JudikaturOLG Wien

129R63/18k – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
16. Juli 2018

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Iby als Vorsitzenden sowie den Richter MMag. Sloboda und die Richterin Mag. a Fitz in der Rechtssache der klagenden Partei M***** , *****, vertreten durch Sattlegger Dorninger Steiner Partner OG in Linz, wider die beklagte Partei K***** KG , *****, *****, vertreten durch Korn Rechtsanwälte OG in Wien, wegen EUR 5.500,-- samt Anhang, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 23.5.2018, 11 Cg 43/18p-4, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben und der Punkt 1. des angefochtenen Beschlusses abgeändert, sodass er wie folgt lautet:

„1. Dem Kläger wird aufgetragen, die in seiner Klage als Beweismittel angeführten 50 Lichtbilder binnen drei Tagen bei Gericht niederzulegen und die Beklagte davon zu benachrichtigen.“

Die Rekurskosten der Beklagten sind weitere Verfahrenskosten.

Der ordentliche Revisionsrekurs ist zulässig.

Text

Begründung:

Der Kläger begehrt von der Beklagten mit seiner Mahnklage die Zahlung von insgesamt EUR 5.500,-- an angemessenem Entgelt und an Schadenersatz gemäß § 86 und § 87 UrhG. Er sei Fotograf und Urheber sowie Inhaber der exklusiven Werknutzungsrechte an zahlreichen Lichtbildern, die Werkqualität iSd § 1 UrhG aufweisen. Die Beklagte betreibe die Homepage www.k*****.at und habe dort fünfzig Lichtbilder, an welchen dem Kläger die Urheberschaft und das ausschließliche Werknutzungsrecht zukomme, auf diversen Subpages verwendet, dies ohne jegliche Werknutzungsbewilligung. Zum Beweis für sein Vorbringen berief sich der Kläger in seiner Mahnklage auf die Parteienvernehmung und auf „Urkunden – 50 Bilder“.

Die Beklagte erhob rechtzeitig Einspruch und beantragte gemäß § 82 Abs 1 ZPO, dem Kläger aufzutragen, die 50 Bilder im Original innerhalb von drei Tagen bei Gericht niederzulegen und die Beklagte davon zu benachrichtigen.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht 1. diesen Antrag der Beklagten ab und trug 2. beiden Streitteilen auf, binnen vierzehn Tagen einen vorbereitenden Schriftsatz einzubringen und mit diesem sämtliche Urkunden und Augenscheinsgegenstände, auf die sie sich im Verfahren als Beweismittel berufen, dem Gericht vorzulegen. Fotos seien Augenscheinsgegenstände und keine Urkunden. Auf Augenscheinsgegenstände sei aufgrund eindeutiger gesetzlicher Anordnung § 82 ZPO nicht anzuwenden, weshalb der Antrag der Beklagten abzuweisen sei. Zur Straffung des Verfahrens und zur Vorbereitung der Verhandlung sei gleichzeitig beiden Parteien ein Schriftsatz und die Vorlage von Urkunden und Augenscheinsgegenständen aufzutragen.

Gegen Punkt 1. dieses Beschlusses richtet sich der Rekurs der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss derart abzuändern, dass ihrem Vorlageantrag stattgegeben werde. In weiterer Folge beantragten beide Streitteile, die Frist zur Einbringung eines vorbereitenden Schriftsatzes bis nach der Entscheidung über den Rekurs der Beklagten zu verlängern. Obwohl in keinem dieser Fristerstreckungsanträge eine Begründung gegeben wird, warum die vom Erstgericht gesetzte Frist nicht eingehalten werden kann, und daher das Vorliegen der Voraussetzungen für die Verlängerung einer Frist gemäß § 128 Abs 2 ZPO von beiden Streitteilen noch nicht einmal behauptet wurde, wurden beide Fristerstreckungsanträge bewilligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist berechtigt.

Die Beklagte hat ihren Antrag ausdrücklich auf § 82 ZPO gestützt. Nach dieser Bestimmung ist eine Partei, die in einem Schriftsatz auf in ihren Händen befindliche Urkunden Bezug genommen hat, auf Verlangen des Gegners verpflichtet, diese Urkunden in Urschrift innerhalb drei Tagen bei Gericht niederzulegen und den Gegner hievon zu benachrichtigen. Der Gegner kann dann die Urkunden innerhalb von drei Tagen nach empfangener Benachrichtigung einsehen und davon Abschrift nehmen.

