133R46/18i – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht ***** wegen des Widerspruchs gegen die Wortmarke VITAWELL, AT 288280, über den Rekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss der Rechtsabteilung des Patentamts vom 1.12.2017, WM 114/2016 6, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben. Die angefochtene Entscheidung wird geändert und lautet:
«Dem
Widerspruch gegen die Marke AT 288280
wird stattgegeben und die Registrierung aufgehoben.»
Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt EUR 30.000.
Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.
Begründung
Text
1. Im Widerspruchsverfahren stehen einander folgende Wortmarken gegenüber:
2. Die Antragstellerin brachte vor, dass die Marken verwechselbar ähnlich seien, die Antragsgegnerin bestritt dies und wandte auch ein, dass die Antragstellerin die Widerspruchsmarke im relevanten Zeitraum nicht benutzt habe.
3. Mit dem angefochtenen Beschluss wies die Rechtsabteilung den Widerspruch ab. Sie bejahte die Benutzung der Widerspruchsmarke durch die Antragstellerin, verneinte allerdings die Verwechslungsgefahr.
Die Rechtsabteilung sah eine geringfügige Ähnlichkeit in bildlicher Hinsicht sowie eine Ähnlichkeit in klanglicher Hinsicht. Eine Ähnlichkeit in begrifflicher Hinsicht sei nicht gegeben, weil das Wort „Vita” in der angegriffenen Marke zwei Bedeutungen habe, nämlich „Lebenslauf”, „Lebensgeschichte”; sowie „Leben” im medizinischen Sinn. Der Teil „Vitamin” der Widerspruchsmarke sei ein lebenswichtiger Wirkstoff. Den Teil „Well” verstehe der Verkehr entweder als das englische Wort für Brunnen oder als das Adverb „gut”. Wegen dieser Unterschiede in der Wortbedeutung sei die Ähnlichkeit in begrifflicher Hinsicht zu verneinen.
Insgesamt sei die Ähnlichkeit zu gering, um eine Verwechslungsgefahr zu befürchten.
4. Dagegen richtet sich der Rekurs der Antragstellerin, die unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht und beantragt, die Entscheidung zu ändern und dem Widerspruch stattzugeben, in eventu die Entscheidung aufzuheben und die Sache zur neuerlichen Entscheidung an die Rechtsabteilung zurückzuverweisen.
Der Antragsgegnerin beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist berechtigt.
5. Gemäß § 29a iVm § 30 Abs 1 Z 2 MSchG kann auf Widerspruch des Inhabers einer früher angemeldeten, noch zu Recht bestehenden Marke die Löschung einer Marke erfolgen, sofern die beiden Marken und die Waren oder Dienstleistungen, für die die Marken eingetragen sind, gleich oder ähnlich sind und dadurch für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht, die die Gefahr einschließt, dass die Marke mit der älteren Marke gedanklich in Verbindung gebracht würde.
5.1. Im Widerspruchsverfahren ist in erster Linie auf den Registerstand abzustellen, also abstrakt zu prüfen (RIS-Justiz RS0066553 [T13]; RW0000786; RW0000810).
Bei der Beurteilung der Ähnlichkeit der betroffenen Waren oder Dienstleistungen sind alle erheblichen Faktoren zu berücksichtigen, die das Verhältnis zwischen den Waren oder Dienstleistungen kennzeichnen (vgl C 39/97, Cannon/Canon, Rn 23; Koppensteiner, Markenrecht 4 117 mwN bei FN 108).
5.2. Für den Begriff der markenrechtlichen Verwechslungsgefahr gilt ein gemeinschaftsweit einheitlicher Maßstab, den der EuGH in mehreren Entscheidungen konkretisiert hat (zB C 191/11 P, Yorma’s, Rn 43; EuG T 599/10, Eurocool, Rn 97); dem folgt auch die ständige österreichische Rechtsprechung. Danach ist die Verwechslungsgefahr unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen (ÖBl 2001, 159, T One mwN; ÖBl 2003, 182, Kleiner Feigling ua; RIS Justiz RS0121500, insb T4; RS0121482; RS0117324; 4 Ob 238/04k; 4 Ob 154/06k; 17 Ob 1/08h; 17 Ob 32/08t; 4 Ob 7/12a; 4 Ob 139/13i; Schumacher in Kucsko/Schumacher, marken.schutz 2 § 10 Rz 51 ff mwN).
5.3. Eine umfassende Beurteilung bedeutet, dass auf die Wechselbeziehung zwischen den in Betracht kommenden Faktoren, insbesondere auf die Ähnlichkeit der Marken, auf ihre Kennzeichnungskraft und auf die Ähnlichkeit der von ihnen erfassten Waren oder Dienstleistungen Bedacht zu nehmen ist (RIS-Justiz RS0121482).
