132Bs381/17z – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien als Vollzugssenat nach § 16a StVG hat durch den Senatspräsidenten Dr. Dostal als Vorsitzenden sowie die Richterin Dr. Vetter und den fac h kundigen Laienrichter Oberst Mörwald als weitere Senat s mitglieder in der Vollzugssache des R***** S***** gegen den Beschluss des Landesgerichts ***** als Vollzugsgericht vom *****, GZ *****, nach § 121b Abs 2 StVG in nichtöffentlicher Sitzung den
B e s c h l u s s
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und die Sache zur neuerlichen En t scheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Text
B e g r ü n d u n g :
R***** S***** verbüßt aktuell in der Justizanstalt ***** über ihn verhängte Freiheitsstrafen im Gesamtausmaß von ***** mit errechnetem Strafende am *****.
Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Landesgericht ***** als Vollzugsgericht der Beschwerde des Strafgefangenen gegen die Ablehnung eines Ausgangsersuchens vom *****, mit welchem er für ***** von ***** Uhr bis ***** Uhr Ausgang gemäß § 99a StVG zur Aufrechterhaltung sozialer Kontakte mit seiner Frau und seinem Kind in Wien beantragt hatte, durch den Leiter der Justizanstalt ***** am *****, nicht Folge.
Begründend führte das Vollzugsgericht aus, dass R***** S***** drei wegen Vermögensdelikten einschlägige Vo r strafen aufweise, in der Justizanstalt in der Hauswer k stätte bei zufriedenstellender Arbeitsleistung beschä f tigt sei und gegen ihn ein rechtskräftiges Aufenthalt s verbot ab Haftentlassung für zehn Jahre bestehe, wobei seine Abschiebung nach Strafvollzug beabsichtigt sei. Die Aufrechterhaltung familiärer und sonstiger persönlichen Bindungen stelle einen für einen Ausgang zulässigen Zweck dar, der jedoch ohne Weiteres auch durch Besuche und Langzeitbesuche der Familienangehörigen in der Anstalt erreicht werden könne. Weiters spreche der Umstand des zweimaligen Rückfalls des Antragstellers in Vermögenskr i minalität gegen die Annahme, ihn nicht als im Sinne des § 99 Abs 1 StVG besonders gefährlich anzusehen. Im Zusammenhalt mit der beabsichtigten Abschiebung unmitte l bar nach dem Strafvollzug bestehe ein starker Fluchta n reiz.
Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des Strafgefangenen (ON 8), in der er moniert, dass seitens der Fremdenpolizei kein Einwand gegen einen Ausgang bestehe. Weiters liege der im Bescheid angeführte starke Fluchtanreiz nicht vor und sei dieser auch nicht nac h vollziehbar, da er unbewacht – auch außerhalb der Justi z anstalt ***** - als Haustechniker beschäftigt sei und daher mehrmals die Möglichkeit zur Flucht gehabt hätte. Der vom Vollzugsgericht angeführte Langzeitbesuch zur Aufrechterhaltung familiärer Kontakte sei von der Anstaltsleitung abgelehnt worden. Er stelle weder eine Gefahr für die Sicherheit des Staates, einer Person oder des Eigentums dar.
Rechtliche Beurteilung
Der Beschwerde kommt Berechtigung zu.
Nach § 16a Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 StVG entscheidet das Oberlandesgericht Wien für das gesamte Bundesgebiet über Beschwerden gegen einen Beschluss des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 StVG wegen Rechtswidrigkeit, wobei Let z tere nicht vorliegt, soweit das Vollzugsgericht Ermessen im Sinne des Gesetzes geübt hat.
Hat das Vollzugsgericht nach § 16a Abs 3 StVG Ermessen im Sinne des Gesetzes geübt, darf das Oberla n desgericht Wien den Beschluss weder aufheben, noch - um das Ermessen anders auszuüben - abändern ( Pieber in WK² StVG § 16a Rz 5; Drexler , StVG³ § 16a Rz 2).
Gemäß § 99a Abs 1 StVG ist einem im Sinne des § 99 Abs 1 StVG nicht besonders gefährlichen Strafgefangenen auf sein Ansuchen höchstens zwei Mal im Vierteljahr zu gestatten, die Anstalt in der Dauer von höchstens zwölf Stunden am Tag zu verlassen, sofern die voraussichtlich noch zu verbüßende Strafzeit drei Jahre nicht übersteigt und der Strafgefangene einen Ausgang zu einem der in § 93 Abs 2 StVG genannten Zwecke benötigt. Ob es sich um einen nicht besonders gefährlichen Strafgefangenen handelt, ist nach § 99 Abs 1 StVG zu beurteilen. Nach dieser Besti m mung kommt es darauf an, ob der Strafgefangene nach der Art und dem Beweggrund der strafbaren Handlung, derentw e gen er verurteilt worden ist, sowie nach seinem Leben s wandel vor der Anhaltung und seiner Aufführung während dieser weder für die Sicherheit des Staates, noch die der Person oder des Eigentums besonders gefährlich ist. Für die angesprochenen Rechtsgüter ist ein Verurteilter dann besonders gefährlich, wenn es wahrscheinlich ist, dass er in Freiheit Straftaten nicht bloß leichter Art zum Schaden dieser Rechtsgüter wiederholen oder ausführen wird, wobei im Sinne eines beweglichen Systems bereits eine geringere Wahrscheinlichkeit einer schweren Straftat ebenso die besondere Gefährlichkeit begründet, wie eine mit höherer Wahrscheinlichkeit zu erwartende wiederholte Begehung weniger schwerwiegender Straftaten, weil in be i den Fällen ein vergleichbares Schutzbedürfnis der Gesel l schaft besteht. An eine solche „Tatbegehungsgefahr“ begründende Umstände ist ein weniger strenger Maßstab anzulegen, als in den Fällen des § 173 Abs 2 Z 3 StPO (vgl Pieber in WK² StVG § 99 Rz 1 iVm § 5 Rz 29 mwN).