Allerdings sind Lichtbilder grundsätzlich Augenscheinsgegenstände (2 Ob 2382/96z mwN). Der Beweis durch Augenscheinsgegenstände ist in den §§ 368 bis 370 ZPO geregelt. § 369 ZPO befasst sich mit Augenscheinsgegenständen, die sich nach den Angaben des Beweisführers im Besitz der Gegenpartei oder in der Verwahrung einer öffentlichen Behörde oder eines Notars befinden, und erklärt die §§ 301 und 303 bis 307 ZPO (mit einer hier nicht maßgeblichen Einschränkung) für anwendbar. Auf andere Bestimmungen der Zivilprozessordnung, die im Zusammenhang mit der Beweisführung durch Urkunden stehen – etwa Artikel XLIII EGZPO, aber auch § 82 ZPO –, wird nicht verwiesen.

Die Urkundenvorlagepflicht nach § 82 Abs 1 ZPO dient der Information des Gegners und, anders als die Vorlagepflicht im Rahmen eines Urkundenbeweises, nicht der Beweisführung gegenüber dem Gericht (5 Ob 122/91; 4 Ob 44/05g). In den Materialien zur Zivilprozessordnung wird die Regelung des (jetzt) § 82 ZPO damit begründet, dass es zwar in der Regel genug sein wird, wenn die zu benützenden Beweismittel dem Gegner im vorbereitenden Schriftsatz bezeichnet werden. Bei Urkunden erlaube es aber die Beschaffenheit der Beweismittel, noch weiter zu gehen; das Streben nach Konzentration der Prozessverhandlung und nach Beschleunigung des Verfahrens werde es nicht versäumen dürfen, davon tunlichst Gewinn zu ziehen. Je häufiger sich im Prozess auf Urkunden berufen werde und je größere Bedeutung diese dann in der Regel für das Urteil haben, umso mehr empfehle es sich, dem Gegner noch vor der Verhandlung die genaueste Informierung über den von der anderen Partei zu führenden Urkundenbeweis möglich zu machen (Regierungsvorlage, Erläuternde Bemerkungen zur Zivilprozessordnung, Materialien I, 225).

Zu den Regelungen bezüglich der Augenscheinsgegenstände wird in den Materialien ausgeführt, dass Augenscheinsgegenstände, sobald das Gericht deren Besichtigung anordnet, dieselbe Bedeutung für die Prozessentscheidung gewinnen, welche Beweisurkunden oder eine Auskunftssache haben, weshalb auch in Bezug auf die Herbeischaffung von Augenscheinsgegenständen, die sich nicht im Besitze des Beweisführers befinden, die nämlichen Regeln zur Anwendung kommen müssen, welche der Entwurf für die Herbeischaffung von derlei Urkunden oder Auskunftssachen aufstellt. Diese logisch notwendige und ebenso dogmatisch wie praktisch berechtigte Forderung spräche § 382 (nunmehr § 369) ZPO aus (Regierungsvorlage, Erläuternde Bemerkungen zur ZPO, Materialien I, 323).

In der Entscheidung 2 Ob 2382/96z musste der OGH die Frage beantworten, ob Artikel XLIII EGZPO – welcher das Recht einräumt, außerhalb eines anhängigen Rechtsstreits die Vorlage einer gemeinschaftlichen Urkunde mit Klage zu fordern – auch auf (gemeinschaftliche) Lichtbilder, also auf Augenscheinsgegenstände, anzuwenden ist. Der OGH hat dies in der genannten Entscheidung mit der Begründung bejaht, dass in den Bestimmungen über die Vorlagepflicht gemeinschaftlicher Augenscheinsgegenstände im Prozess auf die Bestimmungen über die Vorlagepflicht von gemeinsamen Urkunden verwiesen werde, sodass angenommen werden könne, dass eine planwidrige Unvollständigkeit vorliege, wenn in Artikel XLIII EGZPO hierauf nicht Bedacht genommen werde. Da die Bestimmungen über die Vorlagepflicht des Gegners bei gemeinsamen Urkunden im Prozess denen der Vorlagepflicht gemeinsamer Augenscheinsgegenstände gleichen, sei Artikel XLIII EGZPO analog anzuwenden, sodass die Vorlage gemeinsamer Augenscheinsgegenstände schon vor dem Prozess mit Klage gefordert werden könne.

Nach Ansicht des Rekursgerichts liegt auch bezüglich der Anwendung des § 82 ZPO auf Augenscheinsgegenstände eine derartige planwidrige Unvollständigkeit vor: Die Intention des Gesetzgebers der ZPO und seine Begründung für § 82 ZPO war das Streben nach Konzentration der Prozessverhandlung und nach einer Beschleunigung des Verfahrens. Je größere Bedeutung die Urkunden für das Urteil haben, umso mehr empfehle es sich, dem Gegner noch vor der Verhandlung die genaueste Information über den von der anderen Partei zu führenden Urkundenbeweis zu ermöglichen.

Dieselben Erwägungen treffen aber auch dann zu, wenn die maßgeblichen Beweismittel Lichtbilder, also Augenscheinsgegenstände, sind. Die Beklagte kann die Behauptung des Klägers, sie habe ohne Werknutzungsbewilligung 50 vom Kläger geschaffene Lichtbilder auf diversen Subpages ihrer Homepage veröffentlicht, nur dann substantiell beantworten, wenn sie diese Lichtbilder auch kennt.

Nur manche Augenscheinsgegenstände eignen sich dazu, ebenso wie Urkunden bei Gericht „niedergelegt“ zu werden, wo sie dann vom Prozessgegner besichtigt („eingesehen“) werden können. Es ist daher nachvollziehbar, dass der Gesetzgeber übersehen hat, auch bei diesen dem Gericht vorlegbaren Augenscheinsgegenständen die jedenfalls zweckmäßige und seinen erklärten Intentionen entsprechende Geltung des § 82 ZPO anzuordnen.

§ 82 ZPO ist daher auch auf Augenscheinsgegenstände anzuwenden, auf welche eine Prozesspartei in einem Schriftsatz Bezug genommen hat, wenn sich diese Augenscheinsgegenstände für eine Vorlage bei Gericht eignen. Der Rekurs ist somit berechtigt.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

In der Entscheidung SZ 7/372 hat der OGH einen Revisionsrekurs gegen die einem Antrag nach § 82 ZPO stattgebende Entscheidung des Rekursgerichts zurückgewiesen. Der Rechtsmittelausschluss in § 82 Abs 2 ZPO beziehe sich zwar ausdrücklich nur auf den im zweiten Absatz des § 82 ZPO erwähnten Antrag; im Hinblick auf den Wortlaut des ersten Absatzes („auf Verlangen des Gegners verpflichtet“) sei aber in Übereinstimmung mit den Motiven zur ZPO auch die Unzulässigkeit der Anfechtung einer Entscheidung nach § 82 Abs 1 ZPO anzunehmen. In späteren Entscheidungen hat der OGH die Ansicht vertreten, dass eine einen Antrag nach § 82 ZPO abweisende Entscheidung angefochten werden kann (5 Ob 131/91 mit ausführlicher Begründung); die einem Antrag nach § 82 ZPO stattgebende Entscheidung hat der OGH in der Entscheidung 4 Ob 44/05g aber weiterhin für unanfechtbar gehalten.

Dieser Rechtsansicht kann sich das Rekursgericht aber nicht anschließen: Gemäß § 514 Abs 1 ZPO sind Beschlüsse grundsätzlich anfechtbar, es sei denn, dass das Gesetz die Anfechtung ausdrücklich ausschließt. Ein solcher Rechtsmittelausschluss findet sich im gegebenen Zusammenhang nur in § 82 Abs 2 ZPO bei Entscheidungen, bei welchen die Frist nach § 82 Abs 1 ZPO auf Antrag verkürzt wird. In § 82 Abs 1 ZPO ist kein derartiger Rechtsmittelausschluss vorgesehen, sodass eine derartige Entscheidung schon gemäß § 514 Abs 1 ZPO – unabhängig von ihrem Ergebnis – grundsätzlich anfechtbar sein muss. Der Hinweis auf die in § 82 Abs 1 ZPO angeordnete unbedingte Vorlagepflicht (SZ 7/372; so auch 5 Ob 131/91) kann einen Rechtsmittelausschluss nach Ansicht des Rekursgerichts nicht rechtfertigen, weil ein solches Rechtsmittel gerade der Überprüfung dient, ob im konkreten Fall (hier bezüglich Augenscheinsgegenständen) eine derartige Vorlagepflicht besteht oder nicht.

Ist aber der Revisionsrekurs gegen die einem Antrag nach § 82 ZPO stattgebende Entscheidung nicht grundsätzlich unzulässig, dann ist er im konkreten Fall auch zulässig, weil zur hier maßgeblichen Frage – nämlich ob analog dieser Bestimmung auch die Vorlage von Lichtbildern aufgetragen werden kann – noch keine Rechtsprechung des OGH vorliegt.

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