegenstehe.
Die Antragsgegnerin beantragte die Abweisung des Antrags und brachte vor, dass sich der Gegenstand des angegriffenen Patents von den Vorhaltungen dadurch unterscheide, dass ein Haltestreifen aus Kunststoff auf das Armierungsgewebe aufgebracht werde. Dennoch stellte die Antragsgegnerin einen Hilfsantrag, bei dem sie die Ansprüche 1 und 3 zum neuen Anspruch 1, die Ansprüche 1 und 7 zum neuen Anspruch 2 sowie die Ansprüche 9 und 10 zum neuen Anspruch 8 zusammenfasste.
Mit der angefochtenen Entscheidung gab die Nichtigkeitsabteilung des Patentamts (NA) dem Antrag teilweise statt, indem sie das angegriffene Patent im Umfang der erteilten Ansprüche 9 und 10 für nichtig erklärte, den Antrag hinsichtlich der Ansprüche 1 bis 8 hingegen abwies. In rechtlicher Hinsicht führte die NA aus, dass der Gegenstand der Ansprüche 1 bis 8 neu und erfinderisch sei. Demgegenüber sei der Gegenstand der Ansprüche 9 und 10 nur hinsichtlich ihrer fakultativen Ausführung, bei der der Haltestreifen aufextrudiert werde, neu. Die Anwendung dieses Verfahrens sei aber nicht erfinderisch.
Gegen den abweisenden Teil der Entscheidung richtet sich die Berufung der Antragstellerin mit dem Antrag, die Entscheidung der NA dahingehend abzuändern, dass das angegriffene Patent E 503760 zur Gänze für nichtig erklärt werde.
Die Antragsgegnerin beantragt der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt.
1. Die Antragstellerin macht als „mangelhafte bzw fehlende Feststellungen” geltend, dass sich die NA bei der Bewertung der Entgegenhaltung DE 19611468 A1 (Beilage ./B) auf eine Grafik bezogen, die darüber hinausgehende Beschreibung des Patents aber nicht festgestellt habe. Der Antragstellerin ist zuzustimmen, dass die NA dazu keine Feststellungen getroffen hat, doch ist die Echtheit der mit Beilage ./B vorgelegten Patentschrift unstrittig. Nach ständiger Rechtsprechung kann das Berufungsgericht den Inhalt einer in den Feststellungen der Vorinstanz – wenn auch ohne wörtliche Wiedergabe – enthaltenen Urkunde, deren Echtheit unstrittig ist, ohne weiteres berücksichtigen, ohne dass es einer Ergänzung des Beweisverfahrens bedarf (RIS-Justiz RS0121557).
2.1. In der Beschreibung von DE 19611468 A1 (Beilage ./B) wird dargelegt, dass das Gewebe „mit sich annähernd an die Innenkontur des C Profils der Anschlussleiste anschmiegendem Verlauf in dieses eingesetzt” wird. Die Antragstellerin macht geltend, dass damit alle Merkmale des Anspruch 1 vorweggenommen würden, zumal im Streitpatent nicht definiert sei, welche Geometrie die Auflagefläche aufweisen müsse und ob das Armierungsgewebe vollständig oder nur in einem Teilbereich der Auflage aufzubringen sei.
2.2. Dem ist entgegenzuhalten, dass das angegriffene Patent eine Einputzleiste mit einer „Auflagefläche” beschreibt und vorsieht, dass das Armierungsgewebe auf die Auflagefläche „aufgebracht” wird, wobei auch die Grafiken ein flächiges Aufbringen des Gewebes zeigen. Das Einsetzen eines Gewebes in die Innenkontur eines C Profils ist aber kein flächiges Aufbringen. So hat bereits die NA darauf hingewiesen, dass aus der Grafik in DE 19611468 A1 (Beilage ./B) ersichtlich ist, dass das Gewebe nicht flächig am C Profil anliegt. Dementsprechend sieht die Beschreibung DE 19611468 A1 (Beilage ./B) in Spalte 4 Zeile 15 ff vor, dass der Zwischenraum mit einem „in thermisch plastifiziertem Zustand eingebrachten Kunststoff-Material verfüllt” wird, das in weiterer Folge zu einem „formschlüssig fixierenden Verankerungskörper” erstarrt. Demgegenüber sieht das angegriffene Patent kein solches Verfüllen vor, sondern schlägt das Aufbringen eines Haltestreifens aus erhitztem Kunststoff vor.
Die Vorhaltung DE 19611468 A1 (Beilage ./B) steht der Neuheit des Patents daher nicht entgegen.
3.1. Die Antragstellerin macht geltend, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht erfinderisch sei, weil die technische Aufgabe darin bestehe, die Verbindung zwischen den Haltestreifen und der Auflagefläche zu verbessern, weshalb es für eine Fachperson ausgehend von EP 0915215 (Beilage ./E) nahe liege, die Anregungen aus EP 0638697 A1 (Beilage ./A) und DE 19611468 A1 (Beilage ./B) aufzugreifen und die Auflagefläche durch Erhitzen in einen plastischen Zustand zu versetzen.