Die Beurteilung der besonderen Gefährlichkeit ist bei Gesamtwürdigung aller Umstände, aus denen sich Schlüsse auf das künftige Verhalten des Verurteilten zi e hen lassen, vorzunehmen, insbesondere auch Vorstrafenb e lastung, rascher Rückfall, Tatbegehung während offener Probezeit, zu Gunsten des Verurteilten sind hingegen etwa geleistete Schadensgutmachung oder Versöhnung mit den Opfern zu berücksichtigen. Die besondere Gefährlichkeit kann sich konkret aus der Art oder dem Beweggrund der strafbaren Handlung ergeben, aber auch allgemein aus dem Lebenswandel. Bei der Art der strafbaren Handlung ist nicht eine bestimmte Deliktskategorie maßgeblich, sondern das historische Geschehen, auf dem das Ausmaß der durch die Tat herbeigeführten Rechtsgutbeeinträchtigung fußt, sowie den vom Gesetzgeber im Strafrahmen ausgedrückten Unrechtsgehalt des entsprechenden Deliktstypus. Das Ta t motiv kann besonders achtenswert aber auch besonders ve r werflich sein und die Einstellung des Verurteilten gege n über den rechtlich geschützten Werten widerspiegeln ( Pieber in WK² StVG § 5 Rz 28; Drexler , StVG³ § 99 Rz 3).
Unter den in § 99a Abs 1 StVG genannten Voraussetzungen haben Strafgefangene ein subjektiv-öffentliches Recht auf Gewährung eines Ausgangs. Zweck desselben ist die Aufrechterhaltung und Pflege der sozialen Beziehungen einschließlich der wirtschaftlichen und rechtlichen Angelegenheiten außerhalb der Anstalt. Ein Ausgang ist von Vornherein nicht zu bewilligen, wenn anzunehmen ist, dass er den Zwecken des Vollzugs (§ 20 StVG) wide r spricht, etwa weil eine Flucht geplant ist ( Drexler , StVG³ § 99a Rz 2).
Nach § 45 Abs 2 AVG, der ob § 17 Abs 2 Z 1 StVG zur Anwendung gelangt, gilt im Verfahren der Grundsatz der freien Beweiswürdigung, dh dass lediglich die Überze u gungskraft der Beweismittel im gegebenen Zusammenhang für ihre Bewertung maßgebend ist. Die Beweiswürdigung ist jedoch insofern nicht frei, als der maßgebende Sachve r halt vollständig erhoben und die Beweisführung tragfähig sein muss ( Thienel/Zeleny , Verwaltungsverfahrensgesetz e2 0 § 45 AVG Anm 4).
Die vom Vollzugsgericht ins Treffen geführten Vo r verurteilungen stellen zwar ein bei der Entscheidung über den Ausgang zu berücksichtigendes Kriterium dar. Alle r dings konnte sich das Vollzugsgericht mangels Beischa f fung der Vorstrafakten und der bezughabenden Urteile nicht ausreichend mit den eben angeführten Kriterien au s einandersetzen, zumal zur Beurteilung der Gefährlichkeit nicht eine – aus der Strafregisterauskunft (ON 5) ersichtliche - bestimmte Deliktskategorie maßgeblich ist, sondern das historische Geschehen, auf dem das Ausmaß der durch die Tat herbeigeführten Rechtsgutbeeinträchtigungen fußt. Darüber hinaus beschäftigt sich das Vollzugsgericht weder mit einer allfälligen Schadensgutmachung noch den Tatmotiven des Verurteilten oder seinem sonstigen Leben s wandel.
Ob der fehlenden Vorstrafakten erweist sich die – erst nach Gesamtwürdigung aller Umstände durchzuführende - Prognoseentscheidung jedenfalls als verfrüht.
Zur Vervollständigung der Entscheidungsgrundlagen wäre darüber hinaus das von der Justizanstalt angespr o chene Ordnungsstraferkenntnis (ON 4 S 2) beizuschaffen, um auch dieses in der Prognoseentscheidung berücksicht i gen zu können.
Insofern das Vollzugsgericht mit dem Bestehen eines starken Fluchtanreizes argumentiert, wäre das Vorbringen des R***** S***** dahingehend zu überprüfen, ob er tatsäc h lich bereits unbewachte Arbeiten außerhalb der Justiza n stalt ***** durchgeführt hat. Im Hinblick auf den behaupteten Fluchtanreiz wäre auch zu beachten, dass gemäß § 99a Abs 3 StVG § 99 Abs 5 dritter und letzter Satz sinngemäß anzuwenden ist.
Soweit das Vollzugsgericht damit argumentiert, dass die Aufrechterhaltung familiärer und sonstiger persönl i cher Bindungen fallgegenständlich ohne weiteres auch durch Besuche der Familienangehörigen in der Anstalt zu erreichen ist, ist darauf hinzuweisen, dass Strafgefa n gene unter den in § 99a Abs 1 StVG genannten Vorausse t zungen ein subjekti v -öffentliches Recht auf Gewährung eines Ausganges haben (Drexler, StVG³ § 99a Rs 2).
Der angefochtene Beschluss war sohin wegen Recht s widrigkeit seines Inhalts gemäß § 121b Abs 2 StVG aufz u heben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung nach Durchführung der angesprochenen Erhebungen an das Erstgericht zurückzuverweisen.