So kann ein geringer Grad der Gleichartigkeit der erfassten Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken ausgeglichen werden und umgekehrt (C 39/97, Cannon/Canon ). Folge dieser Wechselwirkung ist, dass bei Waren- oder Dienstleistungsidentität ein wesentlich deutlicherer Abstand der Zeichen selbst erforderlich ist, um die Verwechslungsgefahr auszuschließen, als bei einem größeren Waren- oder Dienstleistungsabstand (RIS Justiz RS0116294; 4 Ob 36/04d, FIRN; 17 Ob 36/08f, KOBRA/cobra-couture.at; Koppensteiner, Markenrecht 4 111 mwN).
5.4. Die Verwechslungsgefahr ist nach dem Gesamteindruck auf die durchschnittlich informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Angehörigen der maßgeblichen Verkehrskreise der betreffenden Waren oder Dienstleistungen zu prüfen (C 591/12 P, Doghnuts/Bimbo Doughnuts, Rn 21; RIS Justiz RS0117324; Schumacher in Kucsko/Schumacher, marken.schutz 2 § 10 Rz 94 mwN; Koppensteiner, Markenrecht 4 111). Maßgeblich ist der Gesamteindruck, den ein nicht ganz unbeträchtlicher Teil der angesprochenen Verkehrskreise bei flüchtiger Wahrnehmung empfängt ( quattro/Quadra; 4 Ob 139/02y, Summer Splash; ecolex 2003, 608, More; RIS Justiz RS0078944; C 342/97, Lloyd, Rn 26).
5.5. Verwechslungsgefahr ist in der Regel schon dann anzunehmen, wenn eine Übereinstimmung in einem der Kriterien Bild, Klang oder Bedeutung besteht (4 Ob 330/97a, GO; 4 Ob 55/04y = RIS Justiz RS0079190 [T22], RS0108039, RS0117324, RS0079571; 4 Ob 57/14g, Ionit/Isonit ). Entscheidend ist dabei der Gesamteindruck, den Marke und Zeichen hervorrufen. Dabei sind die sie unterscheidenden und dominierenden Elemente zu berücksichtigen (4 Ob 124/06y, Hotel Harmonie/Harmony Hotels; RIS Justiz RS0117324).
Zu berücksichtigen ist weiters der Umstand, dass der Durchschnittsverbraucher eine Marke normalerweise als Ganzes wahrnimmt und nicht auf die verschiedenen Einzelheiten achtet (stRsp ua ÖBl 1993, 156, Loctite mwN; ÖBl 1996, 279, Bacardi/Baccara; ÖBl 1999, 82, AMC/ATC; EuGH Slg 1997, I 6191 = ÖBl 1998, 106, Sabel/Puma, Rn 23; 4 Ob 139/02y, Summer Splash; ecolex 2003, 608, More; RIS-Justiz RS0117324; RS0066753; C 120/04, Thomson life, Rn 28; C 591/12 P, Doghnuts/Bimbo Doughnuts, Rn 21) . Dem Durchschnittsverbraucher bietet sich nur selten die Möglichkeit, verschiedene Marken unmittelbar miteinander zu vergleichen, sondern er muss sich auf das unvollkommene Bild verlassen, das er von ihnen im Gedächtnis behalten hat (C 342/97, Lloyd, Rn 26; C 291/00, Slg 2003, I 2799, LTJ Diffusion, Rn 52; C 104/01, Orange, Rn 64; 17 Ob 23/07t, Henson ; Om 6/11, revölution ; RIS-Justiz RS0117324 [T7]; 4 Ob 25/05p, Zorro ; Om 9/04, McCruise ).
5.6. Bei ausschließlich aus Worten bestehenden Zeichen ist für die Ähnlichkeitsprüfung auf Wortklang, -bild und -sinn Bedacht zu nehmen (RIS-Justiz RS0117324, RS0066753 [insb T9]; C 251/95, Sabel/Puma; C 206/04, Muelhens ). Für das Bejahen von Verwechslungsgefahr muss eine Übereinstimmung in einem der drei genannten Kriterien bestehen (RIS-Justiz RS0079571, RS0079190 [T22]; Om 4/02, Kathreiner ). Auch hier sind der Gesamteindruck und die Wirkung auf einen Durchschnittsverbraucher der betreffenden Waren oder Dienstleistungen maßgebend (RIS-Justiz RS0117324; 4 Ob 124/06y, Hotel Harmonie/Harmony Hotels ).
5.7. In klanglicher Hinsicht haben Endungen im Allgemeinen einen erheblichen Auffälligkeitswert (ÖBl 1976, 164, Palmers/Falmers mwN; 4 Ob 29/98b, GARANTA; 4 Ob 225/03x, luminos/LUMINA; RIS-Justiz RS0079438).
5.8. Für die Beurteilung der Ähnlichkeit einer zusammengesetzten Marke kann es nur dann allein auf den dominierenden Bestandteil ankommen, wenn alle anderen Bestandteile zu vernachlässigen sind (C 193/06 P, Quick/Quicky ). Maßgebend sind auch hier der Gesamteindruck und die Wirkung auf einen Durchschnittsverbraucher der betreffenden Waren oder Dienstleistungen (RIS-Justiz RS0117324; 4 Ob 124/06y, Hotel Harmonie/Harmony Hotels ).
5.9. Wird eine Marke vollständig in ein Zeichen aufgenommen, so ist regelmäßig – und zwar auch dann, wenn noch andere Bestandteile vorhanden sind – Ähnlichkeit und damit bei Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit auch Verwechslungsgefahr anzunehmen (4 Ob 138/03b, gotv ; 17 Ob 1/08h, Feeling/Feel ; 4 Ob 181/14t, Peter Max/Spannmax ; RIS-Justiz RS0079033). Bei der Übernahme eines schwachen Zeichens besteht Verwechslungsgefahr, wenn das übernommene Zeichen innerhalb des übernehmenden Zeichens keine untergeordnete Rolle spielt und nicht gegenüber den Bestandteilen, die den Gesamteindruck des übernehmenden Zeichens prägen, gänzlich in den Hintergrund tritt (Om 15/01, Jack Jones ; RIS-Justiz RS0079033 [T20], 17 Ob 1/08h, Feeling/Feel ; 17 Ob 32/08t, Jukebox ; RIS-Justiz RS0079033 [insb T26]).
6. In Anwendung dieser Grundsätze kommt das Rekursgericht zu einem anderen Ergebnis als die Rechtsabteilung. Die einzelnen Elemente, nämlich die optische Erscheinung, den Klang und die Bedeutung der Wörter hat die Rechtsabteilung für sich genommen nachvollziehbar gewürdigt, allerdings weicht die Gesamteinschätzung des Rekursgerichts von jener der Rechtsabteilung ab.
In erster Linie maßgeblich ist dafür, dass der verschiedenen Bedeutung der Wörter („Vita”, „Vitamin” und „Well”) ein geringerer Einfluss auf den Gesamteindruck zugemessen wird. Beide Marken erwecken durch die Dominanz von „Vita” und von „Well” einen Gesamteindruck, der viel mit Gesundheit und Wohlbefinden zu tun hat. Die drei Buchstaben „min” fallen dabei auch deshalb nicht ins Gewicht, weil der Durchschnittsverbraucher die Zeichen als Ganzes wahrnimmt und weniger auf die unterschiedliche Wortbedeutung achtet.
Der Fall ist daher nicht so zu sehen wie 4 Ob 228/14d, Artist/Arktis, sondern eher wie OLG Wien 133 R 95/17v, Haas.
Die Antragstellerin legt im Rekurs zutreffend dar, dass die klangliche Komponente bedeutsamer ist als von der Rechtsabteilung gesehen, weil das Produkt in der Gastronomie mündlich bestellt wird; es ist auch daran zu denken, dass mündliche Aufträge zum Beispiel an Kinder, bestimmte Produkte einzukaufen, bei der gegebenen Klang-Ähnlichkeit Verwechslungen sogar wahrscheinlich machen.
Im Ergebnis muss die Antragsgegnerin auch gegen sich gelten lassen, dass die angegriffene Marke zur Gänze aus Teilen besteht, die auch in der Widerspruchsmarke enthalten sind. Ins Gewicht fällt auch besonders, dass die jeweiligen Endungen genauso ident sind und dass in Bezug auf die einzige Warengruppe, für die die angegriffene Marke eingetragen ist, völlige Identität mit den Waren der Widerspruchsmarke vorliegt.
Somit ist dem Widerspruch stattzugeben und die angegriffene Marke zu löschen.
Auf die Feststellung der Rechtsabteilung, die Antragstellerin habe die Marke im relevanten Zeitraum ausreichend benutzt, kommen die Parteien in den Rechtsmittelschriften nicht mehr zurück. Das Rekursgericht hat gegen die Feststellung der Rechtsabteilung keine Bedenken.
7. Da die Entscheidung keine Rechtsfragen von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG aufwarf und über den Einzelfall hinaus nicht bedeutsam ist (RIS-Justiz RS0111880 [Ermessensspielraum]; RIS-Justiz RS0066779 [T24]), ist der Revisionsrekurs nicht zulässig.
In diesem Fall hat das Rekursgericht nach § 59 Abs 2 AußStrG auszusprechen, ob der Wert des Entscheidungsgegenstands, der – wie hier – rein vermögensrechtlicher Natur ist, aber nicht in einem Geldbetrag besteht, EUR 30.000 übersteigt. Diese Voraussetzung ist angesichts der Bedeutung des Markenschutzes im Wirtschaftsleben gegeben.