3.2. Eine Neuentwicklung beruht nach § 1 Abs 1 PatG dann auf einer erfinderischen Tätigkeit und ist patentierbar, wenn sie sich für die Fachperson nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Die Beurteilung der Erfindungseigenschaft hat nach dem Aufgabe-Lösungs-Ansatz zu erfolgen, nach dem die zu lösende technische Aufgabe zu formulieren, sodann der nächstliegende Stand der Technik zu bestimmen und schließlich zu prüfen ist, ob die Lösung angesichts des nächstliegenden Stands der Technik und der technischen Aufgabe für die Fachperson nahe liegend gewesen wäre (Op 5/05; Op 4/07; Op 1/12; Weiser, PatG 3 32 ff). Nach dem „could-would-approach” fehlt die erfinderische Tätigkeit aber nicht schon dann, wenn eine Fachperson auf Grund des Stands der Technik zu einer bestimmten Lösung gelangen hätte können, sondern erst, wenn sie sie auf Grund eines hinreichenden Anlasses in Erwartung einer Verbesserung oder eines Vorteils auch tatsächlich vorgeschlagen hätte (RIS-Justiz RS0071157 [T1]; RS0130386).
3.3. Das angegriffene Patent bezieht sich auf die technische Aufgabe, eine Einputzleiste mit einem daran befestigten Armierungsgewebe herzustellen. Die NA und die Antragstellerin stimmen darin überein, dass die Vorveröffentlichung EP 0915215 (Beilage ./E) als nächstliegender Stand der Technik anzusehen ist, weil dieses Patent die Herstellung eines „Kantenschutz-Richtwinkels” beschreibt, indem das Gewebe auf einem Kunststoffprofil aufgelegt und sodann zur Erzielung einer stoffschlüssigen Verbindung eine Abzugsleiste anextrudiert wird. Im Gegensatz zum angegriffenen Patent ist in dieser Vorveröffentlichung kein Erhitzen der Auflagefläche vorgesehen, wodurch deren Oberfläche in einen plastischen Zustand versetzt und eine haltbare Verbindung hergestellt würde.
3.4. Auch die Vorhaltung DE 19611468 A1 (Beilage ./B) enthält keinen Hinweis darauf, dass eine solche Verbindung durch das Erhitzen der Auflagefläche hergestellt werden könnte.
Wohl aber beschreibt EP 0638697 A1 (Beilage ./A) die Herstellung eines „Kantenschutzrichtwinkels als Eckbewehrung”, indem Winkelprofile erhitzt und mit einem Wulst versehen werden, der ebenfalls erhitzt wird, damit dann die Bewehrungsmatten in diesen Wulst eingedrückt werden können.
Das angegriffene Patent unterscheidet sich von diesem Verfahren aber dadurch, dass das Gewebe nicht von außen eingedrückt, sondern zwischen der Auflagefläche und den Haltestreifen fixiert wird. Eine Fachperson, die die Verbindung zwischen Haltestreifen und Auflagefläche verbessern soll und die Anregung in EP 0638697 A1 (Beilage ./A) aufgreift, würde deshalb ein Verfahren vorschlagen, bei dem das Gewebe in einen erhitzten Haltestreifen eingedrückt wird. Für diese Fachperson bestünde aber keine Veranlassung, das in EP 0638697 A1 (Beilage ./A) beschriebene Verfahren zu verändern und – anstatt es in einen auf der Auflagefläche angebrachten Haltestreifen einzudrücken – das Gewebe an der Auflagefläche anzulegen und erst nachträglich einen erhitzten Haltestreifen aufzudrücken.
Der Gegenstand des Anspruch 1 des angegriffenen Patents ist damit erfinderisch, was die NA auf Seite 11 der angefochtenen Entscheidung auch zutreffend begründet hat (§ 500a ZPO).
4. Schließlich macht die Antragstellerin geltend, dass die NA zu den Unteransprüchen 2 bis 8 keine Feststellungen und rechtlichen Wertungen getroffen habe, weshalb die Rechtssache insoweit zur Verfahrensergänzung an die NA zurückzuverweisen sei.
Dem ist entgegenzuhalten, dass die Unteransprüche 2 bis 8 vorteilhafte Ausgestaltungen des in Anspruch 1 beschriebenen Verfahrens enthalten und dadurch alle Merkmale des Hauptanspruchs aufweisen (4 Ob 127/13z). Wenn der Hauptanspruch neu und erfinderisch ist, so sind es auch die davon abhängigen Unteransprüche, weshalb solche Unteransprüche nicht für sich genommen auf ihre Patentfähigkeit, insbesondere nicht auf ihre Neuheit und erfinderische Qualität zu prüfen sind (mwN Weiser , PatG 3 32 f).
5. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 122 Abs 1 und 141 PatG iVm §§ 41 Abs 1 und 50 ZPO.
6. Der Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstands beruht auf § 500 Abs 2 Z 1 ZPO und ergibt sich aus der Bedeutung des Patentschutzes im Wirtschaftsleben.
7. Die ordentliche Revision war gemäß § 502 Abs 1 ZPO nicht zuzulassen, weil keine Rechtsfrage zu lösen war, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukäme.